Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 0. Nr. August 1997

Projekt: Österreichische Literaturgeschichte(1)

Arbeitsschritte und Planungen

Herbert Arlt, Wien
[BIO]

Inhalt:
Einleitung
1. Institut zur Erforschung und Förderung österreichischer und internationaler Literaturprozesse
2. Internet
3. Rahmenbedingungen
4. Gegenstandsbestimmung
5. Annäherungsprozeß
Zusammenfassung


Einleitung

Von meinem "Germanistik"-Studium mit Beginn 1978 in Salzburg ist mir bekannt, daß der Begriff "Österreichische Literatur" für die Studienanfänger nahezu keine Rolle spielte (und das dürfte auch für die StudentInnen der "Germanistik" an den anderen österreichischen Universitäten zugetroffen haben). Erst während des Studiums (insbesondere im Dissertanten-Seminar von Walter Weiss) lernten viele von uns die wissenschaftlichen Diskussionen zur österreichischen Literatur kennen (obwohl bereits damals vereinzelt auch Artikel mit divergenten Positionen in den Medien erschienen und auch etliche Bücher zum Thema vorlagen).(2) Aber noch Ende der 80er Jahre war der Begriff in der Wissenschaftsförderung in Österreich nicht durchgesetzt. So hieß es zur "Theorie der österreichischen Literatur" in einem Auszug eines Fachgutachtens vom Jahre 1989: "ich bestreite grundsätzlich, daß es sie im Hinblick auf die Vergangenheit [hier insbesondere 18., 19. Jahrhundert - H.A.] gegeben hat."

Auch die Studien, Konferenzen zu Soyfer(3), die für etliche der Ausgangspunkt unter anderem zu Überlegungen und Konzepten zur österreichischen Literatur waren, zeigen, daß eine explizite Beschäftigung mit österreichischer Literatur mit Grundlagendiskussionen verbunden ist, die von der Literaturwissenschaft geführt werden - aber im Zusammenhang mit österreichischer Literatur oft mit einem beschränkten Horizont, der deutlich durch methodologische Reduktion und weltanschauliche Grenzen im Verhältnis zur Breite der sonstigen methodologischen Diskussion gekennzeichnet war. Vor allem der Entwurf des Salzburger Projektes einer österreichischen Literaturgeschichte(4) ging deutlich über diese Grenzen hinaus, doch waren in den 80er Jahren keineswegs die Voraussetzungen gegeben, sich einer derartig breiten Materialfülle systematisch zu nähern.

Es war daher sicherlich wichtig und verdienstvoll, sich zunächst in den 70er und 80er Jahren der Problematik einer Darstellung österreichischer Literatur durch wissenschaftsgeschichtliche Aufarbeitungen, partielle Neuentdeckungen, Archivierungen, bilaterale Symposien usw. zu nähern.(5) Daß Darstellungen in dieser Phase nur durch Summierungen von Spezialergebnissen erfolgen konnten, ergibt sich auch aus den Strukturen der Archivierungen, der Form der Wissenschaftsorganisation der "Germanistik"(6), den Aufbereitungen der Informationen, den breiten Lücken, die klafften und klaffen.

1. Institut zur Erforschung und Förderung österreichischer und internationaler Literaturprozesse(7)

In dieser Phase der Diskussionen zur österreichischen Literatur, die sich zum Teil mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen in den Kulturwissenschaften verband und mit einem breiten Internationalisierungsprozeß verbunden war, wurde am 14. November 1994 mit der Gründung des "Institutes zur Erforschung und Förderung österreichischer und internationaler Literaturprozesse" (INST, Wien) der Versuch unternommen, eine breite Kooperation zu etablieren. Die Form der Kooperation ist eine internationale Wissenschaftsassoziation, die noch mit den alten Kommunikationsstrukturen (Konferenzen, Tagungen, Rundschreiben, Bücher usw.) arbeitet(e). Bereits bei der Gründung wurden aber neue Entwürfe für Grenzüberschreitungen, für eine Synthese von Spezialwissen vorgelegt.(8)

Die ersten Stationen zur Erarbeitung neuer Grundlagen waren die Konferenz in Riverside (1995)(9), die Tagung in Wien (1996)(10), die Konferenz in St. Petersburg (1996)(11) und die Tagung in New Delhi ("Mediating Austrian Literature", 1996). Begleitet wurden diese Tagungen durch Studien, 2 Bücherreihen des Institutes, Experimente zur Datenerfassung (z.B. Soyfer-Archiv), Aufbau der Institutsstrukturen.

