Ehrenschutz: Bundespräsident Dr. Heinz Fischer

KCTOS: Wissen, Kreativität und
Transformationen von Gesellschaften

Wien, 6. bis 9. Dezember 2007

<<< European Identities, European Realities / Europäische Identitäten, Europäische Realitäten


 

Europäische Identitäts-Polyphonie?
Deutsche und österreichische Stimmen

Ernst-Ulrich Pinkert (Universität Aalborg, Dänemark)

Email: pinkert@hum.aau.dk

 


 

ABSTRACT:

Nach dem Fall der Berliner Mauer und der Vereinigung der beiden deutschen Staaten beriefen sich deutsche Politiker (vor allem Genscher und Brandt) immer wieder auf Thomas Mann, wenn sie der in einigen europäischen Nachbarländern feststellbaren Angst vor einem übermächtigen Deutschland entgegenzutreten versuchten. Unter ausdrücklichem Bezug auf ein Wort von Thomas Mann unterstrichen sie immer wieder, die Deutschen wünschten sich ein "europäisches Deutschland, kein deutsches Europa" - und versprachen so, dass die vergrösserte Bundesrepublik ihren Machtzuwachs in Europa nicht missbrauchen werde und dass man auch weiterhin an der Weiterentwicklung der/einer europäischen Identität in Deutschland arbeiten werde.

Durch die wiederholte Berufung auf Thomas Mann als Repräsentanten des "anderen Deutschlands" sollte das Bild von einer zwar grossen, aber nach wie vor fest in Europa eingebundenen Bundesrepublik Deutschland Akzeptanz und Attraktivität gewinnen. Die behauptete Kompatibilität deutscher und europäischer Identität wurde durch Identitätsanleihen beim späten Thomas Mann unterstrichen, zugleich aber traten die Politiker selbst als tatkräftige Vollender Thomas-Mannscher Ideen von einem europäischen Deutschland in einem freien Europa hervor.

Das Bekenntnis der Politiker zu einem ”europäischen Deutschland” sollte aber nicht nur die wiedervereinigungsskeptischen Nachbarn beruhigen, sondern nach dem Ende der deutschen Teilung auch zur Überwindung der Teilung Europas beitragen - und im Zuge der Herausbildung eines "neuen Europas" auch zur Entwicklung einer neuen europäischen Identitat. Nach der Erweiterung der EU auf 27 Staaten ist dieser Wunsch nach einer europäischen Identität nach wie vor aktuell. Ein bulgarischer Wissenschaftler klagte erst kürzlich darüber, dass die EU-Skepsis in Bulgarien seit dem Beitritt des Landes gewachsen sei; zudem vermisste er auch hier eine Art europäisches Wir-Gefühl: "nie habe ich jemanden den Ausdruck 'wir Europäer' verwenden hören."

Die EU-Politiker haben seit langem vielerlei Anstrengungen unternommen, um u.a. durch die Entwicklung gemeinsamer europäischer Symbole das Bewusstsein einer europäischen Identität / EU-Identität fördern und festigen zu können. Dabei waren und sind sie offenkundig darum bemüht, hervorragende Werke des jeweiligen nationalen ”Kulturerbes” in die Waagschale europäischer Identitätsfindung zu werfen, ohne diese Werke dabei jedoch in einem symbolischen Kurzschluss unmittelbar zu Symbolen Europas zu machen. Sie scheinen vielmehr darum bemüht, die europäische Symbolik durch den Katalysator des Nationalen wirken zu lassen. So wurde Polyphonie , als Österreich Anfang 2006 den EU-Ratsvorsitz übernahm, zu einem Schlüsselwort europäischer Identitätsbildung, und Mozart wurde zu einer wichtigen österreichischen Stimme in der vorgestellten Polyphonie eines europäischen Identitätskonzerts. Der österreichische EU-Ratsvorsitzende Wolfgang Schüssel presste Mozart nicht ins Prokrustesbett des vorbildlichen Europäers, sondern charakterisierte sein Oeuvre als wichtigen Beitrag zur "Identitätsfindung eines Kontinents".

Die Meisterwerke der Kultur(en) erweisen sich bei der Jagd der Politiker nach identitätsstiftenden europäischen Symbolen als erfreulich widerstandsfähig. Da letztlich aber alles symbolisch werden kann, was Politiker im Namen Europas sagen, tun oder in die Hand nehmen, ist es bei der Identitätsstiftung oft nicht weit vom Erhabenen zum Lächerlichen. DER SPIEGEL z.B. schrieb im Frühjahr 2007 über die Bundeskanzlerin Angela Merkel: "sie entlässt Friedenstauben in den blauen Himmel über Berlin, der dadurch zum europäischen Firmament wird."

 


 

Ehrenschutz: Bundespräsident Dr. Heinz Fischer

KCTOS: Wissen, Kreativität und
Transformationen von Gesellschaften

Wien, 6. bis 9. Dezember 2007