Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 16. Nr. August 2006
 

2.1. WIEDERHOLUNG ALS ERNEUERUNG: Innovationsstrategien der Wiederholung in der Gegenwartsliteratur
Herausgeberin | Editor | Éditeur: Zalina A. Mardanova (Nordossetien-Alanien)

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Moderne Intertextualität in Thomas Manns Roman "Die Buddenbrooks":
die Geburt - der Tod - die "zweite Geburt"

Elena Mamonova (Perm, Potsdam)

 

Viele Forschungen tendieren dazu, Thomas Manns Roman "Buddenbrooks" als einen sozialen oder realistischen Roman zu definieren. In der russischen Literaturwissenschaft kommt diese Tradition in den Arbeiten von Vladimir Dneprov (1965)(1), Dmitrij Zatonskij (1973)(2), Tamara Motileva (1986)(3) Leonid Andrejev (1996)(4) vor. Unter den deutschen Autoren sind hier mittlerweile Fritz Hoffmann (1976)(5), Inge Dirsen (1985)(6), Andrea Rudolph (1991)(7) zu nennen.

Dass der Roman aber inhaltlich eher der Neuromantik nahe ist, wurde noch von einem der ersten Theoretiker der Moderne, Samuel Lublinski (1901), deutlich ausgesprochen: "So sind die Buddenbrooks nur nach außen hin ein sozialer und in Wirklichkeit ein individualistischer Roman; sie bedeuten Einzelfall mit typischen Zügen, aber noch kein typisches Epos"(8). Die modernen Aspekte der "Buddenbrooks" gewinnen immer mehr das Interesse der Gegenwartsgermanisten, wie z. B. Helmut Koopmanns (1995)(9), Hubert Ohls (1995)(10), Katja Grotes (1996)(11), wobei das für die Moderne typische "Zitatmuster" des Romans oft im Mittelpunkt der Forschung steht. Thomas Mann selbst schrieb in "Nationale und internationale Kunst" (20.08.1922) über die Quellen der "Buddenbrooks": "Die literarischen Einflüsse, die an dem Buche mitwirkten, kamen überall her…"(12) Sowohl ausländische Vorbilder, als auch die für den Roman prägenden, deutschen Einflüsse wurden mehrmals untersucht(13). Stets erscheinen neue Arbeiten, in denen sich Wissenschaftler mit den mythologischen Strukturen in Thomas Manns Romanen auseinandersetzen(14).

Die These meines Vortrags ist: Die Intertextualität des Romans "Buddenbrooks" präsentiert die Ambivalenz der literarischen Moderne um 1900, in der, wie Christiane Barz (2003) schreibt, "sich die kritische Reflexion der auslaufenden Epoche, die Bilanzierung der Verluste und Defizite, mit der Suche nach einer weltanschaulichen Neuorientierung verbindet"(15).

Im "Krisenbewußtsein"(16) der Jahrhundertwende 1900 wurde dem tradierten theologischen Weltbildparadigma das innovative Wissenschaftsparadigma entgegengesetzt: "Mit der Transzendenz verliert der Mensch ein weiteres tradiertes Weltdeutungssystem. Hinzu kommt die folgenreiche "darwinistische Revolution"(17), die von Biologie auch auf die menschlichen Lebensverhältnisse ausstrahlte und ein Ende des anthropozentrischen, teleologischen Weltbildes markiert"(18). Christiane Barz stürzt sich in ihrer Modernedefinition auf das Modell Georg Simmels(19): "Simmel greift die zentralen Gegensätze seiner Zeit auf: Vermassung - Individualisierung, Nivellierung - Differenzierung, wissenschaftliches ästhetisches Weltbild, historische Diskontuinuität - Einheit des Lebens, und entwirft damit ein Bild der kulturellen Moderne, das sich aus den Wechselwirkungen ihrer Gegensätze zusammensetzt"(20). Daraus lässt sich "die Aktualität des mythischen Denkens"(21) folgern: "Die kulturelle Moderne zeichnet sich sowohl durch die rationalistische Entmythisierung der Welt, als auch durch kompensatorische Widerkehr des mythischen Denkens aus"(22).