Als Zwischenergebnisse dieser Tätigkeiten können gelten:

1.1. Ein Paradigmawechsel wurde nach langjährigen Bemühungen vieler WissenschafterInnen und Institutionen erreicht. Es geht nun nicht mehr wie in den 70er Jahren und 80er Jahren um das "Für und wider.." einer österreichischen Literatur, sondern um die Erarbeitung von Datenbanken und Literaturgeschichten.

1.2. Österreichische Literatur ist eine Literatur in mehreren Sprachen.(12)

1.3. Es soll kein Kanon erarbeitet werden. Vielmehr geht es um eine weitgehende Annäherung an den Gegenstand in seiner Widersprüchlichkeit.

2. Internet

Wenn man davon ausgeht, daß arbeitsteilige Forschungsstrukturen nicht durch einen Willensakt zur Synthese geführt werden können, ist nach Wegen und Mitteln zu fragen, die durchaus diese arbeitsteiligen Strukturen als Ausgangsposition nehmen. Nachdem der Gegenstand "Österreichische Literatur" sich mehr und mehr international durchzusetzen beginnt, ist der nächste Schritt die Etablierung einer geeigneten Form der Zusammenführung der Ergebnisse. Als ein solcher neuer Schritt bietet sich die Nutzung des Internet an. In diesem Zusammenhang sind folgende Teilschritte vorgesehen:

2.1. Für die Erforschung österreichischer Literatur soll das Internet nach Maßgabe der materiellen Möglichkeiten sowohl für eine qualitativ neue Form der Wissenschaftskommunikation und -organisation (Informationshomepages) genutzt werden als auch für eine Datenbank mit dem Titel "Biobibliographie österreichischer AutorInnen" (neue Qualität der internationalen Zugänglichkeit zu Daten zur österreichischen Literatur), auf deren Homepage alle beteiligten Partner angeführt werden sollen. Außerdem soll weltweit per Internet für zentrale Probleme ein Informationspool angeboten werden.

Für den Aufbau dieser Strukturen wurden vom Institut ab 1997 weltweit Seminare angeboten. Im INST-Buch "Kulturwissenschaft - transdisziplinär, transnational, online" (St. Ingbert 1999) wurde diese Aufbautätigkeit systematisch beschrieben und das Informationsangebot dokumentiert. Diese Strukturen sind Voraussetzungen, um trotz der großen Anzahl von beteiligten WissenschafterInnen zu möglichst konkreten Ergebnissen zu kommen und neben der Einbringung von Einzelperspektiven auch Verallgemeinerungen unter Berücksichtigung weltweiter wissenschaftlicher Ergebnisse zu ermöglichen.

2.2. Mit der Erarbeitung der Datenbanken wird nun eine Grundlage geschaffen, die notwendig ist, um sich einer komplexen Materie anzunähern. Die Aufarbeitung von Nachlässen, die Interpretation von Texten, die Analyse vielfältiger Prozesse (auch in Einzelarbeiten), die Theorie von Annäherungsformen und ihren Aussagemöglichkeiten, neue Vorschläge zur Schreibung einer Literaturgeschichte unter Abwägung von Vor- und Nachteilen modernster Technologie u.a. sind für die Erarbeitung einer Literaturgeschichte, die heutigen theoretischen Anforderungen genügen soll, unbedingte Voraussetzungen.

