Horst Turk (Göttingen)
Schon ein Blick auf die Konjunktur der neueren Nationalismusforschung zeigt, daß die "Renaissance des Nationalstaats" nicht mehr zu den nationalen, sondern zu den internationalen Phänomenen zu rechnen ist.(1) Dies hat Konsequenzen für das Verständnis der Nationalphilologien und ihren Gegenstand: die Nationalliteraturen. Sie sollen im folgenden am Beispiel der "deutschen" Literatur skizziert werden.(2) Ich konzentriere mich dabei auf den Aspekt der Nationalisierung und Internationalisierung, wobei ich zugleich versuche, auf die neuere, insbesondere angelsächsische Forschung von Hugh Seton-Watson über Eric J. Hobsbawm und Ernest Gellner bis Benedict Anderson einzugehen. Ich referiere hier zunächst die Hauptgesichtspunkte.
Während Seton-Watson noch generell zwischen gewachsenen und jungen Nationen unterschied, sich in der Behandlungsweise aber an den gewachsenen Nationen orientierte, hat Anderson die Untersuchung der europäischen Nationalisierungsprozesse unter dem Aspekt der Vorstellungsbildung erstmals auch systematisch in den größeren Zusammenhang der außereuropäischen Nationalisierungsprozesse gestellt.(3) Die Nation ist nach Anderson "eine vorgestellte politische Gemeinschaft - vorgestellt als begrenzt und souverän," wobei er in partieller Übereinstimmung mit der voraufgegangenen Forschung drei Typen oder "Modelle" unterscheidet: den "spontanen Volksnationalismus" (französisches oder amerikanisches Modell), den "sprachlichen Volksnationalismus" (Herdersches Modell) und den "offiziellen Nationalismus" (russisches oder auch britisches Modell).(4) Insbesondere der "offizielle Nationalismus" einer Anpassung oder auch "Naturalisierung" der "Dynastien" mit sprachpolitischer Homogenisierung (etwa: Russifizierung) im Gefolge war geeignet, die traditionelle Koppelung von Nation und Sprache auch europäisch zu relativieren.(5) Die sprachliche Einheit war nicht als Bedingung, sondern als Folge der Nationalisierung aufzufassen und dies auch dann, wenn sie zu den protonationalen Ressourcen zählte. Im Fall der überseeischen Nationalisierung zählte die sprachliche Unterschiedenheit nicht zu den protonationalen Ressourcen, sondern es setzte umgekehrt erst mit der Nationalisierung eine gewisse Diversifikation ein. Der entscheidende Punkt war, wie in Europa, die Homogenität, nur daß Anderson hier, eher an Hobsbawm als an Gellner anknüpfend, die "Verwaltungseinheit" als politischen Bedingungsfaktor in Anschlag bringen konnte.(6) Gellner hatte in diesem Punkt eher europäisch auf die "Kultur", genauer: die "Hochkultur", zurückgegriffen.(7) Dem entspricht, daß Anderson als auslösenden Faktor die Entstehung moderner Kommunikationstechnologien auf der Grundlage einer konstitutiven, allerdings nicht näher erläuterten Pluralität von Sprachen ins Auge faßt:
Vor dem Hintergrund der unausweichlichen Vielfalt menschlicher Sprachen machte die Verbindung von Kapitalismus und Buchdruck eine neue Form von vorgestellter Gemeinschaft möglich,(8)
während andererseits Gellner, der in einer funktionalen Erklärung die "Mobilität" in modernen "Wachstumsgesellschaften" als Movens betrachtet, die Ausbildung eines staatlich unterhaltenen Erziehungssystems (sogenannte "Exo-Ausbildung") in den Vordergrund rückt(9):
In der modernen Gesellschaft kann sich keine Subgemeinschaft selbst reproduzieren, wenn sie nicht groß genug ist, um ein unabhängiges Ausbildungssystem zu unterhalten.(10)
Gellner teilt mit Hobsbawm die politische und funktionale Interpretation des Nationalismus, während Anderson sich im Punkt der funktionalen Erklärung eher bedeckt hält.(11) Hobsbawm betont jedoch, deutlicher als Gellner der Tradition des Liberalismus verpflichtet, die ökonomische Funktion im Sinn des Aufbaus konkurrenzfähiger Volkswirtschaften, während Gellner, in diesem Punkt eher an Max Weber anknüpfend, den Nationalismus zugleich auch als "Theorie der politischen Legitimation" versteht.(12) Übereinstimmung herrscht bei Anderson, Gellner und Hobsbawm darin, daß der Prozeß der Nationalisierung als Effekt nationalistischer Bewegungen aufzufassen ist: "Es ist der Nationalismus, der die Nationen hervorbringt, und nicht umgekehrt."(13) Von Anderson im Sinn der "imagined community" beziehungsweise der "imagined realities," von Gellner im Sinn der kulturellen Teilhabe auf generalisierte Eliten als Trägergruppe bezogen, wird der Prozeß der Nationalisierung von Hobsbawm eher "von unten" betrachtet.(14) Bei Gellner hieß es:
Heutzutage können Menschen nur in Einheiten leben, die durch eine gemeinsame Kultur definiert werden und sich durch eine hohe interne Mobilität und einen beständigen Kommunikationsfluß auszeichnen.(15)
Hobsbawm rekurriert daneben vor allem auch auf die Erfahrung der Bürger mit dem omnipotenten Staat. Unstrittig scheint hinwiederum die Knüpfung der nationalen Unabhängigkeit an international beschränkte Ressourcen zu sein: kommunikationstechnischer Art bei Anderson, wachstumstechnischer Art bei Gellner, marktwirtschaftlicher Art bei Hobsbawm, womit die Kriterienfrage - welche Kriterien bei der Anerkennung als Nation zugrunde zu legen sind - ein Politikum ist.(16) Drei Möglichkeiten zeichnen sich ab, die Entwicklungen im deutschsprachigen Bereich auf diesen Diskussionsstand zu beziehen: wir können die Frage nach den Ausgangsbedingungen neu stellen (1), prüfen, ob sich die vorgeschlagenen Typen auch hier anwenden lassen (2), schließlich in eine Diskussion der Kriterienfrage eintreten, die von dem gegebenen Gegenstandsfeld und der gegebenen Ausgangslage aus möglicherweise anders zu entscheiden ist (3). Auf jeden Fall sollte die Herauslösung aus alten, wie auch immer motivierten "Loyalitäten" ein maßgeblicher Gesichtspunkt sein.(17) Außerdem dürften im Kontext der Vorstellungsbildung semantische Operationen eine stärker zu gewichtende Rolle spielen. Ich beginne mit einem Blick auf das Stichjahr 1848, das in der deutschsprachigen Literaturgeschichte wie in der politischen Geschichte des Verstehensfelds eine entscheidende Markierung darstellt. Es empfiehlt sich, in diesem Fall keine literarische oder philosophische, sondern eine historisch-dokumentarische Textgrundlage zum Ausgangspunkt zu nehmen.