Die Auseinandersetzung Thomas Manns mit den innovativen Weltanschauungssystemen äussert sich in seiner Rezeption Arthur Schopenhauers "Die Welt als Wille und Vorstellung"(23) (1819), sowie auch in der Biographie des Reformators der italienischen Kirche Girolamo Savonarola(24) (1452 -1498). "Die Notizbücher erwähnen den Namen Schopenhauers zwar wiederholt. Aber es handelt sich um zusammenhanglose Einzelnotate, die nur dokumentieren, daß Thomas Mann vermutlich zwischen Ende September 1895 und Ende Oktober 1895 erstmals Schopenhauer gelesen hat. Rückschlüsse auf eine von Schopenhauer tiefer geprägte eigene Lebensphilosophie lassen sie für diese Jahre nicht zu (...) Das »Schopenhauer«-Kapitel des Romans ist denn auch das einzige, wo der Einfluß Schopenhauers unverkennbar ist. Im Zentrum des Fünften Kapitels des Zehnten Teils steht die Schopenhauer-Erkenntnis aus dem Kapitel »Über den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit unseres Wesens an sich« (in den Ergänzungen zum Vierten Buch von Die Welt als Wille und Vorstellung, Kap. 41), daß der Untergang des einzelnen kein Verlust, sondern Befreiung sei und daß das Fortleben des einzelnen kein Thema einer Philosophie sein könne, weil das Leben sich generisch fortsetzte. »In der Erscheinung und mittelst deren Formen, Zeit und Raum, als principium individuationis, stellt es sich so dar, daß das menschliche Individuum untergeht, hingegen das Menschengeschlecht immerfort bleibt und lebt«. Der Tod, so Schopenhauer, sei die »Zerstörung des Grundirrthums unsers Wesens«. - »Der Tod belehrt ihn eines Bessern, indem er diese Person aufhebt, so daß das Wesen des Menschen, welches sein Wille ist, fortan nur in ändern (???) Individuen leben wird« (ebd.). Thomas Mann folgt hier den Überlegungen Schopenhauers außerordentlich dicht - Folgen für den Roman hat die Erfahrung Schopenhauers aber bekanntlich nicht, sondern ist nur ein letztlich unsicherer Fluchtweg Thomas Buddenbrooks"(25).

Die Figur von Hieronimus Savonarola, wie auch Schopenhauers "Die Welt als Wille und Vorstellung", ist für Mann das Symbol des Verfalls: "Savonarola ist aus Ferrara aus guter und hochangesehener Bürgerfamilie gebürtig. Statt auch seinerseits einen bürgerlichen Beruf zu ergreifen, entweicht dieser geniale Verfallstypus seinen Eltern ins Kloster, in die Heiligkeit (die Literatur), gelangt später nach Florenz und wird dort Herr…"(26) Der Rationalismus als innovatives Weltanschauungsparadigma werden von Thomas Mann sowohl in der Philosophie, als auch in der Theologie verweigert.

Die Auseinandersetzung mit der modernen Ambivalenz in der Intertextualität im Roman "Buddenbrooks" erfolgt im Bezug auf zwei Aspekte. Ein Aspekt findet im Dialog von Mythos und literarischen Poesie- bzw. Prosatexten des 19. Jahrhunderts Ausdruck. Ein anderer Aspekt betrifft die Aneignung der obengenannten "fremden" Texte in dem Diskurs des Autors. Hier sind der Heldenmythos im Sinne seiner allgemeinen Struktur, die Gedichte des August von Platen ("Venedig", "Tristan" / 1825, "Verfall" / 1831)(27) und Fjodor Dostojewskijs Roman "Die Brüder Karamasow" (1880)(28) für die Analyse besonders prägnant.

