Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 16. Nr. August 2006
 

4.3. Die inter- und transdisziplinären Verhältnisse kultureller Vermittlung
Herausgeberin | Editor | Éditeur: Zoltán Zsávolya (Budapest, Győr)

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Mythologie und Volksüberlieferung in der Novelle Geflügelte Pferde von Miklós Mészöly

Timea Urbanik (Szeged, SZTE)
[BIO]

 

"Wir sollten unsere Belastbarkeit nicht überschätzen: wir brauchen nicht die Wahrheit, sondern die Mythologie der Wirklichkeit." Miklós Mészöly

 

Miklós Mészöly ist einer der bedeutendsten Schöpfer der ungarischen Literatur im XX. Jahrhundert. Er schrieb in fast jeder Gattung, in drei Gattungen schuf er Dauerhaftes. Neben seinen Romanen müssen seine Novellen und Bandkompositionen beachtet werden. Die Einzigartigkeit seiner Schreibweise, seine dürren Formulierungen machen ihn beispiellos in der ungarischen Prosaliteratur. Seine Schriften wurden in mehrere Sprachen übersetzt, ein groβer Teil seines Lebenswerkes ist auch auf Deutsch zu lesen. Auch die Novelle, die ich zunächst interpretiere, hat eine deutsche Variante dank Hans Skirecki und dem Verlag Argumentum. Der 1995 erschienene zweisprachige Band war das erste Buch der Reihe Medallion. Die Zitate aus der Novelle verwende ich nun nach dieser Übertragung.

Die sich kreuzenden Punkte der Hinweise auf Riten der Volksüberlieferung und mythologische Geschichten, die genau faktenartig beschrieben wurden, geben die Form der Novelle Geflügelte Pferde von Miklós Mészöly, welche zuerst 1977 in der Jelenkor Literaturzeitschrift erschien. Anhand eines doppelten Todesfalles kommen Schichten der Persönlichkeitsstruktur der Gestalten - abhängig von der Betroffenheit - in Aktion, welche durch die Veranschaulichung der verschiedenen Formen von den Traditionen eine Gestalt annehmen, Zeugnis ablegend von der bewahrenden und identitätsbauenden Rolle der Tradition, vor allem aber der Volksüberlieferung. Elemente der in Aktion gebrachten Volksüberlieferung könnten die Verarbeitung, die Helfer und Formen der Auslegung sein.

Die Handlung spielt in einem Dorfe - nach der Weinlese im Herbst. Teleszkai entdeckt die Tragödie in der Anwesenheit von dem erzählenden Zeuge: "Zuerst fiel ihm auf, dass die Traubenstampfe nicht mehr auf dem Brett über dem Bottich lag. Als er näher trat, fand er seine Frau Rákhel mit Estván Töttős auf Stroh in dem Bottich liegend, beide schon reglos, wie die Kellerluft sie beim Lieben erstickt hatte." (127.) Im weiteren wird der vom Regen zerstörte Engpass von dem Zeugen-Erzähler und Teleszkai sauber gemacht, die Körperlage der Toten im Bottich festgesetzt und die Leichen mit einem Wagen an den Fluss gebracht. Das Donau Ufer ist aber so schlammig, dass die Toten nicht aufs Wasser getan werden, sondern sie kehren zurück und stellen den Bottich auf seinen ursprünglichen Platz.

Im Mittelpunkt meiner Interpretation steht der Dialog zwischen den in den Vordergrund gestellten Elementen der Volksüberlieferung und bestimmten Gestalten, Geschichten der griechischen Mythologie. Diese beiden Traditionen - die in Textform existierende griechische Mythologie und die sich vorwiegend in den Handlungen verwirklichende, mit bestimmten Texten begleitete Tradition (die Dialoge und die Lieder sind auch Teile der Handlung) bzw. Volkssitte - sind sich ergänzend anwesend.

Der Erzähler macht - in Folge der Position eines Zeugen - sanfte Hinweise auf die Gestalten der in Textform existierenden griechischen Mythologie, von denen sich ein eigenartiges Schicksalsverhältnis abzeichnet. Diese Textform bewegt sich in gröβeren Allgemeinheiten. Ihr tatsächlicher Wirkungskreis ist jedoch enger, da sie einen Abstand von dem konkreten Fall beabsichtigt und voraussetzt, den der Augenzeuge hat, Teleszkai, die Hauptgestalt aber noch nicht. Die griechische Mythologie drückt die Symbolik der menschlichen Lebenssituationen in ihren unendlichten Momenten aus. "Die mythologische Verdichtung und Verallgemeinerung beziehen sich jedoch auf ein Ur-Gemeinsames, und konfrontiert auch meine heutige Empfindsamkeit und Logik damit: mit der Identität"(1), schreibt Mészöly.

