Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 16. Nr. Juni 2006
 

2.1. WIEDERHOLUNG ALS ERNEUERUNG: Innovationsstrategien der Wiederholung in der Gegenwartsliteratur
Herausgeberin | Editor | Éditeur: Zalina A. Mardanova (Nordossetien-Alanien)

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Bericht: WIEDERHOLUNG ALS ERNEUERUNG: Innovationsstrategien der Wiederholung in der Gegenwartsliteratur

Zalina A. Mardanova (Nordossetien-Alanien) 

 

Wiederholung als Prinzip, Strategie, rhetorische Figur, im literarischen Diskurs verortet, wird auch im auf Innovation ausgerichteten Leitprojekt der Moderne nicht ausgeblendet. Post(post)moderne entdeckt den Begriff wieder, nicht zuletzt durch die Aufhebung der fragwürdigen/anfechtbaren Dichotomie zwischen Wiederholung und Innovation. Wie Innovationsenthusiasmus das Element des Routinehaften enthalten kann ("Die Innovation ermüdet", so Houellebecq), so kann auch die Wiederholung Differenzen schaffen (ein bekanntes Beispiel dafür ist Borges’ "Pierre Menard, autor del Quichote"), indem Akzente auf den Zwischenbereich versetzt werden, zwischen Original und Kopie, Matrix und Variation, Produktion und Reproduktion.

Der Ausgangspunkt der Sektionsarbeit war die Auseinandersetzung mit dem innovativen Potential der Widerholung vorwiegend innerhalb der literaturwissenschaftlichen Fragestellung.

Björn Weyand (Berlin) ging auf die intertextuelle Verfasstheit von Krachts Roman 1979 ein, mit dem, so sieht es die Literaturkritik, die Popliteratur an ihr Ende gekommen ist und der Weg für eine Rückkehr zur literarischen Tradition frei scheint. Eine vergleichende Lektüre des Romans mit Thomas Manns Zauberberg zeigt, wie sich Kracht die Leitmotivtechnik Thomas Manns aneignet. Doch wird das Erbe der literarischen Tradition mit 1979 in eine neuartige Textur überführt, die Wiederholung der literarischen Moderne löst sich in reiner Zitathaftigkeit und Intertextualität auf - beruhigend, lässt sich doch somit auch die Geschichte der Selbstauslöschung in 1979 nicht länger als authentische lesen.

Im Vortrag von Anna Babka (Wien) bilden feministische Strategien den innovativen Lektüre-Zugang zum Kleistschen "Marionettentheater." Mit der Theoretisierung der Wiederholung als Performativum im Sinne Judith Butlers, verschränkt mit Jacques Derridas Iterabilitätskonzept, versucht sie eine Perspektivierung des Prozesses der Identitätskonstruktion - anhand der "Dornauszieher-Figur" - als eines de-konstruktiven Prozesses.

Inge Arteel (Brüssel) zeigte, dass Wiederholung, Aneignung und Verwandlung wesentliche Merkmale von Friederike Mayröckers Poetologie bilden. Indem die Autorin wahlverwandte Texte und Kunstwerke verwandelnd wiederholt, schafft sie Raum für ein starkes intertextuelles schreibendes Ich.

Der Vortrag von Enikö Dacz (Szeged) stellte den Versuch dar, die Wiederholungsvarianten in Moritz Rinkes "Nibelungen" zu inventarisieren. Er gliederte sich in zwei Teile, die mit den Erscheinungsmodi der Repetition zusammenfallen. Zuerst wurde die Repetition auf der thematisch-motivischen Ebene aus rezeptionsgeschichtlicher Hinsicht als sinnkonstruierendes Potential geschildert, dann als Basis rhetorischer Figuren zum Vorschein gebracht. Zum Abschluss wurde die Frage problematisiert, was hinter der zwanghaft erscheinenden Wiederholung steht.

Die Repetition ließ sich - besonders als Komponente von Stilmitteln - als Sache des Humors und der Ironie entblößen. Auf der thematischen Ebene dient sie der eigenen Identitätssuche, die mit der im Text implizierten Vergangenheit verbunden ist, nicht überwunden werden kann und zur Identitätskrise führt. Das Drama wurde als Suche gedeutet, das durch die Wiederholung die Konfrontation mit der Vergangenheit abschließen möchte, um in der Gegenwart die Weiterentwicklung zu ermöglichen.

Birte Giesler ging von der emblematischen Figur der Wiederholung als Erneuerung - der des Klones - aus, expliziert am Beispiel des ersten deutschsprachigen Dramas, das Gentechnik und reproduktives Klonen zu zentralen Themen macht, Igor Bauersimas futur de luxe.

Der Klon (als Form der Kopie und der Wiederholung) bildet - so die leitende These des Vortrags - nicht nur das zentrale Thema, sondern gleichzeitig das ästhetische Prinzip der Stückkonstruktion. Bauersimas Drama zitiert zahlreiche literarische und theatrale Genres sowie kulturelle Muster und Bilder, so dass Literatur und Theater selbst als ‚Klon’ erscheinen. Im ironisch gebrochenen selbstbezüglichen Spiel mit den traditionellen Formen in der Montage von Drama, Bühne und Film entsteht so ein hybrides ästhetisches Gebilde, das eine eigene Poetologie und Theatertheorie transportiert.