2.3. Das Medium Internet wird in diesem Zusammenhang als ein Informationsmedium begriffen. Selbst wenn Dokumentationen von Texten, Bildern usw., maschinelle Analyse-Verfahren und anderes einbezogen werden, ist zu bedenken, daß die EDV dann an ihre Grenze stößt, wenn es um Metaphern, Situationen, Gattungsbestimmungen usw. in bzw. von Texten geht. Die EDV kann in diesem Fall viele Erleichterungen bieten und Beschleunigungen ermöglichen, hebt aber keineswegs die Lektüre, die Interpretation von Texten auf.

2.4. Auch den Suchverfahren nach Informationen sind Grenzen gesetzt. Selbst wenn durch systematische Pool-Bildung unter Einbeziehung alter Medien und neuer Suchformen Schwächen des Internet beseitigt werden können, gibt es bei der Einbeziehung von Informationen aus alten (vor allem für die Zeit vor dem 20. Jahrhundert) und neuen Strukturen Probleme. Auf der einen Seite stehen die alten Formen der Bibliotheken mit ihren spezialisierten und weitgehend räumlich gebundenen Sammlungen, auf der anderen Seite die Vielzahl der Informationen des Internet. Bereits jetzt - bei einer deutlichen Beschränkung des Mediums auf wenige Regionen(13)- ist es nur bedingt möglich, Informationen zu erhalten. Und die Beiträge im Rahmen der Instituts-Tagungen in Wien (1996) und St. Petersburg (1996) von Andrea Rosenauer(14) zeigen, daß auch durch längerfristige Aufarbeitungen bei genauer Kenntnis der Felder, Verwendung von Hilfsmitteln bei bisherigen Suchverfahren zur Beschleunigung des Arbeitsvorgangs (z.B. Bookmarks), nur eine bedingte Annäherung möglich ist. Eine bloße Systematisierung (wie in den Bibliotheken seit dem Altertum) schafft in diesem Zusammenhang keine Abhilfe, sondern ist wiederum mit Selektierungen, Hierarchisierungen verbunden, weshalb für diese Formen der Annäherungen neue Modelle - unter Rückgriff auf Mathematik und Kybernetik - entwickelt werden müssen.(15)

3. Rahmenbedingungen

Im Zeitalter großer Werbeetats für neue Medien, in der Ausbreitung von Design zuungunsten systematischer Darstellungen, in der Zurückdrängung von Kultur im internationalen gesellschaftlichen Leben, ist der Versuch einer komplexen Analyse, die mit etlichem internationalen Aufwand verbunden ist, ohne eine Reflexion der Rahmenbedingungen nicht denkbar. Denn bei einem bloßen Status quo der Organisierung von Informationssystemen, der bisherigen Wissenschaftsorganisation, der Förderungsinstrumentarien kann eine grenzüberschreitende Analyse der vorgeschlagenen Art nicht durchgeführt werden.

Von seiten des INST besteht daher die Bestrebung, Vorschläge zu unterbreiten, die unter Einbeziehung einer Analyse der Wissenschaftsgeschichte und von vergleichenden Analysen zur Wissenschaftsorganisation neue Rahmenbedingungen schaffen können. Dabei kann der Gegenstand "Geschichte der österreichischen Literatur" als ein pars pro toto angesehen werden. Der Gegenstand eignet sich durch die Geschichte seiner Aufarbeitung, durch die Vielsprachigkeit, durch die Internationalität in einem besonderen Maße als Ausgangspunkt für Feldstudien.

Als erste Schritte in einem langfristigen Prozeß können angesehen werden:

3.1. Im Anschluß an das UNESCO-Dokument "Our Creative Diversity" wird die Bedeutung von Kultur und Kulturwissenschaften hervorgehoben und Vorschläge für eine Veränderung unterbreitet. Im UNESCO-Dokument wird unter Kultur "the total and distinctive way of life of a people or society" verstanden. In diesem Sinne definiert das Institut in seinem "Internationalen Memorandum zur Förderung der Kulturwissenschaften" diese als jene wissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit Kultur in diesem weiten Sinne auseinandersetzen oder auseinandersetzen sollten.(16)

Unter "Kulturwissenschaften" versteht daher das INST nicht Disziplinen, die in einem wissenschaftshistorischen Sinn unter diesen Begriff fallen, sondern versucht, mit einer breiten Definition alle jene Disziplinen einzubeziehen, die sich de facto und mit sehr unterschiedlichen Methodologien dem Gegenstand "Kultur" nähern. Dabei wird weiters berücksichtigt, daß Literatur, bildende Kunst, Musik usw. ein Gegenstand "sui generis" sind, der aufgrund seiner Ambivalenzen besonderer Annäherungsformen bedarf.