Als eine Familiensage ist "Buddenbrooks" als Heldenmythos zu sehen, dessen Wesen und Beziehung auf den Schöpfungsmythos Jeleasar Meletinskijs in seiner Arbeit "O literaturnich archetipach" (1994)(29) präzisiert; "Im Heldenmythos korrespondiert die Biographie des Protagonisten, der die Aufnahmenprobe (Initiation) besteht, mit dem Prozess des rituellen Generationenwechsels, der an der Grenze des Biologischen und des Sozialen verläuft (...) Die Intiation ist mit der Vorstellung des Todes verbunden, der zur Erneuerung führt"(30). Meletinskij zeigt, dass der Generationenwechsel im Heldenmythos und der Kampf des Kosmos gegen das Chaos im Schöpfungsmythos kohärent sind(31). Sowohl die Welt des Schöpfungsmythos, als auch die Welt des Heldenmythos ist ein geschlossenes zweiteiliges System, das auf den Gott bezogen ist. Für dieses System ist die Figur des Erstgeborenen typisch, von dem eine gewisse Menschengruppe abstammt. Er ist ein Mediator bzw. Vermittler zwischen der Welt und dem Jenseits, und ist auch als Vertreter des menschlichen Geschlechts mit Gott verbunden"(32). Der Mythos spiegelt das Majorat als Zeichen einer patriarchalen Urgesellschaft wider.

Mann schrieb, dass man "den Geist des Nibelungenringes" im Roman spüren kann(33). Die Welt der "Buddenbrooks" beginnt mit dem mythologisierten Erstgeborenen, der am Ende des sechzehnten Jahrhunderts in Parchim gelebt hat und dessen Sohn, der zu Grabau Ratsherr geworden ist, für seine Nachkommen Notizen hinterlassen hat: "Mein Sohn, sey mit Lust bey den Geschäften am Tage, aber mache nur solche, dass wir bey Nacht ruhig schlafen können"(34). Die auf das Hausschild geschriebene Familiendevise "Dominos providebit" symbolisiert die Präsenz Gottes in der Welt, die auch das Jenseits einschließt, so dass auch die gestorbenen Familienmitglieder zum Geschlecht gehören. Das "Buddenbrooks"-Sujet enthält die Motive der Geburt, des Todes und der Wiedergeburt im Bezug auf die Geschichte einer bürgerlichen Familie. Der Tod bedeutet in diesem tradierten Paradigma den Übergang ins Jenseits, die Geburt bedeutet umgekehrt die Wiederkehr aus dem Jenseits in die Welt, wobei die Geburt eines Kindes zugleich die "zweite Geburt" des Vaters ist. Der Text des Romans beginnt aber mit dem Konflikt des tradierten und des innovativen (für den Naturalismus typischen, biologischen) Paradigmas. Johann Buddenbrook scherzt über die Frage der göttlichen Herkunft und zieht den jüngeren Sohn Jean dem älteren Gotthold vor (Rückgang vom Majorat zum Minorat). Im Sinne der Genetik macht er die falsche Wahl, wobei die a priori unproduktive Geschlechtslinie vorzügliche Entwicklung bekommt. Johannes’ Schuld besteht darin, dass er nicht dem Herzenswillen nach, sondern nach dem Willen der Vernunft handelt. Damit wird das Rationelle dem Ethischen vorgezogen, was das Gleichgewicht zwischen Tod und Geburt verletzt, wobei der Tod das Übergewicht bekommt. Das Motiv des Todes bezieht sich schon auf den "Verfall einer Familie", wie der Untertitel erläutert: "Thomas Mann läßt seinen Erzähler in den Buddenbrooks von fünfzehn Todesfällen unterschiedlich differenziert berichten"(35). Die Geburt (Klaras, Erikas, des zweiten Kindes von Toni, das bald stirbt, und Hannos) kann dem Tod nicht mehr entgegengesetzt werden. Die Adventszeit ist nicht mit der geistigen, sondern mit der materiellen Sphäre verbunden (überflüssige Mahlzeiten)(36). Nach den tradierten Vorstellungen ist jetzt keine Wiedergeburt in der Welt "Buddenbrooks" möglich, wie auch im Text des Romans.

