Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 14. Nr. Februar 2003

Bericht über die Arbeit der Sektion "Wirtschaft und Kulturen"

Olga Rösch (Wildau/Deutschland)
[BIO]

 

Im Rahmen der Arbeit des Workshops ging es darum, den Fragen der Wechselwirkung zwischen Wirtschaft und Kultur speziell im Hinblick auf die EU-Osterweiterung nachzugehen. Auf Grund des Wirtschaftsgefälles zwischen West- und Osteuropa besteht eine gewisse Asymmetrie in den Beziehungen zwischen den ehemals sozialistischen und den westeuropäischen Ländern. Angesichts der Globalisierung der Weltwirtschaft, die unabwendbar einen kulturellen Wandel auch in die entferntesten Regionen Osteuropas mit sich bringt, kann von einer Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen in den gegenwärtigen wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungen ausgegangen werden.

Der Frage nach den Auswirkungen der Globalisierung auf die kulturelle Identität der Völker näherten wir uns zum einen aus der sozialgeschichtlichen und zum anderen aus der kulturwissenschaftlichen Perspektive. Schwerpunktmäßig ging es uns um Russland und die EU-Beitrittskandidaten Polen, Ungarn und ferner um Rumänien.

Aus dem Beitrag von Andrea Komlosy "Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Funktionsvoraussetzung des globalen Kapitalismus oder Ausdruck von Widerständigkeit?" wurde verdeutlicht, dass die Globalisierung der Wirtschaft die gleichzeitige Existenz der Peripherie und des Zentrums voraussetzt und die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen immer wieder neu schafft. Hierbei handelt es sich um die systemstabilisierende Funktion der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Die gegenläufige, destabilisierende Funktion der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen besteht in der Existenz von Unterschieden als Ausdrucksform von kultureller, regionaler und sozialer Eigenständigkeit gegenüber der alles unter die gleiche Rationalität zwingenden Markt- und Verwertungslogik des globalen Kapitalismus. Es ist ein permanenter sozialer und kultureller Widerstand in der Peripherie gegen ständige Vereinnahmungsversuche, als Baustein des globalen Kapitalismus missbraucht zu werden, zu beobachten.

Den Feststellungen aus der Sicht der Wirtschafts- und Sozialgeschichte löste eine sich lohnende Diskussion aus mit vielen Fragen, deren Beantwortung einer eingehenderen Untersuchung bedarf:

Die letztere Frage wurde in den drei nachfolgenden Beiträgen unter kulturwissenschaftlichem Aspekt behandeln.

Roswitha Loew ging in Ihrem Beitrag "Zum Umgang mit Zeit in Wirtschaftskontakten mit Osteuropa. Zur Auffassung deutscher Unternehmer" dem Problem der unterschiedlichen Arbeitsorganisation in der Kooperation zwischen deutschen und polnischen bzw. russischen Unternehmen nach. Thematisiert wurde vor allem das differierende Zeitgefühl und das daraus resultierende Zeitmanagement in der deutschen Kultur einerseits und in den polnischen und russischen Kulturen andererseits. Während in der deutschen Geschäftswelt die Pünktlichkeit einen sehr großen Stellenwert besitzt und als Tugend gilt, wird ihr in den beiden slawischen Kulturen keine so hohe Priorität eingeräumt. Es kommt zu kulturellen Missverständnissen und Reibungen in der Zusammenarbeit. Die Einteilung der Kulturen nach Edward Hall nach zwei unterschiedlichen Zeitkonzeptionen, monochrone (hier: deutsche) und polychrone (hier: polnische und russische) mit entsprechenden Auswirkungen auf das jeweilige Zeitverhalten und Prioritätensetzung ist als ein Beschreibungsmodell durchaus brauchbar. Zeit und Zeitverhalten erscheinen als ein starker Indikator zur Aufdeckung von kulturellen Differenzen. Die Auswertung der Erfahrungen von deutschen Unternehmen mit osteuropäischen Geschäftspartnern machte den Bedarf an Vermittlung von handlungsleitendem Kulturwissen als einer konfliktpräventiven Maßnahme deutlich.

