Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 14. Nr. April 2003

Globalismus, Globalisierung und Regionalismus im Bildungswesen

AUSPRÄGUNG VON EIGENARTEN - eine Gemeinsamkeit der Kulturen

Otto Kronsteiner (Salzburg)

 

Vieles war vor der Tematisierung des Globalismus schon global: die Benennung der Umwelt (siehe Genesis), die Begierde nach Dichtung und Musik, und anderes. Jede Kultur bildet Eigenarten. Uraltes, Altes, Alterndes und Neues existieren gleichzeitig nebeneinander: in der Mode, in der Gastronomie, in der Architektur, in der Sprache. Vielfalt ist allgegenwärtig. Sind diese Erkenntnisse dem Bildungswesen fremd?

Während Politik und Wirtschaft längst globalistisch agieren, ist der wichtigste kulturelle GrossMarkt, das Bildungswesen, der grösste StaatsBetrieb, für den gigantische Summen ausgegeben werden - es müssen alle 90 Millionen Deutsche 8 Jahre in die Schule gehen - von globalistischem Denken völlig unberührt. Der Globalismus der ElementarKultur ist noch nicht entdeckt. Durch NationalFilologien und NationalGeschichten wird diese Erkenntnis hartnäckig verweigert. Dass man auch in Italien, Portugal, Polen und Irland Latein lernt, ist offenbar unbekannt. Wie die PISAStudie unter anderem zeigt, sind die Staaten nicht wirklich miteinander in Kontakt, nicht wirklich über einander informiert: weder die Staaten untereinander, noch die staatlichen BildungsEinrichtungen: Kindergarten, Volksschule/Grundschule, mittlere Schulen (Gymnasien, Realgymnasien, Realschulen, Fachschulen etc.), Universitäten (Hochschulen, Fachhochschulen). Allein die Terminologie der Schularten hat etwas verwirrendes! Mobilität und Vernetzung gibt es nicht. Man zeigt BildungsSchein. Es gibt einen aufwendigen StipendienAktionismus und einen wenig ergiebigen, aber florierenden WissenschaftsTourismus. Die Universität Salzburg betreibt mit aufwendigem Reiseverkehr ein ChinaZentrum. Niemand spricht dort chinesisch, immerhin die Sprache eines beträchtlichen Anteils von Menschen unseres Globus. Was will man so auf englisch voneinander erfahren, was jeder Journalist nicht ohnehin schon weiss? Dass die Chinesen eine andere Schrift haben?

Das Bildungswesen wird von unterschiedlichen Prinzipien gestaltet. Es gibt den angelsächsischen Typ. Er hat seine Schwächen, ist aber von wohltuender Stabilität und überschaubar. Ihm steht in den deutschsprachigen Ländern kein Vergleichsmodell gegenüber, das innovationsträchtig die hie und da gemachten Erfahrungen positiv umsetzen könnte. Nichts als ziellose Änderungen (Reformen) und widersprüchliche UniversitätsOrganisationsGesetze. Absurde Klischees von den Lehrern als "faulen Säcken" (so der deutsche Bundeskanzler) oder den von Professoren "ausgebeuteten Assistenten" (so die Erfinderin der billigen Juniorprofessur, Bundesministerin Edelgard Bulmahn) zeugen von politischem Unverständnis. Man ergeht sich aber vor Wahlen in Versprechungen über höhere Mittel für ...

Wir wissen nichts über das Schulwesen der Nachbarn. Während im angelsächsischen Raum common sense als Leitmotiv der Ausbildung dominiert, und im romanischen, insbesondere im frankofonen, immerhin da und dort noch die raison und clarté des Denkens und der Sprache (und der Schulbücher!) ein Ideal ist, wird man in deutsch- und slawischsprachigen Regionen mit weltfremden Teorien überschüttet. Bevor ein deutscher Schüler einen Satz liest, wird er mit der "Teorie des Lesens" gequält. Zur Tat selbst bleibt dann kaum noch Zeit. An einer österreichischen Universität konnte ein Professor dreissig Jahre Teorie der slawischen Literaturwissenschaften lehren, ohne auch nur eine slawische Sprache zu beherrschen. Literatur wurde, wenn überhaupt, nur in deutschen Übersetzungen gelesen.

