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Internationale
Kulturwissenschaften International Cultural Studies Etudes culturelles internationales |
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Sektion VIII: | Internationale wissenschaftliche Organisationen und International Scientific Community | |
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International Scientific Organisations and International Scientific Community | |
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Organisations scientifiques internationales et communauté scientifique internationale |
Hans-Joachim Müller (Innsbruck) |
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0. Zu meiner persönlichen Ausgangsbasis:
Ich bin eine beamtenrechtlich fest im österreichischen Universitätssystem verankerte Person. Dies bedeutet, daß für alle Entscheidungen über die Tätigkeitsbereiche am Institut eine Drittel-Parität von Studenten, Mittelbauvertretern und Professoren zuständig ist.
Oberste Behörden für Vorgaben und Entscheidungen sind nun aber nicht die Universitäten, sondern das Bundesministerium in Wien. Diese Vorinformation ist für meine nachfolgenden Ausführungen extrem wichtig, da sie - ebenso wie in Deutschland - die prekäre Spannung zwischen universitärer Forschung und berufsorientierter Ausbildung aufzeigen.
1. Zu Begriff und Geschichte der Romanistik:
Romanistik ist im weitesten Sinne die Beschäftigung mit allen kulturellen und zivilisatorischen Phänomenen jener Länder, deren Sprachen sich im Gefolge von Latein und Vulgärlatein über Jahrhunderte zu den heutigen romanischen Sprachen entwickelt haben. Dabei handelt es sich keineswegs um "neulateinische Sprachen", sondern um Sprachen, die sich zuerst in Europa durch die jeweiligen geographischen Besonderheiten mit keltischen, germanischen, slawischen, arabischen, griechischen und vielen anderen Elementen verschmolzen haben. Durch die koloniale Expansion der romanischsprachigen Länder und Regionen vor allem in Amerika, Afrika und Asien kommt es zu weiteren Eigenentwicklungen und Mischungen mit einheimischen sowie später als Sklaven importierten Völkern. Wesentlich ist hierbei, daß das Endergebnis nicht nur eine sprachliche, sondern eine allgemeine kulturelle und vielfach auch ethnische Synthese ist, die zu völlig neuen synkretistischen Lebensformen geführt hat.
Im deutschen Sprachgebrauch ist der Begriff "Romanistik" erst nach dem letzten Weltkrieg in Mode gekommen. Zuvor wurde auch hier das in den romanischen Ländern bis heute zumeist gebräuchliche "Romanische Philologie" (filología románica, filologia romanza, philologie romane etc.) verwendet. Ihre Geschichte beginnt Anfang des 19. Jahrhunderts vor dem Hintergrund des Historizismus der Romantik mit seinen vergleichenden Sprachstudien besonders mit Franz Bopp (1791-1867) sowie den Gebrüdern Grimm und den Arbeiten von Friedrich Diez (1794-1876) mit seiner "Grammatik der romanischen Sprachen" (1836-42), der 1854 ein "Etymologisches Wörterbuch der romanischen Sprachen" folgte. Parallel dazu beginnt man in den romanischsprachigen Ländern und sehr bald im weltweiten Universitätsbetrieb mit Herausgabe, Vervollständigung und Kommentaren älterer Texte der romanischen Literaturen mit dem primären Ziel, die alten Sprachzustände und ihre Regeln bestimmen zu können. Erst langsam entwickelte sich daraus eine Konzeption, welche zusätzlich auch gesamtkulturelle Phänomene mitberücksichtigte, die den geschriebenen Text bedingt haben könnten. Mit der modernen Linguistik gewinnt neben dem geschriebenen Text die gesprochene Sprache zunehmend an Bedeutung und die synchrone wird zu einer ernsten Konkurrenz für die diachrone Betrachtungsweise. Neben diese Trennung von Philologie und Linguistik tritt diejenige von Philologie und Literaturwissenschaft, die von soziologischen über psychologische bis hin zu strukturalistischen Methoden auf einen Textkorpus anwendet, der in immer stärkerem Maße auch die Gegenwartsliteratur berücksichtigt. Die Entwicklung der Romanistik ist dabei die gleiche wie die der gleichzeitig mit ihr entstandenen Indogermanistik, Germanistik und Slawistik.