1. Nationalistische Internationalität
In der Nationalversammlung von 1848 stellte sich das Problem, die Erklärung Österreichs, dem zu errichtenden Bundesstaat nicht angehören zu können, an einen Ausschuß überweisen zu müssen. In Frage kamen: der sogenannte Biedermannsche Ausschuß für Verhältnisse der Einzelstaaten zur Zentralgewalt, der Verfassungsausschuß, der Ausschuß für österreichische Angelegenheiten, der Ausschuß für völkerrechtliche bzw. internationale und staatsrechtliche Fragen. Gerade die naheliegendste Variante warf ein Interpretationsproblem auf. Wurde die Benennung "pleonastisch" gedeutet, dann kam die Überweisung einem Ausschluß gleich. Würde man sie im Sinn zweier "sich ergänzende[r] Bestimmungen" verstehen, dann war die Entscheidung noch nicht getroffen.(18) Der nationalliberale Abgeordnete Benedey drückte die Empfindung der versammelten Volksvertreter so aus:
Meine Herren! Ich trage darauf an, daß dieser Antrag direct von uns, augenblicklich und ohne Verhandlung verworfen werde. (Bravo auf der Linken.) Wir sind hierher gekommen, meine Herren, um Deutschland's Einheit zu constituiren, und man schlägt uns hier vor, einen Theil Deutschland's aus Deutschland hinauszuwerfen. (Stürmisches Bravo und Händeklatschen auf der Linken.)(19)
Andere Redner nahmen die Angelegenheit nicht weniger ernst, sprachen sich jedoch für den Biedermannschen, den Verfassungsausschuß, den Ausschuß für österreichische Angelegenheiten oder eben für den internationalen Ausschuß aus letzteres in der Erwartung, daß der Stellung Österreichs als "deutsche[m] Einzel-Staat" Rechnung getragen werde, aber auch, um nicht gegen die Interessen Österreichs als einer "europäische[n] Großmacht" zu verstoßen.(20) Debatten dieser Art werfen ein Licht auf die historisch-politische Semantik.(21) Wieso mußte für die anstehende Entscheidung eine Interpretation bemüht werden, und wie nahmen sich die Folgen im Rahmen der deutschen Literaturgeschichte aus?
Der Vorgang ist nicht nur für das "Machen," sondern auch für die "Untersuchung" der Geschichte erhellend. So wird der Beleg vom Lexikon für Geschichtliche Grundbegriffe erwähnt, um auf den operativen Wert der Ausdrücke "international", "Internationale" und "Internationalität" hinzuweisen. "Internationalität", "international" und "Internationale" seien als "Programm-" oder "Organisationsbegriffe" zu verstehen, deren Bedeutung nicht im Sinn eines genau umschriebenen empirischen Gehalts ("deskriptive Zustands- und Prozeßbegriffe"), sondern im Sinn eines "bewußt beförderten geschichtlichen Prozesses" ("Gesinnungs- und Zielbegriffe") zu fassen sei.(22) Allerdings stellt sich die Frage, ob es einleuchtender ist, von historischen Prozessen vor ihrer semantischen Artikulation oder in ihrer semantischen Artikulation auszugehen. "Deskriptive Zustands- und Prozeßbegriffe" stellen ebenso ein paradox kopuliertes Pärchen dar wie "Gesinnungs- und Zielbegriffe." Denn wieso sollten Zustandsbeschreibungen frei von Gesinnung, Prozeßbeschreibungen frei von Zielbegriffen, Zielbegriffe nicht auch technischer Art sein können? Die Vokabularien der historisch-politischen Semantik lassen sich bis zu einem gewissen Punkt mit symbolischen und mythologischen Formen der Semantisierung vergleichen. Sie sind nur zum Teil empirisch gedeckt, nämlich: soweit dies für die Provokation von Daten und Ereignissen nötig ist. Der weitaus größere Teil ihrer empirischen Geltung wächst ihnen aus der Anwendung zu oder auch nicht zu. Dabei ist ein nicht zu unterschätzender Faktor die Unbestimmtheit, die Festlegungen in der einen wie in der anderen Hinsicht ermöglicht.
Wie sollten zum Beispiel die Anwendungsregeln im Fall der "Inter"-Begriffe aussehen, von der "Intersubjektivität" über die "Interkulturalität" und "Intertextualität" bis zur "Internationalität?" Im Prinzip spräche nichts dagegen, die Relation ebensogut aus dem Standpunkt der Relata wie die Relata aus dem Standpunkt der Relation zu definieren. Und wer verfügt schon über den Standpunkt der Relation? Gleichwohl ist es üblich, die Relata mit Auflagen und Einschränkungen zu versehen, durch die ihr Status als Glied der Relation festgelegt wird. Im Fall der Internationalität erweiterte sich der Spielraum möglicher Verwendungen dadurch, daß auf der Seite der Relata verfassungsrechtliche Entwicklungen mitgemeint werden konnten. Je nachdem, ob Dynastien, Territorien oder Populationen das definiens der Relata waren, bestimmte sich der Sinn von "international" anders. Er ließ sich vor allem auch gegen die ursprüngliche Bedeutung von "zwischenstaatlich" wenden, wobei der Gebrauch sowohl "überstaatliche" wie auch "außerstaatliche" Verhältnisse in den Blick rücken konnte.(23) Die gleichen Tendenzen ließen sich auch - mit einem philanthropischen Einschlag - unter den Begriff des "Kosmopolitismus" bringen, verloren dadurch jedoch die Brisanz, die umgekehrt im Konzept des "Internationalismus" nachhaltig zum Tragen kam. "Die Ausdrücke 'kosmopolitisch' und 'international'", heißt es im Lexikon für Geschichtliche Grundbegriffe, signalisierten einen "Bedarf an neuen politisch-sozialen Begriffen", der im Sinn einer "neuen Zuordnung nationaler und einzelstaatlicher Interessen" - darunter auch das "etappenweise Vordringen des Volkssouveränitätsprinzips" - zu "staatenübergreifenden" Gegebenheiten oder "Bewegungen" aufzufassen sei.(24) Von der "roten" über die "goldene" bis zur "blauen" und "schwarzen Internationale" erstreckte sich das Spektrum agitatorischer Selbst- und Fremdkennzeichnungen, die teils auf "überstaatlicher," teils auf "unterstaatlicher" - vor- und antistaatlicher - Ebene operierten, je nach der zugrunde gelegten organisationssoziologischen Maxime, die mit der Verwendung verfolgt wurde.(25)
Auch die Konzepte der "Nationalökonomie", des "Nationalstaats", der "Nationalliteratur" und der "Nationalgeschichte" sind in diesem Spannungsfeld anzusiedeln. Sie sind, mit der neueren Nationalismusforschung zu sprechen, Effekte der "Imagination" oder Vorstellungsbildung, durch die ältere Vorstellungsbildungen teils abgelöst wurden, die teils aber auch mit älteren Vorstellungsbildungen versetzt waren. Die Frage eines Anschlusses oder Ausschlusses Österreichs bei der Konstitution des Bundesstaats betraf nicht nur den Ist-Wert bestehender interner und externer rechtlicher Verhältnisse, sondern auch den Sollwert, der durch die Entscheidung, wenn nicht beschlossen, so doch zumindest präjudiziert würde. Der Reichstag zu Kremser verwies in diesem Zusammenhang auf die Alterierung der "staatlichen Verbindung der deutschen mit den nichtdeutschen österreichischen Landesteilen."(26) Was war unter der "deutschen Nation" zum Zeitpunkt ihrer politischen Konstituierung zu verstehen: die "Staatsnation," als die sie sich konstituierte, oder die "Sprach-" und "Kulturnation", die sie vor dieser Konstituierung war und - mit einer Unterbrechung in der Zeit des Faschismus - auch nach ihrer Konstituierung blieb?(27) Der Prozeß der Nationalisierung wäre unter eine Doppelperspektive zu stellen: der Absättigung der Relata (nationalisierte Internationalität) sowie der Anpassung der Relation (internationalisierte Nationalität).