Stefanie Kreuzer (Wuppertal) geht es um "intertextuelle Auto(r)-Tötung und Wiederbelebung". Eine literarische Praxis der Wiederholung, des Zitierens, Paraphrasierens etc. läuft stets Gefahr, an einem künstlerischen Originalitätsanspruch gemessen als eklektizistisch eingestuft zu werden. In Zeiten der Postmoderne(n), in denen Roland Barthes den Tod des Autors programmatisch verkündet hat, wird den universellen Verweisungszusammenhängen der Texte jedoch auch eine betonte ‘Wiederbelebung’ der Autoren aus den intertextuellen Wiederholungszwängen entgegengestellt. Im deutschsprachigen postmodernen Roman können mit Patrick Süsskinds "Der Parfum" (1985), Christoph Ransmayrs "Die letzte Welt" (1988) und Klaus Hoffers "Bei den Bieresch" (1979/83) drei unterschiedliche Strategien aufgezeigt werden, wie Autoren sehr bewusst intertextuell agieren, den Textraum kreativ selbstreflexiv erproben und implizit von verschiedenen Metaebenen aus hinterfragen.

Der Vortrag von Volker Mergenthaler (Tübingen) stellt zur Debatte, ob sich nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001, so war in den Feuilletons zu lesen, die Literatur von ‘Pop’ zu verabschieden und kulturkritisch wie ethisch relevantes zu produzieren habe. Auf die Forderung antwortet Max Goldts "Wenn man einen weissen Anzug anhat."

In Rekurs auf den tradierten etho-poetologischen Diskurs über die Dichtung nach Auschwitz vermag Goldt die Frage nach den Möglichkeiten der Kunst nach dem 11.9.2001 zu erörtern und Innovation aus dem Traditionsbezug zu begründen, ohne die Verankerung im ‘Pop’ aufgeben zu müssen.

Jörg Löffler (Oldenburg) aktualisiert in seinem Vortrag eine andere Figur der Wiederholung - die des Kopisten. Botho Strauss’ Aphorismenband Die Fehler des Kopisten verweist bereits im Titel auf das thematische Zentrum, das der mäandernde Text in immer neuen Anläufen umkreist: Wie soll der Künstler mit der kulturellen Überlieferung umgehen, und was bedeutet dies für seinen Anspruch auf Originalität? Scheint die Identifikation von Autor und Kopist auch das reproduktive Moment gegenüber dem produktiven zu betonen, so gehen die beiden Gegenpole im Verlauf des Textes jedoch eine komplexere Verbindung ein. Künstlerische und auch gesellschaftliche Erneuerung ist von der bewussten Aneignung der Tradition gar nicht zu trennen - einer Tradition, die pointiert und polemische gegen das Innovationspotential der neuen Medien ins Feld geführt wird.

Der Vortrag von R üdiger Singer (Berlin) greift die Formulierung des Ausschreibungstextes von "der modernistischen Rehabilitierung der Wiederholung" auf und thematisiert die Funktion der Wiederholung in Lyrik-Parodien vom Beginn der lyrischen Moderne bis zur Gegenwart. Dabei wird die "modernistische’ Position bereits mit dem Aufkommen der Genie-Ästhetik im 18. Jahrhundert greifbar.

Die feministische Linie des Sektionsthemas wurde im Beitrag von Zalina Mardanova (Vladikavkaz) weiterverfolgt. Die Akzentuierung der soziokulturellen Disposition von Frauen durch das Postulat des "doppelten Ort[es] der Frau" - nämlich "innerhalb und außerhalb des Symbolischen" (S. Weigel) - favorisiert bestimmte Schreibstrategien, die ihren Ausdruck und ihre Kontur in denen das Zusammenspiel von Wiederholung und Subversion inkorporierenden feministischen Denkfiguren gewinnen, auf die bei der textanalytischen Untersuchung im Beitrag Bezug genommen wurde. In der erneuten Hinwendung an diese umstrittenen Konzepte wurde versucht, der Frage nach dem Innovativen der Literaturproduktion von Frauen und in diesem Zusammenhang auch nach dem Innovationspotenzial der Wiederholung nachzugehen.

© Zalina A. Mardanova (Nordossetien-Alanien) 


2.1. WIEDERHOLUNG ALS ERNEUERUNG: Innovationsstrategien der Wiederholung in der Gegenwartsliteratur

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Zalina A. Mardanova (Nordossetien-Alanien): Bericht: WIEDERHOLUNG ALS ERNEUERUNG: Innovationsstrategien der Wiederholung in der Gegenwartsliteratur. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 16/2005. WWW: http://www.inst.at/trans/16Nr/02_1/mardanova_bericht16.htm

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