Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 16. Nr. | August 2006 | |
1.3. Instabilität und Zerfallsformen gesellschaftlicher Zusammenhänge: Soziale Ungewissheit, Unsicherheit und Prekarisierung |
Sabine Kergel (Berlin)
Ich habe nichts gegen Fremde, einige meiner besten Freunde sind Fremde. Aber diese Fremden sind nicht von hier
Methusalix
Vor allem in Ballungsgebieten bilden sich Ansätze von "Parallelgesellschaften" (Bassam Tibi) heraus, die zum Teil nur noch in einem peripheren Verhältnis zu den anderen Teilen der Gesellschaft stehen. Hierbei spielen unterschiedliche soziale und kulturelle Werte eine relevante Rolle, die auf Abgrenzungs- und Absetzungsstrategien basieren. Dies zeigt sich auch gerade in unterschiedlichen geschlechtlichen Rollen- und Sozialisationsvorstellungen, die nicht unmittelbar mit den schulischen Anforderungen konfigurieren. Die jeweilige soziokulturell vorgegebene Ferne oder Nähe zum Qualifikationssektor strukturiert auch das Verhältnis der Kinder und Jugendlichen zur Schule. Durch die dadurch hineingetragenen Konfliktpotentiale erfährt die Schule als Institution eine Erweiterung oder Änderung ihrer Aufgabenstellung. In einem immer stärkeren Maße werden sozialpädagogische Aufgabengebiete an die Lehrerschaft herangetragen, die in einem Konfliktverhältnis zur traditionellen Qualifikations-, Selektions- und Integrationsfunktion der Schule stehen.
Innerhalb eines Forschungsprojektes über den Regierungsbezirk konnten wir als eine massive Tendenz die Mobilität vieler junger Familien feststellen, die gezielt vor Einschulung ihrer Kinder sich eine Wohnung in einem Viertel mit einer geringen Ausländerrate suchten. Die von uns befragten Eltern gaben als den ausschlaggebenden Grund für diese Entscheidung an, dass sie aufgrund des hohen Ausländeranteils in den Schulen des Bezirks eine Verringerung der Chancen für eine Schulkarriere ihrer Kinder befürchteten. Obwohl gerade die meisten dieser Eltern sich als vorurteilsfrei empfinden, bestätigen sie durch ihre Entscheidung eine missglücke Integration der Immigranten, da sich gerade in den Schulen das aus dieser Gemengelage heraus resultierende Konfliktpotential manifestiert. Dies führt zu einer Abwanderung von Teilen des Mittelstandes und Zuzug von Immigranten- oder Problemfamilien, wodurch sich gerade die Konfliktsituation innerhalb dieses Kiezes weiter auflädt. Derartige Abgrenzungen durch Wegzug mögen zwar subjektiv nachvollziehbar sein, verstärken aber die Integrationsschwierigkeiten in einem kaum zu unterstützenden Ausmaß. Die Berliner Bezirke Wedding, Kreuzberg und Tiergarten haben einen Schüleranteil mit nichtdeutscher Herkunftssprache von 63,2%, 63,1% und 47,2%. In diesen Bezirken konzentrieren sich dann diese Schüler auf bestimmte Schulen, die dann bei Einschulungen oft einen Anteil von über 90% Schüler nichtdeutscher Herkunft haben.
"Der Fremde ist ein Element der Gruppe selbst, nicht anders als die Armen und die mannigfachen "inneren Feinde" - ein Element, dessen immanente und Gliedstellung zugleich ein Außerhalb und Gegenüber einschließt." (Simmel 1968: 63f.)
In dieser Bestimmung des sozialen Ortes des "Fremden" in einer Reihung mit dem Armen und dem inneren Feind bestimmt Georg Simmel Konfrontationspunkte innerhalb des sozialen Zusammenlebens in einer Gesellschaft. Das latente Modell der Bedrohung begleitet konnotativ den Begriff des Fremden, dem der nicht zu dieser Gesellschaft gehört, gleichzeitig aber integrales Moment der Eigenbeschreibung und Konstitution der Gesellschaft bildet. Ein schwieriges Verhältnis zu seiner Umwelt wird dem Fremden zwar zugestanden, weil er die selbstverständlichen Zeichen, Regeln und deren Dechiffrierung nicht entsprechend beherrscht. Da aber der Einheimische das Modell des Fremden als Form der Bedrohung und der Demarkation als Scheidelinie wählt, ist es Element des Selbstverständnisses des Einheimischen. Er benötigt den Fremden oder zumindest den Begriff des Fremden, um sich selbst setzen zu können. (Dies ist auch ein Grund dafür, dass die Ausländerfeindlichkeit nicht des Ausländers bedarf, da er eher Vorstellung als Realität hervorruft.) Wenn das Verhältnis des Einheimischen zu seiner Umwelt über den Boden und damit einhergehend die Sesshaftigkeit bestimmt wird, so ist die Bindung durch den Besitz eine potentielle Bestimmung originärer Zugehörigkeit. Bindungslosigkeit und Distanz hingegen definiert den Fremden und setzt ihn in die Nähe des Armen und des inneren Feindes. Integration wird durch Abgrenzung geschaffen. Insofern ist der Fremde konstitutiv für die Selbstbeschreibung der Gesellschaft und der ihr inhärenten Abgrenzungsstrategien. Diese bestimmen dann den sozialen Ort des Fremden, wenn nicht entsprechende Integrationsschritte vorangetrieben werden. Insofern ist das Problem des Immigranten nicht ein durch ihn ursächlich verschuldetes oder ein ihn definierendes, sondern es wird durch die Aufnahmegesellschaft produziert. Deshalb ist es auch nicht an ihm festzumachen, sondern an der Bereitschaft, seine Integration voranzutreiben. Daran ist der Zustand der inneren Verfassung unserer Gesellschaft als Problem abzulesen: inwieweit nämlich diese bereit ist, sich Fremden zu öffnen und diese anzuerkennen.
Woran erkenne ich den Fremden? Wenn wir von "ausländischen Mitbürgern" sprechen, stellt sich immer wieder die Frage, wer eigentlich damit gemeint ist. In einem Projekt über Verarmungstendenzen in Berlin-Mitte haben wir als eine Gruppe "Immigranten" befragen wollen. Die meisten Immigranten, die wir befragt haben, fielen aus den Ausländerstatistiken allerdings heraus, da sie inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit hatten. Insofern gehörten sie nicht zu dem Sample, das wir befragen wollten, weil sie nicht zu den 70% arbeitsloser Ausländer oder Immigranten in dem Bezirk gehörten. Somit stellt sich die Frage, ob es überhaupt legitim war, diese Deutschen als Immigranten zu thematisieren.