Es empfiehlt sich, die Fragen der politisch-rechtlichen Programmierung zunächst einmal eher neutral unter dem Aspekt der Herstellung von "imagined communities" zu betrachten. Wenn der Prozeß der Nationalisierung und Internationalisierung mit Anderson als ein Prozeß der Vorstellungsbildung aufgefaßt werden kann, der vor allem neben politischen und ökonomischen Voraussetzungen kommunikationstechnologische Implikationen hatte, dann war der Internationalität nationaler Literaturen mit dem traditionellen Konzept der "res publica litteraria", des "Kosmopolitismus" oder auch der "Weltliteratur" nicht mehr beizukommen.(28) Die Internationalität nationaler Literaturen bedeutete zugleich eine Ausweitung und eine Einengung der res publica litteraria. Einerseits wurde es möglich, über den Gelehrtenstand hinaus an eine breite, allerdings politisch vorgehaltene Öffentlichkeit zu treten; andererseits war es nötig, diese Öffentlichkeit, mit einem Bild der politischen, nicht nur der literarischen Zugehörigkeit zu versorgen.(29) Bezeichnenderweise war dies eine Aufgabe, der sich die Literatur gerade auch dann nicht entziehen konnte, wenn sie aufgrund der Gleichsprachigkeit in einer anderen Loyalität stand: Literaturen konnten sich internationalisieren, indem sie in einer Sprache, jedoch von verschiedenen Nationen geschrieben, vertrieben, gelehrt und - bis zu einem gewissen Grad - auch gelesen wurden, geradeso wie sie sich nationalisieren konnten, indem sie in mehreren Sprachen, jedoch von einer Nation geschrieben, vertrieben, gelehrt und - bis zu einem gewissen Grad - auch gelesen wurden.(30) Entscheidend war die Ausbildung mehr oder minder homogener Lesekulturen beziehungsweise mehr oder minder homogener literarischer Felder, die aus sich herausweisende internationale Verbindungen sprachlich, aber auch wirtschaftlich, konfessionell, politisch, kulturell, akademisch oder personell unterhalten konnten, in gewissen Fällen aber auch über ein esoterisches Idiom als ehemals imperiale Kultur-, Kolonial- oder Hegemonialsprache verbunden sein mochten.(31)
2. Das Spektrum der Nationalismen
Beispiele dieser Art kennen wir nicht nur aus dem Einflußbereich ehemaliger Kolonialländer beziehungsweise kolonialisierter Länder, die sich von der Kolonialherrschaft befreit hatten, sondern sie finden sich auch im europäischen Rahmen. So wäre bei der Mehrsprachigkeit der Literatur an die schweizerische, die belgische, die britische oder auch die Literatur der k.u.k.-Monarchie vor der Auflösung des Vielvölkerstaats zu denken, bei der Existenz mehrerer Literaturen in einer Sprache an die deutschsprachigen Literaturen oder auch die lateinischen Literaturen des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Allerdings waren die sprachlichen Überlappungen nicht die einzigen Unregelmäßigkeiten dieser Art. Das Fortleben vornationaler Beziehungen oder Strukturen läßt sich auch auf anderen Feldern: der Verwaltungseinheit, der Konfession, der Wirtschaftsform, der Wissensorganisation, des Lebensstils, der Kultur im engeren wie im weiteren Sinn, der Verhaltensform, beobachten. Jeder einzelne dieser Sektoren konnte, nach Lage der Dinge und entsprechend dem zugrunde gelegten Typ, als Feld zur Ausgestaltung neuer Differenzqualitäten oder protonational als Ressource eben dieser Differenzqualitäten aktiviert beziehungsweise in Anspruch genommen werden. Es ist evident, daß unter diesen Umständen, aber auch aus strukturellen Gründen, die "subjektivistische" Handhabung real oder fiktional immer mit im Spiel sein mußte, aber auch die "objektivistische" Handhabung, zum Zweck der Durchführung beziehungsweise unter dem Aspekt der Ressourcen, real oder fiktional nie ganz vernachlässigt werden konnte.(32) Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Typen oder besser: Gesichtspunkten der Typenbildung scheint weniger eine Sache der beteiligten oder nicht beteiligten Faktoren als eine Sache ihrer Verwendung als Legitimations- oder Anspruchsbasis gewesen zu sein, womit allerdings auch immer gewisse zugrunde gelegte Verbindlichkeiten, man könnte auch sagen: Szenarien der Kontinuation, festgeschrieben wurden. So war es durchaus möglich, die Nation als Staats- und Willensnation mit dem stets zu erneuernden "Plebiszit, das sich jeden Tag wiederholt" ("plébiscite de tous les jours") zu betreiben, aber auch, sie als Geschichts-, Kultur- oder Sprachnation in einer stets zu erneuernden vorgängigen historischen, kulturellen oder sprachlichen Bindung zu verankern.(33) Als Geschichts-, Kultur- und Sprachnation mit verlorener oder nicht erreichter Unabhängigkeit oder Einheit konnten Nationen den Status der Staatsnation anstreben, als Staatsnation mit fehlender historischer, kultureller oder sprachlicher Bindung die Verankerung auf diesen Feldern betreiben. Das Interesse mochte dabei ökonomischer, sozialer, konfessioneller oder politischer Natur, die Trägerschicht eine wie auch immer gelagerte Mehrheit oder Minderheit sein, das Prinzip der Selbstbestimmung eher egalitär oder eher alteritär ausgelegt werden, die Prozedur als solche im Sinn der Diversifikation oder der Assoziation begrenzt oder unbegrenzt konzipiert sein, die Ausdehnung - Anderson definiert die Nation durch "vorgestellt als souverän und begrenzt" - willkürlich oder aufgrund objektiver Kriterien geregelt sein.(34)
In allen Vorkommnissen oder Varianten ist von einem komplexen Vorgang der Umgestaltung gegebener Relationen und Einrichtungen aus der Position neu konstituierter Relata auszugehen, wobei nicht nur alte Relationen und Einrichtungen transformiert, sondern auch neue Relationen und Einrichtungen ins Leben gerufen und, falls nötig, an die Relata rückvermittelt wurden.(35) Von der ersten Art waren die politischen, konfessionellen, sozialen und personalen Relationen einer abgelösten imperialen, feudalen, regionalen oder auch dynastischen Herrschaftsform mit ihrer fortlebenden vornationalen Internationalität, von der zweiten Art die neu vereinbarten oder ins Leben gerufenen zwischen- und überstaatlichen Relationen vom Typ zwischenstaatlicher Abmachungen und überstaatlicher Institutionen. Hiervon abzugrenzen sind die Tendenzen des politischen Internationalismus, Rassismus und Fundamentalismus, die auf der Grundlage gesellschaftspolitischer, ethnopolitischer und konfessionspolitischer Gegenkonzepte die Relation als solche problematisieren beziehungsweise von ihrer Problematisierung im Zuge der Modernisierung oder auch Globalisierung ausgehen, um auf sie durch eine Abänderung der Prämissen zu reagieren. Sie sind, wenn man so will, in ihrem Vorkommen, jedoch nicht nach ihrem Konzept international. Die Probleme der Gesellschaften, Wirtschaften und Staaten des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts waren solche der Nationalisierung und Industrialisierung, Demokratisierung und Sozialisierung, Globalisierung und Säkularisierung. Im Feld der vorgestellten Beziehungen konnten die Nationalisierung, aber auch die Internationalisierung ein dominantes Problem sein.
