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Silke Jahr (Greifswald)
Die Informationsentfaltung
semantisch komplexer Fachausdrücke
Fachwissen ist in erster Linie an Fachbegriffe gebunden, die auf der sprachlichen Ebene als Fachausdrücke bzw. Termini in einem Text erscheinen. Fachausdrücke speziell des wissenschaftlichen Bereichs zeichnen sich dadurch aus, daß sie verdichtetes Wissen enthalten. Mit Budin (1996, 49) stellt die innere Struktur eines wissenschaftlichen Begriffes eine Informationsverdichtung dar, womit eine Komplexitätsreduktion für das jeweilige Wissenssystem erzielt wird, der Begriff selber aber eine erhöhte Komplexität aufweise. Innerhalb einer Wissensstruktur sind die Begriffe über Begriffsbeziehungen miteinander verbunden, die in Texten als logisch-semantische Relationen ihren Niederschlag finden. Sehr komplexe Fachausdrücke kann man auch als maximal kondensierte Texte auffassen, die paradigmatisch hinter diesen Ausdrücken stehen (Kalverkämper 1987, 655). Im folgenden soll die Struktur semantisch komplexer Fachausdrücke und die Entfaltung der in ihnen verdichtet vorliegenden Information beschrieben werden.
Ausgegangen wird von dem semantisch komplexen Terminus Tierstaat, dem ein bedeutungsmäßig vielfach vernetzter Begriff unterliegt. Tierstaat stellt eine verdichtete Sachverhaltsaussage dar, die einen sehr komplexen Charakter trägt. Will man erklären, was der sprachliche Ausdruck Tierstaat bzw. der dahinterstehende Begriffsinhalt bedeutet, müssen die semantischen Komponentenbündel, die zur Bedeutung des Lexems gehören, expliziert werden. Die semantischen Merkmale dieses Ausdrucks sind als System organisiert, in welchem sich die vielfältigen Zusammenhänge zwischen Objekten und Sachverhalten reflektieren. Bei der semantischen Entfaltung dieses sprachlichen Ausdrucks werden die verdichteten Merkmalkombinationen aufgelöst und in anderen Lexemen mit einem weniger hohen Verdichtungsgrad an Information wieder versprachlicht. Es erfolgt eine semantische Expansion des durch eine hohe Informationsverdichtung ausgezeichneten Begriffes.
Es ist zweckmäßig, zwischen der intensionalen und extensionalen Bedeutung zu unterscheiden. Mit seiner extensionalen Bedeutung referiert Tierstaat auf die Klasse der Tierstaaten, der u.a. die Bienen angehören. Für jeden konkreten Tierstaat gilt, daß die zur Intension gehörenden Eigenschaften des Begriffes Tierstaat auch auf den Einzelfall zutreffen.
Die intensionale Bedeutung wird durch die Bedeutungseinheiten: ARBEITSTEILUNG, WOHNBAUTEN und VERSTÄNDIGUNGSSYSTEM auf einer sehr globalen Ebene erfaßt. Die genannten Einheiten stellen Kernsembegriffe von Tierstaat dar. Die sprachlichen Ausdrücke für die Kernseme sind wichtige Bedeutungsaspekte von Tierstaat und gehören in ihrer Globalheit zur unmittelbaren Bedeutung des Ausdrucks. Sie erklären den Sachverhalt zunächst auf einer globalen Ebene und stellen in einem entsprechenden Text die entscheidenden Schlüsselbegriffe dar. Kernsembegriffe stehen in einer logisch-semantischen Beziehung zu dem Ausgangsbegriff; im Falle von Tierstaat besteht eine modale Beziehung. Die Zusammenhänge sind in der abgebildeten Skizze verdeutlicht.
Die Kernsembegriffe fassen oft den Inhalt von Teiltexten global zusammen und bilden die Teilthemen von Texteinheiten. Nach dem Thema (Fachausdruck) bilden die Kernsemausdrücke die hierarchiehöchsten Einheiten des Textes, von denen über logisch-semantische Beziehungen weitere Bedeutungseinheiten ausgehen, die ebenfalls dem Ausgangslexem zuzuordnen sind, da sie den Sachverhaltszusammenhang genauer erklären. Im Beispiel Tierstaat gehen von dem Kernsemausdruck Verständigungssystem folgende weiteren Einheiten aus: "Richtung der Futterquelle" und "Entfernung der Futterquelle", für die Kernsemausdrücke Arbeitsteilung und Wohnbauten ließen sich ebenfalls weitere Spezifizierungen angeben. Die jeweiligen Kernsembegriffe determinieren die weiteren Bedeutungseinheiten und bilden zusammen eine thematische Einheit. Das heißt, sie konstituieren einen Teiltext und sind Träger der Hauptinformationen des Textes. Die Bedeutungseinheiten sind normalerweise über bestimmte logisch-semantische Relationen wie vor allem die der Kausalität, Konsekutivität und Finalität miteinander verbunden. Für die entsprechenden Teiltexte gilt, daß sie jeweils ein relativ eigenständiges Thema haben, das letztlich in Abhängigkeit vom Gesamtthema entfaltet wird. Während die Kernsembegriffe unmittelbar zur inhärenten Bedeutung des Ausgangslexems gehören, stehen die weiteren Bedeutungseinheiten einer Wissenseinheit nur noch in indirekter Beziehung zur Bedeutung des Ausgangslexems. Die Vermittlung ist über die Bedeutung der Kernsemausdrücke gegeben. Auf der hierarchisch tiefsten Ebene werden Angaben für ein konkretes Referenzobjekt, in dem hier explizierten Beispiel für die Bienen gemacht. So gelangt man auf textueller Ebene zur semantische Makrostruktur des jeweiligen Textes. Die fachspezifischen Ausdrücke auf der makrostrukturellen Ebene des Textes sind netzartig miteinander verflochten (vgl. Jahr 1996, 125ff).