Obwohl sie deutsche Staatsbürger waren, machten sie weiterhin eine Fremderfahrung durch. Aufgrund ihrer Hautfarben, ihrer kulturellen Hintergründe und Einschätzungen und ihren alltäglichen Erfahrungen gesellschaftlicher Vorbehalte, um nicht das böse Wort Fremdenfeindlichkeit zu bemühen, wurden sie weiterhin in eine gesellschaftliche Außenseiterposition katapultiert, die ihren im Weberschen Sinne veralltäglichten Erfahrungshorizonten entsprachen.
Dagegen bauen die Immigranten eine eigene Form der Identität auf, die sich soziologisch an den Dimensionen einer sozialen Positionsbestimmung orientiert, die einerseits an den Kontexten einer latenten Abgrenzung misst, andererseits am Normenhorizont einer protestantischen Arbeitsethik ausgerichtet ist, die den fragilen Zustand skizzieren mag, unter dem Kriterien von Identität und Würde unter den Bedingungen einer Immigration entfaltet werden.
"Der Fremde ist der, der arbeitet. Während die Einheimischen der zivilisierten Welt, der hochentwickelten Länder, schwere Arbeit vulgär finden und aristokratische Lässigkeit und Launenhaftigkeit zur Schau tragen (wenn sie es können...) erkennt man den Fremden daran, daß er die Arbeit immer noch als einen Wert betrachtet. Eine Lebensnotwendigkeit, sicher, das einzige Überlebensmittel, das er nicht zwangsläufig verklärt, sondern einfach als Grundrecht, als Ausgangspunkt der Würde geltend macht." (Kristeva 1994: 27)
Durch die Arbeit legitimiert der Fremde seinen Aufenthalt, sowie seine Wanderbewegung. Sie steht im Zentrum seiner Existenz und bestätigt seine Integration. Von da aus bietet sie für ihn das Zentrum seiner Existenz in der Fremde, über die alle anderen sozialen Knotenpunkte bestimmt werden. Sein Überlebens- und Durchsetzungswille manifestiert sich im Arbeitsplatz und bestätigt ihn auch und gerade in der Distanz zu den Einheimischen, die meist gerade schwere und körperliche Arbeit meiden. Diese Aufwertungstendenzen harter körperlicher Arbeit, die die Existenz des Fremden spiegeln, bilden dabei zentrale Bezugsmuster und Orientierungspunkte für die Sozialisation der Kinder. Da die Immigranten aus der ersten Generation meist körperlich arbeiten, stehen sie aus dem Erfahrungshorizont ihrer Lebensweise dem Bildungspool distanziert gegenüber. Während in Deutschland auch bildungsferne Schichten wissen, dass der gesellschaftliche Aufstieg mit der Schulkarriere verkoppelt ist, korrespondiert dies in vielen Immigrantenfamilien nicht mit den Erfahrungshorizonten, da diese den sozialen Aufstieg und das Auskommen mit harter körperlicher Arbeit in Verbindung bringen. Während einer Weihnachtsfeier in der siebten Klasse eines Gymnasiums in Berlin wurden die Kinder, deren Eltern nicht anwesend waren und die sich nicht wegen einer Krankheit entschuldigt hatten (dies betraf eine türkische Mutter, die aber von den Lehrern wegen des Kuchens, den sie für die Weihnachtsfeier gebacken hatte, gelobt wurde), von den Lehrern einer hochnotpeinlichen Befragung vor der Elternschaft und den Mitschülern unterworfen. Eine türkische Schülerin, die stolz sagte: "Meine Eltern sind auf Arbeit" wurde sofort wegen des Berliner Slangs kritisiert. Der Wechselkurs, der sonst für die Identität der Fremden gilt, wurde hier nicht akzeptiert, sondern als Desinteresse an der Schulkarriere dechiffriert (interpretiert). Die normativ vermittelten Kriterien des Elternhauses sind nicht kommensurabel mit dem Anforderungspotential der Schule.
Anders gewichtete kulturelle Normen und Werte sind Ausgangspunkt für die Lebenszusammenhänge der Immigrantenkinder. Zumindest in der ersten Generation ist der "Fremde" durch seinen Willen zur Arbeit bestimmt. In dem Verhältnis von Distanz, Heimatlosigkeit und Verbundenheit mit seinem Herkunftsland lebt er zwischen den Kulturen. Bei unzureichenden Integrationskriterien gewinnen die kulturellen Eigenschaften der Heimatkultur eine Aufwertung, die gleichzeitig die Kriterien des Gastlandes abwertet. Dadurch wird dann seine Außenseiterstellung doppelt zementiert. Durch die Distanz zur Heimat werden auch traditionelle heimatliche Normen und Werte, sowie religiös fundamentalistische religiöse Tendenzen für ihn wieder attraktiv. In dieser Gemengelage zwischen Abwehr und traditioneller Rückbesinnung auf traditionelle Werte des Heimatlandes werden familiäre Reproduktionsstrategien ausgelotet, die in scharfer Distanz zu den Werten des Schulalltags in Deutschland stehen. Diese Unterschiede reproduzieren sich auf sämtlichen Stufen einer Sozialisation, die sich immer wieder über Abgrenzungen zum Gastland bestimmt. Hierbei spielen gerade der Spracherwerb und die Sprachkenntnisse eine ausschlaggebende Rolle, da sich in ihr das Flottieren zwischen den Polen Eingliederung/ Ausgliederung Ausdruck verleiht. Durch diese soziale Distanz werden die entsprechenden sozialen Integrationskonflikte auf das Schulleben übertragen (transponiert). Bassam Tibi etikettiert diese Distanz mit dem Begriff der "Parallelgesellschaften", um darauf zu verweisen, dass kaum ein sozialer Zusammenhalt und soziale Austauschbeziehungen zwischen den unterschiedlichen sozialen Lebenszusammenhängen von Deutschen und den Immigranten aus unterschiedlichen sozialen und kulturellen Kontexten besteht.
"Da die verschiedenen in den europäischen Aufnahmegesellschaften lebenden Migrantengruppen und -kulturen in diese in der Welt der Praxis, der des alltäglichen Handelns und Arbeitens, der des kulturellen Konsums und der Vergnügungen stattfindenden Distinktionsprozesse eingebundenen sind, kann der kulturelle Wandel der Migrantengruppen als Sonderfall von Veränderungen der Lebensstile verschiedener sozialer Gruppen und Schichten verstanden werden, der allerdings bei in der Entstehung begriffenen Ethnien besonders massiv und vehement vonstatten geht." (Bröskamp1993: 190)
Diese Merkmale und Charakteristika, die durch ihre ethnischen, ihre kulturellen und sozialen Besonderheiten in den Einwanderungsgesellschaften thematisiert werden, führen dazu, dass die Einwanderer in eine Vielzahl von Bedingungen eingebunden werden, in der sie diese Abweichungen unaufhörlich thematisieren, da anhand ihres anderen fremdartigen Aussehens ihre kulturelle Herkunft scheinbar dechiffrierbar ist. Dabei werden sie aber nicht als Türke, Araber oder Pole wahrgenommen, sondern als Türke, Araber oder Pole in einem fremden Land mit einer anderen Kultur und genau dies prägt ihre kulturellen und sozialen Manifestationen, da die Kultur des Einwanderungslandes in Opposition als herrschende Kultur immer schon präsent ist. Die durch diese hegemoniale Ausrichtung des Gastlandes vorgegebenen kulturellen Praxen führen zu Irritationen (Bröskamp 1993: 196, Fn.20), die sich in allen möglichen kulturellen Praktiken ausdrücken wie z.B. dem Arzt-Patient Verhältnis, das ein Benennen des Krankheitsbildes, Entblößungen etc. beinhaltet. Gegen eine derartige Kulturhegemonie werden eigene kulturelle und soziale Praxen als Orientierungsmittel zur Aufrechterhaltung der Identität in der Fremde wichtig und erfahren derart eine Aufwertung. Der Bruch, den dieses Leben in der Fremde manifestiert, führt zum Aufbau einer eigenen ethnischen, kulturellen, sozialen und religiösen Identität, die die Abgrenzungen gegenüber dem Gastland deutlich artikulieren und den Ausbau einer eigenen Identität im Gastland forciert.