Nehmen wir zum Beispiel die Schweiz. Vom Typ her dem Andersonschen "spontanen Volksnationalismus" zuzuordnen, jedoch ohne die implizit mitgedachte sprachliche und kulturelle Homogenität, war die "imagined community" in ihrer Nationalität und Internationalität ein Problem der "Loyalität". So etwa, wenn es bei Christoph Siegrist noch 1985 heißt: "Der Schweizer Schriftsteller" sehe sich
in eine doppelte Loyalität gestellt: als Schreibender ist er dem Publikum der deutschen Sprachgemeinschaft und deren literarischen Tradition verpflichtet, welche nationale Grenzen überschreiten; auf der andern Seite weiß er sich als Staatsbürger einem enger begrenzten Staatsgebilde zugehörig. Beides läßt sich nicht immer problemlos verbinden.(36)
Oder wenn Adolf Muschg einmal auf die "Gretchenfrage: 'Wie hast du's mit der Schweizer Nationalliteratur?'" antwortete: "Es gibt sie nicht [...]. Um an ihr, wie recht und billig, zweifeln zu dürfen, brauchen wir von unseren deutschen Freunden ein Benehmen, als gäbe es sie."(37) Beide Stellungnahmen sind deutschschweizerisch akzentuiert. Das Problem, zu dem sich die Autoren verhielten, war die internationalisierte Gleichsprachigkeit der Schweiz. Nun gab es indessen auch die nicht minder problematische Mehrsprachigkeitsperspektive und zwar von der gleichsfalls nicht leicht zu handhabenden Art einer konstitutionell gesicherten Mehrsprachigkeit mit dialektaler Differenz des hegemonialen Schweizerdeutsch. Max Wehrli, der in einem Beitrag aus dem Jahr 1981 insbesondere diese Seite der Sache in den Vordergrund stellte:
Von einem politisch-eidgenössischen Standpunkt aus ist [...] die Kehrseite nicht zu übersehen. Wenn die Autoren ihrem muttersprachlichen Großraum zugewandt bleiben, so kommt es erst recht nicht zu einem Zusammenspiel der Sprachen und Literaturen innerhalb des kleinen Landes [...]: man schreibt (und liest), wie Adolf Muschg gesagt hat, mit dem Rücken gegeneinander [...]. Ein gemeinsames literarisches Bewußtsein kommt nicht im Rahmen einer schweizerischen, sondern höchstens einer internationalen Literatur zustande,(38)
rekurriert im Gegenzug auf die "Möglichkeit zu internationalem Ausblick," verbunden mit der "Intensität und Unmittelbarkeit in politisch-gesellschaftlicher Funktion" als Ausgleich dafür, daß das "kleine Modell einer schweizerischen Literatur" deutlicher als andere Modelle zeigt, "wie sehr Literaturgeschichtsschreibung nur als offene, dynamische, perspektivisch wählende möglich ist, weil sie es stets mit einem Bündel von Identitäten, einem bewegten System zu tun hat."(39) Es muß nicht davon ausgegangen werden, daß die Dynamik und die Multiplizität gegeneinander gerichteter Identitäten zum Erliegen kommt, wenn die Sprache, Geschichte und Kultur entweder schon vorweg homogen waren oder doch im Zuge der Nationalisierung homogenisiert werden konnten. Der Befund wird nur eben literarisch auf der Ebene der Mehr- und der Gleichsprachigkeit besonders sinnfällig, weil die Sprache das Medium der Literatur und mithin auch das Medium ihres Beitrags zur Identität oder zu den Identitäten einer politisch verfaßten Gesellschaft ist.
Oder nehmen wir im Vergleich dazu das Beispiel Österreichs. Dem Typ nach, wie Preußen-Deutschland dem Andersonschen "offiziellen" Nationalismus zuzuordnen, jedoch als Geschichts-, Kultur- und Sprachnation anders als Preußen-Deutschland, kein Emporkömmling unter den Mächten, sondern durch die Nachfolge in der translatio imperii legitimiert, wurde für die "imagined community" im Fall Österreichs vor allem die Nationalisierung zum Verhängnis, und zwar sowohl im Blick auf die "Befreiungsnationalismen" des Vielvölkerstaats wie auch im Blick auf die preußische Dominanz im deutschen "Einigungsnationalismus," in der einen wie der anderen Hinsicht mit der Konsequenz einer oktroyierten Nationalisierung und Internationalisierung als kaum zu verwindende Belastung.(40) So etwa wenn Grillparzer in einem gern zitierten Epigramm den Weg zur "Nationalität" als Weg zur "Bestialität" apostrophierte oder Musil sich zwar gegen die preußische "Staatsidolatrie" ebenso erklärte wie gegen die Altlast feudaler Rücksichten aus der Zeit vor dem Aufkommen des Absolutismus, gleichwohl aber das preußische Purgatorium für unvermeidbar hielt.(41) Oder auch wenn Herbert Zeman die 1996 erschienene Literaturgeschichte Österreichs nicht als Geschichte einer österreichischen Nationalliteratur, sondern eher als "regionale" Literaturgeschichte annonciert, genauer: als "Zusammenspiel verschiedener Literaturen" in einem, eben dem "österreichischen Kulturraum," der
im Geiste guter alter literatur- und kulturgeschichtlicher Überlieferungen seit dem 18. Jahrhundert auf jenes politische Territorium und dessen kulturelle Ausstrahlung bezogen [wurde], das seit dem Mittelalter über die Herrschaft der Babenberger und der Habsburger letztlich in das republikanische Österreich mündete.(42)
Das Akzeptanzproblem einer oktroyierten Nationalisierung wurde schließlich doch gelöst - allerdings um den Preis, daß die Internationalität, für die sich Musil in den zwanziger Jahren erklärt hatte, zugunsten der historisch gefaßten kulturräumlichen Identitätskonstruktion zurückgeschraubt werden mußte, nachdem sich der Kulturraum nur noch unter Abstrichen, nämlich historisch, als Repräsentant des Kulturkreises in Anschlag bringen ließ.
Eher umgekehrt verlief die Entwicklungskurve auf preußen-deutscher Seite. Indem die Überführung des "Reichs" in einen Nationalstaat weder verfassungsmäßig noch territorial hinreichend abgesichert werden konnte, entstand ein Torso ohne Probleme der Gleich- oder Verschiedensprachigkeit: erfolgreich in der verwaltungs-, edukations- und kommunikationstechnischen Durchdringung, industriell und militärisch auf beeindruckende Weise leistungsfähig, jedoch beängstigend unabgesättigt in der historischen und politischen Legitimation. Ein Vorschein dessen war der forcierte Etatismus eines Johann Gottlieb Fichte, aber auch der forcierte Klerikalismus eines Novalis. Etwa wenn es bei Fichte im Kontext des Befreiungskriegs hieß, es bleibe
sonach uns nichts übrig, als schlechthin an alles ohne Ausnahme, was deutsch ist, die neue Bildung zu bringen, so daß dieselbe nicht Bildung eines besonderen Standes, sondern Bildung der Nation schlechthin als solcher, und ohne Ausnahme einzelner Glieder derselben, werde, in welcher [...] aller Unterschied der Stände, der in anderen Zweigen der Entwicklung auch fernerhin stattfinden mag, völlig aufgehoben sey und verschwinde.(43)
Oder wenn Novalis in der Christenheit oder Europa die alte Reichsverfassung als goldenes Zeitalter beschwor:
Es waren schöne glänzende Zeiten, wo Europa ein christliches Land war, wo Eine Christenheit diesen menschlich gestalteten Welttheil bewohnte, Ein großes gemeinschaftliches Interesse verband die entlegensten Provinzen dieses weiten geistlichen Reichs. - Ohne große weltliche Besitzthümer lenkte und vereinigte Ein Oberhaupt, die großen politischen Kräfte.(44)
