Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. November 2003
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Kollaterale Sprache

Noam Chomsky (Massachusetts Institute of Technology)
[BIO]

 

Sprache ist das Mittel, mit dem wir aufeinander einwirken und miteinander kommunizieren. Daher ist es natürlich, daß die Kommunikationsmittel und, das ist das Wichtigere, die begriffliche Grundlage, auf der sie beruhen, benutzt werden, um unsere Einstellungen und Meinungen zu beeinflussen und um Konformität und Unterordnung zu erzeugen. Es überrascht uns nicht, daß das in den eher demokratischen Gesellschaften erfunden wurde.

Das erste koordinierte Propagandaministerium, es hieß Informationsministerium, wurde im Ersten Weltkrieg in England gegründet. Es war seine Aufgabe, so hieß es, den Geist der Welt zu kontrollieren. Es ging vor allen Dingen um den Geist von Amerika, genauer, den Geist der amerikanischen Intellektuellen. Sie dachten, wenn sie die amerikanischen Intellektuellen von dem Edelmut der englischen Kriegsleistungen überzeugen könnten, dann würden die amerikanischen Intellektuellen die im wesentlichen pazifistische Bevölkerung der Vereinigten Staaten, die mit europäischen Kriegen nichts im Sinne hatten, zu einem Anfall fanatischer Hysterie treiben können, in dem sie am Krieg teilnehmen würden. England brauchte die Unterstützung der US, und deswegen richtete sich das Informationsministerium im wesentlichen auf die amerikanische Meinung und deren Meinungsbilder. Die Regierung von Wilson reagierte, indem sie ihrerseits die erste staatliche Propaganda-Agentur in Amerika gründete, das Komitee für Öffentliche Information.

Das war unglaublich erfolgreich, hauptsächlich bei den liberalen amerikanischen Intellektuellen, Leute aus dem John-Dewey-Kreis, die äußerst stolz darauf waren, daß sie, ihrer eigenen Meinung nach, zum ersten Mal in der Geschichte, einen Kriegsfanatismus erzeugt hatten, und zwar nicht durch militärische Führer und Politiker, sondern durch die verantwortlicheren und ernstzunehmenderen Mitglieder der Gesellschaft, nämlich die denkenden Intellektuellen.

Und sie organisierten innerhalb weniger Monate eine Propagandakampagne, mit deren Hilfe es gelang, eine vergleichsweise pazifistische Bevölkerung in rasende anti-deutsche Fanatiker zu verwandeln, die alles, was irgendwie deutsch war, zerstören wollten. Schließlich ging es so weit, daß das Bostoner Symphonieorchester nicht einmal mehr Bach spielen konnte. Das Land wurde in einen hysterischen Zustand versetzt.

Unter den Mitgliedern der Wilsonschen Propaganda-Agentur waren Leute wie Edward Bernays, der später der Guru der Public-relations-Industrie wurde, und Walter Lippmann, der führende öffentlich wirksame Intellektuelle des 20. Jahrhunderts, die am meisten respektierte Medienpersönlichkeit des 20. Jahrhunderts. Sie beriefen sich sehr offen auf diese Erfahrung. Wenn man sich ihre Veröffentlichungen in den Zwanziger Jahren ansieht, dann sagen sie da, wir haben daraus gelernt, daß man die Öffentlichkeit kontrollieren kann, daß man Einstellungen und Meinungen kontrollieren kann. Lippmann sagt da: "Wir können mit Hilfe der Propaganda einen Konsensus produzieren". Bernay sagte: "die intelligenteren Mitglieder der Gesellschaft können die Bevölkerung in irgendeine Richtung treiben" und zwar durch - wie er es nannte - "Konstruktion eines Konsensus". Das ist das "Wesen der Demokratie", sagte er.

Das war der Anfang des Aufstiegs der Public-relations-Industrie. Es ist interessant, sich das Denken in den Zwanziger Jahren anzusehen, als das anfing. Das war die Zeit des Taylorism in der Industrie, als die Arbeiter zu Robotern abgerichtet wurden, jede Bewegung war kontrolliert. Das schuf eine höchst effiziente Industrie, in der Menschen zu Automaten gemacht wurden. Die Bolschewiken waren davon auch sehr beeindruckt. Sie versuchten das zu kopieren. In der Tat, überall in der Welt wurde das versucht. Aber die Experten in der Gedankenkontrolle verstanden sehr wohl, daß die Kontrolle während der Arbeit nicht ausreichte, daß man auch außerhalb der Arbeit Kontrolle brauchte. Ihre Phrase dafür ist "off-job-control". Man muß sie außerhalb des Arbeitsplatzes kontrollieren, indem man ihnen eine Philosophie der Sinnlosigkeit einflößt, indem man die Leute dazu bringt, sich auf die oberflächlichen Dinge im Leben zu konzentrieren, wie z.B. modischen Konsum, und im Wesentlichen "sie einfach aus dem Weg schaffen". Laß diejenigen, die den Laden schmeißen, das ohne Einmischung seitens der Mehrheit der Bevölkerung tun, die in der Öffentlichkeit nichts zu suchen haben. Aus dieser Haltung heraus entstehen ungeheure Industrien, von der Werbung zu den Universitäten, und alle setzen sich bewußt dafür ein, daß man die Einstellungen und die Meinungen kontrollieren muß, denn die Leute sind einfach zu gefährlich.

