Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 16. Nr. | August 2006 | |
3.4. Sind die Weltreligionen friedensfähig? |
Christa Mulack (Hagen)
[BIO]
Mit meinem Vortrag möchte ich an Vera Zingsems Ausführungen zum Thema "Weltethos" anknüpfen. Ihrer Kritik am Modell von Hans Küng stimme ich voll und ganz zu. Nicht jedoch ihrer These, nach der es keinen Frieden in der Welt geben kann, solange mit den Begriffen männlich und weiblich Wertungen von Höher- und Minderwertigkeit verbunden werden. Das sehe ich in der Tat anders. Zugegeben, auch mir behagen die Begriffe der Höher- und Minderwertigkeit nicht, und ich halte nach anderen Worten Ausschau, da sie nun einmal negativ besetzt sind und in erster Linie patriarchale Einschätzungen und Wertemuster vermitteln.
Heißt der patriarchale Umgang mit Qualifizierungen und Hierarchisierungen aber auf diese ganz verzichten zu müssen? Dürfen wir nun nicht mehr genau hinschauen, für welche Werte die Geschlechter stehen und welche sie überwiegend vertreten und umsetzen? Und dürfen wir diesen Werten keine Vor- oder Nachrangigkeit bescheinigen? Müssen wir gar im Einheitsbrei der Geschlechtslosigkeit versinken - uns gar geschlechtsblind stellen, wo doch so viele der alltäglichen Unterschiede nach einer Thematisierung förmlich schreien? Dürfen wir das offenkundig zerstörerische Wertesystem, in dem wir leben, nun nicht mehr als patriarchal bezeichnen und damit bewusst machen, dass es von Männern auf der Grundlage ihrer biologischen Vaterschaft geschaffen wurde? Entspricht es doch schon lange nicht mehr der political correctness aufzuzeigen, wer von welchen Werten oder auch Unwerten profitiert und wer das Nachsehen hat. Niemand scheint wissen zu wollen - oder zu dürfen -, dass es nicht nur ein anderes, sondern auch ein besseres, ein lebensdienlicheres Wertesystem gibt, das in erster Linie von Frauen stammt und von ihnen getragen wird. Wir sind offenbar bereit, den hohen Preis zu bezahlen, den die Verdrängung des Wissens um seine qualitative Höherwertigkeit uns abfordert.
Mir scheinen aus weiblicher Perspektive daher nicht die Qualifizierungen und Hierarchisierungen das Problem zu sein, sondern die gängigen patriarchalen Qualifizierungen und Hierarchisierungen. Und das nicht nur, weil sie Frauen und Kindern zum Nachteil gereichen, sondern weil sie schlichtweg lebensfeindlich und folglich falsch sind, weil sie ganz einfach den Bedingungen des Lebens widersprechen. Sie erweisen sich zunehmend als unhaltbar, weil sie falsch sind, als kontraproduktiv, weil sie uns teuer zu stehen kommen und als gefährlich weil sie in zunehmendem Maße nicht nur unsere Kultur und Gesellschaft, sondern den ganzen Planeten ruinieren. Aus diesen Gründen sind sie abzulehnen, sind sie doch Teil einer Wirklichkeit gewordenen männlichen Ideologie, der es von Anfang an um die Etablierung und Erhaltung männlicher Macht ging. - Hier bedarf es daher keiner Gleichstellung, sondern einer Richtigstellung.
Wer meint, mit der Abschaffung von Qualifizierungen und Hierarchisierungen die real existierenden Unterschiede wegdiskutieren zu können, trägt zur Gleichmacherei bei. Die Gleichschaltung der Geschlechter aber - das zeigt sich zunehmend - führt letztlich zu einer einseitigen Anpassung der Frau an männliche Vorgaben, Erwartungen und Verhaltensweisen. Frauen riskieren den Verlust weiblicher Dimensionen des Denkens, Handelns und Fühlens und damit auch der letzten Reste eines noch rudimentär vorhandenen weiblichen Welt- und Menschenbildes. Das gegenwärtig noch gültige patriarchale Welt- und Menschenbild trägt weiblichen Vorstellungen und Bedürfnissen in keiner Weise Rechnung, weil männliche Theorien darin eine größere Rolle spielen als die Wirklichkeit beider Geschlechter. Die meisten Frauen wissen noch nicht einmal, wie sehr sie durch das patriarchale Paradigma von ihrem tiefsten Sein entfremdet werden. Sobald sie aber mit einem nicht-patriarchalen bzw. matriarchalen Welt- und Menschenbild konfrontiert werden, fällt es ihnen wie Schuppen von den Augen und sie werden sich der Tatsache bewusst, dass sie tief drinnen so etwas gefühlt und ansatzweise auch gedacht haben - es nur nicht in Worte fassen konnten. Seit mehr als 20 Jahren mache ich in meinen Vorträgen und Seminaren entsprechende Erfahrungen.
Die Begriffe und Vorstellungen von Gleichberechtigung, Gleichstellung und Gleichwertigkeit der Geschlechter habe ich in meinem Buch "Natürlich weiblich" ausführlich diskutiert. Je weniger daran gedacht wird, sie zu verwirklichen, desto stärker sind sie heute in aller Munde. Lassen Sie mich an dieser Stelle an jeden dieser Begriffe nur eine Frage richten:
Wie können wir von einer Gleichberechtigung sprechen, bei der noch nicht einmal angedacht werden darf, dass Frauen vielleicht ein ganz anderes Rechts- und Ordnungssystem als das vorhandene wollen?
Was meinen wir mit Gleichstellung, wenn es doch zwischen Frauen und Männern ein recht starkes Interessen-, Bedürfnis- und Leistungsgefälle gibt, die alle drei durch Gleichstellung vergewaltigt werden?
Und wie können wir schließlich von einer Gleichwertigkeit sprechen, wenn doch die Werte und Verhaltensweisen von Männern der Gesellschaft als ganzer zunehmend schaden, ihr durch weibliche Werte und Verhaltensweisen ein enormer Nutzen zufließt, von dem in erster Linie Männer profitieren?
Natürlich gibt es sie, die gesellschaftsrelevanten Ansätze von Frauen zu diesen Themen. Ich denke dabei an eine Carolyn Merchant und Vandana Shiva, an Mary Daly und Maria Mies, an Starhawk und viele andere - nicht zu vergessen meine eigenen Bücher. Doch bislang nimmt nur ein kleiner Kreis fortgeschrittener Frauen und Männer diese Ansätze zur Kenntnis. Ansonsten werden Mädchen und Jungen von klein auf darauf verpflichtet, sich die männlich-patriarchale Weltsicht und Mentalität anzueignen, die diesen Planeten letztendlich dem Ruin entgegen treiben.
Ein neutralisierender Ansatz, der das Eigene der Frauen gar nicht im Blick hat und allein schon dadurch verdeckt abwertet, auf den eine friedensfähige Gesellschaft jedoch in erster Linie angewiesen ist, kann daher auf gar keinen Fall die Lösung sein. Bedeutet er doch in letzter Konsequenz den endgültigen Sieg des männlich-patriarchalen Unrechtssystems, das sich über die Frau und ihr ureigenstes Welt- und Menschenbild erhebt.
Trotz der bereits vollzogenen einseitigen Vermännlichung des weiblichen Geschlechts durch die Integrierung von Frauen in das männliche System sind dennoch nach wie vor beträchtliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern auszumachen. Es gibt dazu zwischenzeitlich eine Fülle von Untersuchungen, deren Ergebnisse wohl kaum noch von der Hand zu weisen sind. Danach sind Frauen in der Tat das friedlichere, sozialere, ganzheitlichere, offenere, selbstkritischere, kurz, das Geschlecht, das sich insgesamt als vernünftiger, ökonomischer und lebensfördernder erweist. Und das nenne ich qualitativ höherwertiger. Aber das offen zu sagen, erscheint wie ein Sakrileg - und so dürfen wir es nicht wahrhaben wollen. Frauen und Mädchen mögen zwar ein wenig aufholen in Sachen männlicher Unarten, das ändert jedoch nichts an dem Gesamtergebnis, dass sie dort, wo es um Gewalt und Verbrechen, um Korruption und Betrug, um Ausbeutung und Unterdrückung geht, auffallend seltener vertreten sind als Männer und Knaben. Auf 25 männliche Strafgefangene kommt z.B. nur eine Frau - und das, obwohl Frauen auffallend häufig für bestimmte Delikte längere Strafe erhalten als Männer und jene für viele der von ihnen begangenen Delikte (z.B. sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder) gar nicht erst belangt werden.
Es ist hier nicht der Ort, sich mit den Ursachen und Hintergründen solch gravierender Unterschiede zu befassen. Ich habe dies - wie gesagt ausführlich in meinem Buch "Natürlich weiblich" getan. Betonen möchte ich jedoch aufgrund einschlägiger Erfahrungen mit diesem Thema, dass es sich bei meinen Ausführungen nicht etwa um Verabsolutierungen, sondern um Komparative handelt. Ich stütze mich auf wissenschaftliche Forschungsergebnisse aus Jahrzehnten, die allen zugänglich sind. Es geht mir also um statistische Werte, die kollektiv zu Buche schlagen, die aber nicht unbedingt mit jeder Alltagserfahrung im Einklang stehen müssen.
