Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 10. Nr. | August 2002 |
Der Kultur- und Wissenschaftsbetrieb verläuft in Schüben. Die Frankfurter Buchmesse, das Festival in Cannes oder das Wittgensteinsymposium in Kirchberg sind Beispiele für periodisch wiederkehrenden Überfluß im jeweiligen Metier. Die kaum absehbare Fülle des Gebotenen ist oft beklagt worden und dennoch scheint kein besseres Modell in Sicht. Man hat ein Arrangement gefunden, die Überforderung zum öffentlichen Gebrauch zu portionieren. Es operiert mit einer Auswahl unterschiedlicher Textgattungen: nach Terminen, Ländern oder Qualität geordnete Listen, (Sammel-)Besprechungen und "special features". Die betreffenden Ereignisse werden in mehrere Sichtweisen aufgelöst, welche dem Publikum Zugänge auf unterschiedlichem Niveau bieten. In der geschickten Mischung zwischen logistischer Aufbereitung und orientierender Bewertung liegt die Kunst der Berichterstattung. Sie hat sich parallel zum steigenden Volumen kultureller Großereignisse in Sonderbeilagen und Reportagen entwickelt. Zwischen der Unüberschaubarkeit des Veranstaltungskalenders und den Rastern öffentlicher Wahrnehmung herrscht in den erwähnten Fällen ein gewisses Äquilibrium.
Das Gleichgewicht wird zunehmend prekär. Medientechnische und soziale Entwicklungen setzen das konventionelle Informationsregime unter Druck. Tabellen auf Papier sind im Vergleich zu on-line Datenbanken unaktuell, unkorrigierbar und unbeweglich. Angesichts verdichteter Konkurrenz werden andererseits Qualitätsurteile in Rezensionen zusehends einflußreicher und ökonomisch relevant. Und schließlich unterliegt die Spezialberichterstattung verstärkt den Vorgaben der internationalen Konzerne, in deren Besitz sich die Zeitungen und Sendeanstalten befinden, aus denen die Konsumentinnen (m/w) ihre Information und zum Teil ihre Meinungen beziehen. Die ersten zwei genannten Einflüsse tendieren in unterschiedliche Richtungen. Bei der Erstellung von Datenbanken werden normative Gesichtspunkte, die in einfachen Tabellen oft eine Rolle spielen, neutralisiert. Die Rangordnung nach Geschwindigkeit, Gutpunkten oder Nationen, wie sie konventionelle Aufstellungen pflegen, ist einem digitalen Datenmodell äußerlich. Es erfaßt Vorkommnisse; qualifizierende Sichtweisen werden nach Bedarf zusätzlich an die Tabellen herangetragen. Im Bereich der Rezensionen und Kongreßberichte ist es umgekehrt. Hier wird immer häufiger eine unmißverständliche Stellungnahme verlangt und Unentschiedenheit schnell als Urteilsschwäche ausgelegt. Einflußreiche Kritikerinnen (m/w) kompensieren gleichsam die Versachlichung im Umgang mit jenen Informationen, die dem Urteil zu Grunde liegen.
Es war von Textsorten die Rede, doch dieser Ausdruck selbst ist revisionsbedürftig. Die Listen, welche aus einer Datenbank extrahiert werden, unterliegen anderen Regeln, als herkömmliche Verzeichnisse. Hier liegt der Grund für die Erschütterung des Äquilibriums zwischen taxativen und narrativen Darstellungsformen, der in diesem Beitrag nachgegangen wird. Das Resultat einer Suchabfrage nach aktuell gespielten Filmen ist keine bloße Variante des herkömmlichen Kinospiegels. Die friedliche Koexistenz zwischen Tabelle und Bericht, wie sie aus Tageszeitungen vertraut ist, gibt keinen Maßstab für die Zukunft. Zur Illustration greifen die folgenden Seiten auf Erfahrungen im universitären Kontext zurück. In solchen Organisationszusammenhängen werden Leistungen produziert, die sachgemäß in Listen darzustellen sind: Lehrveranstaltungen, Studentinnenservice, wissenschaftliche Arbeiten. Die Umstellung auf EDV greift in dabei eingespielte Abläufe ein. Auch Publikationsverzeichnisse sind im Licht von Datenbanken nicht mehr, was sie einmal waren. Speziell interessant ist ihre Mutation im Zusammenhang mit einer neuen Form von Narrativität.
