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Nonna Kopystjanska (Lviv) |
Vor allem möchte ich kurz über die Termini, die ich in dieser Arbeit gebrauche, sprechen.
Der Text wird nicht mit dem Werk identifiziert, er wird nur als sein Gerüst dem Lautbild und der Bedeutung nach und als die unabdingbare Grundlage für die Analyse und Interpretation des Werkes als Ganzem bestimmt. Nur mit der Erscheinung des Lesers wird Text aus dem Gegenstand, dem Fakt ein tätiger Faktor, er lebt auf, gewinnt an Vielartigkeit in Zeit und Raum; aus dem Monolog des Autors wird ein Polydialog. Der ganze Text vereinigt in sich den direkten Text, der die offene Information trägt, den Untertext, der die Stabilität in die Variabilität verwandelt und die äußere Bedetung des direkten Textes auf die Ebene des inneren Sinnes überträgt, den man finden, die Codes des Übertextes und den Kontext enträtseln muß.
Der Untertext zeichnet sich nur durch seine Funktionalität aus, die in beliebiger Form einem beliebigen Element des Textes oder sogar der ganzen Struktur des Textes verliehen werden kann (wie E.T.A. Hoffmanns "Ansichten des Katers Murr" - der Gedanke des Autors, daß die Philister die Gesellschaft beherrschen). Der Untertext kann sich in den Stil des Textes einfügen oder auch nicht, womit die Aufmerksamkeit auf einen einzelnen Moment, einen Gedanken, eine Konzeption des Autors gelenkt wird. Er kann nicht einmal dem Inhalt angehören, ist aber immer semantisch wichtig für die Erkenntnis der vom Autor geschaffenen künstlerischen Welt und des Autors selbst. Der Untertext richtet sich auf Parallele, auf die Suche nach der Wahrheit hinter dem Sichtbaren, nach dem Wesen hinter dem irreführendem Äußeren, auf das Entlarven von den anderen und von sich selbst. Außerdem hat er wohl die wichtigste Funktion, was die Erschaffung eines emotionellen Klimas im Werk betrifft.
Im Untertext kommen die Besonderheiten der Sprache und des Talents des Schriftstellers besonders stark zum Vorschein: die Fähigkeit der Wörter, Wortverbindungen, Wiederholungen, Pausen u.s.w. mehrdeutig zu werden, mit zusätzlichem Sinn zu bewachsen, Gedanken nur anzudeuten. Mit Hilfe des Untertextes dirigiert der Autor die Rezeption des Lesers, und jeder Autor hat sein eigenes System, seine eigene Weise, eine Stimmung zu erzeugen, angefangen vom Titel, Epigraph, von den ersten Worten des Textes.
Der Untertext erstellt nicht nur interne textuelle Verknüpfungen sondern auch die Beziehung des Textes zum außertextuellen Raum - Prototext (der Terminus wurde von S. Rakus verwendet in Stanislav Rakus, Textove a "netextove" npiestory literazkiho diela // Realizacie textu. Modry Peter, Levoca 1995), der dem Autor als Material und Grundlage für das Thema gedient hat und durch welchen der Leser Bekanntes aus dem Leben im Werk wiedererkennt.
Der Übertext. In den direkten Text und noch in größerem Maße in den Untertext legt der Autor Codes ein (nach N. Leidermann "Signale", N.L. Leidermann, K opredeleniju suschcnosti kategorii "schanr".// Schanr i komposizija literaturnogo proiswedenija. Kaliningrad 1976, wyp 3.), aufgrund derer jeder Rezipient seinen eigenen Übertext erzeugt, je nach seiner Lebens-, intellektuellen, künstlerischen Erfahrung. Er ersetzt ein Konkretes (sozial-historisches, psychologisches u.s.w) mit einem anderen, oder erfüllt mit seinem Konkreten das, was beim Autor emblematisch oder symbolisch ist.
Wenn die Rede ist von der kulturellen Globalisierung, vom Gemeinsamen und Vererbten bei nationalen und lokalen Kulturen, hat hier jede der Kategorien ihre Möglichkeiten. Der Text ist offen für Vergangenes, Individuelles und allgemein Angeeignetes, für Traditionen, deren Entwicklung, Erweiterung und Zerstörung. Der Text ist auch für die Zukunft gewissermaßen offen, denn er leitet das ein, was eine neue Tradition werden wird.