Im Beitrag von Anke Pfeifer "Ostdeutsche Unternehmen als Mittler zwischen westlichem Management und osteuropäischen Mentalitäten? Zum kulturellen Aspekt eines Eigenbildes" handelte es sich um eine interpretative Auswertung der empirisch gewonnenen Daten über Erfahrungen aus der Kooperation mit polnischen, russischen, rumänischen u.a. Geschäftspartnern. Es geht hier um eine Beschreibung und Interpretation des Eigenbildes ostdeutscher Manager. Die interviewten Unternehmer positionierten sich einerseits im Vergleich zu deren (Fremd)Bild von osteuropäischen Geschäftspartnern und andererseits zu deren (Fremd)Bild von westdeutschen Managern. Das Eigenbild der ostdeutschen Unternehmer (Altersgruppe der 40- bis 60-jährigen) ist einerseits generell geprägt von der deutschen Kultur, in der Werte wie Fleiß, Pünktlichkeit, Ordnung, Zuverlässigkeit u.a. traditionell zum Eigenbild gehören, und andererseits von der Sozialisation in der DDR (mit intensiven Kontakten nach Osteuropa), in der Verhaltensnormen wie Gruppen- bzw. Beziehungsorientierung, Geduld, Bescheidenheit, Gemeinschaftsgefühl usw. gefördert wurden. Im ermittelten (zweifellos idealen) Eigenbild präsentieren sich die wesentlichen Eigenschaften von ostdeutschen Unternehmen als Orientierung auf Leistung, Qualität und Beziehung/Empathie. Zur letzteren gehören nach Eigenauskunft z.B. Kenntnis von Land und Leuten, Beachtung von Differenzen, persönliche Kontaktpflege, Sensibilität u.a.. Da es sich bei den Befragten nach deren Aussagen um erfolgreiche Unternehmer handelt, belegen sie mit ihrem Eigenbild offenbar vorhandene interkulturelle Kompetenz, die ihnen in den Geschäften mit Osteuropäern zum Erfolg verholfen hat.

Der Beitrag von Olga Rösch "Gemeinsame Ziele - unterschiedliche Wege. Über die Besonderheiten der Kooperation mit Russen" widmete sich den Unterschieden in den kommunikativen Konventionen, in der Organisation von Arbeitsprozessen, in dem unternehmerischen Handeln und in der Zeitwahrnehmung. Die stereotypen Selbst- und Fremdbilder auf beiden Seiten, die aus dem Vergleich beider Kulturgemeinschaften konstruiert werden, sowie kulturelle Distanz und ein Stück Misstrauen begleiten die deutsch-russischen Wirtschaftskontakte. Die deutsche Seite ist redlich bemüht, den russischen Partnern zwecks Optimierung der Zusammenarbeit die gewohnte (=deutsche) Arbeitsorganisation (Termineinhaltung, strengere Strukturierung von Abläufen usw.) beizubringen. Dies wirkt auf die Russen als belehrend und überheblich. Die russischen Geschäftsleute versuchen zwecks besseren Verständigung persönliche Beziehungen (gemeinsames Feiern, Geschenke, Einbeziehen in die Familie usw.) aufzubauen. So viel Nähe löst bei Deutschen eher Unbehagen aus und wird oft missverstanden. Auch in Bezug auf das Sicherheitsbedürfnis bzw. auf die Strategien zur Unsicherheitsvermeidung differieren die beiden Kulturen stark. Das Übertragen der deutschen Managementtechniken auf den russischen Boden erweist sich nicht als effizient. Auch wird auf beiden Seiten zu wenig über die eigenen und fremden kulturellen Besonderheiten reflektiert. Vielmehr erfolgen (oft verletzende) Zuschreibungen von Eigenschaften, was sich störend auf die Zusammenarbeit auswirkt. Allerdings ist zu beobachten, dass im russischen Wirtschaftsleben allmählich eine gewisse Angleichung an die westlichen Geschäftspraktiken erfolgt.

In der abschließenden Diskussion über die Probleme der Vermittlung von interkultureller Kompetenz wurde bemängelt, dass die Wirtschaftsvertreter den Faktor Kultur in den internationalen Kooperationen unterschätzen. Andererseits zeigen die Kulturwissenschaftler zu wenig Interesse für Wirtschaftsleben. Ein stärkerer Austausch zwischen Wirtschaftlern und Geisteswissenschaftlern wäre für das Verständnis der gesellschaftlichen Entwicklungen, die mit der Globalisierung im Zusammenhang stehen, von großem Vorteil.

© Olga Rösch (Wildau/Deutschland)

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For quotation purposes - Zitierempfehlung:
Olga Rösch (Wildau/Deutschland): Bericht über die Arbeit der Sektion "Wirtschaft und Kulturen". In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 14/2002.
WWW: http://www.inst.at/trans/14Nr/roesch14.htm.

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