Fichtes nationales Erziehungsprogramm liest sich geradezu als Parodie der Exo-Ausbildung, indem die politische Selbstvermittlung durch die edukative substituiert wurde.(45) Novalis' Hommage an das "Reich" ging mit der Hommage an das preußische "Königspaar" einher, das weniger historisch als symbolisch das "gediegene Lebensprinzip des Staates" repräsentierte.(46) Friedrich Nietzsches bissige Rede von der "Exstirpation des deutschen Geistes zugunsten des 'deutschen Reiches'," aber auch Max Webers Hinweis auf den "Coleurmenschen" als "deutsche Form" stellten die Mängel der kompensatorischen edukativen Selbstvermittlung ebenso schonungslos bloß wie Theodor Fontane die fatale Verquickung von "question de raison" und "question d'amour" im Zeichen des militärischen Gehorsams an der Intervention des königlichen Paars vorführte(47): "Er wußte, was er dem König schuldig sei: Gehorsam! Aber sein Herz widerstritt", heißt es im Schach von Wuthenow.(48) Der Kultur- und Geschichtsnationalismus hatte in der Zeit der Reichsgründung seine Hochblüte. Dies tilgte jedoch nicht den fatalen Umstand, daß dessen Basis zu schmal ausgefallen war. Entscheidend ist, daß hier die Virulenz der "imagined community" wohl erst durch die Überführung in einen "Verfassungspatriotismus" zur Ruhe gebracht werden konnte, ein Ergebnis, das, wie das österreichische, auf seine Art nicht atypisch sein dürfte.(49)
3. Zur philosophischen Begründung des Nationalismus: Herder
Bliebe noch, wenn man der Andersonschen Typologie folgt, der "sprachliche Volksnationalismus" als Modell, wenn nicht für den "Einigungsnationalismus", so doch für den "Befreiungsnationalismus".(50) Er ist in der Tat als Modell oder Programm vom "offiziellen" oder "gestohlenen" Nationalismus zu unterscheiden, und zwar insbesondere dann, wenn man ihn auf seine philosophische oder auch "anthropologische" Begründung hin ansieht.(51) Was ist von der "philosophischen Armut" des hergebrachten Nationenbegriffs zu halten?(52) Es mag akzeptabel sein, wenn sich gerade der Germanist für diese Seite der Sache im gegenwärtigen Diskussionskontext erwärmt. Konzepte wie das Herdersche Programm der universellen Nationalisierung sind nicht allein aus ihrer Zeit und auch nicht allein aus ihrer Wirkung, sondern vor allem auch als Überzeugungsmittel im Feld der Vorstellungsbildung zu "verstehen." So wäre zum Beispiel daran zu erinnern, daß die "philologische" Revolution in enger Verbindung mit der "historischen" Revolution stand und beide als Spielarten eines Alteritätsdiskurses auftraten, der den Egalitätsdiskurs teils verdrängte, teils fortsetzte.(53) Man braucht nur an den Stellenwert des Protestantismus in den Augen Friedrich Schlegels oder Heinrich Heines zu erinnern, um zu sehen, daß die Reformation eine maßgebliche Ressource für die Transformation und Weiterführung des Egalitätsdiskurses war.(54) Zumindest ebenso ergiebig war jedoch auch die historische Wende im Zuge der Säkularisation mit dem Doppelaspekt, die Geschichte zu untersuchen und Geschichte zu machen. Sätze wie der, daß "jedes Volk [...] Volk" sei und "seine National Bildung" habe, waren nicht oder doch nicht allein als deskriptive Sätze zu nehmen, deren empirischer Gehalt allenthalben schon zutage liege, sondern, auf wie breiter oder schmaler Ausgangsbasis auch immer, zu einem hohen Anteil als Programmsätze, deren empirischer Gehalt im Verlauf der Anwendung zutage treten würde.(55) Tatsächlich spielte die Sprache für Herder sowohl überhaupt wie auch mit Bezug auf die Vorstellung begrenzter souveräner Gemeinschaften eine entscheidende Rolle, und zwar als Bedingungsfaktor in beiderlei Hinsicht: der Begrenzung wie der Souveränität. Dies schloß jedoch nicht aus, daß die Sprachen in dieser Funktion und Bedeutung erst noch zu erfassen und zu entwickeln waren.(56) Daß dabei der Standard nicht von vornherein auf ein gewisses Kontingent verschriftlichter Sprachen festgelegt wurde, entsprach der Offenheit der Situation, hatte überdies aber auch seine Grundlage in der anthropologischen und sprachphilosophischen Überzeugung, daß "der Mensch sich seine Sprache" habe "erfinden müssen", daß er eben dadurch "sich selbst Zweck und Ziel der Bearbeitung" habe werden können, daß er in diesem Sinn als ein "Geschöpf der Sprache", aber auch als deren Schöpfer aufzufassen sei.(57) Der Streit um die Sprachbezogenheit des Nationalismus läßt sich auf dieser Basis sehr einfach schlichten. Er gilt, genau genommen, der Frage, ob die sprachliche Unterschiedenheit eine notwendige oder gar hinreichende Bedingung der Nationenbildung sei; beides wird man aus guten Gründen verneinen. Unstrittig dürfte hingegen die sprachliche Zugehörigkeit als Kriterium der nationalen Zugehörigkeit sein. Die Begrenzung des Zuständigkeitsbereichs ließ sich auch anders als über die sprachliche Unterschiedenheit herstellen; die Souveränität des Zuständigkeitsbereichs war jedoch auf gravierende Weise an die sprachliche Zugehörigkeit gebunden. Wieso sollte dann nicht ein universeller und offener Nationalisierungsprozeß, unter anderem auch nach dem Sprachenkriterium, überzeugend gewesen sein?
Ähnlich, wenn auch eher auf die französische als auf die deutsche Variante des Nationenkonzepts zu beziehen, verhält es sich mit dem von Gellner vorgebrachten Einwand gegen den "nicht-egoistischen Nationalismus," der "als Doktrin" zwar "einige gute Argumente für sich" habe, nämlich: "die kulturelle Vielfalt zu wahren [...] und [...] ein pluralistisches internationales politisches System" hervorzubringen unter Verminderung "interner" Spannungen, bei "einzelnen" Staaten, grundsätzlich aber eine unverzeihliche Illusion darstelle, jedenfalls wenn man mit Immanuel Kant "die Parteilichkeit" als "die menschliche Grundschwäche" nicht aus den Augen verliere.(58) Tatsächlich lief das Argument eines vernünftigen, universellen oder nichtegoistischen Nationalismus gerade auch auf die Verminderung der Spannungen zwischen den Staaten hinaus, indem angenommen wurde, daß sich auf der Grundlage der veränderten Herrschaftsform eine tragfähigere Solidarität zwischen den Staaten herstellen werde.(59) Daß diese Hoffnung eo ipso eine Illusion darstellt, beruht, wie man weiß, auf einer pessimistischen anthropologischen Grundannahme, die ebenso alt wie umstritten und in ihrer direkten Anwendbarkeit auf Kollektive problematisch ist. Genau besehen handelt es sich auch hier um widerstreitende Grundüberzeugungen mit unterschiedlichen organisatorischen Großkonzepten im Gefolge. So wird denn auch als gewichtigeres Argument - von Gellner wie von Hobsbawm - die "Eroberungs-" oder "Lebensfähigkeit" einer Nation angesichts beschränkter Ressourcen in industrieller beziehungsweise wirtschaftlicher Hinsicht zur Erklärung des "sacro egoismo" vorgebracht.(60) Es löste - auf kulturalistischer respektive liberalistischer Grundlage - die ältere politische Selbsteinschätzung auf der Basis des Gewaltmonopols ab. Zugleich verschoben sich damit aber auch die Gesichtspunkte. Etwa wenn Gellner am Schluß seiner Darlegung, in der Prognose, von der Wahrscheinlichkeit des Überlebens der "große[n], politisch lebensfähige[n] und gleichermaßen der Unabhängigkeit werte[n] [...]" Kulturen spricht oder Hobsbawm den Zusammenschluß integrierter Wirtschaftsräume jenseits der Souveränität nationalisierter Volkswirtschaften voraussagt.(61) In beiden Fällen wird ex negativo das bestimmende Merkmal des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts noch einmal deutlich, das in einer internationalen Diversifikation oder Pluralisierung sowohl der religiösen und kulturellen wie auch der politischen und wirtschaftlichen Großformationen bestand. Welche Plausibilität mochte in diesem Zusammenhang die philosophisch-anthropologische Begründung gehabt haben?