Heutzutage benötigen universitäre Institutionen ein Leitbild, das ihren Sinn und Zweck im Kontext steigenden sozialen Rechtfertigungsdruckes demonstrativ formuliert. So etwas ist ein narrativ-normativ stark besetztes Unternehmen, das dazu dienen soll, den übergreifenden Zusammenhang gewöhnlich disparater Arbeitsfelder herzustellen. In der Gegenüberstellung der beiden jüngsten Informationsmodalitäten wird sich die Brisanz des gegenwärtigen Umbruchs zeigen. Gerade in ihrer Divergenz sind Ergebnisse von Abfragen aus Datenbanken und die Formulierungen von Leitbildern nämlich korrelativ verschränkt. Dieser Zusammenhang führt zu einer Umgestaltung des Informationsregimes. Nach dem angedeuteten Muster sind in den letzten Jahren zahlreiche Webseiten mit Datenbankzugriff entstanden. Ein öffentliches Interesse dient als Blickfang und wird mit Informationsdepot und Suchabfrage kombiniert. Derartige Präsentationen erschließen ihren Gegenstand mit einer Fülle neuer Möglichkeiten. Sie überdecken allerdings auch eine Reihe ehemaliger Gepflogenheiten. Zum Beispiel drängt der informationsgestützte Webauftritt Argumentationen zurück, die das Angebot an Wissen diskursiv aufschließen könnten. Zwischen dynamisch generierten Schaubildern und der Proklamation des Daseinszwecks der Trägerinstitution klafft eine Lücke. Die folgenden Hinweise versuchen, den Stand der Entwicklung zu vergegenwärtigen, ohne direkt Partei zu ergreifen.
Die überlieferte Methode, wissenschaftliche Tätigkeiten in Evidenz zu halten, ist die Publikationsliste. Sie war, wie eine Sammlung von Orden oder gewonnenen Pokalen, der Leistungsnachweis einzelner Personen. Also finden sich in einem Universitätsinstitut so viele Listen, wie Angestellte. Die Verzeichnisse sind nach unterschiedlichen Gesichtspunkten gegliedert und folgen (wenn überhaupt) mehreren bibliographischen Formaten. Zumeist handelt es sich mittlerweile bereits um elektronische Dokumente, ein weiterer Grund für Diversität. Hinter den Papierfassungen, die ohne Aufwand zu kopieren sind, liegen digitale Formate, die in verschiedenen Betriebssystemen, mit konkurrierenden Programmen, erstellt und bisweilen inkompatibel zueinander sind. Das resultierende Gemisch aus Unterlagen auf Papier, Disketten und Webseiten ist ein unbefriedigender Zustand, vor allem angesichts der Tatsache, daß die universitären Kontrollsysteme immer häufiger und nach mehrfach wechselnden Kriterien Auskunft über die Leistungen der Angestellten verlangen. All diese Momente sprechen für eine Datenbank. Der organisatorische und konzeptuelle Gewinn ihrer Einrichtung ist manifest. Sie erlaubt die zentrale Pflege der erforderlichen Informationsquellen und beseitigt damit Kompatibilitätsprobleme und Idiosynkrasien. Sie kann andererseits mittels entsprechender Server ausgewertet und im Netz bedient werden. Sowohl die Datenerstellung, als auch ihre Verbreitung werden dadurch auf eine neue Grundlage gestellt. Schließlich lassen sich einmal sachgerecht erhobene Daten auch rasch in verschiedenste Sichtweisen umrechnen; der Industriestandard SQL bietet ein hohes Maß an Flexibilität. Oft wird die Einrichtung von Datenbanken als bedenklicher Rationalisierungsschritt kritisiert. In den skizzierten Umständen ist sie ein ausgesprochen vernünftiges Unternehmen. Alles bisher verfügbare Wissen bleibt erhalten und wird in mehrfacher Hinsicht angereichert.