Bei genauerer Betrachtung dieser Differenzen wird eine Hierarchie erkennbar, die eindeutig für das weibliche Geschlecht spricht. Denn Frauen sind nun einmal nicht bereit, das Leben anderer Menschen zu riskieren, nur um sich selbst zu bereichern oder sich andere Vorteile zu verschaffen. Ihre Werte erweisen sich daher für jede Kultur als die besseren. Denken wir dann auch noch an den enormen Kostenfaktor, der durch unsoziales und kriminelles Fehlverhalten von Männern in schwindelnde Milliarden-Höhen getrieben wird und auf die Ausgaben für Soziales drückt, dann wird vielleicht deutlich, dass wir um eine Hierarchisierung weiblicher und männlicher Wertvorstellungen gar nicht herum kommen. Auch jenseits krimineller Handlungen können wir es uns eigentlich schon lange nicht mehr leisten, zu viele Männer in verantwortlichen Positionen von Wirtschaft und Politik zu beschäftigen, da ganz eindeutig sie es sind, die nicht haushalten können, die Konten der ihnen anvertrauten Institutionen und Unternehmen leer plündern, die sich für Waffensysteme und Forschungsprojekte begeistern, die letztlich unbezahlbar sind.
Aber wer sagt das schon? Hier müssen wir endlich lernen genauer hinzuschauen, statt qualitative Unterschiede, die für weibliches Verhalten sprechen, einfach in der Nivellierung zu begraben und sie damit unsichtbar zu machen, obwohl sich dieses System doch ganz wesentlich aus ihnen speist. (Vgl. hierzu: Mulack 2007). Schütten wir also das Kind nicht mit dem Bade aus und schauen uns die traditionellen und realen Qualifizierungen etwas genauer an, bevor wir uns von ihnen verabschieden. Vieles erweist sich als verkehrt, weil es sich dabei um simple Verkehrungen handelt, die vor Jahrhunderten oder Jahrtausenden vorgenommen wurden und einfach rückgängig gemacht werden müssen.
Ich bleibe also dabei, dass es nicht Hierarchisierungen, Bewertungen und Unterscheidungen als solche sind, die den Geschlechterfrieden stören, sondern der unangemessene Umgang mit diesen. Zu verabschieden wären somit falsche Hierarchisierungen, falsche Bewertungen und Unterscheidungen, die der Wirklichkeit widersprechen.
Hätte es in der Vergangenheit wirklich so etwas wie ein christliches Abendland im Sinne der Lehren Jesu gegeben, so wäre weder das erschreckende Maß an Unfrieden, das unsere Geschichte nicht nur an der Geschlechterfront durchzieht, noch das ebenso erschreckende Ausmaß an Frauenverachtung und -unterdrückung möglich gewesen. Ganz zu schweigen vom Leid der Kinder, das weltweit zum patriarchalen Alltag gehört und das auffallend viele Frauen gleich zweimal durchlaufen: Als kleine Mädchen unter dem vielfältigen Druck der Familie und später noch einmal unter dem Druck des Ehemannes - ganz zu schweigen von den ungerechten sozialen Verhältnissen, denen sie in besonderer Weise ausgesetzt sind.
Auch nach 2000 Jahren christlichen Glaubens gehören Gerechtigkeit und Geschlechterfriede längst nicht zu den hervorstechenden Merkmalen christlicher Kulturkreise. So leben nach der Wiederbelebung des christlichen Glaubens im Russland der 90er Jahre dort gegenwärtig mehr als 1 Mio. Kinder auf der Straße. Sie sind in den meisten Fällen vor ihren betrunkenen und brutal zuschlagenden Vätern geflüchtet und mussten zum Teil erleben, dass die Gewalt und das Grauen in den Kinderheimen weitergingen. Ähnliche Nachrichten kommen aus den christlichen Ländern Südamerikas. - Und das, obwohl doch Jesus gerade die Kinder zu sich gerufen und ihren Schutz gefordert hat, der eigentlich für jede humane Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit sein sollte - auch ohne Religion.
In keinem Land der Erde ist die männliche Politik jedoch in der Lage, Kinder Frauen vor Männern in angemessener Weise zu schützen.
In seinen zentralen Lehren hat Jesus aber gerade das Verhalten von Frauen und Kindern als heilsrelevant herausgestellt.
Für meine Ausführungen habe ich drei Themenbereichen ausgewählt, in denen eindeutig weibliches Verhalten und weibliche Wertvorstellungen als heilbringend beschrieben werden.
Die Lehre vom Reich Gottes als Wertschätzung weiblicher Kompetenz.
Der Abba Jesu, der nichts mit irdischen Vätern gemein hat.
1. Die Lehre Jesu vom Reich Gottes als Wertschätzung weiblicher Kompetenz.
In der Theologie herrscht heute Einigkeit darüber, dass Jesu Lehre vom Reich Gottes den Kern seiner gesamten Theologie bildet. Nicht Gott der Vater steht demnach im Mittelpunkt seiner Lehren, sondern die Malchut. Das ist der hebräische feminine Begriff für unser "Reich Gottes". Leider ist der Umstand, dass Jesu Lehren sich um einen göttlich-weiblichen Mittelpunkt drehen, von dem er in vielfältigen Bildern spricht, bislang noch viel zu wenig zur Kenntnis genommen worden. Die Malchut war für Jesus nicht etwa eine utopische Größe, sondern etwas, das unter den Menschen zwar bedeutsam und allgegenwärtig ist, das aber dennoch recht unscheinbar wirkt und im offiziellen Wertekanon nicht zur Kenntnis genommen wird. - Hier besteht eine deutliche Parallele zu Laotse, der in gleicher Weise vom TAO spricht, dem Urgrund allen Seins, den er in seinem Tao te king eindeutig als weiblich beschreibt.
In vielen Bildern stellt Jesus die Umkehrungsbedürftigkeit des Wertekanons dar: So vergleicht er die Malchut mit einem Senfkorn, das kleiner ist als alle anderen Samenarten, die Jesus kennt, und doch zu einem riesigen Baum heranwächst, in dessen Zweigen die Vögel Schutz finden. Zu diesem Bild gesellt sich in Jesu Lehren auch noch der Früchte tragende Baum - beides uralte Muttersymbole, die uns in den Darstellungen der Antike auf Schritt und Tritt begegnen.
Wenn Jesus im Bild des Senfkorns der Unscheinbarkeit die heilsrelevante Bedeutung zur Seite stellt, so verweist er damit auf jene Diskrepanz, die den Wertemustern seiner Zeit innewohnt: jedes soziale Systems nährt sich in erster Linie vom Verhalten der Mütter, verweigert ihnen jedoch die entsprechende Wertschätzung und Honorierung und mutet ihnen eklatante Benachteiligungen zu, wodurch die wahre Bedeutung weiblicher Kräften und Verhaltensweisen kaschiert wird. Heilsrelevantes Handeln beschreibt Jesus so: Gefangene besuchen, Kranke heilen, Hungrige nähren, Nackte kleiden, Trauernde trösten. Das aber sind Tätigkeiten, die Frauen ganz selbstverständlich Tag täglich ausüben - Männer eher weniger, wenn überhaupt.
Die Malchut als Gegenwärtigkeit des Göttlichen ist nach Aussagen Jesu also nicht dort anzusiedeln, wo sich Männlichkeit präsentiert und ihre Großartigkeit zelebriert, wo große Reden geschwungen werden, ohne dass ihnen Taten folgen, wo Macht und zweifelhafte Erfolge zur Schau gestellt und Siege über Schwächere gefeiert werden. Die Malchut ist vielmehr dort wahrnehmbar, wo friedensfähig gehandelt, wo geliebt, geholfen, geheilt und getröstet wird. Kurzum: wo Menschen sich typisch weiblich verhalten. Weiblich deshalb, weil sich Männer die hier angesprochenen Tätigkeiten und Eigenschaften nun einmal nicht auf ihre patriarchalen Fahnen geschrieben, sondern sie an Frauen delegiert haben. Verhaltensweisen, die sie selbst für "unmännlich" bzw. weiblich wenn nicht gar als "weibisch" - hielten.
In seiner Heilslehre verändert Jesus aber nicht nur die Kategorien "bedeutsam" und "irrelevant" nach dem Motto: Die Letzten werden die Ersten sein. Er bricht auch mit den traditionellen Vorstellungen von rein und unrein, von denen gerade Frauen in sie ausgrenzender Weise betroffen waren.
Hier bedient er sich des Bildes einer Frau, die einen Sauerteig knetet und ihn zum Aufgehen bringt, um so das Wirken der Malchut zu beschreiben. Damit aber fordert er gängige jüdische Vorstellungen heraus, nach denen der Sauerteig - auf einer Ebene mit einer menstruierenden Frau - der Kategorie des Unreinen angehörte. Als höchstes Fest feiert das fromme Israel bis heute das Fest der ungesäuerten Brote und lässt für eine Woche allen Sauerteig aus dem Hause schaffen. Wenn Jesus an dieser Stelle einen inneren Zusammenhang herstellt zwischen dem "unreinen" Sauerteig und der Malchut, so verabschiedet er sich ganz klar von gängigen patriarchalen Vorstellungen der jüdischen Priesterschaft, die Frauen beleidigten.