Ich beschränke mich im folgenden auf die Erläuterung einiger Grundgedanken. Fünf Aspekte lassen sich relativ leicht herausschälen, wenn man sich auf das fünfzehnte Buch der Ideen zu einer Philosophie der Geschichte der Menschheit von 1791 bezieht.(62) Der Text zählt auch nach heutigen Maßstäben zu den "gewerteten" Kulturerscheinungen im Sinn Max Webers, das heißt einer Gruppe von Texten, mithilfe derer wir uns, zustimmend oder ablehnend, über historische Handlungsmotivationen klar werden können.(63) Zu beginnen wäre mit dem Gedanken der Selbstzweckhaftigkeit, der zwar in bezug auf alles Lebendige eingeführt wird - alles Lebendige trägt nach der Logik des Arguments seinen Zweck in sich, in den Worten Herders: "Der Zweck einer Sache, die nicht blos ein todtes Mittel ist, muß in ihr selbst liegen" -, im Fall des Menschen aber noch mit der zusätzlichen Annahme verbunden wird, daß der Zweck ein selbstgesetzter, man könnte auch sagen: ein intendierter, ist.(64) Daraus folgt, daß der Mensch als "Sache" dieser Art "in allen Zuständen und Gesellschaften [...] durchaus nichts anders im Sinn haben, nichts anders" habe "anbauen können", als eben sein Menschsein, in einem zunächst noch unspezifizierten Sinn: die "Humanität".(65) Daraus folgt jedoch auch, daß er sie nach Maßgabe seiner Einsichten, Kräfte und Umstände "zielintendiert" anbaute.(66) "Der Mensch sei Mensch!", heißt es weiter, "er bilde sich seinen Zustand nach dem, was er für das Beste erkennet."(67) Wird die "Zielgerichtetheit" einer Sache dergestalt durch die "Zielintendiertheit" modifiziert, dann impliziert dies eine Irrtumsanfälligkeit und Erfahrungsfähigkeit.(68) Mit der "Vernunft," fährt Herder fort,
war ihm [dem Menschen] freilich die Pforte zu tausend Irrthümern und Fehlversuchen, eben aber auch und selbst durch diese Irrthümer und Fehlversuche der Weg zum bessern Gebrauch der Vernunft eröffnet.(69)
Schließlich war nur noch als Korrektiv die Annahme einer gewissen mitwachsenden Sensibilität für die Unzweckmäßigkeit beziehungsweise das "Unrecht" nötig, um die Evolution eines selbstzweckmäßigen Wesens vorzustellen, das der Mensch, für sich genommen, in Gesellschaft und im Verkehr der Gesellschaften untereinander ist oder doch sein konnte. Nutzte die Menschheit ihre Mittel
nicht, so zeigt schon diese Trägheit, daß sie ihr Unglück minder fühlte: denn jedes lebhafte Gefühl des Unrechts, mit Verstand und Macht begleitet, muß eine rettende Macht werden.(70)
Zusammengefaßt ergab sich ein überaus plausibles Modell der Entwicklungslogik des Menschen im einzelnen, in Gesellschaft und im Verkehr der Gesellschaften, das sich durchaus neben anderen Entwicklungsmodellen sehen lassen konnte:
Ueberall also finden wir die Menschheit im Besitz und Gebrauch des Rechtes, sich zu einer Art von Humanität zu bilden, nachdem sie solche erkannte. Irrten sie oder blieben auf dem halben Wege einer ererbten Tradition stehen: so litten sie die Folgen ihres Irrthums und büßeten ihre eigne Schuld. Die Gottheit hatte ihnen in nichts die Hände gebunden, als [...] durch Zeit, Ort und die ihnen einwohnenden Kräfte.(71)
Man könnte nun einwenden, daß damit erst die eine, die Diversifikation betreffende Tendenz auf den Nenner einer philosophischen Anthropologie gebracht war. Wie stand es mit den Rahmenbedingungen einer solchen Diversifikation?
Wenn Völker und nicht Territorien oder Dynastien als autopoietische, sich selbst organisierende Einheiten der Geschichte vorgestellt wurden, dann mußte ihre jeweilige Individuation im Ganzen als eine Individuation des Ganzen nach einem allgemeinen Gesetz der funktionalen Ausdifferenzierung und Erhaltung konzipiert werden.(72) Nach Herder war dies durch die Zusatzhypothese sogenannter Maxima auf verschiedenen Gebieten gewährleistet, über die nichts hinausgehe und die sich erhalten, solange sie sich intern und extern als funktional erweisen. Man konnte dabei geradezu an ein "Naturgesetz" denken, das mehr oder minder offen in der Geschichte zutage lag und jedenfalls im Handeln genutzt werden konnte, wenn dieses sich an der Geschichte orientierte. Etwa das Gesetz,
daß zum Beharrungszustande eines Dinges jederzeit eine Art Vollkommenheit, ein Maximum oder Minimum erfordert werde, das aus der Wirkungsweise der Kräfte dieses Dinges folget
beziehungsweise daß "alle Vollkommenheit und Schönheit zusammengesetzter eingeschränkter Dinge oder ihrer Systeme auf einem solchen Maximum ruhe" sowie,
daß, wenn ein Wesen oder ein System derselben aus diesem Beharrungszustande seiner Wahrheit, Güte und Schönheit verrückt worden, es sich demselben durch innere Kraft, entweder in Schwingungen oder in Asymptote wieder nähere, weil außer diesem Zustande es keinen Bestand findet.(73)
Es ist klar, daß sich damit den historisch-philologischen Wissenschaften ein weites Forschungsfeld eröffnete, daß dieses Forschungsfeld eine wachsende politische Relevanz gewinnen konnte, daß seine Aufgabe weniger darin bestand, Garantien anhand der Geschichte zu geben, als darin, Perspektiven zu entwerfen: zum Beispiel zwischen den vorliegenden Maxima Positionen für sich bildende neue Handlungseinheiten zu entdecken, die mit den vorliegenden zu einer sich entwickelnden Gesamtwirklichkeit zusammenstimmen würden. Die Erfindung von Nationen als Subjekten der Geschichte vollzog sich in der Tat weitgehend als Werk der historischen und philologischen Phantasie, mochte diese der politischen Konstitution vorausgehen oder nachfolgen.(74) Herder rekonstruierte die Vernunft in der Geschichte nach dem Grundsatz der Selbstbestimmung und Autonomie, die vielleicht die Vernunft der Geschichte werden konnte. Sie war jedenfalls auf eine durchgängige Alterisierung der großen Vorgängersysteme hin angelegt, und sie füllt gerade die Lücke, die bei Anderson in der anthropologischen Explikation an der Stelle der "unausweichlichen Vielfalt menschlicher Sprachen" klafft: nicht im Sinn "bestimmter Sprachen," nach welchem Kalkül auch immer, sondern universell nach einer konsequent durchgeführten philosophisch-anthropologischen Begründung.(75)
Es sollte nun aber auch nicht unerwähnt bleiben, daß dieses Konzept der universellen Nationalisierung im Sinn der anthropologischen Selbstvermittlung das Gewächs einer speziellen Lage gewesen ist: bedingt durch das Zusammentreffen mehrerer glücklicher oder unglücklicher Umstände.(76) Schon Gotthold Ephraim Lessing, Christoph Martin Wieland und Johann Joachim Winckelmann, aber auch Johann Gottfried Herder, Friedrich Schiller und Johann Elias Schlegel sahen sich einer keineswegs ungünstigen Ausgangslage gegenüber, als sie in den siebziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts auf eine bereits eingeführte und bewährte Debatte zurückgriffen. Nachdem der römische Zugang zur Klassizität im Rahmen der Latinität schon getätigt und gemeineuropäisch besetzt war, die Devise der Mitsprache im europäischen Rahmen seit der Renaissance aber "ad fontes" lautete, bot es sich an, die nationale "Eigenthümlichkeit" im Rückgang auf das Griechische und Hebräische zu inszenieren: als Wiedergeburt des Altertums in seiner ursprünglicheren Gestalt, nicht in der Nachfolge und Kontinuität der römischen Überlieferung. Man beharrte, im Spiel der Kräfte, auf der historischen Prätention, im Sinn der translatio imperii et studii für das Ganze zu sprechen, nur eben transformiert nach dem Grundsatz des principium individuationis: orientiert an der Leitvorstellung der Selbstbestimmung und Selbstgesetzgebung. Daß als Medium der Selbstvermittlung weniger die Politik oder die Ökonomie in Verbindung mit der Philosophie in Frage kamen als die Geschichte oder die Philologie in Verbindung mit der Religion, war eine Sache der Lage und der Situation, hing jedoch auch mit den Ressourcen der weiterentwickelten Historiographie, Philologie und Philosophie, insbesondere auf dem Gebiet der historisch-kritischen Methode und der Geschichtsphilosophie zusammen. Man kann diese Entwicklung in der Tat mit Anderson dem "offiziellen" oder "gestohlenen" Nationalismus entgegenstellen, indem die Selbstgesetzgebung (Souveränität des Volkes) der Zielpunkt, obschon nicht der Ausgangspunkt der Bewegung war.(77) Zugleich war damit der historischen Lage Rechnung getragen worden, die schließlich gesamteuropäisch bis 1918 gemischt blieb. Sie war weder eindeutig republikanisch, noch eindeutig dynastisch, basierte auch keineswegs auf einer klaren Trennung nationaler von imperialen Interessen. Nicht zuletzt unter diesem Aspekt dürfte der skizzierte philosophisch-anthropologische Beitrag Herders auch heute wieder, etwa: im Zeichen des Sprachenimperialismus, aktuell sein.
