Ehrenschutz:
Bundespräsident Dr. Heinz Fischer
KCTOS: Wissen, Kreativität und
Transformationen von Gesellschaften
Wien, 6. bis 9. Dezember 2007 |
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<<< Der
Kaukasus und Europa / Caucasus and Europe
Aufklärung als dekonstruktive Phänomenologie
Zur philosophischen Analyse der nationalen Lebenswelt
Ashot Voskanian (Staatliche Sprachuniversität, Yerevan)
[BIO]
Email: a.voskanian@upcmail.cz
und a.voskanian@mfa.am
ABSTRACT:
- Ein Rückblick auf die Mannigfaltigkeit der nachmodernen
Welt zeigt eine breite Palette der Identitäts- und Differenzgrade zwischen
den möglichen Dialogpartnern Europas. Sie dehnt sich aus von den dialogischen
Verhältnissen im Rahmen der traditionellen westlichen Demokratien(1)
bis zum „Okzident – Orient“ Verhältnis mit seinem ambivalenten
Schwanken zwischen dem aufrichtigen Willen zur politischen und kulturellen
Verständigung und unversöhnlichem Terrorismus.
- Die europäischen Anrainerstaaten (darunter Südkaukasus,
zu dem auch Armenien gehört), die „die neue Nachbarschaft Europas“
bilden, stehen in der Mitte. Die Stellung dieses mittleren Gliedes scheint
aus methodologischer Hinsicht dadurch privilegiert zu sein, da es in diesem
Fall einerseits immer noch um den explizit geäußerten Willen zur
Integration geht, andererseits, die sozialen und kulturellen Differenzen so
auffällig bleiben, dass es sich nicht um die bloße Aneignung europäischer
Regeln, sondern auch um einen Dialog der Kulturen handeln soll. Hiermit kommen
dialektisch gespannte Verhältnisse zwischen System und Lebenswelt zur
Erscheinung.
- Die Paradoxien eines doppelten Transformationsprozesses
(Assimilation der Spielregeln und gleichzeitiger Dialog der Kulturen) weisen
die hermeneutischen Züge einer verstehenden Integration vor. Auf diese
Weise wird der überwiegend politisch geprägte Integrationsdiskurs
selbst reflexiv und kann als Schwerpunkt einer weiteren philosophischen Analyse
betrachtet werden. Der philosophische Diskurs der Europaintegration bezieht
sich auf bekannte Diskrepanz, die die Prämissen der „toten Aufklärung“
(Gehlen) immer deutlicher von ihren „fortlaufenden Folgen“ trennt.
- Damit die europäische Integration im Südkaukasus
gelingt, muss sie nicht nur als eine Modernisierung im technischen Sinne verwirklicht
werden, sondern auch als Aufklärung. Die letzte verlangt nach einer inneren
Aneignung der „systemischen Modernisierung“, die zu den tief greifenden
Transformationen der lebensweltlichen Realitäten führt. Die Lebenswelt,
aber, lässt sich nicht ohne Erfahrung eines geschichtlich durchgegangenen
Weges transformieren. Fehlen in einer Gesellschaft bestimmte Etappen einer
historischer Entwicklung, so soll sie diesen Weg zumindest durch reflexive
Verarbeitung und dekonstruktive Analyse ihrer lebensweltlichen Realitäten
zurücklegen.
- Von Hegels „Phänomenologie des Geistes“
haben wir gelernt, wie die Logik einer geschichtlichen Gesellschaftsentwicklung
als eine Erfahrung des Bewusstseins beschrieben werden kann. Dieser Beschreibung
liegt die bekannte Unterscheidung zwischen den Begriffen und „Gestalten
des Bewusstseins“ zugrunde. Unter den letzten versteht Hegel die noch
unbegriffenen, im Entwicklungslauf des individuellen Bewusstseins auftretenden
Erscheinungsformen, die sich als plastisches Ganzes konstituieren. Sie sind
dem Bewusstsein zwar bekannt, aber vom Denken noch nicht erfasst und erkannt.
Zu ihrem Gehalt gehören sowohl begriffliche, als auch anschauliche Momente.
Die Hegelsche „Phänomenologie“ präsentiert den „Weg
der Seele, welche die Reihe ihrer Gestaltungen... durchwandelt“. Damit
erscheint die Geschichte nicht als Historiographie, sondern als eine Abfolge
der Situationen. Die Psychologie des Einzelnen und die Historie der Gattung
werden in den idealisierten Situationsmodellen gleichermaßen widergespiegelt
und gegenseitig oszilliert.
- Immerhin, in unserem Zeitalter des „nachmetaphysischen
Denkens“ lässt sich die Beschreibung der lebensweltlichen Transformationen
nicht mit den spekulativen Mitteln des Hegelschen Idealismus realisieren.
Das in vorliegendem Referat vorgeschlagene Beschreibungsvorgehen bezieht sich
vielmehr auf die Modelle des heutigen Philosophierens, wie das „konzeptuelle
Personage“ von G. Deleuze und F. Guattarie oder „paradigm“
von G. Agamben. Ein konzeptuelles Personage tritt nicht als „Wesen“
oder „Ding“, sondern als „Ereignis“ auf. Es verfügt
über gewisse Transformationskraft und „zeigt sich“ in seiner
Bewegung. Die so verstandenen Gestalten fallen nicht den geschichtlichen,
bzw. mythologischen Personen oder Situationen gleich, die sie auch verkörpern
können. Dennoch, sie erlauben es, die dahinter steckenden legitimierenden
Traditionen oder sozialen Ordnungen, welche als unentbehrliche Konstituenten
der nationalen Lebenswelt gelten, mit einem neuen, entfesselten Blick zu erfassen.
Es gilt die erstarrten, noch nicht in vollem Umfange durchgedachten Gestalten
des nationalen Bewusstseins in eine verflüssigende Bewegung zu setzen,
um in einem „pädagogischen Fortschreiten“ die Etappen der
geschichtlichen Entwicklung eines alten Volkes begrifflich erfassen zu können.
- Die reflektierende Beschreibung der sich transformierenden
Gestalten des Bewusstseins und die daraus entstehenden Gestaltkonstellationen
wirkt als kritische Dekonstruktion der nationalen Lebenswelt. Sie zerlegt
das verknöcherte lebensweltliche a priori und macht es für Außenantriebe
empfänglich. In solch einem Verfahren fallen die phänomenologische
Beschreibung der lebensweltlichen Realitäten und ihre Dekonstruktion
zusammen. Daher kann diese Methode als „phänomenologische Dekonstruktion
der nationalen Lebenswelt“ bezeichnet werden.
1 Meinungsdifferenzen zwischen
den USA und der EU oder zwischen den „neuen“ und „alten“
Ländern Europas sind augenfälligste Beispiele dazu.
Ehrenschutz:
Bundespräsident Dr. Heinz Fischer
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