Nach 4 Jahren Grundausbildung, im zarten Alter von 10 Jahren, muss sich der deutsche Schüler für seinen künftigen Bildungsweg entscheiden. Da beginnt für ihn das UniversitätsPrinzip, die fachliche Desintegration: jedes Fach ein eigener Lehrer, der vom anderen nichts weiss. Die WissensIntegration ist dem völlig unvorbereiteten 10jährigen überlassen. Das ist intellektuelle Kinderschändung. Sollten doch Erwachsene einmal einen solchen KinderSchultag mitmachen! Man kann 10jährige nicht einem solchen System anvertrauen. Arme Kinder! Überall anderswo dauert die Grundausbildung länger - wird sie von einer Lehrperson fächerintegrierend gestaltet ...

Die Schulen sind der GrossMarkt, von dem Innovationen wie Globalismus auszugehen haben. Die Unis müssten den Ton angeben. Von mitteleuropäischen geht aber, weder national noch international, etwas anderes aus als scheinkulturwissenschaftlicher Aktionismus. Welcher UniProfessor interessiert sich schon für die Grundschule oder die mittleren Schulen? Das wäre ein Teil seines Marktes! Man schiebt ihn als lästige Minderwertigkeit beiseite. Trotz Erziehungswissenschaften leben wir in didaktischer Steinzeit.

Wer den LateinUnterricht, auf den man in Bayern so stolz ist, beobachtet, fühlt sich ins Mittelalter versetzt. Man lässt noch immer aus dem Deutschen ins Lateinische übersetzen, was nicht einmal Dolmetscher aus ihrer Muttersprache in die andere gern tun - und das 4 Jahre und länger. Latein ist eben ein Hauptfach. In der Grammatik büffelt man Ausnahmen der Deklination und Konjugation. Die Normen würden genügen. Dabei wäre Latein als gemeinsame KulturBasis für einen europäischen Schultyp von elementarer Bedeutung.

Der SprachenUnterricht ist generell zu teoretisch. Man unterrichtet Angst vor Fehlern, nicht kreatives Sprechen und Schreiben. Man wird auch nur nach Fehlern beurteilt! So lernt man 8 bis 10 Jahre Englisch - mit dürftigem Ergebnis. Dafür kennt man eine Menge idiomatic phrases und die Termini für unbekannte Sportgeräte! Nicht schulgeschädigte Gastarbeiter sprechen nach einigen Wochen besser deutsch als ausländische Sprachlektoren, als Spezialisten für Sprache und Literatur, die Jahre lang an deutschen Unis unterrichtet haben. Woran liegt das?

Statt globaler Integration in der Planung - schon Europäisierung wäre ein Fortschritt - gibt es in Deutschland kulturelle Länderhoheit. Bayern ist stolz, besser zu sein als Schleswig-Holstein. Diese Politik widerspricht nicht nur sinnvoller ChancenGleichheit. Sie ist schlicht unsinnig. Noch schlimmer in Österreich: Bisher war das Bildungswesen zentralistisch organisiert. Jetzt bestimmt jede Universität autonom für sich. Sie bekommt vom Ministerium Geld und darf es selbst aufteilen. Leider: Autonomie funktioniert nur bei Engeln.

Die Inkompetenz der Agierenden, von denen keiner betriebswirtschaftlich, als Manager, oder sonstwie einschlägig ausgebildet ist, in keinem Fall globalistisch denkend, führt zu absurden Resultaten. TopManager ist der Spezialist für das alte Testament, für italienische Literatur, für Mediävistik, für den 30-jährigen Krieg oder antike Numismatik. Nach stundenlangen Beratungen über Banalitäten wird von WohlBesoldeten beschlossen, was eine Sekretärin in 10 Minuten erledigen könnte. Wer Fakultätssitzungen erlebt hat, wünscht sich die Öffentlichkeit dorthin, damit sie erkenne ... Ob die Vorlesung eines Professors ins Programm passt, wird letztendlich von der Studienkommission, bestehend aus Studenten, der Sekretärin und einer Beamtin des wissenschaftlichen Dienstes entschieden. Die Folge: sinnlose Zeitvergeudung, impressionistische Entscheidungen. Das magische Argument bei der Geldverteilung ist die Hörerzahl. Statt globaler Integration, statt integrativer Kulturpolitik, statt realitätsnahem Regionalismus (Slowenisch ist nun einmal für Österreich wichtiger als Hetitisch): tiefster KulturProvinzialismus. Globalistisch agierende Professoren - sie sind eine rare Ausnahme - , scheitern an diesem System. Sie werden als Sonderlinge und Ruhestörer empfunden. Sie können sich nur durch Flucht in die Öffentlichkeit retten.

