"Die Literatur ist der Ausdruck der Gesellschaft, wie das Wort
der Ausdruck des Menschen ist." Der Philosoph Louis Vicomte de
Bonald (1754-1840) gibt das wieder, was Literatur ausmacht: andere Kulturen
und Völker zu entdecken durch die Geschichten und Erzählungen
ihrer Menschen.
Die Literaturgeschichte führt die Formen epischer Kurzformen auf
Strukturen des mündlich tradierten, vorliterarischen Erzählens
zurück. Aus dieser Tatsache kann man begründen, warum die
meisten epischen Kurzformen eine volkstümliche und eine literarische
Erzählform aufweisen (Sage, Legende, Märchen, Anekdote). Man
könne wohl behaupten, dass die Substanz dieser meist kurzen Erzähltexten
– dies könne man über Jahrhunderte verfolgen- weder
in ihrer Erzählweise noch in ihrer Sprache liegt, sondern in der
Geschichte, die darin erzählt wird. Noch heute werden Äsops
Fabeln genau so gern gelesen wie die von La Fontaine, und Arntzen. Alt
und jung ergötzen sich weltweit – jeder in seiner Muttersprache-
an Grimms Märchen. Denn auch wenn die kulturellen Differenzen nicht
übersehen werden können, haben jedoch die Menschen in Wirklichkeit
bei aller Vielfalt eine gemeinsame Praxis des Erzählens.
Heute, da die Welt zum kleinen Dorf geworden ist, in dem sich Menschen
– Beobachter und Sprecher – wechselseitig wahrnehmen und
aufeinander reagieren, sollte man nach Wegen suchen, die sie alle auf
einen gemeinsamen Boden zurückführen.
In dieser Sektion soll der Versuch gewagt werden - mit Hilfe von epischen
Kurzformen - neue Möglichkeiten aufzufinden, die das Gemeinsame
zwischen den Menschen fördern. Mögen die epischen Kurzformen
als Impuls gelten, um Angehörige einer jeden Kultur Hinweise an
die Hand zu geben, wie sie sich verstehbar zeigen können und wie
sie die anderen verstehen können. Wir müssen versuchen und
uns redlich darum bemühen, uns zu verständigen.