In Übernahme des valenztheoretischen Modells könnte man Tierstaat als Valenzträger betrachten, der semantische Komponenten enthält, die für die Valenz selber wichtig sind. Die Komponentenstruktur des Valenzträgers wird in linguistische Einheiten überführt, die auf der Ebene der Sprache als sprachliche Ausdrücke im Text erscheinen können (vgl. Jahr 1993, 98ff). Dieser Ansatz übernimmt Vorstellungen von Valenzstrukturen aus der Linguistik (u.a. Wotjak 1991, 8f), aus der Kognitionspsychologie (u.a. Norman/Rumelhart 1975, 76ff) und der künstlichen Intelligenz Forschung (u.a. Leinfellner 1992, 192). Nach Leinfellner verfügen Substantive über semantische Kasus, die mit Valenzstrukturen zusammenfallen, welche die semantischen Zusammenhänge innerhalb des Textes konstituieren (vgl. auch das Konzept der Textrollen bei Rothkegel 1993, 65). In Jahr (1993, 117) wird von einer Valenz auf textueller Ebene gesprochen, über die der Textzusammenhang hergestellt wird.
Die Informationsentfaltung der durch eine implizit logische Ordnung charakterisierten Sachverhaltszusammenhänge schlägt sich in der hierarchischen Strukturierung von Texten nieder. Bei idealer hierarchischer Strukturierung von Texten, deren Thema ein fachspezifischer Ausdruck mit hoher Informationsverdichtung ist, würde jeweils ein Kernsemausdruck in unmittelbarer Verbindung mit den entsprechenden erläuternden sachspezifischen Ausdrücken einen Teiltext determinieren. In klar strukturierten Texten sind diese Teileinheiten auch optisch durch Absätze, Abschnitte o.ä. im Text markiert. Typisch für viele Fachtexte ist, daß in die Teiltexte Erläuterungen eingebettet sind, die die Sachverhaltszusammenhänge an der Klasse der Referenzobjekte demonstrieren oder anhand ganz konkreter Einzelobjekte beschreiben. Welche Themen in welcher Tiefe vom Textverfasser angesprochen werden, unterliegt zu einem gewissen Grade zwar der Perspektive des jeweiligen Autors, insbesondere seiner Kommunikationsabsicht, dennoch ist er an eine Reihe von Informationseinheiten gebunden, die ihm aus dem faktisch bestehenden Sachverhaltszusammenhang vorgegeben sind. Bestimmte tragende Inhaltseinheiten gehören als Hauptinformationen zur Erklärung eines semantisch komplexen Fachausdrucks.
Die hierarchische Strukturierung der fachspezifischen Informationseinheiten in Texten spielt für das Verstehen und Behalten von Informationen eine entscheidende Rolle, da sich solch eine hierarchische Struktur entsprechend den Annahmen der Kognitionsforschung in der kognitiven Wissensstruktur eines Textrezipienten niederschlägt (u.a. Mandl/Tergan/Ballstaedt 1982, 72ff).
Literatur:
Budin, G. (1996) Wissensorganisation
und Terminologie. Zur Komplexität und Dynamik wissenschaftlicher
Informations- und Kommunikationsprozesse. Tübingen (Forum
für Fachsprachenforschung 28).
Jahr, S. (1996): Das Verstehen von Fachtexten. Rezeption-Kognition-Applikation.
Tübingen (Forum für Fachsprachenforschung 34).
Jahr, S. (1993): Das Fachwort in der sprachlichen und kognitiven
Repräsentation. Essen.
Kalverkämper, H. (1987): "Vom Terminus zum Text."
In: Sprissler, M. [Hrsg.] (1987): Standpunkte der Fachsprachenforschung
Tübingen. 39-78. (Forum Angewandte Linguistik. 11).
Leinfellner, E. (1992): Semantische Netze und Textzusammenhang.
Frankfurt/M. u.a.
Mandl, H./ Tergan, S.-O./ Ballstaedt, St.-P. (1982): "Textverständlichkeit
- Textverstehen." In: Treiber, B./ Weinert, F.E. [Hrsg.]
(1982): Lehr-Lern-Forschung. München, Wien, Baltimore.
72-93. Norman, D.A./ Rumelhart, D.E. (1975): Exploration in
cognition. San Franzisko. Dt.: Strukturen des Wissens. Stuttgart
1978.
Rothkegel, A. (1993): Textualisieren. Theorie und Computermodell
der Textproduktion. Frankfurt/M., Berlin, Bern, New York,
Paris, Wien (= Sprachwelten. 8).
Wotjak, G. (1991): "Zum kornmunikativen Potential lexikalischer
Einheiten." In: Deutsch als Fremdsprache 28, 14-24.
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