Man könnte also meinen, die Neuerung sei nicht problematischer, als die Anschaffung eines Kopiergerätes. Doch das ist ein aufschlußreicher Irrtum. Er verkennt einen zentralen Punkt, nämlich den eingangs thematisierten Überschuß digitaler Ressourcen gegenüber statischen Tabellen. Der Inhalt einer Datenbank ist Ergebnis einer Neu-Konstruktion herkömmlicher Informationen und seinerseits weiter transformierbar. Diese Dynamik unterscheidet ihn grundlegend von der Vervielfältigung auf Papier. Sie produziert einen Zeitablauf, der mit den Gepflogenheiten akademischer Lebensführung kollidiert. Alles, was über die bibliographischen Resümees hinaus zur Arbeit von Personen(gruppen) zu sagen war, fügte sich ehemals in bekannte narrative Muster. Die Rede von Problemstellungen, Entwicklungen, Entdeckungen, Anknüpfungen und Kritik, die zur Charakterisierung wissenschaftlicher Publikationen diente, bot ein dichtes Netz erzählerischer Möglichkeiten, d.h. des Entwurfes zweckgerichteter Handlungsverläufe im Fluß der Zeit. Der Duktus der Suchabfragen und die dynamisierte Aufbereitung digital gespeicherter Daten in Diagrammen oder Videoclips stehen in Konkurrenz zu den etablierten Formen der Mitteilung. Der Zweck einer Tabelle ist vergleichsweise einfach zu überblicken und in der Regel aus ihrem Gebrauch in diskursiven Texten abzuleiten. Auch das Design von Datenbanken und der Transformationsspielraum, der sich dadurch eröffnet, verfolgen einen Zweck. Doch dieser Zweck ist in Strukturen eingeschrieben und aus der maschinell induzierbaren Erzeugung von Information nicht einfach ersichtlich. Eine Bibliographie enthält keinen Grund für die Abfolge der Publikationen. Dafür gibt es Kommentare und Berichte. Wie verhält es sich mit Hyperlinks und Webseiten, die ihr Angebot automatisch auf gewisse Parameter der interaktiven Abfrage ausrichten?
Das Potenzial einer Publikationsdatenbank, um beim Beispiel zu bleiben, interferiert mit Vorgaben der konventionellen Verwaltung von Wissen in einer universitären Einrichtung. Die informationstechnische und statistische Auswertung entzieht sich der Kontrolle der Individuen. Aus ihren persönlichen Zusammenstellungen werden atomisierte Einträge mit ungewisser Bestimmung. Es klingt absurd, doch in internen Diskussionen ist für Publikationslisten sogar der Datenschutz in Anspruch genommen worden. Dahinter steckt das verständliche Motiv, daß die Auswertung der digital normierten und im Netz verfügbaren Leistungsnachweise neuen, möglicherweise problematischen, Regeln folgt. Ein offensichtlicher Streitpunkt ist etwa der neuerdings mögliche quantitative Direktvergleich der wissenschaftlichen Tätigkeit von Institutsangehörigen. Eine simple Manipulation zeigt, wie wenig oder viel die Kolleginnen (m/w) publizieren. Darum überrascht es nicht, daß die Festlegung, nach welchen Kategorien die Arbeitsfelder zu erfassen sind, heftige Kontroversen herausbeschwört. Auch hinter diesen Auseinandersetzungen stecken legitime Bedenken. Quantitative Standards sind im Hinblick auf wissenschaftliche Qualität nur beschränkt aussagekräftig. Im Kontext einer Tabellenkalkulation verlieren bibliographische Angaben die Bindung an ein Individuum, welche die klassischen Literaturlisten charakterisierte. Rangreihungen und Punktesysteme sind kein Ersatz für den kommunikativ aufwendigen Prozeß inhaltlicher Prüfung und kritischer Stellungnahme. Die Notwendigkeit qualitativer Verständigung steigt im selben Ausmaß, in dem die Fülle an verfügbarer Information zunimmt.
Nicht zufällig hat sich die Forderung nach sogenannten Leitbildern parallel zur Verbreitung von Datenbanken verstärkt. Derartige Entwürfe kompensieren genau das Defizit, das die Programme nicht abdecken können. Die Aufbereitung von "facts" über eine bestimmte Organisation verlangt nach einer Ergänzung durch erläuternde Bemerkungen und Zielvorgaben, aus denen hervorgeht, wozu diese Tatsachen gut sind. Die Redewendung zeigt es schon: dazu muß ein Wert-Zusammenhang angegeben werden. Informationsverarbeitung benötigt Narrationen, in denen dargelegt wird, unter welchem Blickwinkel diverse Details einen sinnvollen Zusammenhang ergeben. Solche Konstruktionen können sehr persönlich ausfallen, doch es ist bezeichnend, daß die erforderlichen Leitbilder sich an der Allgemeinheit der Datenverarbeitung orientieren, welche sie mit Bedeutung versehen sollen. Darin besteht die Komplizenschaft. Die Anstrengung, ein Profil der Institution zu zeichnen, kann in einer solchen Kombination stark reduziert werden. An einer Webseite interessiert nicht, mit welchen Worten der Vereinszweck dargelegt wird. Das Überzeugungsmoment bieten die hypertextuellen Verweisungen und interaktiven Informationsangebote. Auf die Entwicklung von Gedanken fällt wenig Gewicht.