Unter kulturologischem Aspekt ist der Text das Material zur Erforschung des künstlerischen Denkens innerhalb eines Zeitabschnitts, künstlerischer Strömungen, Gattungen und Gattungssystemen. Dieses Material gibt uns die Möglichkeit zu vergleichen, Gemeinsames und national- oder lokalbedingt Verschiedenes zwischen künstlerischen Persönlichkeiten und Strömungen festzustellen. So werden z.B. allgemeine Charakteristiken des Romantismus, Realismus, Expressionismus erstellt. Es ist interessant, daß die Globalisierung der Kulturen die Entstehung der Werke mit stark ausgeprägtem lokalen Kolorit nicht behindert, sie trägt sogar der Entstehung solcher Werke bei, wie z.B. "Hundert Jahre Einsamket" von Marquez, allerdings unter der Bedingung, daß aufgrund des Untertextes und der Codes des Übertextes der Leser noch weitere Verallgemeinerungen machen kann.
Bei der Rezeption des Untertextes ist die Freiheit viel größer als bei der Rezeption und Interpretation des direkten Textes. Beide sind aber vom Autor fixiert, man darf ihre wörtliche Gestalt nicht ändern, wenn es nicht anders vom Autor vorgesehen ist, wie z.B. bei Songs in Brechts Dramen. Sie stellen eine sehr interessante Form des Untertextes und der Codes des Übertextes dar. Da sie Erweiterungen und Erklärungen nicht zum Inhalt sind sondern zum Problem, das im Werk behandelt wird, können die Songs frei durch eigene, nationale der Form und dem Inhalt nach, ersetzt werden, lediglich ihre Funktionalität muß gewahrt werden. So wird es auch bei Aufführungen von Brechts Stücken auf verschiedenen Kontinenten gemacht.
Der Übertext hat noch weniger Begrenzungen sowohl in Zeit als auch im Raum:, Völker und Epochen vereinigen sich aufgrund des gemeinsamen Menschlichen frei in ihm. Der Übertext wird im Text nicht begrenzt von der Form der Aussage, die von der Ästhetik der Zeit abhängig ist und kann deshalb bei Menschen aus einer anderen Epoche auf Abneigung stoßen, wie z.B. romantischer Pathos und Metaphorik bei einem Leser der Epoche des Realismus, Naturalismus. Im Übertext aber ersetzt der Leser eine bestimmte Situation mit einer, die ihm seine eigene Erfahrung bietet, entsprechend verändert er die Mittel ihrer wörtlichen Darstellung. Oft sendet der Autor keine Signale der scharf umrissenen Gedanken und Konzeptionen, sondern ihre undeutliche Ahnung, Vorahnung. Auch der Übertext wird verschiedenartig erzeugt, als bestimmte umrissene Gedanken und Schlußfolgerungen, als Halberkanntes, aber an Erkenntnis nahe Stehendes und auch als das, was überhaupt nicht auszusprechen, sondern nur zu fühlen ist.
Autoren, literarische Richtungen, ganze Epochen unterscheiden sich nicht nur dadurch, wie der Text und der Untertext geschaffen werden, sondern auch dadurch, wie, bewußt oder spontan, die Codes des Übertextes eingelegt werden und ob der Text oder Untertext übergeordnet ist. In Werken der Realisten des 19. Jahrhunderts ist der Übertext dem Text untergeordnet und kann beim Leser nur im Zuge der assoziativen Hinzufügungen dessen entstehen, was der Schriftsteller scharf und allseitig im Text gezeigt hat. Balzac, zum Beispiel, hielt es für nötig, jede Bewegung, jedes Wort, jede Intonation der Äußerung der handelnden Person zu erkären. Flaubert ist viel mehr auf die Erzeugung des Übertextes, auf die Mitarbeit des Lesers gerichtet. Anstelle der langen Beschreibungen, Metaphern, Erklärungen, Epitheta gibt es Stadtdetails, die er mit den Perlen auf einem Faden verglich. Ein Detail kann eine Reihe von Bildern, Empfindungen, das Verständnis des psychologischen Zustands der handelnden Person im Bewußtsein des Lesers und in seiner Phantasie hervorrufen. Und trotzdem ist auch hier der Text, der durch den Untertext verstärkt ist, die Hauptleitkraft.