Wie vollzieht sich die Auslese? Habilitanden mit globalistischem Profil werden in der HabilKommission (dazu gehört ebenfalls wieder der genannte Personenkreis, nebst einer FrauenBeauftragten) mit dem Vorwurf fehlender Teorie und Methode "geschlachtet". Ist KulturWissenschaft so messbar? Man verwendet Gutachten (die nicht öffentlich zugänglich sind und nicht einmal für Kommissionsmitglieder kopiert werden dürfen!), als verfügte man über geheime Szientometer. Die Beurteilung ist ein System perspektivloser Willkür. Man kommt als braver Langweiler mit guten Beziehungen zum gewerkschaftlichen Mittelbau durch. Warum die Habilitation nicht abschaffen? In dieser Form ist sie ohnehin eine Farce. Sie ist lediglich ein Instrument des ScheinWissenschaftsImperiums. Man schützt sich vor aufmüpfigen SystemStörern. Man retiriert auf die hohe Etik der Wissenschaft, die man sprachlich leicht erkennen kann am gockelhaft aufgeblasenen Stil für allgemein bekannte Binsen-Wahrheiten: Die Sprache ist ein Kommunikationssystem!

Eine grosse demokratische Neuerung: das Gendertum. So interessant die Rolle der Frauen ist: Durch ihre Vermehrung an den Universitäten wird nichts besser. Das ist ein Scheinproblem. Tatsächlich könnten Frauen für das System eine Gefahr werden. Sie stehen im allgemeinen Veränderungen offener gegenüber. Daher haben sie auch in der Kirche nichts zu sagen.

Die Universitäten sind zu einer AutoTerapie unfähig. Sie agieren wie Klöster, wo nichts "nach aussen" dringen darf. Wer Misstände aufzeigt, verfällt der heiligen Inquisition. Die Inquisitoren verstecken sich "basisdemokratisch" in geheimen Abstimmungen hinter anonymen Mehrheiten.

Die Universitäten sind nur noch "von aussen", von der Öffentlichkeit, wo die normalen bürgerlichen Gesetze und Umgangsformen gelten, heilbar. Nirgendwo findet man so viele verschrobene, neidische, missgünstige Menschen ohne Kontakt zur Realität. Daher muss man die "draussen", die Öffentlichkeit, möglichst im Unklaren lassen. Manchmal gibt es einen Tag der offenen Tür, aber nur einen.

Dieser Unklarheit dient auch der universitäre Publikationsmarkt, eine Spezialität des Imperiums. Der offene wäre zu rauh. Nicht, weil seine Produkte so heilig und zart sind. Sie werden gar nicht gelesen. Unmengen von Publikationen, durch interne Gutachten/Rezensionen geheiligt, entstehen. Das meiste ist unverständlich, teoretisch, langweilig, kurz: dem common sense des offenen Marktes nicht gewachsen. Es dient lediglich dem PublikationsPunktesystem. Je mehr Publikationen (was immer), desto besser, am besten staatlich subventioniert, auf schwerem Papier, in grossem Format und dickem Einband, Goldprägung. Das kann man abwiegen und messen. Das ist Szientometrie! Je mehr Teoretisches, desto wissenschaftlicher. Auch das ist messbar: der Anteil an Teorie. Ob sich diese ausserhalb der Mauern bewährt, überprüft der interne Markt nicht, wiewohl der ausseruniversitäre, internationale die logischste Evaluierung wäre. Man scheut die Öffentlichkeit. Daher bleibt alles amtsverschwiegen. An globalistisches Agieren ist bei diesem Selbstschutz nicht zu denken. Jedes Kloster entscheidet für sich, und möglichst geheim. Der universitäre Markt als offener MeinungsGestalter entfällt. Die hochintensive FunktionärsSchicht denkt an ihren Bestand, nicht an Globalisierung. Die RektorenKonferenz hat Globalismus noch nicht einmal tematisiert. Man verwechselt ihn ständig mit Internationalismus. Die Lehre aus PISA wäre: das deutsche Bildungswesen ist zu teoretisch, zu weltfremd. Weil: Alles pragmatische und populäre ist unseriös und böse!