Die literarischen Texte des 19. Jahrhunderts sind die "anderen", "fremden" Texte, in denen das Motiv der "zweiten Geburt" vorhanden ist, und die durch dieses Motiv mit "Buddenbrooks" korrespondieren. Dabei wird das Motiv des "Reisens", das nach Meletinskij mit der Initiation verbunden und insoweit dem Motiv des Todes kohärent ist, aus dem Bereich des Sujets in den Bereich des Diskurses des Autors übertragen. Der Autor "flieht" für die Suche nach der "zweiten Geburt" aus dem "eigenen" Text in die "fremden"."Die "zweite Geburt" als ästhetisches Phänomen, das das Gleichgewicht des Todes und der Geburt wiederherstellen soll, wird in "Buddenbrooks" durch das Wort "Verfall" im Untertitel des Romans markiert. Als ethisches Phänomen erscheint sie an dessen Ende im Wort "Wiedersehen". Beide, "Verfall" und "Wiedersehen", korrespondieren mit den "fremden" literarischen Texten, und zwar mit den Gedichten August von Platens (1796-1835) und mit Fjodor Dostojewskijs Roman "Die Brüder Karamasow".

Die "zweite Geburt" als das Erwerben eines neuen Lebens im Kunstwerk bzw. im Text stammt von August von Platens Dichtung. Im Brief an Otto Grautoff vom 25.10.1898 weist Mann auf die konkreten Strophen in Platens Gedicht "Wenn Ihr suchet ohne Wanken" hin:

"So ward ich ruhiger und kalt zuletzt,
Und gerne mocht ich jetzt
Die Welt, wie ausser ihr, von ferne schaun:
Erlitten hat das bange Herz
Begier und Furcht und Graun,
Erlitten hat es seinen Teil von Schmerz,
Und in das Leben setzt es kein Vertraun;
Ihm werde die gewaltige Natur
Zum Mittel nur,
aus eigner Kraft sich eine Welt zu bauen"(37)

Nach der nicht erfüllten Absicht Manns sollten diese Strophen zum Epigraph der "Buddenbrooks" werden(38). Sie korrespondieren mit einem Auszug aus dem Gedicht "Nur Eins", auf das Mann auch in einem weiteren Brief an Otto Grautoff (22. 12.1898) hinweist, und aus dem klar wird, dass "eine, aus eigner Kraft gebaute Welt", die Welt des Wortes ist:

"Denn Eines ist es, was in allem Leiden
Uns stark erhält und aufrecht oft und fort,
Ein trostreich Spiel voll höchster, feinster Freuden
und Unglückseligsten: Es ist ein Wort"(39).

Mann verzichtet aber auf das Epigraph, stattdessen führt er in den Untertitel des Romans das Wort "Verfall" ein, das sich auf Patens Gedicht "Verfall" bezieht:

"Hülflos sinkst du dahin, unerrettbar! Daß du so groß warst,
        Daß du verdunkeltest einst, Mächtige, Rom und Byzanz,
Frommt es dem Enkel? Es mehrt den unendlichen Schmerz und die Wehmut:
        Alles vergeht; doch wird Schönes allein so beweint"(40).

Das Gedicht "Verfall" entstand 1831 (Polenlieder) nach den Gedichten "Venedig" und "Tristan" (1825, Sonette aus Venedig), was eine offensichtliche Parallele zu Thomas Manns "Tristan" (1903), "Tod in Venedig" (1912) und "Buddenbrooks. Geschichte des Verfalls einer Familie" (1900) ist.(41) Im "Verfall" wird deutlich, dass das "Schöne" - "Rom und Byzanz" - nicht ewig ist, und insofern kann auch des Menschen (des was?) vor dem Tod retten,? weswegen man noch größere Todesangst bekommt. Im Text "Buddenbrooks" wird Hanno aber nicht frustriert, während er den Doppelstrich unter seinem Namen in der "Familienbibel" zeichnet: "(…) mit stiller Miene und gedankenloser Sorgfalt, mechanisch und verträumt, zog er mit der Goldfeder einen schönen, sauberen Doppelstrich quer über das Blatt hinüber (…)"(42). Sein Vater Thomas wird auch beim Verkaufen des Familienhauses nicht frustriert: das schöne Gedicht, das Jean Jacques Hoffstede zur Ehre dieses Hauses vorgelesen hatte, bleibt für Thomas nur eine Kindheitserinnerung, die keinen Bezug auf sein Geschäft und die Interessen der Firma hat. Christian nimmt weder das Klavierspiel noch das Theater ernsthaft ein: beides interessiert ihn nur oberflächlich. Der Mensch kann nicht im Jenseits der Kunst ein neues Leben bekommen: das schreckliche Ende des Romans (der Tod des Kindes) ist der tragische Ausdruck dieses Gedankens.