3.2. Im Kontext neuer Rahmenbedingungen und der vielfältigen Diskussionen zur neuen Orientierung der Kulturwissenschaften wurde vom 22. bis 26.9.1997 im Kongreßhaus in Innsbruck eine Konferenz zum Thema "Europäische Literatur- und Sprachwissenschaften" abgehalten. Eine Strategiedebatte (Thema: "Internationalisierungen, Konflikte, Kulturwissenschaften") unter Berücksichtigung internationaler Rahmenbedingungen fand vom 25. bis 29.3.1998 in Schlaining statt (Mitveranstalter: Österreichische UNESCO-Kommission, Österreichisches Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung). Die Erfahrungen, die im Zuge des Aufbaus der neuen Wissenschaftskommunikationsstruktur gewonnen wurden, wurden im Rahmen der Konferenz "Kulturwissenschaften, Datenbanken und Europa" vom 29.9. bis 3.10.1998 in Debrecen ausgewertet und weiterentwickelt. Die Beiträge wurden in TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften (WWW: http://www.inst.at/trans/) publiziert.

Damit sollte erstmals ein breites Forum geschaffen werden, in dessen Rahmen erste Schritte für eine systematische Annäherung gesetzt werden sollen. Angesichts der Breite des Gegenstandes, der vorhandenen Strukturen und Ergebnisse der Aufarbeitung der Wissenschaftsgeschichte, der Wissenschaftskommunikation, der Wissenschaftsorganisation können diese genannten Konferenzen aber nur Anstöße geben.

3.3. Als weiterführender Schritt wurden Aspekte bisheriger Ansätze, Leistungen, Probleme in einer Ausstellung in der zweiten Hälfte 1998 unter der Thematik "Kulturwissenschaften und Europa" einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt - darunter auch dem Kulturausschuß des Europäischen Parlaments. Es war dies ein Beitrag der Wissenschaften als Wissenschaften, ein breiteres Verständnis für die spezifischen Möglichkeiten von Kulturwissenschaften in Gesellschaften zu gewinnen. Durch Vergleiche mit Erfahrungen auf anderen Kontinenten, auf denen zum Teil bereits Großformen der Wissenschaftsorganisation etabliert sind, konnten neue Möglichkeiten auch in Europa und des Dialogs von Kulturwissenschaften in Europa mit anderen Kontinenten herausgearbeitet werden. (S. dazu: http://www.inst.at/ausstellung/)

4. Gegenstandsbestimmung

Wissenschaftshistorisch gesehen beginnt eine Beschäftigung mit österreichischer Literatur im 18. Jahrhundert. Ansätze für neue Formen der Dokumentation (Franz Pfeiffer), der Archivierung (Nachlässe), des Verständnisses österreichischer Literatur als einer vielsprachigen Literatur (Sauer, Scherer, Kosch u.a.) beginnen im 19., am Beginn des 20. Jahrhunderts.(17)

Die bisherigen Literaturgeschichten beschränken sich jedoch weitgehend auf deutschsprachige Literatur "Österreichs". Zum Teil sind selbst nach 100 Jahren die Voraussetzungen nur marginal gegeben, sich bei einer Darstellung auf die notwendige Informationsbreite zu stützen, wobei vor allem aber in den 90er Jahren große Fortschritte zu verzeichnen sind.