Das "Leitbild der Universität Wien", um einen Fall zu nennen, beginnt mit Rudolf dem Stifter 1365. Es erinnert an "eindrucksvolle Leistungen in Wissenschaft, Forschung und Lehre", aber auch an "Krisen und Fehlentwicklungen." Ethische und strategische Prinzipien werden genannt und zuletzt auf eine sozialpolitische Perspektive bezogen.
Auf der Basis einer intensiven Interaktion und Kommunikation mit den gesellschaftlichen Kräften des Landes versteht sich die Universität als Forum einer öffentlichen Diskussion aller gesellschaftsrelevanten Bereiche und Probleme. (http://www.univie.ac.at/unileitbild.html) (*)
In analoger Weise bezieht sich das "Fakultätsleitbild" der Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften eingangs auf die Vorgeschichte der ehemaligen "Philosophischen Fakultät" und formuliert Ziele und Prinzipien.
In der Forschungs- und Lehrarbeit der Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften wird Wahrnehmungs-, Untersuchungs- und Lösungskompetenz im Umgang mit gesellschaftlichen Entwicklungen geschärft und dadurch ein wichtiger Beitrag zur Analyse und Klärung struktureller Veränderungen der Gesellschaft geleistet. (http://www.univie.ac.at/H.u.S./Ziele.htm) (*)
Wer sind die Adressatinnen (m/w) solcher Proklamationen? Nicht umsonst finden sich die Texte an prominenter Stelle im WWW. Die gesellschaftliche Aufmerksamkeit, auf welche die zitierten Zielbestimmungen antworten, hängt maßgeblich an der Telekommunikation. An die Stelle von Bildern feierlicher akademischer Ereignisse ("Magnifizenzen" und "Spektabilitäten") tritt der Hyperlink "Wir stellen uns vor" als legitimations-ähnliche Instanz. Ob solche Leitbilder mehr über Sinn und Zweck der Organisation sagen, als Klischees aus der Vergangenheit, sei dahingestellt. Der Punkt ist hier, daß sie nicht mehr wie Gesetzespräambeln oder Projektentwürfe funktionieren, denen die schriftliche Ausarbeitung der vorangestellten Richtlinien folgt. Diese Aufgabe übernimmt tendenziell die Handhabung digital aufbereiteter Daten.
Das Arrangement entlastet die Institutionen vom Anspruch, ihre Komplexität nachvollziehbar mitteilen zu müssen. Anders gesagt: es führt zu flachen, vorhersehbaren Narrativen, die wenig Spezifisches enthalten. Solange die Präsentation des Organisationszwecks auf legistische Dokumente und Informationsbroschüren beschränkt war, bildete sie Rahmen und Aufputz ohne diskursive Nachhaltigkeit. In on-line Leitbildern wird diese Starrheit zugleich aufgebrochen und auf einer neuen Ebene restituiert. Eine Universität im Blickpunkt öffentlichen Interesses muß sich genau überlegen, wie sie ihr Aufgabengebiet darstellt. An sich ist das eine einzigartige Herausforderung. Aber die Bedingungen der Präsentation stehen ihrer Gründlichkeit im Wege. Ein Faktor der Verflachung ist die Information aus Datenbanken. Der kommunikative Prozeß, den ein Webauftritt unter den Betroffenen auslösen könnte, wird durch den Auftritt eines "Webmasters" kurzgeschlossen.