Die "zweite Geburt" als "Wiedersehen" erscheint am Ende des Romans in Friderike Buddenbrooks Worten, die sie Toni zum Trost ausspricht. Hinzu kommt, dass das ihr einziger Satz in dem ganzen Text ist: "Es gibt ein Wiedersehen"(43). Obwohl Peter Mendelssohn(44) schreibt, dass Thomas Manns Notizbuch "keinen Hinweis darauf enthält", ob der Schriftsteller zur Zeit des Entstehens der "Buddenbrooks" die "Brüder Karamasow" las, scheint das Wort "Wiedersehen" ein Zitat aus dem letzten Teil der Epiloge in "Die Brüder Karamasow", "Iljuschetschkas Beerdigung. Die Rede am Stein" zu sein. Nachdem Karamasow über den Wert der Erinnerung an den armen gestorbenen Jungen spricht, fragt ihn Kolja Krasotkin, ob es wahr ist, was die Religion sagt, dass man nach dem Tode aufersteht und einander wiedersieht. Alesa antwortet, dass daran kein Zweifel sein kann, und dass man nach der Auferstehung einander wiedersieht und fröhlich alles erzählt, was war. Dieses Motiv führt zur wichtigsten Idee der russischen Literatur des 19. Jahrhunderts, über die Jeleasar Meletinskij in seiner Dostojewskij-Rezeption schreibt: "Nur die Liebe und das Bereuen, die zur Auferstehung führen, können zur Quelle der Weltordnung und Weltharmonie werden"(45). Sowohl am Ende der "Brüder Karamasow" als auch der "Buddenbrooks" wird nicht das Vergehen der Schönheit, sondern der Kindestod beweint, und das gibt den Anlass zu denken, dass die Wiederkehr zum Wert der menschlichen Liebe, und aslo auch "die zweite Geburt" als ethisches Phänomen möglich ist. Dostojewskij wagt in seinem Roman, die Wahrheit der Auferstehung dem Gottesmenschen Alesa bestätigen zu lassen; auf die Religion wird dabei deutlich hingewiesen: dieses Wort spricht Kolja aus, und nach der Rede soll das Gedächtnismahl stattfinden, was auf das tradierte Paradigma zurückführt. In Manns Roman ist die Zitatwahrnehmung dem Sinn nach zweideutig: einerseits bleibt der Glaube des authentischen Textes aufrecht, andererseits wird die Auferstehungshoffnung von der dämonischen Figur Sesemi Weichbrod bestätigt, wodurch der Zweifel entsteht. Dabei endet der Roman nicht mit der im dem Romans eigenen Erzählsituation, sondern mit dem Katharsiszitat "Es ist so", das die Schlussambivalenz beibehält: einerseits bleibt der Autor im Rahmen des "fremdem" Textes und andererseits ist durch Kursivsetzen seine Presenz im "eigenen" Text vorhanden. Die Rückkehr des Autors in den eigenen Text bleibt nicht entschieden, wie auch die "zweite Geburt" als ethisches Phänomen im Rahmen des Romans, der doch das ästhetische Phänomen ist.

Die "zweite Geburt" ist weder als ästhetisches Programm des "Schaffens der eigenen Welt aus den Herzenkräften" noch als ethisches Programm im Rahmen des Kunstwerkes zu realisieren, denn Thomas Mann schreibt selbst in "Lübeck als geistige Lebensform" (1926) "das Ethische, im Gegensatz zum bloß Ästhetischen, zur Schönheits- und Genußseeligkeit, auch zum Nihilismus und zur Todesvagabondage - das Ethische ist echte Bürgerlichkeit, der Sinn für Lebenspflichten, ohne den überhaupt der Trieb zur Leistung, zum produktiven Beitrag an das Leben und an die Entwicklung fehlt"(46). Der Endzwiespalt berücksichtigt den Willen des Lesers, der ihn nur durch sein Leben überwinden kann. Die moderne Ambivalenz "der Weltflucht" und "des Lebensglaubens" wandelt sich in "Buddenbrooks" in die Ambivalenz der Freiheit und der Verantwortung, die im Bezug auf den Autor und auf den Leser als Diskursproblem entsteht.

