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Erkenntnis und Erzählen in Hermann Brochs Der Tod des Vergil
Lidija Baković (Université de Montréal) [BIO]
Email: lbakovic@yahoo.ca
ABSTRACT:
Hermann Brochs Der Tod des Vergil (1945) ist ein paradoxes Werk. Es ist eine Absage an die Dichtung und zugleich ein Versuch, durch diese neue Horizonte zu eröffnen; es bemüht sich um Erkenntnis, ohne sich der gängigen objektiven naturwissenschaftlichen Methoden der Erkenntnisgewinnung zu bedienen; es will den Tod in „die Reichweite“ unseres Wissens bringen und gibt sein eigenes Scheitern zu; es ist ein Roman, der sich so weit von der traditionellen Romanform entfernt, dass er stellenweise zum Gedicht wird. Auch bringt der Roman sehr gut die Aporie des modernen Menschen zum Ausdruck, welcher sich in Odo Marquards Worten „absolut“ machen möchte, und dadurch notwendigerweise seine eigenen Grenzen entdeckt. Dieses Paradoxe wird vor allem im Verhältnis zwischen der Form der Darstellung und dem Inhalt – (Nicht)Vollzug der Erkenntnis - sichtbar. Dieses Paradoxe und seine Wirkung soll mit narratologischem Werkzeug genauer untersucht werden. Der Roman spiegelt nämlich auf beeindruckende Weise das narratologische Hauptprinzip wieder, nach dem der Erzähler und seine Position zum Geschehen der Zugang zur Werkdeutung sind. Brochs Erzähler ist nicht nur der Schlüssel, sondern auch der Ort des Geschehens. Im sterbenden Dichter Vergil haben wir ein Ich, das allmählich alle seinen Vorstellungen über sich selbst und die Welt aufgibt, sich sozusagen auflöst, und das dennoch, mit Lukács gesprochen, der Träger einer neuen Totalität werden soll. Das Erzählen „geschieht“ Vergil, während es vollzogen wird. Es gewinnt, durch seine wellenartige Bewegung und ausgesprochene Lyrik gewissermaßen an Dreidimensionalität. Raum und Zeit des menschlichen Daseins werden ins Kosmische wie auch in das urzeitig Chaotische transponiert. Das Bewusste und das Unbewusste, Traum und Realität, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Kosmos und ein kleines Zimmer gehen ineinander über. So gelingt es Broch, wenn nicht eine neue Erkenntnis in die Wege zu leiten, so doch den Bewegungen des menschlichen Inneren, und vor allem seiner unbewussten und bewussten Vorgänge auf ganz neue Weise Ausdruck zu verleihen.
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