HTML bietet, rein technisch gesehen, gute Mittel, die Diversität eines Sachgebietes anschaulich zu machen. Es erlaubt Untergliederungen übersichtlich zu arrangieren und ohne Präjudiz zugänglich zu machen. Das wurde vorhin ein strukturell determinierter Zweck genannt. Auf einem anderen Blatt steht das Verhältnis dieser Vorgabe zur narrativ-argumentativen Vermittlung sachlicher Zusammenhänge. Die dabei auftretende Schwierigkeit ist noch kaum in das Bewußtsein der Beteiligten gerückt. Traditionell bestand eine klare Trennung zwischen Absichtserklärungen und Arbeitsverläufen in einer Organisation; das eine auf "geduldigem" Papier, das andere in konkreten Aktionen. Gesteuert von der Medienöffentlichkeit und unterstützt von dynamisch generiertem "Inhalt" sind Absichtserklärungen inzwischen selbst zu wichtigen Produktionsfaktoren geworden. Das brtrifft nicht bloß den Konkurrenzkampf am freien Markt. Auch Forschungsvorhaben und Rechenschaftsberichte unterliegen dieser Verschiebung. Sie ist ein dramatischer Effekt des hier diskutierten Zusammenspiels zwischen Datenbanken und Erzählstrategien. Wichtige Bestandteile der Sinnvermittlung werden in Daten-Shows ausgelagert; so entsteht ein neues Feld mechanisch unterlegter narrativer Ordnung. Es hat Ähnlichkeit mit dem Film und anderen Massenmedien auf der Basis technischer Reproduzierbarkeit. Der Unterschied liegt darin, daß der Input der Narration aus trockenen Fakten besteht. Die Dia-Präsentation mit entsprechend animierter Graphik ist mehr als eine moderne Betriebsbesichtigung. Sie unterlegt dem übergeordneten Zweck (Leitbild) einen digital inszenierten Ablauf. Er ist ein verlockendes Substitut für praktische Wirkungen. Statt schöner Formulierungen übernehmen interaktiv steuerbare Programmsequenzen die Öffentlichkeitsarbeit.
Das geht im Einzelfall etwa so vor sich: Für die Homepage des Instituts für Philosophie sind einige allgemeine Sätze gesucht. Seit seiner Gründung war die Einrichtung ohne einen solchen Rahmen ausgekommen. In einer Hinsicht ist so etwas eine gute Gelegenheit. Die öffentliche Aufmerksamkeit, welche die Webseite auf sich zieht, hat kein Pendant in der Vergangenheit. Aber die soziale Infrastruktur der Institution unterliegt durch die doppelte Herausforderung einer durch Medieninteresse ausgelösten Eigenbestimmung einem harten Test. Als Beratungsresultat entstanden einige dünne Formeln.
Das Institut für Philosophie an der Universität Wien ist im internationalen Vergleich groß und kann auf vielfältige Kompetenzen seiner Mitglieder zurückgreifen. Wir sehen darin die Verpflichtung zu einem Lehrangebot, das die Breite der Disziplinen vermittelt und gleichwohl in einzelnen Bereichen hohen Standards fachlicher Spezialisierung genügt. (http://timaios.philo.at)
In Festschriften finden sich solche Floskeln als Einleitung. Auf einer Homepage wären sie schwer erträglich, würde die Arbeit nicht anderswo liegen: im elektronischen Verweisungssystem, das die Aufmerksamkeit von der programmatischen Stellungnahme abzieht. Profan gesagt im Weiterklicken. Die angerissene Spannung zwischen philosophischer Breite und Spezialisierung wird ins Surfen abgeleitet. Datenbank und Leitbild behindern einander nicht. Sie produzieren bei entsprechender Abstimmung glatte, publikumswirksame Effekte.
Digital verwaltete Listen und großflächig ausgreifende Geschichten ergänzen einander also gut. Aber das betraf nur die Oberfläche. Eine Firma oder ein Institut werden nach Leistungen gemessen, nicht nach Ankündigungen, seien sie noch so flott inszeniert. Hier beginnt das Problem erst richtig. Der herkömmliche Betrieb basiert auf Produktionsmitteln, die von ihrem öffentlichen Image unabhängig sind. Er wird am Erfolg ihres Einsatzes gemessen. Kursgewinne für Aktionäre oder steigende Absolventenzahlen sind Bestätigungen großer Erzählungen: der Weg zum Reichtum, die Verbesserung des Bildungsniveaus. Dagegen steht die jüngere Tendenz, aus dem Image des Betriebes selbst schon einen Verkaufsfaktor zu machen. Die Werbung ist bereits Teil des Produktes; zum faschierten Fleisch gehört die Marke McDonald's. In post-konventioneller Sicht ist der symbolisch-soziale Kontext der wirtschaftlichen Produktivität kein Ornament, sondern zentraler Bestandteil ökonomischer Abläufe. Das Kriterium ist nicht einfach, was unter dem Strich herauskommt. Dieses Ergebnis hängt wesentlich davon ab, wie sich die Firma präsentiert. Es handelt sich keineswegs um Oberfläche und es ist nicht geraten, sich auf "Substanz" zu berufen. Ein Ersatz für kategorische Urteile ist die Evaluation. In ihrem Verlauf wird explizit angegeben, nach welchen Maßstäben - und das heißt immer: nach welchen sozial wirksamen Teleologien - eine Menge von Detailbefunden zu bewerten ist.