Was besonders auffällt, ist, das sich das in den eher demokratischen Gesellschaften entwickelt hat. Man hat das in Deutschland und im bolschewistischen Rußland und in Südafrika und anderswo zu kopieren versucht. Aber das Modell war immer ausdrücklich ein vorwiegend amerikanisches. Dafür gibt es einen guten Grund. Wenn man die Leute mit Gewalt kontrollieren kann, dann ist es nicht so wichtig zu kontrollieren, was sie denken und fühlen. Aber wenn man die Fähigkeit verliert, die Menschen durch Gewalt zu kontrollieren, dann wird es notwendiger, ihre Einstellungen und ihre Meinungen zu kontrollieren.

Das bringt uns zur Gegenwart. Heutzutage ist die breite Öffentlichkeit nicht länger gewillt, staatliche Propaganda-Agenturen zu akzeptieren, und aus diesem Grunde wurde Reagans Büro für Öffentliche Diplomatie für ungesetzlich erklärt und Reagan mußte sich andere Wege ausdenken. An ihre Stelle traten private Tyranneien, im Grunde Systeme von Privatunternehmen, die die Rolle übernommen haben, Meinungen und Einstellungen zu kontrollieren. Sie nehmen zwar keine Befehle von der Regierung entgegen, sind ihr aber eng verbunden. Das ist unser System heute. Außerordentlich befangen. Man braucht nicht lange zu spekulieren, was sie tun, denn sie sind freundlich genug und sagen es uns in ihren Hausveröffentlichungen und in der akademischen Literatur.

Gehen wir einmal, sagen wir, in die Dreißiger Jahre, [und sehen wir uns] vielleicht den Begründer eines Großteils der modernen Politikwissenschaft [an]. Ein liberaler Wilsonianer, Harold Lasswell, schrieb 1933 einen Artikel mit dem Titel "Propaganda" in der Encyclopedia of Social Sciences, eine wichtige Publikation, in der die Botschaft verkündet wurde: "Wir sollten nicht [das sind alles übrigens Zitate] auf die demokratischen Dogmatismen hereinfallen, daß die Menschen die besten Beurteiler ihrer eigenen Interessen sind." Sie sind das nicht, wir sind das. Und da die Leute zu dumm und ignorant sind, um ihre eigenen besten Interessen zu verstehen, müssen wir sie, zu ihrem eigenen Vorteil - da wir große Menschenfreunde sind - marginalisieren und kontrollieren. Das beste Mittel dafür ist Propaganda. Mit Propaganda ist nichts verkehrt, sagte er. Sie ist so neutral wie ein Pumpenschwengel. Man kann sie für etwas Gutes oder etwas Böses benutzen. Und da wir edle wundervolle Menschen sind, werden wir sie zum Guten benutzen, um zu versichern, daß die dummen, ignoranten Massen marginalisiert bleiben und nicht in die Nähe irgendwelcher Entscheidungsbefugnisse kommen.

Die Leninistische Doktrin ist ungefähr dieselbe. Es gibt da ganz auffällige Ähnlichkeiten. Die Nazis haben sich das auch angeeignet. Wenn Sie Mein Kampf lesen, werden sie merken, Hitler war sehr beeindruckt von der Anglo-Amerikanischen Propaganda. Er argumentierte, nicht ohne guten Grund, daß das den Ersten Weltkrieg gewonnen hat und er schwor, daß die Deutschen beim nächsten Mal darauf vorbereitet sein werden, und er entwickelte seine eigenen Propagandasysteme nach dem Modell der Demokratien. Die Russen versuchten das auch, aber ihre Propaganda war zu primitiv, um effektiv zu sein. Südafrika benutzte sie; und andere, bis heute. Aber führend in diesem Metier sind die Vereinigten Staaten, denn sie sind die freieste und demokratischste Gesellschaft und es ist darum viel wichtiger, Einstellungen und Meinungen zu kontrollieren.

Sie können das in der New York Times nachlesen. Die hatten einen interessanten Artikel über Karl Rove, den Manager des Präsidenten - im Grunde sein Aufpasser, also der, der ihm beibringt, was er sagen und tun soll. Dieser Artikel beschreibt, was Karl Rove im Augenblick tut. Er ist nicht direkt an der Kriegsplanung beteiligt, auch Bush übrigens nicht. Das war in den Händen von anderen Leuten. Aber sein Ziel, sagt er, ist es den Präsidenten als einen mächtigen Kriegsführer darzustellen, mit Blick auf die nächste Wahl, damit die Republikaner ihre Innenpolitik durchsetzen können, das ist es, worauf er sich konzentriert, und das heißt Steuerermäßigungen - angeblich für die Ökonomie, aber sie meinem für die Reichen - Steuernachlässe und andere Programme, die er nicht näher aufzählt, aber die vor allem einen kleinen Sektor von Ultrareichen und Privilegierten zugute kommen sollen, und die im Effekt der Masse der Bevölkerung schaden werden. Aber noch wichtiger als das - und darüber schweigt der Artikel - ist es, die institutionelle Basis für das gesellschaftliche Netz zu zerstören, also Dinge wie Schulen und Sozialversicherungen und alles was darauf gegründet ist, daß Menschen für einander sorgen, zu eliminieren. Das ist eine schreckliche Idee, die den Menschen ausgetrieben werden muß. Die Idee, daß man Mitgefühl und Solidarität haben sollte, daß man sich darum sorgen sollte, ob die behinderte Witwe am anderen Ende der Stadt etwas zu essen hat, das soll aus den Köpfen der Leute ausgetrieben werden.

Wir danken Noam Chomsky, Z-Net und dem Interviewer David Barsamian.

© Noam Chomsky (Massachusetts Institute of Technology)

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For quotation purposes:
Noam Chomsky (Massachusetts Institute of Technology): Kollaterale Sprache. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003.
WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/plenum/chomsky15DE.htm

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