© Horst Turk (Göttingen)
* erscheint in: On the Internationality of National Literatures in either America: Cases and Problems, Armin Paul Frank u. Helga Eßmann (Hrsg.), Göttingen 1998 (SFB-Reihe: Interamerica Studies, Band 1)
Anmerkungen:
(1) Langewiesche, S. 190.
(2) Zur historischen Aufarbeitung vgl. Weimar und Fohrmann. Vgl. auch Danneberg/Vollhardt.
(3) Vgl. Seton-Watson 15, 143; Anderson, S. 55-71.
(4) Anderson, S. 15, 113; vgl. auch S. 86; indirekt auch S.85; 72, 88-114.
(5) Anderson, S. 88-114, 91 im Anschluß an Seton-Watson.
(6) Hobsbawm spricht von der "historische[n] Verbindung mit einem gegenwärtigen Staat oder mit einem Staat, der eine längere und nicht zu weit zurückliegende Vergangenheit hatte" beziehungsweise beruft sich auf das "Territorium" als Bedingungsfaktor. Hobsbawm, S. 50 und 21. Anderson greift auf die "Verwaltungseinheiten" der Kolonialmächte zurück. Anderson, S. 59-60.
(7) Der Bezug auf den Staat fehlt bei Gellner nicht: "Der Staat ist mit Sicherheit ohne die Hilfe der Nation entstanden. Einige Nationen sind mit Sicherheit ohne den Segen ihres eigenen Staates entstanden. Eher schon läßt sich darüber diskutieren, ob die normative Vorstellung von der Nation in ihrem modernen Sinne nicht die vorherige Existenz des Staates voraussetzt." Gellner, S. 16. Der entscheidende Punkt im Rahmen seiner Definition ist jedoch die "kulturelle" Definition: "Zwei Menschen gehören derselben Nation an, wenn sie - und nur wenn sie - dieselbe Kultur teilen." Gellner 16. Zum Verhältnis von "objektivem" und "subjektivem" Bestimmungsgrund allgemein vgl. unten S. 11, Anm. 32.
(8) Gellner, S. 53. Zur "unausweichlichen Vielfalt menschlicher Sprachen" vgl. auch Gellner, S. 50.
(9) Gellner , S.34-49.
(10) Gellner, S. 53. Im Unterschied zu Agrargesellschaften. Vgl. auch Gellner, S. 52: "Letzten Endes löst erst die moderne Gesellschaft dieses Rätsel, und zwar, indem sie jede[n] zum Schriftgelehrten macht; sie verwandelt diese potentielle universelle in eine faktisch universelle Klasse, indem sie sicherstellt, daß ausnahmslos jede(r) von ihr unterrichtet wird, so daß die Exo-Ausbildung zur universellen Norm wird [...]." Sowie: "Der Imperativ der Exo-Sozialisation ist der wichtigste Schlüssel zur Beantwortung der Frage, warum Staat und Kultur heute verbunden sein müssen [...]." Gellner, S. 62.
(11) Gellner, S. 8: "Nationalismus ist vor allem ein politisches Prinzip, das besagt, politische und nationale Einheiten sollen deckungsgleich sein." Von Gellner als "Theorie der politischen Legitimation" verstanden (Gellner 8); ähnlich Anderson im Abschnitt über die Auflösung des politischen Systems der Dynastien, S. 27-30. Zustimmend Hobsbawm, S. 20, vor allem im Blick auf das "Social engineering": "Nicht die Nationen sind es, die Staaten und Nationalismus hervorbringen, sondern umgekehrt." Hobsbawm , S. 21; vgl. gleichlautend Gellner, S. 87. - Anderson, S. 85-86, gemäß seiner These vom unbewußt "sich allmählich verdichtenden Vorstellungshorizont" (Anderson, S. 72), der sich dann erst - unter dem Einfluß des "Buchdrucks" - zu einem "Ding," "Begriff," "Modell" oder auch "Konstruktionsplan" intentional verfestigte. Anderson, S. 85-86.
(12) In einer gewissen Schieflage zur klassischen Ökonomie bzw. zur "Kritik am 'Merkantilsystem'" (Hobsbawm, S. 38-39): "Für den Historiker liegt es auf der Hand, daß die durch staatliche Grenzen definierten 'Volkswirtschaften' eine große Rolle gespielt haben. Die Weltwirtschaft des 19. Jahrhunderts war eher inter-national als kosmopolitisch." Hobsbawm, S. 37. - Gellner, S. 8.
(13) Gellner, S. 87.
(14) Anderson, S. 16, 86. Hobsbawm, S. 21-22. Konkret, S. 59-96.
(15) Gellner, S. 85.
(16) Vgl. Anderson, S. 115-41; Gellner, S. 53 u.ö.; Hobsbawm, S. 44-45. Systematisch aufgelistet bei Hobsbawm , S.50-51. Besonders nachdrücklich bei Hobsbawm in der Polemik gegen das Wilsonsche (bzw. Wilson-Leninsche) Prinzip, Hobsbawm, S. 53-54. Doch vgl. auch Gellner, S. 9-10.
(17) Gellner, S. 151 u.ö.
(18) Friedemann/Hölscher, S. 375.
(19) Wigard, S. 4234.
(20) Wigard, S. 4235.
(21) Vgl. Koselleck, "Semantik."
(22) Friedemann/Hölscher, S. 395, 369, 394.
(23) Seit Bentham, Friedemann/Hölscher, S. 367.
(24) Friedemann/Hölscher, S. 367-68.
(25)Friedemann/Hölscher, S. 384-85.
(26) Wigard, S. 4233.
(27) Terminologisch seit Meinecke, "Weltbürgertum." Vgl. Smith.
(28) Vgl. dazu bereits Deutsch.
(29) Vgl. dazu vor allem Gellner, S. 63-82.
(30) Vgl. Anderson, S. 55-71.