Äußerlich betrachtet schafft hier die Schule einen sozialen Raum, in dem deutsche und ausländische Kinder ihren Arbeitsalltag verbringen. Insofern wird ein gemeinsamer Lebensraum geschaffen, in dem während des Unterrichts gleiche Arbeitsaufgaben an alle Kinder verteilt werden. Durch die pädagogische Aufgabe der Vermittlung von Wissensbeständen und Kulturtechniken scheinen hier Vorbedingungen für eine Integration zumindest der Immigrantenkinder gegeben zu sein. Aber aufgrund der unterschiedlichen kulturellen und sozialen Kontexte sind gerade die Immigrantenkinder nicht auf eine Schulkarriere vorbereitet. Stattdessen werden sie in der Regel von den Schulen abgestoßen und reagieren mit dem Aufbau von Konfliktpotential auf die Zumutungen, die durch das Schulsystem für sie bereitgehalten werden. Die überproportionale Verteilung der Immigrantenkinder auf Haupt- und Lernbehindertenschulen verweist zumindest auf ein Zusammenspiel diverser subjektiver und objektiver Momente, die die Immigranten auch in der zweiten und dritten Generation an den Rand der Gesellschaft verweisen. So haben im Schuljahr 2000/ 2001 in Berlin 27,38% der nichtdeutschen Schüler ohne Schulabschluss die Schule verlassen, während nur 4,9% der nichtdeutschen Schüler das Abitur erreichten. Im Gegensatz hierzu erreichen 30,5% der Schüler in Berlin das Abitur, während nur 10,39% der Schüler insgesamt ihre Schulkarriere ohne Abschluss beenden. Hier lässt sich am oberen und unteren Sockel der Schulkarriere ablesen, dass die Schulabgänger nichtdeutscher Herkunft extrem benachteiligt sind. Beim Realschulabschluss ergibt sich ebenfalls ein Verhältnis von 38,4% zu 7%, alleine beim erweiterten Hauptschulabschluss sind die Immigrantenabkömmlinge mit 18% besser vertreten als ihre deutschen Mitschüler mit 13,98%. Während 68,9% der SchülerInnen eine allgemeine Hochschulreife oder einen Realschulabschluss erreichen, schaffen dies nur 11,9% der ausländischen Mitschüler. 63,38% der ausländischen Schüler haben entweder keinen oder einen Hauptschulabschluss bzw. erweiterten Hauptschulabschluss. Damit haben sie so gut wie gar keine Chance, einen Ausbildungsplatz zu erlangen. Als zusätzliches Problem kommt noch hinzu, dass das Arbeitsamt inzwischen Kurse für arbeitslose Abiturienten anbietet: In diesen Kursen sind wieder überproportional viele nichtdeutsche Abiturienten vertreten, deren Abitursnotendurchschnitt nicht für das beabsichtigte Studium (oft Ökonomie, Jura oder Medizin) reichte oder die keine Lehrstelle als Bankkaufmann gefunden hatten.
Bei Beginn der Schulkarriere sind oftmals die sprachlichen Schwierigkeiten als sehr gravierend einzuschätzen, gerade, wenn zuhause die Muttersprache gesprochen wird und noch sehr starke Mängel im deutschen vorhanden sind. Frauen aus der islamischen Kultur leiden besonders stark unter einem Defizit der Sprachbeherrschung des Deutschen, das nicht nur ihre eigenen Integrationsschwierigkeiten verstärkt, sondern gleichzeitig die Karrierechancen ihrer Kinder beeinträchtigt. Durch derlei Ausgangsbedingungen werden für Immigrantenkinder das Verstehen und das Nachvollziehen des Unterrichtsstoffes erschwert, da Deutsch nicht ihre Muttersprache ist und sie dieser Mangel an Sprachkompetenz unnachsichtlich durch die Schulkarriere begleitet. Dies reicht von Punktabzügen in Aufsätzen bis hin zu schlechteren Noten in Biologie, Physik-, Geschichts- und Erdkundearbeiten, da aufgrund von Rechtsschreibfehlern auch hier die Noten nach unten korrigiert werden. Hierdurch wird eine Verschärfung der Situation von Immigrantenkindern erreicht, da deren in der Regel eher reduzierte Beherrschung der Sprachkompetenz und des Schriftsprache zu einem verstärkten Handikap bei einer derartigen Benotung führen. Verschärft werden derartige Bedingungen weiterhin für die Kinder dadurch, dass gerade die Eltern auch durch die Schule noch eine innerfamiliäre Entfremdung befürchten, indem in der Schule nichtkompatible Kulturtechniken vermittelt werden, die in einer fremden Umwelt als Gefährdungspotential begriffen werden, da und wenn sie nicht mit den familiären Normenzusammenhängen konvertibel sind.