Die dritte Kategorie, die Jesus neben der Bedeutungslosigkeit und Unreinheit nennt, ist die Verborgenheit als Merkmal der Malchut. Hier begegnen wir dem Bild vom Schatz, der in einem Acker verborgen ist. Um ihn heben zu können, gibt ein Mann sein ganzes Vermögen her, um den Acker kaufen und den Schatz heben zu können. In einem weiteren Bild geht es um einen Kaufmann, der auf der Suche nach einer besonders wertvollen Perle die ganze Welt durchreist und sich unbändig freut, als er sie endlich gefunden hat. Beide Männer investieren, was für sie am wichtigsten ist, nämlich Zeit und Geld, um ihr Ziel zu erreichen. Das aber ist das verborgene oder verdrängte Weibliche, für das Schatz und Perle hier stehen.
Die Aussage ist klar: Weiblich-göttliche Dimensionen werden in patriarchalen Strukturen nicht in ausreichendem Maße wahrgenommen und häufig sogar völlig ignoriert. Daher ist es wichtig, dass Blinde sehend werden, dass Taube hören und Lahme wieder gehen können. Nur wo die Wahrnehmungs- und Bewegungsorgane der Menschen wieder in Ordnung gebracht werden, können sie sich von ihren Wahrnehmungsstörungen und aus ihrer geistigen Starre befreien. Nur so vermag sich die Malchut auszubreiten und den Menschen das Heil zu bringen.
Auch die Freude über das Wiederfinden des Verlorenen wird von Jesus beschrieben, und zwar zum Einen im Bild der Frau, die einen verlorenen Groschen wiederfindet und ihre Nachbarinnen zusammenruft, um mit ihnen die Freude darüber zu teilen. Zum anderen aber auch im Bild des guten Hirten, der seine 99 Schafe verlässt, um das verloren gegangene hundertste Schaf zu suchen und es dann in großer Freude zur Herde zurück zu tragen.
Das dritte Bild der Freude über das Wiederfinden von Verlorenem bringt uns zum zweiten Themenbereich:
2. Der Abba Jesu, der nichts mit den irdischen Vätern gemein hat
Im Gleichnis vom verlorenen Sohn malt Jesus das Bild eines Vaters, das sich den zur damaligen Zeit gültigen Vorstellungen von Vaterschaft völlig widersetzte. Ich weiß nicht, ob ich es als bekannt voraussetzen kann: Danach zahlt ein Vater seinem jüngeren Sohn bereits zu Lebzeiten das Erbe aus, da dieser ihn darum bittet. Statt irgendwelche Bedingungen daran zu knüpfen, entlässt er ihn mit dem Geld in die Freiheit. Nachdem der Sohn das Geld verprasst hat, dabei aber weder Glück noch Erfolg erlangt hat, macht er sich nach einer entbehrungsreichen Zeit als Schweinehirt auf den Weg zurück zum Vater. Er hat sich ausgerechnet, dass es ihm dort selbst als Knecht besser gehen würde als in seiner gegenwärtigen Situation, in der er hungern muss. Es ist also nicht einmal die Sehnsucht nach dem Vater, die ihn wieder nach Hause treibt, sondern kühle Berechnung.
Der Vater muss auf seinen Sohn gewartet und immer wieder Ausschau gehalten haben; denn er sieht ihn bereits von Ferne, läuft ihm entgegen, umarmt und küsst ihn voll Freude über seine Heimkehr. Der Sohn kommt gar nicht erst dazu, seine Bitten um Verzeihung und seine Vorstellung von seiner künftigen Arbeit als Knecht vorzubringen. Der Vater lässt ihn als seinen Sohn neu einkleiden und vertraut ihm sogar sein Siegel wieder an - und damit Autorität und Geschäftsfähigkeit+. Am Abend gibt er dann ein Fest, um seiner Freude über den Verlorengeglaubten gebührend Ausdruck zu verleihen. Als aber der ältere Sohn sich weigert, die Freude mit dem Vater zu teilen, leistet er auch noch Beziehungsarbeit, geht hinaus und versucht, ihn zum Mitfeiern und damit zur Mitfreude zu bewegen.
So weit das Gleichnis. Es widerspricht wie gesagt vom ersten bis zum letzten Satz den Vorstellungen, die in der Antike von väterlichem Verhalten existierten. Dabei spielt es keine Rolle, ob wir nach Rom, Griechenland, Ägypten schauen oder aber in Israel bleiben. Überall war das Vater-Sohn-Verhältnis auf der Grundlage von Besitz- und Gehorsamsstrukturen geregelt. Der Vater aber, den Jesus als Bild des Göttlichen zeichnet, steht völlig konträr zu diesen Vorstellungen: Dieser Vater benutzt seinen Besitz in keiner Weise dazu, seinen Sohn zu bevormunden, zu manipulieren oder gar seinen Gehorsam zu erzwingen, wie es damals gang und gäbe war. Wandte sich ein Sohn damals von seinem Vater ab und stellte sich so gegen dessen Vorschriften, war es üblich, ihn zu enterben und vor die Tür zu setzen.
So einfach haben es sich Mütter zu keiner Zeit der Menschheitsgeschichte gemacht. Ihnen war es nicht möglich so zu tun, als hätten sie ihre Kinder nicht geboren. Und so dienten Jesus die Mütter seiner Zeit - und nicht etwa die Väter - als Vorbild für göttliches Verhalten. Denn nur die mütterliche Liebe erweist sich in der alltäglichen Praxis als unbedingt - nicht an irgendwelche Forderungen geknüpft -, wie Erich Fromm feststellt. Die Liebe eines Vaters zu seinem Sohn ist dagegen bedingt. Ihr Grundsatz lautet: "Ich liebe dich, weil du meine Erwartungen erfüllst, weil du deine Pflicht tust, weil du mir ähnlich bist." (Vgl. Fromm 1977, 65f)
Eine Mutter dagegen liebt ihr Kind, weil es ihr Kind ist - und nicht etwa, weil es besondere Leistungen erbringt. Ihre Liebe ist also unabhängig vom Gehorsam des Kindes und anderen Anpassungsleistungen. Oftmals liebt sie gerade das Sorgenkind am stärksten.
Der Vater im Gleichnis handelt demnach wie eine Mutter: nicht fordernd und von bedingungsloser Liebe motiviert. Obwohl der jüngere Sohn den Machtbereich väterlicher Autorität verlassen will, zahlt er ihm widerspruchslos sein Erbe aus, obwohl er darauf noch gar kein Anrecht hat. Damit entlässt er ihn eigentlich aus seiner Sohnschaft.
Patriarchale Rechtsvorstellungen missachtend, wartet der Vater dann auf die Rückkehr des Sohnes und nimmt ihn voll Freude wieder auf, ohne von ihm Rechenschaft über den Verbleib des Erbes, über seine künftigen Lebensvorstellungen oder gar ein Schuldeingeständnis zu verlangen. Statt ihn erzürnt über sein verantwortungsloses Verhalten vom Hof zu jagen, läuft er ihm in gut mütterlicher Art entgegen, umarmt und küsst ihn und zeigt offen seine Freude über die Rückkehr des heruntergekommenen Sohnes, der sein Erbe bis auf den letzten Heller verprasst hat.
Der Vater, den uns Jesus hier vor Augen führt, braucht keinen Opfertod, um vergeben zu können, wie dies später in der paulinischen Theologie der Fall ist. Hier stellt sich - ganz am Rande erwähnt - die Frage, ob es nicht ein vorpaulinisches Evangelium von der sündenvergebenden Liebe Gottes gegeben hat. "Wer diese Schwierigkeit noch nicht empfunden hat" - und das gilt für die Lehren beider Kirchen - "ist noch nicht in den vollen Gehalt der Erzählung eingedrungen." (Grundmann III, 310) Dieser Mangel ist die Ursache für die unsinnige Lehre von der sündenvergebenden Kraft des Blutes Jesu, die bis heute verbreitet wird.
Bei Jesus ist der Vater auch darin eine Mutter, dass er nicht nur ein geduldig Wartender ist; er ist auch der Werbende, der nicht zulassen will, dass in seinem Hause die Liebe zu kurz kommt und sich ein Sohn ausschließt von seiner überwältigenden festlichen Liebesfreude. Und so ist er bereit, Beziehungsarbeit zu leisten, vor der die meisten Männer sich nach wie vor drücken. Er bemüht sich um den neidischen älteren Sohn, der sich ins Abseits begeben hat, und will ihn wieder in die Hausgemeinschaft integrieren. Ohne ihn ist seine Freude nicht komplett. Und so endet das Gleichnis mit folgender Antwort des Vaters auf die heftigen Vorwürfe seines älteren Sohnes, dass er nie ein Fest bekommen und nie mit Freunden gefeiert habe: "Kind, du bist allezeit bei mir, und mein ganzer Besitz ist dein. Du müsstest mitfeiern und dich freuen, denn dieser dein Bruder war tot und ist zum Leben gekommen, er war verloren und wurde gefunden." (Lk 15,31f)
Jedes Wort, jede Geste, jede Seelenregung dieses Vaters entsprechen typischen Verhaltens- und Gefühlsmustern orientalischer Mütter. Anders als die Väter seiner Zeit, bewegt sich dieser Vater aber nicht zwischen Tyrannei und Dressur. Er verlegt sich weder aufs Gebieten noch aufs Fordern, weder aufs Züchtigen noch aufs Strafen, weder aufs Drohen noch aufs Schelten. Stattdessen lässt er sich ausschließlich von der Liebe zu seinem Sohn leiten. Damit ist er aber nicht repräsentativ für den Vater, sondern stellt vielmehr eine Vater-Utopie dar. Ein Vaterbild jenseits menschlicher Denkmöglichkeiten und Gepflogenheiten. Wir haben es hier mit der Symbolisierung eines göttlichen Vaters zu tun, der sich an mütterlichen Gefühls- und Verhaltensmustern orientiert und damit gleichzeitig die patriarchalen Väter auf Erden in Frage stellt, deren Verhalten er verwirft.
