Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 14. Nr. April 2003

Kognitive Modellierung der Übersetzung

Alexander N. Zlobin (Russland)

 

Die Modellierung wird nach der Entstehung der Wissenschaft zur Übersetzung wie eine Methode der vermittelten Forschung zur Übersetzung verwendet, die wir als eine selbstständige wissenschaftliche Disziplin betrachten und ihre Probleme unabhängig von der konkreten Anzahl der Sprachen untersuchen. Es ist bekannt, dass eine Menge der auf einen bestimmten Satz des empirischen Materials konstruierter Modelle der Übersetzung (MÜ) vorhanden ist, die die eine oder die andere Seite des zu studierenden Objektes zeigen, aber es nicht insgesamt widerspiegeln. Die obenerwähnten MÜ kann man als Modelle-Hypothesen bezeichnen. Ihr Wesen besteht darin, dass sie eine ungefähre - gewöhnlich verbale - Beschreibung solcher komplizierten sprachwissenschaftlichen Erscheinung wie die Übersetzung enthalten. Im Vordergrund steht hier der deskriptive Aspekt, und der Preskriptive spielt dabei eine untergeordnete Rolle . Die Triftigkeit und die Widerspruchsfreiheit solcher Modelle wurde und wird immer wieder von der vieljährigen Praxis der Übersetzung bewiesen. Die Modelle-Hypothesen lassen nicht den heuristischen Charakter der Übersetzung entdecken und erweisen sich dadurch ungenügend wirksam.

Die Modellierung in der Übersetzungswissenschaft wurde bisher kein Mittel für neue Erkenntnisse, obwohl dafür eigentlich ein Modell vorbestimmt ist. Ein adäquat konstruiertes Modell könnte bisher unbekannte Perspektiven in der Erforschung des Objekts öffnen, neue Eigenschaften und Charakteristiken angeben. Es soll einen prognostischen Charakter haben und nach Möglichkeit die Schwierigkeiten der Übersetzung voraussehen und abnehmen. Darin besteht nämlich sein kognitiver und praktischer Charakter.

Man muss aber betonen, dass die gegenwärtige Wissenschaft solche Modelle braucht, deren Brauchbarkeit und Effektivität sich ziemlich schnell erklären lassen könnten. Solche Modelle, bei der unerlässlichen Bedingung ihrer Anwendung in der Ausbildung, sollen als wiedergebend-ausbildende Modelle dienen, die die Konstruktion und das Funktionieren der realen sprachwissenschaftlichen Objekte nachbilden und diese in wissenschaftlichen, informativen und didaktischen Zwecken wiederzugeben ermöglichen. Das wiedergebend-ausbildende Modell macht auch Gebrauch von der Hypothese. Doch sein prinzipieller Unterschied besteht darin, dass es die Möglichkeit der Wiedergabe haben soll.

Für eine kognitive Modellierung des Übersetzungsprozesses ist es notwendig, von der Einstellung zu ihm, die auf den zwischensprachlichen Transformationen basiert, wegzugehen und stattdessen davon auszugehen, dass die Übersetzung vor allen Dingen eine vielseitige und multidimensionelle Art der menschlichen Handlung ist, die die Probleme der Philosophie, Psychologie, Physiologie und anderer Wissenschaften in sich akkumuliert - von der Sprachwissenschaft ganz zu schweigen. Die Handlung eines Menschen ist sowohl die Aktion als auch die Operation, sowohl die Auffassung als auch das Verständnis, sowohl die standardisierten Situationen als auch das willensstarke Verhalten, das Funktionieren der geistigen Mechanismen und die nationalspezifische Variante der Bekundungsrealisation des einheitlichen universellen semantischen Systems und der Gesetzmässigkeit der Übergabe der Information etc.

Nach Meinung von E.S. Kubrjakova muss die Sprache als eine bemerkenswerte kognitive Fähigkeit des Menschen betrachtet werden, die mit der Existenz der eigenartigen mentalen Modelle und mentalen Repräsentationen in seinem Kopf verbunden sind, die die Sprachkenntnisse widerspiegeln und die notwendigerweise in der Handlung eines Menschen verwendet werden. Die Verbindung der Sprache mit dem Denken kommt auf solche Weise zum Ausdruck, dass es die Kenntnis, die die zentrale Kategorie in der kognitiven Einstellung ist, mittels der idealen Denkstrukturen organisiert, die wir als die Grundlagen der kognitiven Wissenschaft verwendend und als kognitive Modelle (KM) bezeichnen können.