Eine Gegenstandsbestimmung, die noch kaum von einer adäquaten Materialbasis (geschweige denn von deren Analyse) ausgehen kann, kann bei einem Projekt, das auf 30 Jahre angelegt ist, auch nur sehr vorläufig erfolgen. Vielmehr hat die Reflexion der Gegenstandsbestimmung, der Möglichkeiten ihrer Darstellung usw. Teil des Prozesses zu sein. Insbesondere in der zweiten Phase der Materialerfassung (1999-2008) sind Verständigungen in geeigneter Form einzuplanen, die die Gegenstandsbestimmung thematisieren und eine systematische Auseinandersetzung mit dem Material, dessen Auswertung und Darstellung ermöglichen.

5. Annäherungsprozeß

Um unter Nutzung neuester Technologie eine weitgehende Annäherung zu erzielen, müssen nicht nur international entsprechende Datenbanken und ein zentrales Suchsystem aufgebaut bzw. einbezogen werden. Vielmehr sind zugleich einige theoretische Grundfragen im Zusammenhang mit Datenerfassung, Datenaufarbeitung, Datendarstellung, Datenauswertung und Schreibung einer Literaturgeschichte zu klären. In diesem Zusammenhang sollen hier nur thesenhaft einige Aspekte hervorgehoben werden:

5.1. Bei der Datenerfassung mit modernster Technik muß nicht mehr von den alten Systematisierungen ausgegangen werden. Auch ist nicht erforderlich, daß alte Systematisierungen umgestellt werden. Vielmehr können unterschiedliche Begriffe wie "AutorIn", "SchriftstellerIn", "PoetIn" usw. technisch definiert werden. Die technische Definition ermöglicht die Auffindung von Materialien eines gleichen Gegenstandes mit unterschiedlicher Begrifflichkeit. Wichtig ist aber sowohl bei der Pool-Bildung als auch beim Aufbau von Suchsystemen, daß eine Systematisierung durchgeführt und transparent gemacht wird.

5.2. Die Daten existieren bereits heute in sehr unterschiedlichen Formen. Zum Teil wurden diese unterschiedlichen Formen bei neueren EDV-Projekten (z.B. vom "Brenner-Archiv"(18)) bereits mitgedacht. Doch soweit Lösungsansätze existieren, existieren sie in einem System. Für die Nutzung des Internet sind andere Lösungsansätze bei Suchsystemen zu entwickeln. Vor allem dann, wenn sie über den Pool in Netzen hinausgehen. Auch in diesem Zusammenhang ist zunächst die technologische Form der Datenerfassung die Grundlage für die Entwicklung von Lösungsansätzen.

5.3. Obwohl unter Einfluß der Anbieter von Software derzeit vor allem Bilder (zum Beispiel Icons) in den Vordergrund rücken, sind weder Bild noch Numerik geeignet, Träger der Darstellung zu sein.

5.3.1. Bilder sind durch Ambivalenzen gekennzeichnet, die einer Definition bzw. Beschreibung bedürfen (s. die Hilfssysteme der Software). Dort, wo die sprachliche Darstellung mangelhaft ist, kommt es zu Problemen bei der Zugänglichkeit des Systems. Es gibt aber auch Beispiele für Kombinationen: Im Bereich der Naturwissenschaften gibt es Beispiele, Bilder in ihrer Aufschlüsselung zugänglich zu machen (z.B. Darstellung von Bildschemata auf einer zweiten Ebene in Formeln).
5.3.2. Die Analyse der Maschinensprache (Numerik)(19) kann in diesem Zusammenhang nur bedingt hilfreich sein, weil damit zwar die Hierarchie, die Vernetzung eines Systems transparent gemacht werden können, nicht aber die Potentialität. Die Maschinensprache verbleibt bei der Basis der Angebotsstruktur, bezieht aber die Umsetzungspotentialitäten nicht ein.