(31) Anderson betont generell die Bedeutung der literarischen Kommunikation für die Entstehung moderner nationaler Gemeinschaften (Anderson, S. 44-54), deren genuiner Ort geradezu der Roman und die Zeitung seien (Anderson, S. 32-43). Zur Homogenisierung allgemein vgl. Gellner, S. 69-78 u.ö., allerdings weniger in Blick auf die Lesekultur als in Blick auf das staatliche Ausbildungsmonopol. Zur Lesekultur vgl. Frank. Vgl. auch Barner, die Kapitel zum "literarischen Leben." - Bourdieu, Règles; Bourdieu, "Field"; Bourdieu, Unterschiede. Als dominierender Aspekt kommt die soziale, darin jedoch zugleich auch eine nationale Distinktion zur Geltung. So etwa, wenn die "Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft" ("Critique social du jugement") gegen die "Kritik der ästhetischen Urteilskraft" stark gemacht wird, das institutionalisierte Schulsystem wie bei Gellner eine entscheidende Rolle spielt und die Pointe in der relativen Autonomie des literarischen Feldes liegt. Zur Anwendung vgl. Jurt. - Anderson, S. 55-71, am Beispiel der amerikanischen Literaturen. Vgl. auch Joseph Jurt, Das Konzept des literarischen Feldes und die Internationalisierung der Literatur (Vortrag SFB-Symposium Göttingen Juli 1997), zum Verhältnis von Autonomie und Unabhängigkeit am Beispiel der Frankophonie. - Vgl. hier die vorzügliche Skizze zur Ablösung des Latein bei Anderson, S. 72-87.
(32) Zur Typenbildung im Anschluß an Hertz unter diesem Aspekt vgl. Estel/Mayer, S. 20-25. Die Differenzierung nach subjektiven und objektiven "Gründen" findet sich auch bei Hobsbawm, S. 17-19 und bei Gellner, S. 16-17; bei Gellner in der Form, daß "zwei Menschen" dann "derselben Nation" angehören, wenn sie "dieselbe Kultur teilen, wobei Kultur ihrerseits ein System von Gedanken und Zeichen und Assoziationen und Verhalten und Kommunikationsweisen bedeutet" ("kulturelle" Definition) und "wenn und nur wenn sie einander als Angehörige derselben Nation anerkennen" ("voluntaristische" Definition). "Mit anderen Worten: Der Mensch macht die Nation." Gellner, S. 16-17. Die Definition deckt sich mit unserer Überlegung.
(33) Renan, "Nation", S. 57.
(34) Anderson, S. 15.
(35) Zur Typisierung aus dieser Perspektive vgl. die Forschungen von Theodor Schieder zum "integrierenden Nationalstaat des westeuropäischen Typs," "unifizierten Nationalstaat" und "sezessionistischen Nationalstaat." Schieder, "Probleme", S. 110-11. Vgl. auch Schieder, "Typologie" bes S. 68-72.
(36) Siegrist, S. 63.
(37) Lützeler, S. 7.
(38) Wehrli, S. 89.
(39) Wehrli, S. 95. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt Manfred Gsteiger in der "Einführung" zu den "zeitgenössischen Literaturen der Schweiz" in Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart. Vgl. Gsteiger, "Einführung", S. 57-59.
(40) Zur Differenzierung nach den Bedingungen beim Befreiungsnationalismus und Einigungsnationalismus vgl. Gellner , S. 146-51.
(41) Grillparzer, "Epigramme" 500; Musil, "Anschluß."
(42) Zeman, "Vorwort" VII.
(43) Fichte, Reden, S. 276.
(44) Novalis, Christenheit, S. 507.
(45) Man vgl. etwa bei Gellner, "an der Basis der modernen sozialen Ordnung" stehe "nicht der Henker, sondern der Professor [...]. Das Erziehungsmonopol" sei "heute weitaus wichtiger und zentraler als das Monopol auf legitime Gewalt." Gellner, S. 56-75.
(46) Novalis, "Glauben", S. 487-88. Ein Beleg für den "transzendenten Code der Romantik" nach der Giesenschen Typisierung. Giesen, Intellektuellen 24. Im Sinn der "symbolischen Kompensation" Bollenbeck, S. 219. Speziell zum Luisenmythos vgl. Wülfing, "Luise." Vgl. auch Wülfing et al., Mythologie.
(47) Nietzsche, "Betrachtungen", S. 137; Weber, "Wahlrecht", S. 282; Fontane, "Schach", S. 372.
(48) Fontane, "Schach", S. 373.
(49) Habermas, S. 147-75. Vgl. auch von Thadden.
(50) Eine von Gellner sehr überzeugend vorgeschlagene typologische Unterscheidung (Gellner , S.133-62), die den viel diskutierten Streitpunkt der Aggressivität des Nationalismus als situative Variable oder anthropologische Konstante unmittelbar berühren dürfte. Vgl. dazu Anm. 59.
(51) Anderson spricht vom "Diebstahl" des Modells. Anderson, S. 72 u.ö. Anderson, S. 15: "In einem solchermaßen anthropologischen Sinn [auf einer Ebene mit "Verwandtschaft" oder "Religion,"] schlage ich folgende Definition von Nation vor: Sie ist eine vorgestellte politische Gemeinschaft - vorgestellt als begrenzt und souverän."
(52) Anderson, S. 15: "Der 'politischen' Macht des Nationalismus steht seine philosophische Armut oder gar Widersprüchlichkeit gegenüber. Mit anderen Worten: Anders als andere Ismen hat der Nationalismus nie große Denker hervorgebracht - keinen Hobbes, keinen Marx, keinen Weber."
(53) Vgl. Anderson, S. 72-87. Aus der Sicht der Querelle von 1687/97 Jauss.
(54) So auch Gellner, S. 67 u.ö.
(55) Herder, "Ideen" (1887, S.) 256-57; zitiert von Anderson, S. 72.
(56) Dagegen vgl. Hobsbawm , S.61-62.
(57) Anderson, S. 53; Herder, "Abhandlung", S. 90, 28, 93.
(58) Gellner , S. 9.
(59) Dann, S. 17, unterscheidet in diesem Sinn zwischen Nation und Nationalismus. Dagegen vgl. Schulze, S. 140. Vgl. auch Jeismann.
(60) Hobsbawm, S. 51; Gellner, S. 9-10.
(61) Gellner, S. 176; Hobsbawm, S. 193-221.
(62) Vgl. Herder, "Ideen" (1909).
(63) Weber, "Studien", S. 255.
(64) Herder, "Ideen" (1909), S. 207; Wright, S. 20.
(65) Herder, "Ideen" (1909), S. 208.
(66) Wright, S. 28, vgl. auch , S.63.
(67) Herder, "Ideen" (1909), S. 209.
(68) Wright, S. 63.
(69) Herder, "Ideen" (1909), S. 210.
(70) Herder, "Ideen" (1909), S. 212.
(71) Herder, "Ideen" (1909, S.) 210.
(72) Zum "ästhetischen Gehalt" solcher Gesetze vgl. Nisbet, S. 160. Vgl. auch Schmidt-Biggemann, S. 34, die "Ethisierung der Geschichte" bei Herder.
(73) Herder, "Ideen" (1909), S. 225-26.
(74) Vgl. Werner. Vgl. auch Ehlers, "Nation."
(75) Anderson, S. 53, 50.
(76) Zum breiten Spektrum der Ansätze vgl. Schings.
(77) Vgl. Anderson, S. 113: "Die bisherige Argumentation versuchte zu zeigen, daß sich von etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts an in Europa ein von Seton-Watson so genannter 'offizieller Nationalismus' entwickelte. Historisch gesehen war dieser Nationalismus erst nach der Entstehung eines sprachlichen Volksnationalismus möglich, da er die Antwort vor allem dynastischer und aristokratischer Machtgruppen darstellte, die ihren Ausschluß aus vorgestellten Volksgemeinschaften oder die Marginalisierung fürchteten."
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