Die implizit väterkritische Haltung, die Jesus in diesem Gleichnis bekundet, durchzieht alle vier Evangelien, ohne dass sie als solche von den beiden Kirchen überhaupt zur Kenntnis genommen wird. Bei Mt (7,11) bezeichnet Jesus die irdischen Väter ganz pauschal sogar als "böse". Nur dort, wo sie für die Nahrung ihrer Kinder sorgen und damit mütterliches Verhalten nachahmen, spricht er ihnen einen Hauch von Gottebenbildlichkeit zu. Ansonsten lässt er kein gutes Haar an ihnen. Und das wohl zu Recht, wenn wir den Erfahrungen von Männern Glauben schenken, die sich in den vergangen Jahrzehnten über Väter geäußert haben. So schreibt z.B. Adorno von der Neigung des Vaters, "wo immer er der Aufsicht der Außenwelt entzogen ist, wo immer er im weiteren Umkreis des eigenen Ichs zu Hause sich fühlt, rücksichtslos und brutal aufzutreten. An denen, die ihm nahe sind, rächt er sich für alle Disziplin und allen Verzicht auf die unmittelbare Äußerung der Aggression, den die Fernen ihm auferlegen. Er verhält sich nach außen gegen die objektiven Feinde als höflich und freundlich, in Freundesland aber kalt und feindselig." (Adorno, Minimalia Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben, FFM 1978, 239f)
Und Horst Herrmann stellt fest: "Die Ideologie der Väter von Heim, Familie und Privatheit ist durch die Väter gründlich widerlegt. Über einer derart auschwitzoiden Situation, wo tödliche Klassifikationen herrschen und Vatermenschen Nicht-Vatermenschen verfolgen, steht die Liebeslüge als Zeichen. Liebe läßt sich zum einen als Toga benutzen, und als Toga dient zum andern auch der bloße Schein von Liebe. Wo das Surrogat die gleichen Dienste leistet, genügt dieses, um menschliches Dasein vorzutäuschen. Das System, das selbst nicht lieben kann, begnügt sich mit Masken." (Horst Herrmann: Vaterliebe, rororo 8248, 1989,167)
Aus ihrer rund 20jährigen Arbeit mit männlicher Gewalttätigkeit ziehen die beiden Verfasser Lempert und Oelemann ein für die Instanz des schützenden Vaters und die Familie als "Schonraum für Mutter und Kind" geradezu niederschmetterndes Fazit: Für Frauen sind Männer die Gefahrenquelle Nummer eins, und zwar gerade dort, wo Männer ihrer Liebe eine Heimat geben wollen: in der Ehe. Denn: "Männer schlagen die Person am häufigsten, die sie am meisten lieben und an die sie sich am stärksten binden. ... Eine Beziehung ist am gefährdetsten, in die sich der Mann lange und tief eingelassen hat. Frauen leben darum in engen Beziehungen, langjährigen Ehen und intensiven Partnerschaften am gefährlichsten! ... Im Grunde müßte eine Frau vor demjenigen Mann am meisten Angst haben, der ihr im Leben am nächsten steht - und nicht vor dem Unbekannten im Nachtbus. Der gefährlichste Ort ist die Familie - und nicht der dunkle Park. ... Die Familie repräsentiert durchaus keinen Schutzraum, keine Enklave, keine gewaltfreie Zone - ganz im Gegenteil." (Joachim Lempert und Burkhard Oelemann: "...dann habe ich zugeschlagen. Gewalt gegen Frauen. Auswege aus einem fatalen Kreislauf, München 1998, 27)
Wie stark die Männergewalt im patriarchalen System verankert ist und mit der Identifizierung mit dem eigenen Vater zusammenhängt, thematisiert Adorno recht prägnant: "Wer hart ist gegen sich, der erkauft sich auch das Recht, hart auch gegen andere zu sein, und rächt sich für den Schmerz, dessen Regungen er nicht zeigen durfte, die er verdrängen musste." (Theodor W.Adorno: Erziehung zur Mündigkeit, Frankfurt 1971,96)
Aber nicht nur gegen die leiblichen Väter richtet Jesus seine Attacken, sondern auch gegen die geistigen Väter seiner Zeit. Sie werden von ihm aufs schärfste kritisiert: "Sie sitzen gern obenan am Tisch ...und haben's gern, dass sie auf dem Markt gegrüßt und von den Menschen 'Meister' genannt werden." (Mt 23,6f) Diese Väter sollen die Jünger sich auf keinen Fall zum Vorbild nehmen, sondern sich anders verhalten, nämlich anderen dienend - wie Frauen also. Ja, er geht sogar so weit ihnen zu verbieten, irgendjemanden auf Erden "Vater" zu nennen. Dieser Begriff sollte als Hoheitstitel nur Gott vorbehalten bleiben. Väter als belehrende Instanzen und geistige Autoritäten werden hier vom Sockel gestürzt. Ihre Sicht der Dinge soll von nun an keine Gültigkeit mehr haben. Ihr patriarchales Welt- und Menschenbild einschließlich ihrer Wertemuster soll von den Nachfolgern Jesu nicht übernommen werden. An ihre Stelle sollen weibliche Kategorien treten.
Das ist der Kern der Gottes- und Menschenlehre Jesu, die bis heute ihrer Verwirklichung harrt. Verschärft wird sie noch dadurch, dass Jesus die Malchut frei halten will von väterlichen Instanzen. In ihrem Reich wird es wohl Mütter, Schwestern und Brüder geben, aber keine Väter mehr. (Vgl. Mk 10,29f) Zu dieser Aussage Jesu stellt der protestantische Theologe Jürgen Moltmann fest: "Es soll für alles reichlich irdischen Ersatz geben, auf das einer verzichtet hat, aber nicht für den Vater. Das aber heißt nichts geringeres als: 'Patriarchalische Herrschaft darf es in der neuen Familie nicht mehr geben, sondern nur noch Mütterlichkeit, Brüderlichkeit und Kindschaft vor Gott.' Patriarchalische Herrschaft in der Kirche Christi widerspricht daher ausdrücklich dem Glauben an die väterliche Nähe Gottes." (Jürgen Moltmann, Ich glaube an Gott den Vater Patriarchalische oder nichtpatriarchalische Rede von Gott? in: Ev. Theologie 5, Berlin 1983, 410)
Doch dann haben die Nachfolger Jesu eine Kirche mit einer Vielzahl von Amtsbezeichnungen und Ehrentiteln geschaffen und sogar die Anrede "Heiliger Vater" eingeführt, und zwar im unmittelbaren Ungehorsam gegen Mt 23,9.
Bereits von der ersten Generation der Nachfolger Jesu wurden dessen Vorstellungen und Forderungen verdrängt. Der aus seiner Liebe heraus vergebende Vater, wurde von Paulus abgesetzt; denn bei ihm erwies sich das rabbinische Erbe als stärker. Nach seinen eigenen Bekundungen interessierte ihn Jesus dem Fleische nach gar nicht, sondern nur seine eigene Vision vom Auferstandenen, dem er dann die eigene Lehre unterschob.
So wurde aus dem über alles liebenden und verzeihenden Vater jener, der seinen Sohn am Kreuz opferte zur Vergebung der Sünden. Ein Vater, der offenbar nicht in der Lage war ohne Blutvergießen zu verzeihen. Dies Bild war den Vorstellungen Jesu völlig zuwider.
Nach dem Tode des Paulus setzte sich dann zunehmend das römische Vaterbild durch und wurde auf Gott projiziert; denn immerhin stand es weit mehr mit alttestamentlichen Vorstellung im Einklang als das Bild, das Jesus gezeichnet hatte.
Auch Luther widersprach in seiner Auslegung des 5. Gebots der strikten Trennung göttlicher und irdischer Vaterschaft, die Jesus vorgenommen hatte. Er verschmolz beide und setzte in seinem Katechismus die irdischen Väter als Stellvertreter des himmlischen Vaters wieder ein. Wenn er sich auch gegen den "Heiligen Vater" aufzulehnen und durchzusetzen vermochte, der Macht des irdischen Vaters, unter der er als Kind so unendlich gelitten hatte, hielt er die Treue und stärkte sie aufs Neue.
Diese Haltung wirkt sich bis heute aus in einer realitätsfernen Wahrnehmung väterlicher Instanzen. Das von Jesus entworfene mütterliche Vaterbild, mit dem er den Menschen seiner Zeit den Wert weiblicher Dimensionen nahe zu bringen suchte, wurde nunmehr dazu missbraucht, irdische Väter zu idealisieren und zu erhöhen.
Der Aufruf Jesu: "Kehrt um; denn die Malchut ist nahe!", mit dem er sein öffentliches Auftreten begann, wurde offenbar weder von seinen Jüngern noch von seinen späteren Nachfolgern als eine Aufforderung zur Umkehr zu matriarchalen Strukturen und Werten verstanden. Offenbar aber hat er selbst die Macht patriarchaler Strukturen unterschätzt und sich die Abschaffung väterlicher Machtinstanzen viel zu einfach vorgestellt. - Immerhin, einen Versuch war es wert. Seine Werbung für eine Hinwendung zu weiblichen Dimensionen des Lebens ist jedoch ungehört verhallt. Sie ging aber dennoch nicht verloren.