An den Unis werden die Lehrer für die mittleren Schulen ausgebildet. Wenn die Unis schlecht sind, sind es auch die mittleren Schulen. Wer Kinder im Gymnasium hat, kennt die Misere. Rücksichtslos doziert man den 10jährigen unverdaulichen BildungsMüll. Sollte man nicht ein regenerationsunfähiges Modell auslaufen lassen und neu beginnen?

In den Reformen der letzten Jahrzehnte sind keine ideologischen, globalistischen Verbesserungen zu erkennen, sondern nur funktionärsgestützte mit den lächerlichen Eifersüchteleien der Benennung. Was darf sich Universität, was muss sich Hochschule nennen, was Universitätsprofessor, was Hochschulprofessor? Man beachte die vielerlei Sorten und Titel österreichischer UniversitätsProfessoren! Ein wahres Kunstwerk an Kastenbildung. Im Verkehr mit dem Ausland ist eine eigene NostrifikationsBehörde notwendig geworden. Fachhochschulen, die einzigen, wo man Brauchbares lernt, werden als minder wertig terminologisch abgestraft und in ihrer Mobilität und Vernetzbarkeit behindert.

Was also müsste geschehen? Man müsste für europäische Äquivalenz sorgen. Was bedeutet Dozent in England, Frankreich, Bulgarien oder an einer Wiener Volkshochschule? Es müssen elementare, gemeinsame Strukturen der Ausbildung angestrebt werden: ein AusbildungsEuro sozusagen. Von Portugal bis Finnland muss es ein Bildungsmodell geben, ähnlich dem bewährten der angelsächsischen Länder. Wenn die katolische Kirche schon seit Jahrhunderten einen AusbildungsGlobalismus geschafft hat, warum nicht auch die demokratischen Staaten? Ziel ist die Errichtung eines EuropaModells vom Kindergarten bis zur Universität. Gemeint ist nicht eine Schule mit English only, sondern ein gleiches Ausbildungssystem. Dabei müssen alle positiven Erfahrungen genützt werden: Common sense und clarté als oberstes Gesetz, nicht realitätsfernes Teoretisieren. Eine längere gemeinsame Grundausbildung, vielleicht bis zum 14. Lebensjahr statt der Abspaltung in eine Hauptschule und die anderen Schultypen - die gleiche Art der Bewertung - der integrative Fachunterricht. Das erhöht die Vergleichbarkeit, Mobilität und Toleranz. Jetzt wird in Salzburg anders bewertet als im 10Minuten entfernten Bayern, in Bulgarien anders als in Frankreich. - In zweisprachigen Gebieten muss die Trennung aufgehoben werden. In Südtirol sind deutsche und italienische Klassen im gleichen Gebäude getrennt, sogar die WCs.

Erst wenn diese Strukturen gegeben sind, ist es möglich, den ideologischen Globalismus einzuführen.

Kindergarten, Grundschule, mittlere Schulen und Universitäten müssen sich aufeinander abstimmen - und nicht arrogant voneinander distanzieren. Die Trennung in Universität und Fachhochschule muss fallen. In Italien ist für Kindergärten UniversitätsAusbildung erforderlich. Keine schlechte Idee! In Deutschland für GrundschulLehrer. Nicht so in Österreich mit dem peinlichen sozialen Kastensystem: früher Lehrerseminare, dann als Aufwertung pädagogische Akademien, die allerdings mit der Universität nichts gemeinsam haben: aus AusbildungsApartheid.

Globalismus ist keine Mode, sondern eine friedvolle, integrative Grundeinstellung: Meine Position ist eine von vielen möglichen, nicht die einzig zulässige. Die conditio humana ist für alle Menschen des Globus die gleiche. Das verbindet uns.

NationalFilologie, NationalLiteratur, NationalGeschichte sind etatistische, Religionen fundamentalistische Beschränkungen. Die Globalisierung des Bildungswesens hat die Aufgabe, diese beschränkenden Weltsichten zu überwinden. Dies könnte eine Ausbildung sein, bei der die "Fachlehrer" integrativer ausgebildet sind. Der Germanist (vulgo DeutschLehrer) ist entweder sprach- oder literaturwissenschaftlich ausgebildet. Der sprachwissenschaftliche weiss nichts von Molière, Cervantes und Tolstoj, der literaturwissenschaftliche nichts von Nord/SüdStandards und Dialekten.