2. Romanistik heute
In ihrer Grundkonzeption hätte die Romanistik als Philologie des 19. Jahrhunderts ein zukunftsweisendes Modell für transnationale Kulturstudien bieten können. In der Realität sollte jedoch ein anderer Weg einschlagen werden. Einmal der immer stärker werdende Nationalismus, der gerade die Romanistik im deutschsprachigen Raum zu einer "Auslandswissenschaft" werden läßt und bei den Fachwissenschaftlern in den romanischen Ländern zu einer großen Skepsis, wenn nicht sogar zur Vorstellung einer unerwünschten Einmischung in "innere Angelegenheit" führt. Der Blick des Fremden wird somit zu einer Gefahr und nicht zu einer positiven Ergänzung. Zum anderen zwingt die ungeheure Fülle des aufgearbeiteten Materials und vor allem der universitäre Karrieregang zu einer immer engeren Spezialisierung, wo durch die Blickfixierung auf die kleinen Details die große Übersicht verlorengeht.
Hinzu kommt eine weitere Schwierigkeit für die Romanistik:
So kann die Anglistik/Amerikanistik (die sich schon seit langer Zeit aus der Germanistik, die ihrerseits meist nur noch "Deutsche Philologie" ist, herausgelöst hat) ihre transkulturellen Studien der "Internationalen Dimensionen der englischsprachigen Literaturen" wenigstens auf der Grundlage einer Sprache durchführen, auch wenn es hier eine große Menge sprachliche Varianten und Mischungen gibt.
Die Romanistik sollte sich mit mindestens 8-10 Sprachen und einer Vielzahl von deren Varianten sowie mit einer enormen Anzahl von Dialekten und deren Literaturen und Kulturgeschichten beschäftigen. Daß dies nicht möglich ist, versteht sich von selbst, und so hat sich die traditionelle Romanistik der 60-iger Jahre auf maximal 4 Sprachen eingespielt. Auf dieser Grundlage - und der des Lateins - ist es möglich, ohne Schwierigkeiten passiv weitere romanische Sprachen zu verstehen sowie alte Texte bei entsprechender kulturgeschichtlicher Bildung zu lesen.
Die Realität der Romanistischen Institute ist weltweit jedoch eine völlig andere geworden:
Die Spezialisierung nimmt immer mehr zu, und Initiativen zu einer globaleren Sicht sind in der Minderheit. Direkt Leidtragende - aber auch Mitverursacher - sind die Studierenden, die aufgrund der von ihnen mitgeformten Studienpläne zumeist nur einen Bereich der Romanistik studieren, und diesen dann auch praktisch beruflich verwenden wollen. Auf diese Weise soll die Eingliederung der zukünftigen Akademiker reibungslos in das bestehende Schul- und Arbeitssystem garantiert werden, wodurch wiederum die nächste Generation von den Möglichkeiten transnationaler Denkvorstellungen ferngehalten wird. Vor allem aber funktioniert die Eingliederung dieser eng ausgebildeten Akademiker in die Arbeitswelt nicht mehr.
3. Chancen und Gefahren der kulturellen Globalisierung:
Gerade als Literaturwissenschaftler ist man ständig mit den sich multikulturell gebenden Texten des "Neuen Historischen Romans", den Theorien der Intertextualität sowie der damit verbundenen "Dekonstruktion" der sog. "Postmoderne" konfrontiert. Bei aller Achtung vor diesen Texten und Theorien haben diese jedoch nichts, aber absolut nichts, mit unserer Themenstellung zu tun. Die Beliebigkeit der Postmoderne macht aus der(n) Kultur(en) und ihren Epochen eine fragmentierte Mixtur, einen "Remix" in der Sprache der Unterhaltungsmusik, die ohne Rücksicht auf zeitliche, geographische, kulturelle sowie ethnische Zusammenhänge die eigentliche Problemstellung von "International cultural studies" verschleiert: Nämlich die Darstellung der Geschichtlichkeit verschiedener kultureller Gegenwarten, um mit den daraus zu ziehenden Schlüssen in eine ferne Zukunft (nicht Postmoderne!) blicken zu können. Vielleicht erklärt gerade dieser aktuelle Trend in den Künsten unsere Aufgabe zu einer ernsten Auseinandersetzung mit der Globalisierung.