5.4. Wenn wir - wie im UNESCO-Dokument "Our creative Diversity" - von derzeit 5.000-20.000 Sprachen ausgehen(20), die weltweit existieren, dann stellt sich - ähnlich wie im 18. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum - die Frage nach einer Sprache, mit der eine weitgehende internationale Verständigung herbeigeführt werden kann. Dabei sind unter anderem folgende Aspekte zu beachten:

5.4.1. International haben sich jene Sprachen als Kommunikationsträger durchgesetzt, die unter anderem durch Offenheit gekennzeichnet sind. Zum Beispiel das Englische - oder (unter anderen Bedingungen) das Ägyptische.(21)
5.4.2. Die Offenheit einer "Trägersprache" ist notwendig, um nicht mit weitgehenden Reduktionen die drastische Einschränkung der Möglichkeiten der Information zu erwirken. Eine Internet-Sprache sollte ermöglichen, daß die Kommunikation nicht durch Verarmung der Darstellungsmöglichkeiten gekennzeichnet ist.
5.4.3. Das gilt insbesondere auch für die internationale Erforschung des österreichischen Literaturprozesses und dessen Erfassung in bereits existierenden Datenbanken. Denn Vielsprachigkeit gilt nicht nur für den Gegenstand, sondern auch für die Praxis einer internationalen transdisziplinären Forschung. Nur ein Teil der transdisziplinären internationalen kulturwissenschaftlichen Ergebnisse wird in deutschsprachiger Form vorliegen.

5.5. Für die Datenauswertung und die Nutzung der Datenauswertung ist ein Entwurf einer neuen Form der Literaturgeschichtsschreibung in den Arbeitsprozeß einzubeziehen. Diese Vorgabe soll ermöglichen, daß es zu keiner Trennung von angestrebtem Ziel (Literaturgeschichtsschreibung) und Weg (Datensammlung) kommt. Ein solcher Entwurf (derzeit in Vorbereitung für ein Projekt zu Literaturgeschichtsschreibung/Online-Forschung) soll 2000 vorliegen.

Dabei kann nach dem derzeitigen Stand der Technik unter anderem von folgenden Überlegungen ausgegangen werden:

5.5.1. Die Darstellung ist keiner Platzbeschränkung unterworfen. Es können daher divergente Darstellungen kombiniert werden. Einzelanalysen brauchen dem Gesamttext nicht entgegengestellt werden.
5.5.2. Die neue Form braucht sich nicht nur auf die Möglichkeiten der Querverweise (Hyperlinks) zu beschränken, die anders als Fußnoten eine Gegentextstruktur eröffnen können. Vielmehr kann auch von der "Erzählstruktur" des "Haupttextes" mittels kybernetischer Modelle abgegangen werden. Ausgangspunkte können daher unterschiedliche Ansatzweisen sein, deren Überschneidungen mit anderen Texten möglich sind und die der Divergenz der Forschung entsprechen.
5.5.3. Auch Texte können in einer derartigen Literaturgeschichte anders zur Geltung gebracht werden, sodaß nicht eine in Sätze gekleidete Aufbereitung von Datenmaterial im Vordergrund steht, sondern sowohl Bedürfnisse nach Übersicht als auch Detailanalysen gewährleistet werden können.
5.5.4. Dennoch ist aufgrund der zeitlichen Möglichkeiten der NutzerInnen ein Gesamtwissen zum Beispiel über österreichische Literatur nicht denkbar. Auch eine Nutzung von Daten und Forschungsergebnissen per Internet ist daher Beschränkungen unterworfen. Als Vorteile verbleiben aber die Zugänglichkeit der Divergenzen der Erkenntnisse (eine Tendenz, die der Enthierarchisierung, der Entkanonisierung entgegenkommt) und die Unterstützung der Analysen komplexer Prozesse durch Einbeziehung großer internationaler Informationsquantitäten.

Zusammenfassung

Aufgrund der bisherigen internationalen Erfahrungen in der Erforschungen von Kulturprozessen bedarf es neuer Formen der Archivierung, der Datenaufarbeitungen, der Nutzung von Technologien, der Forschungsorganisation, der Forschungsförderung. Das gilt auch für einen Gegenstand wie die "österreichische Literatur".