Dies betrifft besonders stark Mädchen aus dem islamischen Kulturkreis, aber nicht nur diese, wenn die Teilnahme an Klassenfahrten, die von deutschen Lehrern als Verstärkung der Gruppenfähigkeit innerhalb einer Klassengemeinschaft interpretiert werden, von den Eltern verboten oder möglichst hintertrieben wird. Auch der Turnunterricht für Mädchen gehört zu diesen stark aufgeladenen Bereichen. So haben deutsche Gerichte entschieden, dass muslimische Mädchen auf ihren Antrag hin vom koedukativen Sportunterricht befreit werden müssen; die Verpflichtung zur Teilnahme verstoße im Hinblick auf die Bekleidungsvorschriften des Koran gegen ihre Religionsfreiheit. Nach einem anderen Urteil hat ein muslimisches Mädchen sogar dann einen Anspruch auf Befreiung vom Sportunterricht, wenn dieser nach Geschlechtern getrennt und von einer Lehrerin erteilt wird. Dem Gericht reichte die Begründung des Mädchens, auch der Prophet habe keinen Sport getrieben, und die Pflege und Ertüchtigung des Leibes lenke von der Konzentration auf Gott ab. In Deutschland haben somit Richter schon der Klage islamischer Eltern auf Befreiung vom Turnunterricht und Klassenfahrten aufgrund der Berücksichtigung der andersgearteten Mentalitäten, soziokulturellen Charakteristika und besonderen Schamschwellen stattgegeben, während in Frankreich aufgrund der laizistischen Tradition entgegen gesetzte Urteile gefällt werden. In Frankreich ist auch das Tragen von Kopftüchern in der Schule als Ausdruck religiöser Zeichen nicht erlaubt. Durch Kopftücher wird nicht nur eine religiöse Ausrichtung signalisiert, gleichzeitig demonstrieren sie die Ferne des Mädchens zu den kulturell vermittelten Gleichstellungsbemühungen weiblicher mitteleuropäischer Vorstellungskonzepte und betonen oder unterstreichen die kulturellen Eigenheiten. Damit ist nicht gemeint, dem Kopftuch als Ding eine originäre religiös motivierte Bedeutung zuzuschreiben, sondern eine symbolische Aufladung des Kopftuches .zu registrieren, die damit einhergeht, dass in dem Maße, in dem das Kopftuch religiös besetzt wird, deutsche Frauen auch bei Regen auf Kopftücher verzichten, während es vor einigerer Zeit zumindest auf Marktplätzen en vogue war, Kopftücher zu tragen.
Als relevant, wenn auch nicht unmittelbar religiös motiviert, ist ebenfalls eine traditionelle Hierarchie zwischen den Geschwistern zu betrachten, die sich um das Geschlecht und das Alter gruppieren. Hierbei werden die entsprechenden Verantwortlichkeiten und Ahndung von Verfehlungen von den Älteren zu den Jüngeren, von den Jungen über die Mädchen delegiert, Verfehlungen, in denen eine entsprechende Ordnung eines innerfamiliären Gewaltmonopols zum Ausdruck kommt. Entgegen diesen Eigenkonfigurationen werden die schulischen Sozialisationsmuster von den Immigranten in ihrer Entfernung zu den häuslichen kulturellen Werten und Eigendimensionen interpretiert und mit Entfremdung gleichgesetzt, da der potentielle Zerfall traditioneller Familienzusammenhänge gerade durch eine feindliche Umgebung als Befürchtung die Strategien der Familien gegenüber den Schulkarrieren ihrer Kinder lenken. (Es gibt allerdings auch Ausnahmefälle, bei denen schulische Strategien und kulturelle Werte korrespondieren. So hatten wir Eltern einer dreizehnjährigen kroatischen Gymnasiastin befragt, die über ein extremes Pensum an Schularbeiten am Wochenende begeistert waren, da dies ihre Tochter von anderen Freizeitbeschäftigungen abhielt) Somit bewegen sich Qualifikationsmodi gerade für Immigrantenkinder im Spannungsfeld einer doppelten Akkulturation, die eine Assimilation durch pädagogische und qualifikatorische Eingriffe kontraproduktiv werden lässt. Diese potentielle Entfernung der Immigrantenkinder von der Schule entspricht auch gerade deshalb den Erfahrungszusammenhängen, da die Schule mit ihrer Mittelschichtsausrichtung gerade Kindern aus anderen kulturellen Zusammenhängen die Integration erschwert. Durch derartige familiäre Strategien wird dieses Verhältnis allerdings weiterhin schwer belastet, da es die Deintegrationstendenzen progressiv beflügelt. So ist es selbstverständlich, dass in der Regel in Immigrantenhaushalten keine deutschen Bücher vorhanden sind, durch die sowohl kulturelle Techniken, Selbstverständnisse wie auch Rechtsschreibung geübt werden. Während in der deutschen Gesellschaft der Wert derartiger Kulturtechniken auch in den unteren Milieus verankert ist, herrscht bei den Immigranten immer noch eine Distanz dazu. Diese Ferne gegenüber selbstverständlichen Kulturtechniken setzt Distanzen und Differenzen, die sich multikausal äußern und mehrdimensionale Effekte entfalten. Hierzu gehört auch das Verhältnis zu Spielsachen. Während, wie Aries ausführt, Spielen im Laufe der Neuzeit verkindlicht und pädagogisiert worden ist, gilt dies nicht für muslimische Kulturen. Ebenso ist dies auch unter den Balkanländern wenig verbreitet. Dies führt dazu, dass aus Distinktionsstrategien entweder einzelne große und wertvolle Teile angeschafft werden oder aber gar keine Spielsachen angeschafft werden, da diese als überflüssige Geldausgabe eingeschätzt werden. Schon bei kleinsten Kindern lässt sich beobachten, dass die Deutschen ihre Kinder mit Buddelzeug auf die Spielplätze schicken, während die Immigrantenkinder ohne Spielsachen dort auftauchen. Während bei den Deutschen in der Regel die Eltern die Aufsicht für ihre Kinder übernehmen, tragen bei den Immigrantenkindern ältere Geschwister die Verantwortung. Hierdurch verfestigt sich sehr früh der Eindruck für die Immigrantenkinder, dass die deutschen Kinder im Überfluss leben, während sie hingegen unter dem Modell des Mangels und des Ausschlusses existieren. Das Verschwinden von Förmchen, Eimern und Schaufeln treibt die deutschen Eltern in eine Abwehrung des Neuverteilungskampfes, der unter den Kindern herrscht. Hierbei machen die Immigrantenkinder die für sie wichtige Erfahrung, dass die deutschen Kinder im Gegensatz zu ihnen alles im Überfluss haben. Durch diese Erfahrung geprägt, werden die Sachen, die deutschen Kindern und Jugendlichen gehören, entsprechend besetzt. Ihre Sachen werden nicht als legitimer Besitz zugeordnet, sondern als Elemente einer Umverteilung angesehen, durch die die Immigrantenkinder auch am deutschen Reichtum partizipieren können. Diese Umverteilung wird "Abziehen" genannt, und es werden in erster Linie deutschen oder Kindern aus anderen Ländern oder Kulturkreisen dann später Geld oder Anziehsachen entwendet. Dies führt in manchen Fällen, wie weiter oben ausgeführt, dazu, dass Deutsche wegziehen. Unterstützt wird dieser Prozess dadurch, dass gerade bei Jugendlichen Gruppenprozesse oder Bandenbildung durch gemeinsame kulturelle Hintergründe forciert werden, so dass sich ethnisch zentrierte Einheiten herausbilden, die sich voneinander abgrenzen und ihre Reviere besetzen. Hierbei lässt sich feststellen, dass gerade in eng begrenzten Siedlungen mit einem geringen Anteil deutscher Jugendlicher und Kinder diese immer wieder abgezogen wurden, ihnen also Geld und modische Kleidungsstücke abgenommen wurden. Die Polizei ist hierbei hilflos, weil viele dieser Täter unter vierzehn Jahren sind und die abgezogenen Kinder mit Ängsten darauf reagieren, so dass hier eine starke Grauzone herrscht, die für viele, vor allem deutsche Kinder eine Verfolgung dieser Delikte mit Ängsten besetzt. (Die Band "Böhse Onkelz" legitimiert ihre frühen Texte damit, dass diese Ausdruck eines derartigen Konfliktverhältnisses wären, in der die nationale Identität durch das Gruppenverhalten der Jugendlichen forciert wird. Mit diesem Argument sollen weder die Böhsen Onkelz entschuldigt, noch die Abgrenzungsmechanismen gerechtfertigt werden, sondern es soll auf die Kombination und Vernetzung von differierenden sozialen Strategien hingewiesen werden, innerhalb derer sich sozialer Konfliktstoff miteinander verschränkt und potenziert, was letztlich dazu führt, dass ein Kriegszustand im Hobbeschen Sinn, zumindest in Ballungsgebieten, auf deutschen Straßen herrscht.