Die Idee des kognitiven Modells der Übersetzung (KMÜ) scheint uns genügend produktiv zu sein, da die Suche nach den objektiven Grundlagen der Bereitstellung des gleichartigen Modells neue Perspektiven der kognitiven Forschungen zu den Übersetzungen eröffnen wird. Als Grundlage für die Bereitstellung des KMÜ - wie auch bei jedem sonstigen Denkmodell - kann das Zusammenwirken der Persönlichkeit mit der äusseren Welt fungieren. Wie bekannt, verbindet sich solches Zusammenwirken vor allen Dingen mit der Kategorie der Handlung, die im weiten Sinne des Wortes als die gegenständlich-praktische, kognitive und kommunikative verstanden wird. Gerade die Handlung - in unserem Fall die Übersetzung - umfasst eine Reihe von Denkoperationen und ist die Quelle des KMÜ.

Bei der Konstruktion des KMÜ ist nicht zu vergessen, dass eine Schwierigkeit der Modellierung auch die Abwesenheit der speziellen Metasprache der Beschreibung ist. Deshalb wird bei der Modellierung die natürliche Sprache benutzt, die als Metasprache der Beschreibung funktioniert.

Das Ergebnis ist die Mischung des Objekts und des Gegenstandes, der Metasprache der Beschreibung und des Objekts der Beschreibung.

Durch die Frameorganisation ist es nach unserer Auffassung möglich, dies zu überwinden. Sie wird als Metasprache und Metastruktur für die Modellierung des Übersetzungsprozesses angeboten. Die Anwendung des Frames mit der Erfassung ihrer zweifachen Natur - einerseits als ein Mittel der Organisation und der Erkenntnis, als ein begriffliches Schema für die Detaillierung des Übersetzungsprozesses, andererseits als eine Struktur (ein Modell) für die Entdeckung der Realisation (der Wiedergabe) dieses Schemas direkt in der Übersetzung - wird maximal zur Explikation der inhaltlichen Seite der translatorischen Handlung beitragen.

Das primäre KMÜ kann mit Hilfe der kognitiven Frames so vorgestellt werden: z.B. Zweck der translatorischen Handlung - die Übertragung eines Ausgangstextes, Mittler - der Übersetzer, Prozess - das Verständnis und die Wiedergabe des Inhalts eines Ausgangstextes, Ergebnis - der Zieltext. Dabei bekommen wir einen Frame der Erkennung (d.h. die minimale Beschreibung (das Konzept), die die notwendige Zahl der relevanten Merkmale der translatorischen Handlung enthält, die sie zu identifizieren und aus anderen Arten der Handlung auszugliedern hilft, der das Wesen der repräsentierten Erscheinung (u.zw. der Übersetzung) zum Vorschein bringt.

Da das sekundäre KMÜ die Angaben über die Gesamtheit der zielgerichteten Denkprozeduren, die für die Lösung der konkreten Aufgaben notwendig sind, widerspiegeln soll, kann man für seine Repräsentation den Frame für komplexe Handlungsabläufe (Script/Szenarium) verwenden, der als Konzept der schematisch typisierten und der zielgerichteten Prozedur der Übersetzung betrachtet wird. Das Szenarium besteht aus der kausal verbundenen Kette der Handlungen und ist fähig, sich in eine Menge der möglichen Wege zu gabeln, die sich in den besonders dafür markanten Punkten - in den elementaren Handlungen - kreuzen.

 

Zusammenfassung

Das obengesagte lässt uns vermuten, dass der Übersetzungsprozess in der Wahl aus dem Gedächtnis und in der Anpassung an die jeweilige Situation der entsprechenden Frames besteht. Es steht uns allerdings noch bevor, das Funktionieren des Mechanismus von diesem Akt zu beschreiben und zu formalisieren.

© Alexander N. Zlobin (Russland)

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For quotation purposes - Zitierempfehlung:
Alexander N. Zlobin (Russland): Kognitive Modellierung der Übersetzung. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 14/2002.
WWW: http://www.inst.at/trans/14Nr/zlobin14.htm.


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