Einige Schritte in dieser Richtung wurden von verschiedenen Seiten versucht, doch bedarf es noch eines langen Weges und vielerlei Anstrengungen, um Informationsgrundlagen, Methodologien, neue Darstellungsformen zu erarbeiten. Daher müssen Gegenstand, Annäherungsformen, Darstellungsmöglichkeiten im Rahmen des Vorbereitungsprozesses der Schreibung von Literaturgeschichten, die heutigen Theorieanforderungen ansatzweise Genüge leisten, selbst einer ständigen Überprüfung unterzogen werden. Die Ergebnisse dieser Überprüfungen sollen systematisch in den Gesamtprozeß einbezogen werden. Sie müssen auch auf die Annäherungsformen bei der Datensammlung und Datendarstellung Rückwirkungsmöglichkeiten haben.

Diese Form einer möglichen neuen Literaturgeschichte gibt aber keine Möglichkeiten, "absolutes" Wissen zu erarbeiten, "absolute" Erkenntnis zu gewinnen. Vielmehr sind die diversen Annäherungsformen auch dann in Fragmenten, in Sprüngen, in Konzentrationen zu denken (das bedingen nicht zuletzt die bisherigen Wissensstrukturen und die zeitlichen Möglichkeiten der NutzerInnen).

Im Gegensatz zu jetzigen Formen werden die Vorteile aber in der Breite und Internationalität des Materials, den grenzüberschreitenden Querverbindungen, den Berücksichtigungen der Divergenzen, der kostengünstigeren Zugänglichkeit, der Breite der potentiellen Nutzung und anderem bestehen.

Voraussetzung zur Ermöglichung ist und bleibt die breite, grenzüberschreitende Kooperation, für die mit der Gründung des INST ein erster Ansatz geschaffen wurde.

© Herbert Arlt, Wien


Überarbeitete Fassung des bis 3.3.2000 hier abrufbaren Beitrags. Erschienen in: Herbert Arlt: Österreichische Literatur: "Strukturen", Transformationen, Widerspruchsfelder . St. Ingbert: Röhrig, 2000. S. S. 383-396. Die bisher hier abrufbare Fasssung wurde archiviert und kann im INST eingesehen werden.

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Anmerkungen:

(1) Aufgrund der Ergebnisse zusätzlicher Studien und der INST-Tagung in Wien (1996), die gemeinsam mit dem Literaturhaus (Wien) veranstaltet wurde, sowie der Konferenz in St. Petersburg (1996) überarbeitete Fassung des Beitrages zur Konferenz "Probleme und Methoden der Literaturgeschichtsschreibung in Österreich und der Schweiz" 1996 in Innsbruck. Beiträge zur Wiener Tagung erschienen in "Jura Soyfer. Internationale Zeitschrift für Kulturwissenschaften" (4/1996) und werden zur Petersburger Konferenz in "Herbert Arlt/Alexandr W. Belobratow (Hrsg.): Interkulturelle Erforschung österreichischer Literatur" erscheinen (Reihe I des Institutes als Band 8).

(2) Vgl.: Herbert Arlt: Zur Geschichte der Darstellung der österreichischen Literatur. In: TRANS. Nr.7/1999. WWW: http://www.inst.at/trans/7Nr/arlt7.htm. Eine berarbeitete Fassung dieses Beitrags erschien in Herbert Arlt: Österreichische Literatur: "Strukturen", Transformationen, Widerspruchsfelder. a.a.O. S. 17-31.

(3) Eine erweiterte Bibliographie wurde erstellt von Jürgen Doll. In: Jean-Marie Winkler (Hrsg.): Jura Soyfer. Rouen 1994. Centre d'Études et de Recherches Autrichiennes. Publications de l'Université de Rouen, Nr. 197, S.137ff. Sie war auch eine Basis für die Bibliographie, die im Rahmen der Homepage der Jura Soyfer Gesellschaft publiziert wurde: http://www.soyfer.at/0116_1.htm

(4) Walter Weiss: Das Salzburger Projekt einer österreichischen Literaturgeschichte. Konzepte und Probleme. In: Sprachkunst. Beiträge zur Literaturwissenschaft. Jg.XIV/1983, S.56ff.

(5) Bereits vor der Konferenz in Riverside waren von der Redaktion von "Modern Austrian Literature" über 500 wissenschaftliche Titel "für und wider" eine österreichische Literatur registriert worden. Vgl. Abschnitt 1.1. in diesem Band.