Aufgeladen wird dieser Prozess noch zusätzlich dadurch, dass in Immigrantenkreisen aufgrund soziokultureller Ausschließungen größere Solidaritätsformen herrschen. Dies führt an den Schulen dazu, dass ein deutscher Schüler, der z.B. mit einem Türken einen Konflikt austrägt, ihn gleichzeitig mit allen türkischen Kindern oder Jugendlichen hat. Dadurch besteht eine potentielle Gefährdung einer rassistischen Aufladung der Konflikte. Die Band Böhse Onkelz argumentiert damit, dass die Gangs Strassen für sich reklamieren, so dass Jugendheime, Treffpunkte und Straßenzüge von Türken, Arabern, Polen, Russen oder Deutschen für sich reklamiert werden. Diese Aufteilungen schaffen eine Geographie der ethnischen Besetzungen der Quartiere, die als sozialer Konfliktstoff sowohl die Integration wie auch die Integration der Immigrantenkinder in die schulische Realität begleiten.
Durch die massive Einwanderung der Immigranten seit den sechziger Jahren hat sich die gesellschaftliche Situation massiv verändert. Während Minderheitenrechte sich juristisch an nationalstaatlichen Grenzen orientieren, pochen die Neuzuwanderungen auf ihre kulturellen Eigenheiten und behalten diese im Gastland bei bzw. versuchen ihre Besonderheit weiterhin aufrecht zu erhalten. Eine Assimilation wird realistischerweise auch gar nicht mehr erwartet. Dies ist vor allen Dingen realistisch, da die Immigranten inzwischen als Minderheit Lebensstile entwickelt haben, die ihre Besonderheit akzentuiert betonen. Dazu kommt, dass die Aufnahmeländer innerhalb der Europäischen Union unter einer Verschiebung der traditionellen nationalstaatlichen Aufgaben und Zurechnungsmechanismen agieren müssen, so dass keine feststehenden Referenzen mehr einheitliche und eindeutige Festlegungen und Verhaltensmaximen zulassen. Herkömmliche Abgrenzungen verlieren dadurch ihre Überzeugungskraft und Legitimität. Wollen die europäischen Staaten ihren Charakter als Nationalstaaten bewahren, so setzt das voraus, dass sie die Immigranten integrieren. Und Integration bedeutet dann, dass die Immigranten sich der Kultur des Aufnahmelandes anpassen - nicht notwendigerweise in allen Einzelheiten, aber doch in den Essentialia. Nun gibt es ein Modell des Umgangs mit ethnisch differenten Gruppen, das gerade nicht auf Anpassung beruht, sondern auf Erhaltung der ethnischen und kulturellen Besonderheiten der jeweiligen Gruppe und damit eher auf Abgrenzung. Es ist das Modell des Minderheitenschutzes, wie es etwa in völkerrechtlichen Verträgen nach dem Ersten Weltkrieg entwickelt worden und in vielen multiethnischen Staaten in unterschiedlicher Weise verwirklicht ist. Es gibt in Deutschland eine Diskussion darüber, ob dieses Modell auch auf die Immigranten angewendet werden sollte. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass die Immigranten mit ihren soziokulturellen Besonderheiten schon lange in der deutschen Gesellschaft angekommen sind - und zwar in dem Sinne, dass sie durch ihre Existenz zwischen den Polen eigener kultureller Selbstbehauptung und einer diese ablehnenden oder ihr gleichgültig gegenüberstehenden Gesellschaft flottieren und dabei eine eigene Identität aufrechterhalten. Dies sind aber nicht ihre alten traditionellen Identitäten, selbst wenn sie sich an dieser orientieren, sondern Formen einer kulturellen Setzung in der Diaspora, die in dieser Problemlage ihre eigene Identität konzentrisch umkreist und ausrichtet. Dabei werden ihre Familien durch die Schulen, in welcher Form auch immer, in den Bannkreis gesellschaftlicher Auseinandersetzungsformen integriert; während die Frauen sich zumindest teilweise dieser kulturellen Hegemonie unter dem Preis der Unterwerfung entziehen können. Wie weit die Situation der Integration der Immigrantenkinder in die Schule als sozialem Ort der Qualifikation und der gemeinsamen Erfahrung eines Arbeitsalltags mit den in ihn eingelagerten sozialen Prämissen und Austauschbeziehungen noch eher auf den Prämissen einer Parallelgesellschaft basiert als auf Integrations- und Assimilationsmodi, erscheint gerade unter den Prämissen der sozialen und soziokulturellen Differenzen, die den Schulalltag begleiten und in ihn eingelagert sind, als ein leitendes Motiv.
Weder der Begriff einer Leitkultur noch der einer Parallelgesellschaft benennen wünschenswerte Zustände, sondern beschreiben Zwangslagen zwischen den hegemonialen Ansprüchen einer "Leitkultur" und den Ausgrenzungstendenzen einer "Parallelgesellschaft". Hierbei sind die Grenzen einer Soziabilität innerhalb eines gesellschaftlichen Zusammenhangs erreicht, wenn das Nebenher und die Austauschfähigkeit zwischen den unterschiedlichen sozialen Gruppen, die sich unter anderem über ihre Ethnizität definieren, in erster Linie unter dem Modus der Abgrenzung und Ausschließung thematisiert werden. Überspitzt ließe sich zwar sagen, dass die Leitkultur gerade über die Hegemonie ihrer Deutungsmuster in der Schule ihre Einflüsse entfalten kann; sie kann das aber ohnehin über ihre Klassifikationen, die Lehrpläne, die Schulpflicht, wie auch über die Verteilung der Schulabgänger in den sozialen Raum. Gleichzeitig leisten die Immigrantenkinder durch ihre Herkunft, ihre Distanz zum Schulwesen, ihre anders besetzten Normen- und Wertesysteme, ihre soziokulturellen Hintergründe Widerstand, der sich nicht an den unmittelbar traditionellen soziokulturellen Normen orientiert, sondern auf den konkreten Abgrenzungen gegenüber den Anspruchs- und Hegemonialforderungen der deutschen Kultur basiert. In diesem Sinne ist das Spannungsfeld, das sie hervorrufen, selbst Element der sozialen Realität der Schule. Solange die Einwanderer einen geringen quantitativen Anteil an der Bevölkerung stellen, sind die Konflikte, die durch ihr Anderssein hervorgerufen werden, als minimal einzustufen. Wenn sie aber eine relevante größere Minderheit mit ausbaufähigen soziokulturell eigenen Lebensstilen innerhalb der Gesellschaft entwickeln können, verschiebt sich diese Problematik und entfaltet in diesen Oppositionssetzungen vielfältige Facetten eines Konfliktfeldes, das die eigentliche Aufgabe der Schule, die Qualifikations-, Selektions- und Integrationsfunktion mittels diverser soziokultureller Setzungen überformt und verschiebt.