Hat er Männer mit seiner Botschaft auch überfordert, für Frauen sollte es doch nicht allzu schwer sein, sie zu begreifen.
3. Die Sünde wider die Göttin
Wie ich ausgeführt habe, beschreibt Jesus den göttlichen Vater in erster Linie als eine liebende und vergebende Instanz. Auch im zwischenmenschlichen Miteinander misst er dem Akt des Verzeihens eine große Bedeutung bei, die er auch im Vaterunser zum Ausdruck bringt. "... und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.." Danach hat der Mensch nicht mehr und nicht weniger Vergebung zu erwarten, als er selbst zu geben bereit ist. Immer wieder heißt es in den Evangelien, Jesus habe den Menschen ihre Sünden vergeben, nicht zuletzt auch, um sie heilen zu können. Ihm war bewusst, wie dringend die menschliche Seele solche Entlastung braucht. Was ihn dagegen aufbrachte, war die vermeintlich reine Weste, die bestimmte Männerkreise für sich und ihre unerträgliche Frömmigkeit beanspruchten, während sie anderen ihr Fehlverhalten vorhielten. Ja, sogar bereit waren, eine des Ehebruchs bezichtigte Frau - den dazugehörigen Mann hatte man laufen lassen - zu Tode zu steinigen.
Nein, mit menschlicher Schuld als solcher hatte Jesus keine Problem - und der von ihm verkündete Gott auch nicht. Nun mangelnde Vergebensbereitschaft prangert er wiederholt an.
Es gibt jedoch eine Ausnahme, bei der Jesus kein Pardon kennt: die sog. "Sünde wider den Heiligen Geist", von der gleich drei Evangelisten schreiben.
In der Vergangenheit hat die Kirche den Menschen damit enorme Angst eingejagt; denn nach Jesu eigenen Worten, gibt es für diese Sünde "in Ewigkeit keine Vergebung".
Was aber meinte er damit? Die Kirche deutete sie lange Zeit als "Abfall vom Glauben", so dass sich niemand traute, ihre Lehren anzuzweifeln. Sie hätte es aber besser wissen können, denn dass das hebräische Wort für den Heiligen Geist ein Femininum ist, "die Ruah", lernen Theologie-StudentInnen bereits im ersten Semester. Doch lernen sie nicht, diesem Umstand auch die entsprechende Bedeutung beizumessen. Die Worte Jesu lassen auch hier (Mk 3,28f) seine radikale Hinwendung zu weiblichen Dimensionen - auch des Göttlichen - erkennen, wenn er erklärt: "Wahrlich, ich sage euch! Alle Sünden werden den Menschen vergeben, auch die Gotteslästerungen, womit sie Gott lästern; wer aber die Ruah lästert, der hat keine Vergebung ewiglich, sondern ist schuldig des ewigen Gerichts."
Hier wird also ganz klar unterschieden zwischen dem Göttlichen als einer männlichen Kraft, deren Lästerung durchaus Vergebung findet, und der Ruah als weiblicher Kraft, deren Lästerung nicht vergeben werden kann. Auf Gotteslästerung stand damals in Israel die Todesstrafe. Jesu Worte bedeuten demnach einen Angriff auf das religiöse Rechtsverständnis seiner Zeit. Das kam einer theologischen Revolution gleich, die jedoch von den Kirchen bis heute nicht zur Kenntnis genommen, sondern unter den Kirchenteppich gekehrt wird. Folglich wurde auch nie verstanden, auf welchen grundlegenden Unterschied Jesus mit seiner Drohung aufmerksam gemacht hat: Die vergebenden Kräfte der Barmherzigkeit stehen seit jeher im Zeichen des Weiblichen - und das weltweit. Sie wurden im buddhistischen China in der Göttin Quan Yin verehrt, in Ägypten in der Göttin Isis, im esoterischen Judentum in der Schechina, im frühen Christentum in der Ruah und in der späteren Kirche in Maria.
Weibliche Dimensionen zu vernachlässigen oder gar zu lästern, kam also einer Schwächung - wenn nicht gar einer Vernichtung - der vergebenden Kräfte gleich. Woher aber soll Vergebung dann noch kommen, wenn die Menschen sie durch Diffamierung ausgegrenzt und damit die Weichen gestellt haben für ihren Untergang, so dass sie "ewiglich" nicht mehr zur Verfügung steht?
Wo aber die vergebenden Kräfte, die mit den liebenden Kräften in einem engen Zusammenhang stehen, gelästert und damit zurückgedrängt werden, da bekommen gleichzeitig die männlich-richtenden zerstörerischen Kräfte Aufwind und treten nunmehr in den Vordergrund. Das lässt sich besonders in der Zeit Inquisition und Frauenverbrennungen beobachten. Dieser Epoche war die Zeit der Minne voraufgegangen, eine Zeit der Kultivierung der Liebe zwischen den Geschlechtern, die von der Kirche ganz bewusst zurückgedrängt und bekämpft wurde. Darauf folgte die Zeit der Inquisition, die schließlich das Überhandnehmen eines mörderischen Gerichtswahns zur Folge hatte.
In jener Zeit entstand die Verehrung der Schutzmantel-Madonna, die - wenn auch ohnmächtig gegenüber den richterlichen Machenschaften der Kirche - den barmherzigen Part übernahm, während Gott und Christus in strengen richterlichen Funktionen dargestellt wurden. In zahlreichen Abbildungen suchen alle Stände Schutz unter dem Mantel der Madonna vor dem richtenden Gott. Zahlreiche Legenden berichten von den liebend-vergebenden Kräften, die Maria nunmehr allein zu verkörpern hatte und den Menschen zu Teil werden ließ.
Die Kirche aber verschacherte den Menschen die Vergebung ihrer Sünden gegen bare Münze. Im Judentum hatten die Priester Jahrhunderte zuvor das Ihre getan, um das Tieropfer zur Vergebung der Sünden am Laufen zu halten, was ihnen der Prophet Hosea (4,1-10) vorwirft. Schließlich lebte die ganze Priesterzunft von Einnahmen aus dem Opferwesen.
Die eindeutige Unterscheidung, die Jesus an dieser Stelle zwischen dem männlichen Gott und der weiblichen Ruah vornimmt, kommt im nicht kanonisierten gnostischen Thomas-Evangelium noch klarer zum Ausdruck. Dort heißt es: "Wer den Vater lästert, dem wird vergeben. Wer den Sohn lästert, dem wird auch vergeben. Wer aber die Ruah lästert, der hat auf ewig keine Vergebung." (Spruch 45) Keiner der beiden Texte wurde in der Theologie in seiner geschlechtsspezifischen Eindeutigkeit zur Kenntnis genommen oder gar diskutiert. Bereits der Apostel Paulus verwischte die von Jesus gemachte Unterscheidung, als er schrieb: "...denn der Herr ist der Geist" (2.Kor.3,17). Und auch neuere Bibelübersetzer tun das Ihre, um die Brisanz der Worte Jesu zu übertünchen. Spätestens ab 1980 heißt es bei ihnen nur noch: "Alle Sünden und Lästerungen werden den Menschen vergeben; wer aber den Heiligen Geist lästert, hat auf ewig keine Vergebung." Hier fällt die Lästerung Gottes einfach weg. Stattdessen wird aus der Lästerung Ruah nunmehr eine Gotteslästerung gemacht, die nicht vergeben werden kann. Man bedient sich hier also einer bewussten Fälschung; um nicht die Verkehrtheit der eigenen Gotteslehre zugeben zu müssen.
Halten wir abschließend fest, dass in den Lehren Jesu dem Göttlich-Weiblichen ein höherer Wert zukommt als dem Göttlich-Männlichen. Dabei erscheint bei ihm das Göttlich-Weibliche in trinitarischer Form, und zwar
als Malchut, die sich als Anwesenheit des Göttlichen allmählich über die Welt ausbreitet, wenn Menschen beiderlei Geschlechts typisch weibliche Verhaltensweisen praktizieren.
als Ruah oder Heilige Geistin, die zu lästern absolut verboten ist; und
als Sophia, als göttliche Weisheit, die ich hier aus Zeitmangel nur am Rande erwähne, über die ich jedoch in meinen theologischen Büchern Grundlegendes geschrieben habe. (Mulack 1983 und 2004))
In der frühen Christenheit kam es zu einer Verschmelzung dieser drei Begriffe. Am längsten konnte sich die Sophia als eigenständige Gestalt neben dem männlichen Gott halten. Sie wird bis heute im orthodoxen Christentum verehrt und hat besonders in Russland ihre eigene Geschichte, die aber auch dort allmählich in den Hintergrund getreten ist. Im Westen ist sie längst mit Maria verschmolzen. Im Protestantismus ist weder die Eine noch die Andere erhalten geblieben. Die alleinige Verehrung des männlichen Wortes ist dort so weit fortgeschritten, dass man es sich hier sogar leisten kann, Frauen in den Pfarrdienst zu nehmen und in Bischofsämter zu wählen. Ist das metaphysische Weibliche erst abgetötet, so wird der Frau Gleichberechtigung zu männlichen Bedingungen gewährt.
