Ehrenschutz: Bundespräsident Dr. Heinz Fischer

KCTOS: Wissen, Kreativität und
Transformationen von Gesellschaften

Wien, 6. bis 9. Dezember 2007

<<< Inhalte und Formen unterschiedlicher Epochen der künstlerischen Moderne vom 18. ins 21. Jahrhundert


 

Wieland und die Sehnsucht nach verlorener Kindheit

Metin Toprak (Universität Kocaeli)

Email: Mtoprak@kou.edu.tr

 

 

ABSTRACT:

Friedrich Schiller vergleicht in seiner Abhandlung Über naive und sentimentalische Dichtung die natürlichen und kultivierten Menschen (Zustand) mit den naiven und sentimentalen Dichtern (Dichtung). Der kultivierte Mensch des Zeitalters der Moderne, dessen Gefühl für die Natur er mit der Empfindung der Kranken für die Gesundheit vergleicht, hat den natürlichen Zustand ewig hinter sich, da die Natur aus ihm verschwunden ist. Das ist auch der Grund, warum sie von ihm „gehuldigt“ wird. Der Mensch war glücklich und vollkommen, solange er ein Kind der Natur war, weil sie ihn mit sich eins machte. Er ist kultiviert und kann „in seiner Art niemals vollkommen werden“, und ist nun auf der Suche nach der verlorenen Kindheit, nach der „ungeteilte[n] sinnliche[n] Einheit“, die er nie wieder erreichen wird. Sie muss für ihn als ein unendliches Ideal bleiben. Das, was für Schiller als Ideal bleiben muss und von dem kultivierten Mensch nicht mehr erreicht werden kann, war für C. M. Wieland, der der Ansicht war, „daß die Zeit des Seyns vor der Zeit des Nachahmens, das ist die Zeit der Natur vor der Zeit der Kunst – einen gewissen Vorzug hat”, kein unerreichbares Ziel. Es wird “von Zeit zu Zeit neu geboren werden, wachsen, blühen, reifen, abnehmen, verderben, und dann wieder auferstehen, und wieder blühen, und wieder verderben; bis die Erde endlich ihre Zeit erfüllt hat”. Und von Grönland bis zu den Südseeinseln sind solche Völker noch vorhanden, meint Wieland, die „in der Wildheit ihres kindischen Alters herum laufen” und darauf warten “ihre Jugendstufe” zu besteigen, vorausgesetzt, dass „unsre kosmopolitische Neigung […] bis dahin noch unangesteckte Menschen übrig läßt.” Wie diese Ansteckung aussieht oder aussehen kann, zeigt Wieland in seiner Schrift Reise des Priesters Abulfauaris ins innere Afrika. Die Begegnung des Priesters mit einem Volk, das sich noch in seinem “kindischen Alter” befindet, wird mit dem folgenden Satz zusammengefasst: “Armes ehrliches Völkchen, was hattest du gethan, um mit einem Priester der Isis heimgesucht zu werden!”

Diese Sehnsucht nach dem Natürlichen, nach der verlorenen Kindheit (Schiller), nach dem „goldenen Zeitalter“ (Wieland), die auch in der Reiseliteratur der Aufklärung eine entscheidende Rolle spielt, wird nun nicht nur in Wielands dichterischem Werk Spuren hinterlassen. Auch sein großes Interesse für Georg Forsters Buch Reise um die Welt, dessen Auszüge er in seiner Zeitschrift (Der Teutsche Merkur) veröffentlichte und interpretierte, bekommt in diesem Zusammenhang eine andere Bedeutung. Wieland, der sich als Weltbürger fühlte und bezeichnete, wird von der Forschung als „Armchair Traveller“ bezeichnet (Menhennet: Wieland as Armchair Traveller), da er keine großen Reisen unternommen hat und sein „Wissen von der Welt“ wie viele seiner Zeitgenossen aus den Reiseberichten, der Literatur und philosophischen Schriften stammt. Man kann aber nicht behaupten, dass er auch alles, was in diesen Schriften zu lesen war, mit großer Begeisterung aufgenommen hat. In seinen Schriften „Über Alexander Dows Nachrichten von den Fakirn in Ostindien“, „Anmerkungen über Alexander Dows Nachrichten von der Religion der Braminen“ und „Nikolas Flamel, Paul Lukas und der Derwisch von Brussa“ wird z.B. die kritische Sichtweise des Aufklärers Wielands besonders erkennbar. Deswegen werde ich in meiner Arbeit vorwiegend der Frage nachgehen, weshalb Wieland von einigen dieser Schriften, die ihn auf seiner „Reise“ um die Welt begleiteten, beeindruckt war, von einigen anderen dagegen nicht.

 

 

 

 


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