In die Schulen werden gerade in Ballungsgebieten verstärkt soziale Konfliktlinien und Konfrontationspunkte hereingetragen, die den Schulalltag erheblich prägen. Soziale Veränderungen sowohl in der Familienstruktur, wie auch durch die Verschärfung sozialer Probleme wie Arbeitslosigkeit, Fortsetzungsfamilien und der räumlichen Zusammenballung divergenter Kulturen finden auch Eingang in den teilautonomen Bereich der Schule. Wenn die Schule auf diese veränderten Anforderungsprofile mit traditionellen schulischen/ pädagogischen Aktionen antwortet, verschärft sie nur das soziale Konfliktpotential innerhalb der schulischen Realität. Ein Verweis auf eine Vernachlässigung durch die Eltern, kulturelle Einflüsse, Medien und zunehmende Gewaltbereitschaft erfasst aber nur Facetten, da der teilautonome Bereich pädagogischer Aktionen durch Selektionsmechanismen und Klassifikationsmuster unmittelbar in der gesellschaftlichen Realität verankert ist. In diesem Sinne ist sozialpädagogische Intervention schon in der Schule verankert, ohne dass im Moment Sozialpädagogen in ihm beschäftigt sein müssen, da in Form eines Konfliktausgleichs durch eine Form der Mediation z.B. Konfliktpotential ausgelotet werden muss, das den Schulalltag in immer stärkerem Maße ausrichtet. Lehrer sehen sich hier überfordert, da sie entweder zwei Berufsbilder abdecken müssen oder sich resignativ aus dem den Schulalltag begleitenden Konfliktpotential herauszuhalten suchen, wodurch sie dann aber eher die Konfliktlinien ungewollt verstärken. Dadurch stellt sich die Frage, inwieweit Formen symbolischer Gewalt durch die Zuteilung sozialer Chancen dank des Notensystems als Differenzierungsprinzip den Schulalltag (parasitär) begleiten und ausrichten. Schüler, die aufgrund ihres sozialen Hintergrunds Distanz zu den Kriterien signalisieren, befinden sich schon in einer Außenseiterposition. Jugendarbeitslosigkeit und Lehrstellenknappheit verstärken sowohl die Macht der Zensuren als auch das explosive Konfliktpotential, das die schulische Realität gerade in Ballungsgebieten verschärft.
Eruptive Gewaltausbrüche, die entweder selbstdestruktiv verlaufen oder sich medienwirksam in Tötungen/ Tötungsabsichten an Lehrern manifestieren, verweisen auf Ebenen symbolischer Gewalt, die den Schulalltag begleiten und sind auch (in ihren Ankündigungen und Planungen) als Ausdruck von Gewaltphantasien der Schüler zu werten, die sich dementsprechend Ausdruck verleihen. Gegenüber diesen außeralltäglichen Ereignissen, hat sich unterhalb dieser Ebene ein Gewaltpotential herausgebildet, in dem sich das Konfliktpotential nicht nur in symbolischen Ebenen Ausdruck verleiht. Ein Schüler mit libanesischem Hintergrund hatte sich während der Schulpause eine Eisenstange besorgt und sich auf einen deutschen Mitschüler gestürzt. Der Pausenaufsicht habende Lehrer ging dazwischen und schlug den als jähzornig bekannten Schüler. Er legitimierte dies damit, dass der libanesische Schüler voller Wut mit der Eisenstange auf seinen Mitschüler eingeschlagen hätte. Der libanesische Schüler gab an, mit der Eisenstange nur gedroht zu haben und diese fallengelassen zu haben, bevor er den Mitschüler verprügelte. Der Lehrer beharrte auf seiner Version, die Eingang in die Schulakte fand, obwohl der geschlagene deutsche Schüler keine größeren Blessuren am Kopf hatte, die ein Einprügeln mit einer Eisenstange hervorgerufen hätte. Dadurch, dass der Lehrer auch mit körperlicher Gewalt auf den Schüler eingewirkt hatte, sah er sich selbst in einer Verteidigungssituation. Relevant scheint mir bei diesem Beispiel nicht zu sein, die Wahrheitsfrage zu klären, sondern vielmehr scheint mir diese Situation Ausdruck einer Situation zu sein, in der der Lehrer ein bestimmtes aggressives Verhalten von dem Schüler erwartete und demgemäß in die Situation gewaltsam eingriff. Eine derartige symbolische Aufladung, .in der Konflikte schon im Vorfeld als äußerst gewalttätig angesehen werden, so dass die gewalttätige Handlung auch das Handeln des Lehrers impulsiv leitet, scheint mir die Situation zu skizzieren und wichtiger zu sein als nach einem Referenten zu suchen.
Die Konfliktlinien, die den Schulalltag begleiten, möchte ich anhand von Problemhorizonten in Ballungsgebieten beschreiben und habe mich empirisch in meinen Aussagen auf Berlin- Mitte konzentriert. Einmal verfügt dieser Bezirk in Berlin, in dem auch die Bundesregierung sitzt, über ein sehr starkes soziales Gefälle und zweitens stoßen dort deutsche und ausländische Kinder aus unterschiedlichsten sozialen Schichten innerhalb ihres sozialen Alltags aufeinander. Sozial und ethnisch orientierte Gruppenbildungen, Ab- und Ausgrenzungen, die über die bzw. schon in der Grundschule vermittelt werden und auch dort schon Formen symbolischer und körperlicher Gewalt beinhalten, sind inzwischen integraler Bestandteil des Schulalltags. Diverse Aus- und Abgrenzungsprozesse, kulturelle und soziale Abgrenzungsmechanismen sind in allen Facetten der Realität der Schulen präsent und prägen als subversive Bestandteile den Schulalltag entscheidend mit.