Wie ich gezeigt habe, herrscht in den Lehren Jesu im Blick auf weibliche und männliche Kategorien alles andere als Ausgewogenheit. Im Gegenteil, Jesus bedient sich ganz eindeutigen Qualifizierungen und Hierarchisierungen - und das sogar auf der Ebene des Göttlichen, wie wir insbesondere im letzten Themenbereich sehen konnten.
Ein synoptischer Vergleich lässt erkennen, dass die Vermännlichung seiner Lehren bereits bei den Verfassern der vier Evangelien beginnt. Bei Markus, der als erster schrieb, benutzt Jesus den Vaterbegriff für das Göttliche nur insgesamt viermal. Dagegen ist vierzehnmal von der Malchut die Rede, also fast viermal so oft. Bei Johannes, dem letzten Evangelisten, gerät dies Verhältnis völlig aus den Fugen. Dort ist nur noch zweimal von der Malchut die Rede. Im Grunde genommen aber nur einmal, da es sich hierbei um eine Wiederholung handelt. Der Vaterbegriff dagegen kommt bei Johannes hundertvier Mal vor. Hier wird also eine Tendenz erkennbar, die von: "So wenig Vater wie nötig", bis hin zu: "So viel Vater wie möglich" geht. - Auch hier treten also die patriarchalisierenden Tendenzen recht eindeutig zu Tage. Das aber bedeutet, dass die Psyche der Evangelisten ebenso wenig wie die seiner Jünger in ausreichendem Maße fortgeschritten war, um die Vorgaben Jesu erfassen und aufgreifen zu können.
Ob wir dazu heute, 2000 Jahre später in der Lage sind, bleibt zu hoffen; denn nach 2000 Jahren religiöser Verirrungen wurde unsere Gesellschaft dermaßen zugerichtet, dass sie in ihren Vermännlichungsproblemen zu versinken droht.
Die hier dargelegte Problemursache aber müssten wir erst einmal zur Kenntnis nehmen und als solche akzeptieren. Dabei soll der dritte Teil meiner Ausführung helfen.
Schauen wir uns also die Gegenwart unter der Perspektive der Vermännlichungsproblematik etwas genauer an. Wiederum aus Zeitgründen müssen drei Aspekte ausreichen, um sie zu verdeutlichen. (Die nachfolgenden Daten lehnten sich an einen Vortrag von Christian Pfeiffer an.)
Da ist zunächst das Problem der Überbevölkerung, das uns zu schaffen macht. Zwar wurde es lange Zeit in erster Linie als ein Problem der Frauen gesehen, entpuppt sich aber zunehmend als ein Problem männlicher Dominanz. Die führte
zur Behinderung von Verhütungsmaßnahmen, die für Frauen früherer Jahrhunderte eine Selbstverständlichkeit waren, solange sie eigenständig entscheiden und über ihren Körper verfügen konnten.
veranlasste sie Männer zu einem höchst nachlässigen Umgang mit ihrem Sperma, für das sie keine Verantwortung übernehmen. Statt dessen glauben sie - insbesondere in südlichen Ländern -, ihre Potenz durch die Zeugung möglichst vieler Kinder unter Beweis stellen zu müssen.
zeigt sich heute die Verhinderung weiblicher Bildung als eine der hauptsächlichen Ursachen der Überbevölkerung. Sie wiederum hängt eng mit der Ausbeutung von Mädchen und Frauen durch Männer zusammen, die ihnen vielfach eine angemessene Bildung vorenthalten. Dort, wo Frauen und Mädchen gleichberechtigte Bildungschancen haben, geht auch die Kinderzahl drastisch zurück.
lässt sich auch noch Benachteiligung von Frauen beim Zugang zu Lebensressourcen nennen. Weltweit ist die Armut weiblich und der Reichtum männlich, weil Männer sich für eine ungerechte Verteilung der Güter und Produktionsmittel entschieden haben. Sie denken zuerst und häufig sogar ausschließlich an sich selbst und nicht an Frauen und Kinder. Je ärmer Frauen jedoch sind, desto mehr Kinder haben sie.
Eine weitere Ausbreitung der Überbevölkerung könnte demnach nur gestoppt werden, wenn Männer sich ihres Zeugungswahns entledigen, für gleiche Bildungschancen sorgen, Frauen mehr Eigenverantwortlichkeit zugestehen und für eine wirtschaftliche und soziale Geschlechtergerechtigkeit Sorge tragen. Wer die Dominanz errungen hat, kann sich nun einmal der Verantwortung nicht entledigen. Doch hat es nicht den Anschein, als seien Männer weltweit bereit, die Verantwortung für ihre falschen Weichenstellungen zu übernehmen.
Als zweites Problem nenne ich die Umweltverschmutzung, die nur auf den ersten Blick mit dem Problem der Überbevölkerung verknüpft ist. Die größten Verursacher von Umweltproblemen leben nämlich in den Industrieländern des Westens - allen voran die USA, gefolgt von Australien und Europa. Hier zeichnen sich mehr oder weniger drastische rückläufige Geburtenraten ab. Erst mit China drängt eine weitere Nation in die Reihen rücksichtsloser Umweltverschmutzer und kolossaler Konsumenten von Rohstoffen.
In allen Ländern dieser Erde ist es auf der einen Seite ausschließlich das männliche Geschlecht, das für eine verfehlte Wirtschafts- und Umweltpolitik verantwortlich zu machen ist. Andererseits sind es jedoch überwiegend Frauen, die Organisationen und Protestaktionen zur Verhinderung von Ungerechtigkeit und Umweltverschmutzung gründen und unterstützen. Sie setzen sich weitaus häufiger als Männer für den Erhalt der Umwelt und des Friedens ein. (S. Vandana Shiva)
Es ist "nicht zu übersehen, dass es sich bei den Personen, die in der Industrie, bei der Bauplanung, der Forstwirtschaft oder der Müllentsorgung Entscheidungen zu Lasten der Umwelt treffen, ganz überwiegend um Männer handelt. Es muss bezweifelt werden, dass Frauen in denselben Verantwortungsposition durchweg die gleichen Entscheidungen getroffen hätten." Das jedenfalls stellt der Chef des deutschen Bundeskriminalamtes, Christian Pfeiffer, in seinem Vortrag: "Gefährdet die männliche Dominanz das Überleben der Menschheit?" fest, der im Internet nachzulesen ist (Heft 4/2000 "Der Rotarier"). Pfeiffer bejaht die von ihm gestellte Frage ganz klar, und zwar auf der Grundlage erdrückender Beweise, von denen ich einige bereits genannt habe.
Der dritte Aspekt der Überlebensproblematik liegt in der massiven Gefährdung der Menschheit durch Gewalt, Terror und Krieg. Dass auch diese drei Bereiche ganz eindeutig vom männlichen Geschlecht zu verantworten sind, ist so offensichtlich, dass dieser Punkt nicht näher ausgeführt zu werden braucht. Dennoch gibt es jedoch auch auf diesem Gebiet dermaßen starke Wahrnehmungsstörungen, dass ich kurz auf einige zusätzliche Indizien hinweisen will, die Pfeiffer in seinem Vortrag anführt.
Wir brauchen gar nicht in die Zeiten der Kreuzzüge oder des Dreißigjährigen Krieges zurückzugehen, es gibt auch in der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit recht eindrückliche Beispiele für männlichen Terror. "Die Bomben in Nordirland, der Bürgerkrieg in Jugoslawien, der Bombenterror in Moskau und der ihn beantwortende Krieg in Tschetschenien - dies alles sind Gewaltakte von Männern. Die Protestaktionen hingegen, die es in den betreffenden Ländern gegeben hat, waren durchweg von Frauen dominiert. Zum Frieden in Nordirland hatten vor Jahren zuerst die Frauen aufgerufen und hierfür einen Friedensnobelpreis erhalten. Auch in Jugoslawien waren es die Frauen, die als erste öffentlich dafür eingestanden sind, dem Wahnsinn des Bürgerkrieges Einhalt zu gebieten." (Pfeiffer s.o.)
Dabei erweist sich, dass selbst die patriarchale Form der Gleichberechtigung von Frauen einer der grundlegenden Bausteine zur Lösung der Probleme sein kann. So hat sich beispielsweise gezeigt, dass dort, wo in bislang männlichen Berufsfeldern verstärkt Frauen eingesetzt werden, das Gewaltpotential beträchtlich zurückgeht. Man "hat in England festgestellt, dass sich dort, wo sich bei der Polizei bzw. unter den Bediensteten von Strafanstalten eine deutliche Erhöhung der Frauenquote ergeben hat, ein ebenso auffallendes Sinken der Beschwerden über illegale Polizeigewalt eingetreten ist bzw. ein deutlicher Rückgang von Disziplinarvorfällen mit Gefangenen. Offenkundig verstehen es Frauen besser bei Auftreten von Konflikten auf deren friedliche Beilegung hinzuwirken." (s.o.)