Das 20. Jahrhundert hat sein eigenes System von künstlerischen Konventionen geschaffen, unter welchen die Orientierung auf das bewußte Codieren des Übertextes zum Ausdruck der konzeptuellen Positionen eine der wichtigsten ist. Dies kommt besonders in den Werken zum Ausdruck, die den Charakter einer Parabel haben, in denen, laut meinen Termini (siehe Schemen in Kopystianskaja N. Chronotop kak aspekt isucenija schanrowoj sistemy romantisma // Zagadnienia rodzajow literackich, 1994. T 37 z 1-2 S119-135), die doppelte sozial-geschichtliche Zeit existiert. Zum Beispiel "Die Jugend des Königs Henri Quatre" von H. Mann, "Der falsche Nero" von L. Feuchtwanger, "Die Insel" von R. Merle, "Dervis und der Tod" von M. Selimovic, "Mutter Courage und ihre Kinder" von B. Brecht u.a. In solchen Werken spielt der Text eine Hilfsrolle, der Untertext und die Codes des Übertextes sind auf das Verständnis der Gegenwart am Beispiel der Vergangenheit gerichtet, auf das Verständnis dessen, daß die Gegenwart den ewigen Gesetzmäßigkeiten unterliegt und die Zukunft davon abhängt, wie die Menschen moralische, gesellschaftliche und politische Fragen heute lösen. In einigen Werken hat jeder der in das Werk eingelegten Chronotope seine eigenen deutlichen oder verschwiegenen Datierungen und Topographie. Zum Beispiel "Der falsche Nero" im Text - das Rom des 1. Jahrhunderts und im Untertext - der Machtantritt von Hitler in Deutschland. Anders ist es bei F. Kafka. Bei ihm gibt es keine soziale, historische, geographische Bestimmtheit von Zeit und Raum im Text, es gibt sie auch nicht im Untertext und in den Codes des Übertextes. Die Werke von Kafka wurden nicht wegen der Schilderung der gesellschaftlich-politischen Verhältnisse einer datierten Zeit geschrieben. Wahrscheinlich sind sie deswegen so populär und jeder Forscher hat "seinen Kafka", weil die vom Autor eingelegten Codes die Möglichkeit geben, den Übertext mit konkretem gesellschaftlich-historischen Chronotop zu füllen, der jedem aus Erfahrung bekannt ist. Es gibt hier keine geographischen, nationalen, religiösen, zeitlichen Beschränkungen. Man kann sogar sagen, daß der Text wegen des Übertextes geschrieben wird, wegen seiner unzählbaren Varianten. Kafka geht nicht wie die Realisten vom Einzelnen zum Allgemeinen, das Einzelne ist bei ihm ein vieldeutiges Emblem seiner inneren Empfindungen des Allgemeinen. (Osoblivosci funkcji przestrzennego detalu u Franza Kafki// Mimesis w dyskursie literackim: Materialy V Konf. Teoretycznolit., 24-27 pazdz. 1994 Torun, 1996 - S.135-148; Osoblywosti stworennia sozialno-istorycnogo chronotopu w romanach F. Kafky "Prozes" i "Zamok" // Inozemna filologija. - 1997. - Wyp. 110. - S. 157 - 166). Denselben Gedankengang hat er in die Erzeugung des Übertextes durch den Leser codiert: von der Empfindung des totalen Bösen, das immer existierte und im 20. Jahrhundert fürchterliche Formen bekam, bis zu seinen konkreten Erscheinungsfällen. Und das ist nicht nur für Kafka charakteristisch. Die Bildhaftigkeit der Postmodernisten ist auch nicht nur der besonderen künstlerischen Sehweise der Welt, sondern der besonderen Empfindung und Auffassung ihres meistens tragischen Wesens untergeordnet.
Im Rückblick auf das oben Gesagte erweitert der Übertext die Wirkung des Werks, überwindet allerlei Grenzen und schafft über jedem hervorragenden Werk der Weltliteratur einen besonderen übertextuellen Raum, der für große Menschengruppen gemeinsam ist. Die Erforschung des Übertextes wird zweifelsohne die kulturologische Globalisierung fördern.
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