© Elena Mamonova (Perm, Potsdam)


ANMERKUNGEN

(1) Dneprov, Wladimir: Cherti romana XX veka. M; L.1965.

(2) Zatonskij, Dmitrij: Iskusstwo romana i XX vek. M ., 1973.

(3) Motileva Tamara: Zarubjejschnij roman segodnja. М ., 1986.

(4) Zarubjejschnaja literatura XX veka. Utschebnik pod redakcijej L. G. Andrejeva. M., Visschaja schkola, 1996.

(5) Hofmann, Fritz: Das erzählerische Werk Thomas Manns. Entstehungsgeschichte. Quellen- Wirkung. Berlin, Weimer 1976.

(6) Diersen, Inge: Thomas Mann. Episches Werk, Weltanschauung, Leben. Berlin, Weimar, 1985.

(7) Rudolph, Andrea: Zum Modernitätsproblem in ausgewählten Erzählungen Thomas Manns, Diss., Stuttgart, 1991.

(8) Samuel Lublinski: "Der Ausgang der Moderne", Dresden,1901, S. 183

(9) Koopmann, Helmut: Thomas Manns Buddenbrooks: Grundlagen und Gedanken zum Verständnis erzählender Literatur. Frankfurt am Main, 1995.

(10) Ohl, Hubert: Ethos und Spiel. Thomas Manns Frühwerk und Wiener Moderne. Freiburg, 1995.

(11) Grote, Katja: Der Tod in der Literatur der Jahrhundertwende. Frankfurt am Main. 1996.

(12) Mann, Thomas: Selbstkommentare: "Buddenbrooks", Frankfurt am Main, 1991, S. 61

(13) Unter anderen sind die Analysen von Helmut Koopman und Oliver Kurt-Georg Geldszug am ausführlichsten. // Koopmann, Helmut: Thomas Manns Buddenbrooks: Grundlagen und Gedanken zum Verständnis erzählender Literatur. Frankfurt am Main, 1995; Geldszug, Oliver Kurt-Georg: Verzicht und Verlangen: Askese und Leistungsethik in Werk und Leben Thomas Manns. Berlin, 1999.

(14) Dazu über "Buddenbrooks": Robles, Ingeborg: Unbewältigte Wirklichkeit: Familie, Sprache, Zeit als mythische Strukturen im Frühwerk Thomas Manns. Bielefeld: Aisthesis-Verlag, 2003

(15) Barz, Christiane: Weltflucht und Lebensglaube. Aspekte der Dekadenz in der skandinavischen und deutschen Literatur der Moderne um 1900. Edition Kirchhof &Franke. Leipzig und Berlin, 2003, S. 9

(16) Ebd.,S. 33

(17) Engels, Ave-Marie: Biologische Ideen von Evolution im 19. Jahrhundert und ihre Leitfunktionen. // Engels (Hg.) Die Rezeption von Evolutionstheorien im 19. Jahrhundert, Frankfurt/M. 1995, S. 13 - 66

(18) Barz, Christiane: Weltflucht und Lebensglaube. Aspekte der Dekadenz in der skandinavischen und deutschen Literatur der Moderne um 1900. Edition Kirchhof &Franke. Leipzig und Berlin, 2003, S. 9

(19) Simmel, Georg: Tendenzen im deutschen Leben und Denken seit 1870. // Simmel, Georg Schopenhauer und Nietzsche (1907). Hamburg 1990, S. 15

(20) Barz, Christiane: Weltflucht und Lebensglaube. Aspekte der Dekadenz in der skandinavischen und deutschen Literatur der Moderne um 1900. Edition Kirchhof &Franke. Leipzig und Berlin, 2003, S. 27

(21) Ebd., S. 82

(22) Ebd.