Dazu passt auch die Beobachtung, die der Hamburger Kriminologe Sessar gemacht hat, dass nämlich Richterinnen und Staatsanwältinnen dem Konzept der Wiedergutmachung und des Täter-Opfer-Ausgleichs wesentlich aufgeschlossener und positiver gegenüberstehen als Männer. Auch beurteilen sie die Qualität des Jugendstrafvollzugs wesentlich kritischer als ihre männlichen Kollegen. Und schließlich interessieren sie sich "weit stärker für Fortbildungsangebote, die den sozialen Hintergrund von Konflikten erläutern und weniger als die männliche Vergleichsgruppe für andere, bei denen die Wissensvermittlung im Bereich der Rechtsdogmatik im Vordergrund steht. Die Männer wiederum dominieren bei denen, die sich für ein hartes Strafen aussprechen und plädieren erheblich häufiger als Frauen für die Wiedereinführung der Todesstrafe." (s. o.)
Dem seit zwei Jahrzehnten gängigen Totschlagargument, Maggy Thatcher, Golda Meir und Frau Banderaneike seien der beste Beweis dafür, dass Frauen sich in der Politik keineswegs von Männern unterscheiden, begegnet Pfeiffer mit der These, die auch ich seit Jahrzehnten vertrete: Dass sich die positiven Auswirkungen der Feminisierung bestimmter Berufsfelder in unseren westlichen Kulturen immer erst dann zeigen, wenn der Frauenanteil in solchen Berufssparten einen relevanten Anteil erreicht hat. Überhaupt stimmen Pfeiffers Ausführungen voll und ganz mit dem überein, was ich in den vergangenen zwei Jahrzehnten in meinen Büchern, insbesondere jedoch in meinem mehrfach genannten Buch "Natürlich weiblich" veröffentlicht habe, (und dafür der "Männerfeindlichkeit" bezichtigt wurde).
Dennoch bin ich froh, für dieses Thema Männer zitieren zu können, weil ihnen wohl kaum ein solcher Vorwurf gemacht werden kann. Andererseits bedaure ich, dass Frauen nur in geringem Maß bereit sind, diese Unterschiede zur Kenntnis zu nehmen und aufzugreifen. Leider thematisiert Pfeiffer auch nicht den Kostenfaktor männlichen Fehlverhaltens in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, auf den ich bereits hingewiesen habe. Allerdings hat er kürzlich darauf hingewiesen, dass allein durch das Verhängen längerer Strafen, jedes Jahr 7 Mrd. Euro mehr ausgegeben werden, die dann in anderen Bereichen (Jugendarbeit, Frauenhäuser, Mädcheneinrichtungen) eingespart werden.
Immerhin bestätigt Pfeiffer feministische Analysen, die schon längst zu dem Schluss gekommen sind, "dass in der Tat Anlass zur Sorge besteht", da Kulturen ausgeprägter männlicher Dominanz in mehrfacher Hinsicht Risikofaktoren darstellen. Pfeiffers Fazit lautet: "Je stärker der Einfluss von Frauen in solchen Kulturen wird, je mehr es ihnen gelingt, Führungspositionen zu erlangen, umso eher können wir erwarten, dass sie in solchen Rollen nicht vermännlichen und dass spezifisch weibliche Wertorientierungen und Kompetenzen positiv zum Tragen kommen. Gleichzeitig wird dadurch die Position solcher Männer gestärkt, die Partner und nicht Gegner einer derartigen Entwicklung sein wollen." (s.o.)
Hier also zeichnet sich als Lösung der Überlebensproblematik das Hören auf die weibliche Stimme ab, für das Adam im jüdischen Ursprungsmythos des Patriarchats allerdings von Gott dem HERRN bestraft wurde, weil er, wie es dort heißt, auf die Stimme Evas gehört und von der Frucht der Erkenntnis von gut und böse gegessen hatte, die sie ihm darreichte.
Heute zeigt sich, dass es dem Mann gerade an dieser Erkenntnis in so auffallendem Maß mangelt und er gut daran täte, sich in ethischen Fragen sowie in Sachen Moral von Frauen leiten zu lassen. Doch genau vor dieser Konsequenz schreckt auch Herr Pfeiffer am Ende seines Vortrags noch zurück. Die sich aus seinen eigenen Ausführungen ergebende Schlussfolgerung, dass Frauen zur Rettung des Planeten eigentlich die Dominanz nicht nur anstreben müssten, sondern Mann sie ihnen zu Füßen legen müsste, lehnt er mit einer recht fadenscheinigen Begründung ab. Erstmal traut er diese Frage als solche völlig zu Recht nur Feministinnen zu, da die Mehrzahl der Frauen von ihr leider nicht geplagt wird. Das könnte Herrn Pfeiffer und die sich als "Partner" anbietenden Männer also durchaus beruhigen.
Äußerten Männer aber bei dieser Frage bislang die Angst, Frauen könnten ihnen jenes Maß an Gewalt und Verachtung "heimzahlen", mit dem sie selbst sie durch Jahrtausende hindurch drangsaliert, gequält und herabgesetzt haben, so plagen Herrn Pfeiffer in dieser Hinsicht ganz andere Sorgen. Er denkt an die Wehrhaftigkeit der Männer, die nach den Befürchtungen eines Francis Fukuyama in Gefahr gerät, wenn wir "nunmehr von einem Extrem in das andere verfallen" und Frauen dominieren (lassen) würden....
Dahinter steckt die uralte Sorge der Männer, Frauen könnten sie ihrer Wehrhaftigkeit berauben. Dabei hatten doch bereits die Männer des Hochmittelalters dieses Problem gelöst, indem sie darauf achteten, dass Kampf und Liebe einander die Waage halten. Der edle Ritter war jener, der ein Gleichgewicht zwischen Kampf und Abenteuer auf der einen Seite und "dem Liegen bei Frauen" auf der anderen Seite herzustellen vermochte.
Auch zeigt ein Blick in die Geschichte Griechenlands, wie unbegründet die Befürchtung der beiden Herren Fukuyama und Pfeiffer ist. Treten doch in der überlieferten Auseinandersetzung zwischen dem patriarchalen und Athen und dem (noch) matriarchalen Sparta ganz andere Fakten zu Tage: Die Männer Athens warfen seinerzeit den Spartanern vor, dass sie sich von Weibern beherrschen ließen, und deren Frauen, dass sie sich frei bewegten und sich nicht so züchtig zeigten wie die Athenerinnen, die, einmal verheiratet, das Haus nicht mehr verlassen durften. Die Spartanerinnen entgegneten daraufhin mit Blick auf die aus ihrer Sicht dekadenten Athener und die in der Tat wehrhaften Spartaner: Wir sind wenigstens noch in der Lage Männer in die Welt zu setzen.
Die Tatsache, dass Frauen stärker an einer Friedenspolitik interessiert sind, muss ja nicht unbedingt heißen, dass sie damit die Verteidigungsbereitschaft von Männern schwächen wollen. Zumindest wäre es heutzutage eine Herausforderung für Frauen, das Eine zu tun und das Andere nicht zu lassen. Bedenken wir dagegen, wie viele materielle und intellektuelle Ressourcen wir buchstäblich in den Sand setzen bei der Hochrüstung und Übertechnisierung unserer Gesellschaft und Waffensysteme, dann zeigt sich, wie gerade aus einer solchen Politik soziale Probleme erwachsen, da durch sie im Sozialbereich - insbesondere zur Unterstützung von Müttern - weniger investiert werden kann. Denken wir allein an die Unsummen, die seiner Zeit die Phantomjäger, von denen Hunderte bereits in Friedenszeiten abstürzten und mit ihnen hoch qualifizierte Piloten, die wiederum Witwen und Waisen hinterlassen und insgesamt einen enormen Kostenberg verursacht haben. Dabei handelt es sich nur um einen kleinen - längst vergessenen - Teil des auf einen dreistelligen Milliardenbetrag zu beziffernden Kostenfaktors, der auf männliches Fehlverhalten sowie Fehlleistungen zurückzuführen ist.
Mit Sicherheit lässt sich dieser Planet nicht dadurch retten, dass wir die schlimmsten Auswüchse patriarchaler Männerherrschaft ein klein wenig mildern, wie es Herren wie Christian Pfeiffer und Francis Fukuyama vorschwebt. Sehr viel radikaler als sie äußerte sich bereits vor 75 Jahren der Kultur- und Religionsphilosoph Ottfried Eberz, den ich als meinen geistigen Vater betrachte.
Nach seiner Meinung haben Frauen einen Anspruch auf geistige Führerschaft und dürfen sich auf keinen Fall im Namen einer höchst zweifelhaften Gleichberechtigung in die männlich-patriarchalen Zwangsarbeitslager integrieren lassen.
Kurz vor der Machtergreifung der Nazis in Deutschland schrieb er: "Wagte es die Frau - und sie wird es einmal wagen müssen - , aus der Inspiration ihres Wesens wieder zur Verkünderin und Beschützerin des kosmischen Lebens- und Liebesgesetzes zu werden und alle anderen irdischen Dinge an dem Höchsten der natürlichen Werte zu messen, so hätte sie den Grund zu einer neuen Rangordnung der Geschlechter und zu einem neuen weiblichen Weltalter gelegt." (kathol. Zeitschrift "Hochland" Jan 1930 München, "Vom Wesen der Geschlechterliebe oder androgyne Erotologie". Zit: Hans Krieger: Bayrische Staatszeitung vom 21.10.05 Beilage: Unser Bayern)
Schon einmal, in grauer Vorzeit, so Eberz, habe die Frau eine ähnliche Aufgabe erfüllt: "Damals, da sie als Erfinderin der primitiven Bodenbestellung dem unstet schweifenden und ungebundenen Jägerleben des Mannes der Urzeit ein Ende machte, ihn an den Boden gewöhnte, und ihm damit den Weg zu höheren Lebensformen öffnete." Und so sollte sie auch heute "den Bewegungspol fixieren", bevor sie selbst vom Wirbel einer einseitig männlich-patriarchalen Dynamik erfasst und vernichtet wird. Denn die geistlose Mechanisierung des "männlichen Maschinenstaates", der "für seinen Dienst nur durchrationalisierte Wirtschaftssubjekte brauchen kann", benannte Eberz schon damals als selbstzerstörerisch und unausweichlich in die Katastrophe führend.