Die NationalSprache und Literatur ist nicht - wie allgemein unterrichtet - die beste, schönste und grösste, sondern eine von vielen Möglichkeiten. Das gleiche hat für die Religionen zu gelten. Alles andere führt zu Feindbildern und Kriegen. In der Germanistik leben, offenbar unbewusst, noch immer Relikte nazionalsozialistischer, in der Slawistik stalinistischer, in der Italianistik faschistischer Ideologien fort!

Geschichte darf nicht zu einem historischen Sammelsurium von Vorurteilen werden, auf der Basis, wer zuerst da war, wer zuerst die höhere Kultur hatte. In keinem Fach wird so viel Unsinn publiziert. Man vergleiche die Geschichtsbücher der südosteuropäischen Staaten mit ihren antiquierten Feindbildern. Der intellektuelle Globalismus ermöglicht es, die Herrschaft der Römer in Europa, die der Türken in Südosteuropa, die der Araber in Spanien als Teil der eigenen Kulturgeschichte zu sehen, und nicht als Ursache für die jahrhundertelange Fremdherrschaft und Behinderung der eigenen Nationalkultur. Dadurch würden heutige Minoritäten und Nachbarn ihr ausgrenzendes Fremdsein verlieren.

Es braucht nicht ewig diskutiert werden, ob "English only oder nicht", ob "Lateinschrift oder nicht" die Zukunft ist. Globalismus und Regionalismus sind keine Gegensätze, sondern ergänzen sich. Gegen ein globales Verständigungsmittel ist nichts einzuwenden. Es muss aber eine klare Einstellung zu Sprachen und Schriften überhaupt geben. Sollen die Kärntner Slowenen mit den Kärntner Deutschen englisch reden? Die Sprachtrennung im Bildungswesen der autonomen Provinz Bozen ist kein Vorbild. Auch das Gymnasium nur für Slowenen in Klagenfurt nicht. So entstehen Ghettos! Die Frage ist: Welche Sprachen soll man wo (in welchen Regionen Europas) lernen? Wie lernt man Sprachen überhaupt am schnellsten und effektivsten?

Auch andere Fragen des Sprachunterrichts, ob Latein für europäische Schulen abzuschaffen ist oder nicht, müssen geklärt werden. Nicht Latein gehört abgeschafft, sondern die Art des LateinUnterrichts. Die klassischen Filologen sollten schleunigst an einem Latin light bzw. Latin raisonné (ohne die vielen Ausnahmen) arbeiten, statt das Aussterben ihres Fachs zu bejammern.

Beim Sprach(en)Unterricht gehört eine integrative Terminologie eingeführt. Es erleichtert die Integration, wenn alle Europäer Verb sagen, statt in Deutschland Tunwort oder Zeitwort, in Polen czasownik, in Slowenien glagol. Das ist 19. Jahrhundert! Es ist unsinnig, im DeutschUnterricht eine andere Terminologie zu verwenden als in "Englisch". Die Terminologie ist ein wichtiges Element der sprachlichen und filosofischen Integration.

Nicht einmal der Terminus Geisteswissenschaft und/oder Kulturwissenschaft ist im deutschsprachigen Raum geklärt. Ist Kulturwissenschaft ein Teil der Geisteswissenschaft? Oder sind es zwei Wörter für einunddasselbe? Das Problem beginnt beim Übersetzen: ist französisch sciences humaines, englisch humanistics (darunter verstand man gewöhnlich den Latein und Griechisch-Unterricht), russisch gumanitarnye nauki, bulgarisch humanistika dasselbe? Auch Singular oder Plural sind nicht geklärt. Je unklarer desto Plural! Also Kulturwissenschaften? Gibt es denn keine Kulturwissenschaft?

Sprachliche Integration erleichtert die Mobilität und das bessere Verstehen. In der Geografie zum Beispiel muss auf die Wichtigkeit von Endonymen und Exonymen verwiesen werden. Laibach, Lubiana und Ljubljana sind je nach Sprache gleichberechtigt. Das fördert die kulturelle Annäherung, statt des Feindbildes: Ljubljana ist das "frühere" Laibach. Dann würden auch diese provinziellen Diskussionen um zweisprachige Ortstafeln aufhören.