Um über die Chancen einer Globalisierung von "International cultural studies" nachdenken zu können, scheint es mir äußerst wichtig, noch einmal auf die Quellen zurückzugreifen, aus denen ja auch der ursprüngliche Geist der Romanistik geboren wurde: Ausgehend von der französischen Aufklärung hat Friedrich Schiller am 26. Mai 1789 seine berühmte Antrittsvorlesung in Jena zum Thema gehalten "Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?". Im August 1792 wird Schiller von der französischen Nationalversammlung zum Ehrenbürger der Nation ernannt. In der Folge sind es die Vorlesungen Fichtes "Über die Bestimmung des Gelehrten" (1794) und Schellings "Über die Methode des akademischen Studiums" (1802-03) bis hin zu den Schriften Wilhelm von Humboldts (1809-10) über die Schulpläne, wo er den Unterschied zwischen volkstümlicher und höherer Bildung überwinden will. Die hier entwickelten Ideen sollten für lange Zeit die deutschen und darüber hinaus die weltweiten Vorstellungen einer autonomen Universität als universell denkende Bildungsstätte prägen.
Die heutige Entwicklung geht hingegen dahin, aus der "Universität" eine "universa", eine "Einseitige" zu machen! Und dies gilt auch für die universitäre Romanistik. Ausgehend von der Unterscheidung Schillers in "Brotgelehrte" und "Philosophische Köpfe" könnte man folgendes Postulat aufstellen: In der jetzigen Situation der Romanistik im deutschsprachigen Raum wird der wissenschaftliche Nachwuchs primär nur noch in die Rolle des Brotgelehrten gedrängt, d.h. Wissenschaftler, die nur soviel arbeiten als zum Erwerb ihrer Stelle notwendig ist. Die Folgen davon sind all zu oft Engstirnigkeit, Neid, Angst sowie die regressive Flucht in Verwaltungsaufgaben. Der "Philosophische Kopf" sollte hingegen die großen Zusammenhänge sehen und diese vermitteln. Es geht also nicht darum, historische Überlieferung zu archivieren und ein reines Faktenwissen zu vermitteln, sondern darum auf der Grundlage dieser Fakten die gegenwärtigen Zustände zu erhellen und zu vergleichen.
Eine derartige Vorgangsweise darf nun aber nicht mit einer additiven und deskriptiven "Landeskunde" verwechselt werden, sondern sollte zu einem Verständnis für die Sozialisierung der Individuen der jeweiligen Kulturbereiche in einer "anderen" Symbolgeschichte führen. Die so versuchte kulturanthropologische Differenzierung ist aber nur dann möglich und sinnvoll, wenn die eigene gesamtgesellschaftliche Sozialisierung mit ihrer Symbolgeschichte nachvollziehbar und weitgehend "abrufbar"ist. Nur so ist eine Aneignung und "Übersetzung" (im weitesten Sinne des Wortes) in unsere Sprache möglich: man denke nur an Begriffe wie "Nation", "nation", "nación de naciones"; "Volk", "peuple" oder "Einsamkeit", "soledad", "saudade". Die Romanistik impliziert somit für alle Betroffenen auch eine Auseinandersetzung mit der eigenen Gesellschaft und deren Maßstäben, die vor allem im Bereich der Auseinandersetzung mit Lateinamerika und weiten Teilen Afrikas zu einem Abbau eurozentristischer Überheblichkeiten führen müßte.
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