Dieses Vorgehen verkoppelt Daten und Narration. In Evaluierungsprozessen werden Fakten auf einen seinerseits als relativ erkannten Rahmen bezogen. Um als Urteil zu wirken, muß sie im Rahmen normativ agieren; gleichzeitig ist im Auge zu behalten, daß diese Orientierungsfunktion ihrerseits disponibel ist. Evaluationen operieren mit vorläufigen Normen und Ausgriffen in die Zukunft. Und als Ersatz für die verlorengegangene Unbefangenheit bieten sich jene Prognosen und Projektionen an, welche die Informationsverarbeitung aus Datensätzen extrahiert. So wie im Webauftritt die hohlen Phrasen auf den Mechanismen der Telekommunikation aufsitzen, können die interimistischen Bewertungen einer Evaluation sich auf die automatische Bearbeitung quantifizierter Erhebungen stützen. Was an Unbedingtheit verlorengeht, wird durch rechnerische Korrektheit ersetzt. Wo die Erzählung ihre Überzeugungskraft verliert, springt die Macht des Formelschatzes ein. So funktioniert es nicht bloß im Vorfeld der Imagepflege in den neuen Medien. Die Evaluation von Unternehmen greift teilweise auf Strategien zurück, die diesen Medien entstammen. Eine Organisationseinheit, die einer Prüfung unterzogen wird, tut gut daran, sich so zu präsentieren, daß es zum Instrumentarium der Datenverarbeitung plus Leitbild paßt. Dann liegt die Legitimation, die in einem solchen Verfahren zu erreichen ist, zu einem erheblichen Teil an Medienkonformität.
Die Konflikte sind vorprogrammiert. Evaluationen entscheiden heutzutage über viel Geld. Gruppen, welche ihnen unterliegen, haben allen Grund, sich gegen das Schicksal zu wehren, das sie in Gestalt extern verordneter Datenmodelle und Zielvorgaben trifft. Der Handlungshorizont sozialer Interaktion wird durch solche Implantate oft verzerrt. Sicher: die Schwierigkeit begegnet in jedem Urteil über lebendige Entwicklungen. Doch durch zentral gesteuerte, von näheren Umständen abstrahierende, Datenerfassung gewinnt sie neue Schärfe. Die Anzahl der Publikationen, Prüfungen und Auslandskontakte, die Summe der eingeworbenen Drittmittel und das Preis/Leistungsverhältnis im Unterricht sind einigermaßen leicht manipulierbare Parameter. Ihre Bedeutung soll nicht bestritten werden, der Hinweis zielt auf eine Konstellation, in der sich die EDV-gestützte "Verbrüderung" von Faktensammlung und Sinnentwurf umkehrt. Die Komplizität, von der bisher die Rede war, bricht auseinander. Auf Dauer kann sich kein Unternehmen vom beschriebenen Duett bestimmen lassen. Quantitative Betrachtungsweisen und ihre Verwerfung in narrativ verfaßten Orientierungen prallen gegeneinander. Sofort drängen sich bekannte Klischees auf. Qualität versus Quantität, Reflexion versus Automatismus, Verantwortung versus Verwaltung. Dazu ist aus der hier entwickelten Perspektive anzumerken: die beiden Seiten sind enger verbunden und weiter voneinander entfernt, als es den Anschein hat. Um es in einer anderen Diktion zu formulieren: Wissen ist unweigerlich zugleich Herrschaftswissen und Subversion von Herrschaft. Sein nicht reglementierter Teil kann nur bestehen, wenn er nicht in der Defensive stecken bleibt, sondern jene Bedingungen umschreibt, denen er, aus anderem Blickwinkel betrachtet, auch unterliegt.
Daraus lassen sich eindringliche Appelle an kreative Produktivität gewinnen. Ein bescheidenerer Hinweis bemerkt, daß hybride Formen die klare Frontstellung im dramatischen Konkurrenzkampf zwischen Datenverarbeitung und Narrativität verschwimmen lassen. Eine Gelehrte, deren Oeuvre in eine Statistik übergeführt wird, war vielleicht stolz auf ihre Literaturliste und argumentierte mit der Zahl der Bücher, welche sie gelesen hatte. Was wäre reine Qualität ohne quantitative Auswirkungen? Keine Erzählung, sondern der erfüllte Augenblick, der nirgendwohin führt.