Ein Kärntner LandesschulInspektor für mittlere Schulen hat einmal den klugen Vorschlag gemacht, es sollten sich die Lehrer aller MittelschulFächer zusammensetzen und statt immer nur an ihr Fach denkend ein Buch verfassen mit dem BildungsWissen eines Maturanten. Es wäre für alle "Fachlehrer" höchst erstrebenswert, einmal nachzudenken, wieviel Matematik, Latein, Deutsch - das sind sogenannte Hauptfächer - man fürs Leben braucht. Was ist dem Schüler zuzumuten? Das gleiche gilt natürlich auch für die Nebenfächer. Schon die Gruppierung in Haupt und Neben ist unsinnig. Warum soll Latein wichtiger sein als Geografie? Offensichtlich hat noch niemand diesen Versuch unternommen.

Der intellektuelle Globalismus ermöglicht es, statt verfremdendem Separatismus Integration in Begriffen und Wörtern, - in Terminologie, vielleicht eines Tages sogar in Ortografie, schon ab der Grundschule zu verbessern. Warum soll das Komma im Deutschen woanders stehen als im Französischen? Globalistisches Denken muss zu allererst das Bildungswesen erfassen. Nichts dergleichen ist auch nur ansatzweise erkennbar.

Machen wir das Bildungswesen endlich europäisch! Es genügt nicht, sich EuropaSchule zu nennen und nur englisch zu unterrichten. Das ist die falsche Richtung. Zur globalistischen Wertegemeinschaft gehört auch, dass ein türkischer Bub (in Deutschland passiert) sich nicht weigert, sich auf einen Sessel zu setzen, auf dem vorher ein Mädchen gesessen ist.

Es ist eine Gemeinsamkeit der Kulturen, Eigenarten auszuprägen. Der Globalismus wird uns einander näher bringen und die allen gemeinsame conditio humana bewusst machen. Dennoch: alles ist in Bewegung. Jede Kultur sucht Eigenarten, im Raum und in der Zeit. Die Mode, die Gastronomie, die Architektur, die Sprache. Jede Generation hat ihre Sprache. Die Kinder wollen anders reden als die Eltern und Grosseltern. Das haben längst auch schon die Griechen erkannt: Alles fliesst, niemand steigt zweimal in den gleichen Fluss!

Es bedarf einer klugen Abwägung, was globalisierenswert ist, und welche Eigenarten gewahrt bleiben müssen. Nicht jeder Unsinn, nicht jede separatistische Spinnerei ist eine kulturelle Eigenart. Wenn man den Laut [sch] in jeder europäischen Ortografie anders schreibt, wenn man in der Schreibschrift das [a] in einem Land mit Schleife, im anderen ohne schreibt, wenn man in einem Land für schlechte Leistung einen Sechser, im anderen einen Fünfer, einen Einser oder irgendwas in Prozenten kriegt, ist das keine kulturelle Eigenart.

Es gibt keinen Globalismus ohne Regionalismus. Globalismus ist nicht die Vereinheitlichung der Welt, sondern die mit Verstand durchzuführende Beseitigung unsinniger Verschiedenheiten. Dadurch wird unser Leben leichter und der Frieden sicherer. Regionalismus, das sind die vielen Sprachen, mit denen man sich die Welt erschliesst, die vielen Formen von Literatur, die vielen Arten von Religion und Gebräuchen. Das muss dem Bildungswesen zugrunde gelegt werden und dafür brauchen wir eine immerwährende Erneuerung, das ständige Aggiornamento, wie es Johannes XXIII. formuliert hat. Die Universitäten tragen nichts dazu bei.

Das Bildungswesen als Prägeanstalt künftiger Generationen muss eine gemeinsame Sicht entwickeln mit dem Ziel eines weltweit funktionierenden Bildungsmodells zur Erhöhung der Mobilität und Duldsamkeit unter Wahrung der Vielfalt des bestehenden Kultur- und SprachenReichtums.

Anmerkung: In griechischen Wörtern wird th als t und ph als f geschrieben, so wie in vielen europäischen Sprachen.

© Otto Kronsteiner (Salzburg)

TRANSINST       Inhalt / Table of Contents / Contenu: No.14


For quotation purposes - Zitierempfehlung:
Otto Kronsteiner (Salzburg): Globalismus, Globalisierung und Regionalismus im Bildungswesen. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 14/2002.
WWW: http://www.inst.at/trans/14Nr/kronsteiner14.htm.


TRANS     Webmeister: Peter R. Horn     last change: 7.4.2003     INST