Zusätzlich lässt sich gerade an dem Verhältnis von schulischer Qualifikation, ökonomischen Entwicklungstendenzen, familialen Reaktionsformen und flankierenden staatlichen Absicherungsmodalitäten aufzeigen, wie sich anhand des relationalen Ansatzes von Pierre Bourdieu paradigmatisch das Zusammenspiel unterschiedlicher Ebenen konstituieren lässt, um Vernetzungsleistungen innerhalb sich differenzierender sozialer Prozesse in ihrem Arrangement und Zusammenspiel herauszustreichen. So lässt sich detailliert an dieser Fragestellung demonstrieren, wie in einer konkreten forschungsstrategischen Anbindung an soziale Fakten in einer differenzierten Form unter der Prämisse einer Uminterpretation qua epistemologischer Fragestellungen als Vergewisserung eines wissenschaftlichen Objekts - der Schule- verfahren werden kann.
Konflikt- und Gewaltpotentiale in der Schule verstärken sich in der Schule, so dass die pädagogischen Kräfte zum Teil bei einem Krisenengagement überfordert sind, andererseits aber an altbewährte Sanktions- und Klassifikationsschemata anknüpfen, um in entsprechenden Situation agieren zu können. Dabei stellt sich allerdings die Frage, ob dies die Probleme und Konfliktebenen nicht weiter verstärkt und intensiviert. Für die Schüler und deren Eltern gewinnt die Frage der Schulausbildung einerseits eine stärkere Relevanz, da anhand der Jugendarbeitslosigkeit sich der Einfluss der Schule durch die Notengebung verstärkt hat; soziale Partizipations- und Karrierechancen werden immer stärker und unmittelbarer von Schulnoten abhängig. Andererseits nehmen die Probleme schon auf den Grundschulen zu, da soziale Teilungen und Trennungen sich weitaus stärker auch hier in den Schulalltag einschreiben. In Ballungsgebieten befindet sich in vielen Schulen ein extrem hoher Anteil von Schülern aus anderen Kulturkreisen, die ihre eigenen Mentalitäten, Normen und Werte in die Schule hereintragen. Da bei ihnen ein starker Solidarzusammenhang vorherrscht, bringen sie eigene Gruppenbildungen hervor, die subversiv den Schulalltag zumindest für die Schüler stark prägen. Des weiteren differieren die Alterskohorten in den Schulklassen weitaus stärker als früher, inzwischen sind in vielen Schulklassen vier verschiedene Jahrgänge in derselben Klasse. Gerade in der Grundschule stellt sich dies als besonders konfliktbeladen dar, da die Kinder in ihren Entwicklungsstufen, Anspruchsniveaus und Lernverhalten sehr stark auseinanderdriften. Hinzu kommt, dass gerade die älteren Kinder schwierige Schulkarrieren haben und somit den schulischen Alltag leicht durcheinander bringen und unübersichtlich gestalten können. Dies erhöht und verändert das Anforderungspotential an die Lehrer, da sie in ihre pädagogischen Aktionen einerseits konfliktverschärfende Effekte hervorbringen und Ausgliederungselemente verstärken können, andererseits neben ihren unmittelbaren pädagogischen Aufgaben in starkem Maße sozialpädagogisch und erzieherisch eingreifen, so dass sich unter den jetzigen Bedingungen die Arbeitsfelder der Lehrer zwangsläufig erweitern und verschieben. Nicht nur unter bewussten pädagogischen Aktionen und Einwirkungen produzieren die Pädagogen sozialisatorische Ergebnisse, sondern auch und gerade in den Momenten, wo sie sich diesem Anforderungspotential verweigern. Dadurch, dass sie in Gruppenprozesse, Konfrontationen, symbolische Auseinandersetzungen eingreifen, diese unterbinden, forcieren, ihnen Richtungen geben oder sie ignorieren, sind die pädagogischen Lehrkräfte in Auseinandersetzungsformen eingebunden und als wesentliche signifizierende Orientierungsgeber qua sozialer Position involviert. Dadurch sind sie gezwungen, gleichzeitig Sozialarbeit, Mediation, Pädagogik unter Bedingungen der Stoffvermittlung, Selektion, Einteilung und Trennung der Schüler zu leisten. Wenn sie dies nicht tun, produzieren sie ebenfalls entsprechende Effekte.
Gerade in Zeiten der Jugendarbeitslosigkeit gewinnt die Schule als Sozialisationsinstrument durch die potentiale Vergabe, das Abschneiden von potentiellen sozialen Partizipationschancen, einerseits vermehrt Autorität und Einfluss auf die Schüler, andererseits verliert sie Autorität, Anerkennung und Achtung genau bei denjenigen Schülern, die glauben, dass sie ausgegliedert und dass ihre sozialen Karrierechancen negativ besetzt bzw. geprägt sind. Auch bei den Schülern, die um ihre Partizipationschancen kämpfen, ist eine ausgeprägte Skepsis und Argwohn gegenüber Lehrern zu registrieren, da (oder wenn) sie befürchten, "ungerecht" beurteilt zu werden und/oder Angst haben, dem Druck nicht standhalten zu können und diesen auf einzelne Lehrer projizieren. Es besteht die Gefahr, dass soziale Unsicherheiten und Ängste von den Schülern als Formen symbolischer Gewalt, Willkür und Ungerechtigkeit auf die Pädagogen transponiert werden, wenn sich Überbelastungstendenzen in unterstellten Fehleinschätzungen und Inkorrektheiten bei Kontroversen niederschlagen. Die daraus empfundene Wehrlosigkeit und Hilflosigkeit erhöht Formen der Ohnmacht, der Handlungsunfähigkeit und des Ausgeliefertseins, die im Gegenzug konfliktiöse Dimensionen, sowohl zwischen Schülern untereinander, als auch zwischen Schülern und Lehrern erhöhen.
Schuldzuweisungen werden von den Pädagogen dabei leicht und gerne nach außen weitergeben, z.B. an Eltern, Medien, Gesellschaft etc., da sie dann nicht die eigene Involvierung und die soziale Insuffizienz mitreflektieren müssen, die sich aus dieser Situation ergibt. In dieser Gemengelage zwischen sozialen Konflikten, Aufwertung der Schule durch ihre Selektionsfunktion und eine innerschulisch aus dieser Situation resultierende Potenzierung des Konfliktpotentials bildet sich eine neue Situation mit anderen symbolischen Formen und neuen Qualitäten gewalttätiger Auseinandersetzungen heraus, die den gesamten Schulalltag entscheidend mitprägen.
Selbst wenn gesellschaftliche Konfliktherde nunmehr weitaus stärker und aktueller in die Schulwirklichkeit eindringen als früher, so ist die Schule trotzdem dazu gezwungen, ihre Probleme innerhalb ihrer institutionellen Einbindung eigenständig lösen zu müssen. Dabei verlangt dies nach Methoden und Sensibilisierungen für gesellschaftliche Strukturprobleme, die durch ihr Eindringen in den sozialen Raum der Schule Fokussierungen und Problemlagen entfalten, um relativ adäquat auf das veränderte Anforderungsprofil reagieren zu können.