Wesentlich klarer als die Herren Pfeiffer und Fukuyama verweist Eberz auf den tieferen Grund für die hier aufgezeigte Problematik. Sie liegt seiner Ansicht nach in einer durch die Unterdrückung und Verleugnung der "weiblichen Erkenntnisart" entstandenen Gleichgewichtsstörung. Doch verbirgt sich hinter dieser "weiblichen Erkenntnisart" genau das, was in der Antike "Weisheit" genannt wurde. Eine Dimension des Weiblich-Göttlichen, die sich in der frühen Christenheit mit den hebräischen Vorstellungen von Malchut und Ruah verband.
Folglich ist nach Eberz - und ich schließe wiederum mich seiner Einschätzung an - also nicht die Einpassung der Frauen in die von Männern geschaffene Ordnung gefragt, nicht die Übernahme männlicher Verhaltens- und Denkmuster. Denn der Sinn der geschlechtlichen Polarität, so Eberz weiter, könne schließlich nicht darin liegen, dass der eine Pol "nur eine missglückte Kopie und minderwertige Wiederholung des anderen" sei. Als das Leben erhaltende und darum instinktiv zur Integration strebende Geschlecht, sei das Weibliche auch "das Geschlecht des metaphysischen Wissens", ohne dessen "Seelenführung" der Mann zu keinem tieferen Geistesleben fähig sei.
Das mag zwar in manchen - oder auch in vielen - Ohren verstaubt und elitär klingen, doch wer nicht die unerträgliche Banalisierung des Lebens zu spüren vermag, mit dem immer rascher werdenden Tanz ums Goldene Kalb in den Chefetagen unserer Gesellschaft, zu denen Frauen keinen Zutritt haben, der oder die wird dieser Einschätzung kaum folgen können. Dennoch soll sie hier formuliert werden in der Hoffnung, in dieser Hinsicht auch offenherzige Menschen zu erreichen.
Gespeist werden Eberz Vorstellungen aus einer religiös geprägten Philosophie der Liebe. Ihre Grundlage ist das "Eine", das "Absolute". Das Wort "Gott" vermeidet er, weil es nur den kulturell wechselnden Vorstellungen zukommt, die Menschen sich von diesem Absoluten gemacht haben.
Aus der patriarchalen Hypnose erwachte Frauen bedienen sich hier des Wortes "Göttin", die als Urgrund allen Seins verstanden wird. Dies Absolute also trat am Beginn der Zeiten nach Eberz in Polaritäten auseinander, um dann mit ihrer Wiedervereinigung zur bewussten Erkenntnis seiner Selbst zu gelangen. Der Mythos berichtet davon als Geburt des eingeborenen Sohnes, den die Ur-Göttin parthenogenetisch vollbrachte und mit dem sie sich dann wiederum vereinigte um die Schöpfung fortzusetzen.
Der Nachvollzug dieses Aktes auf geistiger Ebene ist auch der Menschheit aufgegeben. Erkenntnis, auch "Gnosis" genannt, ist demnach - metaphysisch betrachtet - der Sinn des menschlichen Lebens. Das lehrten schon vor 2000 Jahren jene gnostischen Gruppierungen, die von der siegreichen Kirche bis in die Inquisition hinein verfolgt und zerschlagen wurden.
Die geistige Kraft der Erkenntnisfähigkeit aber ist genau das, was den Menschen vom Tier unterscheidet. - Eine Kraft, die ihm seine Freiheit garantiert und daher von Herrschern immer wieder unterdrückt wurde. Sie wird am Beginn des bereits erwähnten Ursprungsmythos der jüdisch-christlichen Kultur von einer Frau in die Tat umgesetzt durch Evas Griff nach der Erkenntnisfrucht - fortan jedoch vom männlichen Gott und Geschlecht be- und verhindert.
Diesen Hinderungsakt rückgängig zu machen und der Blockierung weiblicher Erkenntnisfähigkeit ein Ende zu bereiten, darum geht es mir in diesem Vortrag. Darum ging es aber auch Goethe in vielen seiner Schriften - und nicht zuletzt auch Jesus, der zu seiner Zeit die Wiederbelebung eines geistigen Matriarchats versuchte - und daran scheiterte.
Vielleicht aber könnten wir unter seiner Auferstehung das Faktum verstehen, dass sich dieser Gedanke immerhin bis heute erhalten hat.
Wie Otfried Eberz erklärt, ist Erkenntnis nicht möglich, wenn der expansionistisch-aktivitätssüchtige, rationalistisch-zergliedernde männliche Pol den ganzheitlich schauenden - weiblichen - Pol unterdrückt, statt sich dessen geistiger Lenkung anzuvertrauen. Schon als Dreiundzwanzigjähriger notierte er: "Die Frau will, wie die alten Philosophen, Erkenntnis und Erkenntnisleben, d.h. eine aufrichtige Ethik. Der Mann will vom Leben getrenntes theoretisches Wissen." Und so stellt er die Frage nach dem Verhältnis der Geschlechter weitaus radikaler, als heute üblich:
Bloße Gleichberechtigung der Frau kann nicht genügen, wenn sie Anpassung an die männliche "Aktivitätshysterie" bedeutet. Vielmehr muss das Gleichgewicht zwischen männlichen und weiblichen Werten neu gefunden werden, wenn die "Eiszeit der Seele" ein Ende haben soll. Für Eberz stand schon damals fest: "Die Welt wartet jetzt auf jene genial-weiblichen Frauen, welche berufen sind, als Prophetinnen, Priesterinnen und Lehrerinnen ihres Geschlechts das durch die männliche Unipolarität zerstörte, kosmische Gleichgewicht der Pole wiederherzustellen."
Dieses kosmische Gleichgewicht aber ist etwas anderes als das, was wir uns unter einem sozialen Gleichgewicht vorzustellen gelernt haben. Doch das zu erläutern, wäre noch einmal ein neues Thema. Vielleicht aber ist die Vermutung gar nicht so abwegig, dass Männer von Frauen zu lernen haben, was überhaupt die Voraussetzungen des Lebens sind. Oder sind wir inzwischen so weit, dass wir alle dies erneut lernen müssen.?
© Christa Mulack (Hagen)
LITERATURVERZEICHNIS
Adorno, Minimalia Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben, FFM 1978
Theodor W.Adorno: Erziehung zur Mündigkeit, Frankfurt 1971
Joachim Lempert und Burkhard Oelemann: "...dann habe ich zugeschlagen. Gewalt gegen Frauen. Auswege aus einem fatalen Kreislauf, München 1998, 27)
Otfried Eberz: Sophia und Logos - Oder die Philosophie der Wiederherstellung
Ders. "Vom Wesen der Geschlechterliebe oder androgyne Erotologie". Zeitschrift "Hochland" Jan 1930 München,
Zit: Hans Krieger: Bayrische Staatszeitung vom 21.10.05 Beilage: Unser Bayern)
Erich Fromm: Die Kunst des Liebens. 1977
Walter Grundmann: Das Evangelium nach Lukas - Theol. Handkommentar zum NT, Berlin 1974, 7. Aufl.
Horst Herrmann: Vaterliebe, rororo 8248, 1989
Joachim Lempert und Burkhard Oelemann: "...dann habe ich zugeschlagen. Gewalt gegen Frauen. Auswege aus einem fatalen Kreislauf, München 1998, 27) weder eindeutig m noch w. nur eher... eine Mischung aus beidem.
Jürgen Moltmann, Ich glaube an Gott den Vater Patriarchalische oder nichtpatriarchalische Rede von Gott? in: Ev. Theologie 5, Berlin 1983
Christa Mulack: Die Weiblichkeit Gottes. - Matriarchale Voraussetzungen des Gottesbildes, Stuttgart 1983ff
Dies.: Jesus - der Gesalbte der Frauen. Weiblichkeit als Grundlage christlicher Ethik, Hagen 1997
Dies.: Natürlich weiblich. - Die Heimatlosigkeit der Frau im Patriarchat, Schalksmühle 2005
Dies.: Im Anfang war die Weisheit. Die Wiederentdeckung eines weiblichen Gottesbildes, Schalksmühle 2004
Dies.: Klara Hitler - Muttersein im Patriarchat, Rüsselsheim 2005
Dies.: Der Mutterschaftsbetrug - Vom Mehrwert der Mütter, Stuttgart 2007
Christian Pfeiffer: "Gefährdet die männliche Dominanz das Überleben der Menschheit?" in: "Der Rotarier" 4/2000
Vandana Shiva: Das Geschlecht des Lebens. Frauen, Ökologie und Dritte Welt, Berlin 1989
3.4. Sind die Weltreligionen friedensfähig?
Sektionsgruppen | Section Groups | Groupes de sections
Inhalt | Table of Contents | Contenu 16 Nr.