(6) Vgl. dazu auch die Reihe zum Thema "Wissenschaftsorganisation der 'Germanistik'" in: "Jura Soyfer. Internationale Zeitschrift für Kulturwissenschaften". 5.Jg., Nr.1/1996ff.

(7) Informationen zum "Institut zur Erforschung und Förderung österreichischer und internationaler Literaturprozesse" sind über WWW unter folgender Adresse erhältlich: http://www.inst.at/

(8) Z.B.: Herbert Arlt: Wissenschaftskommunikation. In: "Jura Soyfer. Internationale Zeitschrift für Kulturwissenschaften". 4.Jg., Nr.1/1995, S.7ff.

(9) Donald G. Daviau/Herbert Arlt (Hrsg.): Geschichte der österreichischen Literatur. St. Ingbert 1996. 2 Bde.

(10) Bedeutung österreichischer Literatur aus internationaler Sicht. Wien 1996. Die Beiträge sind dokumentiert in: Jura Soyfer. Internationale Zeitschrift für Kulturwissenschaften. 4. Jg., Nr. 4/1996.

(11) Vgl.: Herbert Arlt/Alexandr W. Belobratow (Hrsg.): Interkulturelle Erforschung österreichischer Literatur. St. Ingbert 2000.

(12) Vgl.: Herbert Arlt: Österreichische Literatur: "Strukturen", Transformationen, Widerspruchsfelder. a.a.O. S. 369-382.

(13) Vgl. zu den internationalen Kommunikationsstrukturen: Our Creative Diversity. Report of the World Commission on Culture and Development. 1995, S.104ff.

(14) Abdruck der Beiträge: s. Anm.1. Vgl. auch: Andrea Rosenauer: EDV-gestützte Literaturrecherche für GermanistInnen. Wien 1997 (Univ.Dipl. Arb.).

(15) Systematisch werden diese und andere Aspekte in zahlreichen Beiträgen der Konferenz "Kulturwissenschaften, Datenbanken und Europa" (Debrecen 1998) behandelt. Die Beiträge wurden veröffentlicht in: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. Nr.6/1998-99. WWW: http://www.inst.at/trans/6Nr/inhalt6.htm

(16) Internationales Memorandum zur Förderung der Kulturwissenschaften (WWW: http://www.inst.at/dokumente/memoran.htm). Beschlossen wurde das Memorandum von der Generalversammlung des Institutes am 16.9.1996 in St. Petersburg. Am 8.10.1996 wurde es EU-Kommissarin Cresson von einer Delegation des INST überreicht. Abgedruckt in: "Jura Soyfer. Internationale Zeitschrift für Kulturwissenschaften". 5.Jg., Nr.3/1996.

(17) Vgl.: Herbert Arlt: Zur Geschichte der Darstellung der österreichischen Literatur. In: Donald G. Daviau/Herbert Arlt (Hrsg.): Geschichte der österreichischen Literatur. St. Ingbert 1996, Teil I, S.16ff.

(18) Zur Geschichte und Planung vgl. das Dokumentationsgespräch mit Walter Methlagl in: "Jura Soyfer. Internationale Zeitschrift für Kulturwissenschaften". 4.Jg., Nr.2/1995, S.34ff.

(19) Vilém Flusser hatte bereits in seinem Buch "Die Schrift" (Göttingen 1987) viele Argumente gegen die Schrift zusammengefaßt, um deren Unablösbarkeit durch andere Formen zu demonstrieren.

(20) Zahlenangabe aus: Our creative Diversity. Report of the World Commission on Culture and Development. 1995, S.179.

(21) Als Beispiel dazu: "Die meisten Tunesier verstehen inzwischen auch den ägyptischen Dialekt, der wegen der überragenden Stellung Ägyptens im Medienbereich (Radio, Film), seiner Mittlerstellung zwischen den verschiedenen arabischen Idiomen und wegen seiner unkomplizierten Grammatik immer mehr zum Universalarabisch wird." In: Hans-Joachim Aubert: Tunesien. Köln 1996, S.371.


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