Dabei geraten die Gewaltmechanismen erst in den Fokus des Interesses, wenn manifeste Gewaltausbrüche vorhanden sind und sich äußern. Die Genese gewinnt erst dann an gesellschaftlichem Interesse, wenn das Alter der Gewalttäter und der Gewalterfahrungen sinkt. Dabei stellt sich die Frage, ob und inwieweit die dafür zugrunde liegenden Dispositionen als Hintergrunderfahrungen schon auf den Grundschulen vermittelt werden, da sich in ihr spezifische Konflikte, Ordnungsmuster, Lernbereitschaften, Integrations- und Ausgrenzungsprozesse, Verhältnisse zu Autoritäten etc. herausbilden und äußern. Gerade die besondere Sozialisationsanforderung innerhalb der Grundschule muss in Relation gesetzt werden zu den charakteristischen Teilungs- und Trennungskriterien, die sie selbst unterstützt, unhinterfragt verstärkt und als eigene Leistung dieses Sozialisationsinstruments hervorgebracht werden. Gerade in Ballungsgebieten mit hohem Ausländeranteil aus verschiedenen kulturellen und unterschiedlichen sozialen Hintergründen und Herkünften besteht tendenziell die Gefahr, dass sich innerhalb des Kontextes des schulischen Alltags die Gruppenbildungen, die Eigenklassifikationen der Schüler und die sozialen Zuordnungsmechanismen innerhalb der Klassenzusammenhänge konfliktbeladen verstärken.
Ohne allgemeine Unterstellungen einer Xenophobie in den Mittelpunkt der Reflexion zu stellen, lässt sich dennoch fragen, welche mentalitätsorientierten, sozialen und jeweiligen kulturellen Besonderheiten die sozialen Gruppen prägen und inwieweit Abweichungen von dem schulischen Anforderungspotential dazu führen, Eigentendenzen, Abgrenzungen, Abweichungen und Konflikte innerhalb des gesamten Schulalltags zu verschärfen. Welche Normen werden von Immigranten aus den verschiedenen Ländern übernommen, selbst wenn diese in manchen Fällen schon in der dritten Generation hier leben? Wie werden diese besetzt und inwieweit differieren sie noch einmal untereinander und schaffen neue Konfliktlinien in den Schulen? Doch nicht nur dadurch, dass die Lebenszusammenhänge und deren Vorstellungshorizonte anders besetzt werden, sondern gerade dadurch, dass sich dies in Nähe und Ferne zu den schulischen Sozialisations- und Qualifikationskriterien zum Ausdruck kommt. Ein engerer sozialer, mentalitätsspezifischer und kultureller Zusammenhang zwischen den Schülern ist in Konfliktlinien und Solidarzusammenhänge eingelagert, die auf jeweils eigenen Normen und Wertesystemen basieren, Oppositionen produzieren und Gegensätze und Konfliktlinien verstärken. Das Austarieren von unterschiedlichen Interessen unter der Prämisse diverser sozialer Hintergründe und unterschiedlicher Zusammensetzungen benennt eine Methodik der Mediation, an die die Erwartungshaltung herangetragen wird, dass sie im Freilegen der unterschiedlichen Motive und Beweggründe der handelnden Akteure positiv in den Schulalltag einwirken und konfliktminimierende Effekte entfalten kann. Hieran wäre aber die kritische Fragestellung nach den Grenzen derartiger technisch methodisch orientierter Lösungspotentiale zu stellen; nämlich, inwieweit es Interessen gerade auch im Schulalltag gibt, die sich nicht harmonisieren lassen, da sie auf unterschiedlichen Interessenlagen basieren und sich deshalb gegen derartige Lösungsversuche sperren, so dass Konfliktebenen sich zusätzlich konsolidieren. Um derartigen Tendenzen entgegenzuwirken und um, ergänzend zu einer Feindifferenzierung der sozialen Kontexte des Schulalltags, die Konflikthorizonte auszuloten und aktuelle Lösungsansätze zu verobjektivieren, besteht die Intention darin aufzuzeigen, dass innerhalb des schulischen Alltags sozialpädagogische Handlungspotentiale aufgrund gesellschaftlicher Verschiebungen integriert sind und sich in ihr immer stärker in Bezug auf die Leistungsanforderungen und die Effektivität der Schule konzentrieren. Gleichzeitig ist aber sogleich kritisch nach den objektiven Grenzen und Möglichkeiten derartiger Konfliktminimierungsstrategien zu fragen. So lässt sich einerseits ein Modell entwickeln, das um die Ebenen einer Soziographie des schulischen Alltags erweitert wird, um sowohl den Grad und das Maß der potentiellen Reduzierung durch konfliktminimierende Methoden herausstellen, als auch die objektiven Horizonte herausstreichen zu können, denen schulisches Handeln unterworfen ist. Innerhalb dieses Spannungsverhältnisses lassen sich die besonderen Problemebenen, Gewaltmodi und Konfrontationsmuster herausstellen, innerhalb derer schulische Aktionen und Eingriffe einer kritischen, selbstreflexiven Praxis unterworfen werden kann. Die Mediation als Nahtstelle zwischen schulischer Aktion und Verobjektivierung schafft Umsetzungskriterien, durch die sich pädagogisches Handeln, sozialpädagogische Intervention und soziologische Verobjektivierungstendenzen gegenseitig stützen und problemzentriert die Effekte kontrollieren und weitertreiben können.
Gleichzeitig ist intendiert aufzuzeigen, wie durch die Verbindung mit einem Mediationsmodell sozialpädagogische Interventionen zu Konfliktlösungsstrategien beitragen kann. So ließe sich eruieren, ob mit derartigen Konfliktlösungsstrategien Gewaltmodi und Konfliktpotentiale zu reduzieren sind. Durch eine derartige Verbindung und kontrollierte Erprobung und Verobjektivierung kann nicht nur das Gewalt- und Konfliktpotential an Grundschulen analytisch herausgearbeitet und ausgelotet werden, sondern es kann gleichzeitig praxisrelevant gewendet und einer sozialwissenschaftlichen Überprüfung unterworfen werden, so dass Soziologie und Sozialpädagogik zwei verschiedene, miteinander verzahnte, aber unabhängige Komponenten bilden, die in ihrer Vernetzung die soziale Realität an den Schulen beschreiben und adäquate Konfliktlösungsmodelle anbieten können.
© Sabine Kergel (Berlin)
ZITIERTE LITERATUR
Bröskamp Bernd (1993), Ethnische Grenzen des Geschmacks. Perspektiven einer praxeologischen Migrationsforschung, in Gebauer/ Wulf (Hg.) (1993), Praxis und Ästhetik, Frankfurt/ Main: Suhrkamp
Gebauer Gunter/ Wulf Christoph (Hg.) (1993), Praxis und Ästhetik, Frankfurt/ Main: Suhrkamp
Kristeva Julia (1990), Fremde sind wir uns selbst, Frankfurt/Main: Suhrkamp
Simmel Georg (1968), Das individuelle Gesetz, Frankfurt/ Main: Suhrkamp
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