(23) Schopenhauer, Arthur: Die Welt als Wille und Vorstellung . Leipzig, 1991

(24) Savonarola, Hieronimus: Auswahl aus seinen Predigten und Schriften. / Savonarola Girolamo, Leipzig, 1986.

(25) Koopmann, Helmut: Thomas Manns Buddenbrooks: Grundlagen und Gedanken zum Verständnis erzählender Literatur. Frankfurt am Main, 1995, S. 32

(26) Thomas Mann Notizbücher 1 - 6. Nr. 4, Frankfurt am Main, 1991, S. 212

(27) Platen, Graf von, August: Werke in 2 Bänden. - München: Winkler, 1982

(28) Dostojewskij, Fjodor:Die Brüder Karamasow. Roman. Aus dem Russischen übertragen von Hans Ruoff und Richard Hoffmann. Mit einem Nachwort von Horst-Jürgen Gerigk sowie einer Zeittafel und Literaturhinweisen. Vollständige Ausgabe, 14. Auflage. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1996

(29) Meletinsky, Jeleasar: O literaturnich archetipach. RGU, M., 1994, S. 5 - 68 Dazu auch: Propp, Wladimir Istoritscheskije korni wolschebnoj skaski. Leningrad, 1946; Bodkin Maud Archetypal Pattern in Poetry. N. Y. 1934; Campbell, Joseph: The Hero with the Thousand Faces. Princeton, 1948.Frey, Northrop Anatomy of Criticism. Princeton, 1957; Neumann Erik The Origins and History of Consiousness. Princeton, 1973

(30) Ebd., S. 15

(31) Ebd.

(32) Ebd., S. 18

(33) Mann, Thomas: Selbstkommentare: "Buddenbrooks", Frankfurt am Main, 1991, S. 28

(34) Mann, Thomas: Buddenbrooks, Berlin, 1952, S. 55

(35) Grote, Katja: Der Tod in der Literatur der Jahrhundertwende. Frankfurt am Main. 1996, S. 82

(36) Dazu Kikuko Kashiwagi: Festmahl und frugales Mahl: Nahrungsrituale als Dispositive des Erzählens im Werk Thomas Manns. Freiburg im Breisgau : Rombach, 2003

(37) Mann,Thomas: Selbstkommentare: "Buddenbrooks", Frankfurt am Main, 1991, S. 8, 9

(38) Ebanoidse Igor: Nevedomij klassik. Predeslovie k publikazii "Thomas Mann. August von Platen" //Inostrannaja literatura 1998, №4, S. 37

(39) Mann, Thomas: Selbstkommentare: "Buddenbrooks", Frankfurt am Main, 1991, S. 10

(40) Platen, Graf von, August: Werke in 2 Bänden . München: Winkler, 1982

(41) Frank Busch: August Graf von Platen - Thomas Mann: Zeichen und Gefühle. München: Fink 1987

(42) Mann, Thomas: Buddenbrooks, Berlin, 1952, S. 541 - 542

(43) Mann, Thomas: Buddenbrooks, Berlin, 1952, S. 788

(44) Mendelssohn, Peter, de: Der Zauberer. Teil 1., Frankfurt am Main, 1996, S. 444 "Buddenbrooks" korrespondieren mit "Die Brüder Karamasow" auch durch Motive der "Brüderfeindschaft" und der "Teufelsvision" (Elena Mamonova)

(45) Meletinskij, Jeleasar: Transformazii archetipov v russkoj klassitscheskoj literature. // O literaturnich archetipach. M., 1994, S. 93

(46) Mann, Thomas: Selbstkommentare: "Buddenbrooks", Frankfurt am Main, 1991


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Elena Mamonova (Perm, Potsdam): Moderne Intertextualität in Thomas Manns Roman "Die Buddenbrooks": die Geburt - der Tod - die "zweite Geburt". In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 16/2005. WWW: http://www.inst.at/trans/16Nr/02_1/mamonova16.htm

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