In Teleszkai tritt ein "uralter Mechanismus" in Aktion, in dem die an Handlungen gebundene Volksüberlieferung aktiviert wird. Es ist wichtig, welche Riten aus der Tradition herausgenommen und wie sie kombiniert werden. Die auf diesem Wege entstandenen Handlungen können in der Welt der Novelle nicht vollständig zu Ende gebracht werden, die archaische Struktur kommt in Aktion, aber die Umgebung ist nicht mehr geeignet, diese Pläne auszuführen. Die Volksüberlieferung ist lebendiger, intimer durch die persönliche Handlung als die mythologischen Geschichten, aber ihre Elemente sind eher an einzelnen Lebensgeschehnissen gebunden. Die Möglichkeiten der Volksüberlieferung in sich selbst reichen nicht zur komplexen Welt der Hochzeit, des Todes, der Betrügerei, des Zeugnisses, der Einweichung, welche Teleszkai betreffen. Deswegen können mehrere Traditionsgruppen gemeinsam erwähnt werden.

"Eines ist sicher: Er litt auf eine uns unbekannten Weise, und in ihm schien tatsächlich ein vergessener, uralter Mechanismus zu arbeiten." (153.) Beispiele für die vergessenen Ur-Strukturen sind die zwei oben erläuterten Traditionen - die Volkssitten und die Geschichten der griechischen Mythologie. Der Vorstellungskreis des "Urs" ist an den Ursprung, die Natur gebunden. Die Symbolhaftigkeit der Erzählung ist auf diesem Gebiet sehr stark, von der Natur sind am betontesten die Pferde anwesend, die in einem groβen Teil des Lebenswerks eine wesentliche Rolle spielen. Bedeutungsschichten von den Urbildern des Pferdes könnten als eine Enumeration der Kräfte von den Geflügelten Pferden verstanden werden: "Sein Urbild ist das schwarze (oder falbe) Wildpferd, das ein Symbol für die Tiefe der Erde und der Gewässer, wie auch der Nacht, des Mondes, der Vegetation, der totemistischen Urmutter, der Sexualität und des Todes, des Traums und der Magie"(2) ist. Das Wildpferd erscheint im Bilde zweier, von den Eltern unwirtlich gehaltenen Pferde, was ein Hinweis für eine ordentliche, aber nicht mehr existierende Zeit, die ein Teil der persönlichen Lebensgeschichte ist. Der Erde kommt eine besonders groβer Bedeutung in der Novelle zu, durch die Orte - Graben, Engpass - sowie die Bedeutung von den verrichteten Ackerarbeiten. Die Erde symbolisiert auch die Beziehung zu dem Uralten, dem Ursprung. Das Wasser erfüllt magische Inhalte, es bewegt die Bedeutungsschichten des Sauberwerdens. Es erscheint in mehreren Formen: wegen des Regens wird der Todesfall entdeckt, der Engpass wird zerstört, der ein durch Wasser gegrabener Weg ist. Ein anderer Erscheinungsort des Wassers ist der Fluss. Die Toten werden an die Donau gebracht. Das Wasser im Fass für Regenwasser ist Trinkwasser für die Pferde, Teleszkai wäscht sich darin, es wird vor der Hebung der Toten auf die Kutsche ein rituales Handwaschen durchgeführt. Die vom Erzähler vorausgesetzte Zukunft realisiert sich im folgenden Bild: "Morgens geht er zum Brunnen, und abends zieht er wieder Wasser herauf." (139.)

Die zwei anderen Grundelemente erscheinen auch im Zusammenhang mit den Pferden. Lebenselement des geflügelten Pferdes ist die Luft, die in der Erzählung von geflügelten Insekten, Fliegen bevölkert wird. Eine Variante der Luft ist hier die Kellerluft als Todesursache. Die Kellerluft erstickt die Liebhaber, das ist eigentlich ein Schlafen in den Tod ("das Gift eines Traumes"). Das Kochen des Weines entwickelt Kohlenmonoxyd, das sich von dem in der Luft befindlichen Kohlendioxyd unterscheidet, da sein Molekül nicht zwei, sondern einen Sauerstoff enthält, schwerer ist als die Luft, es schläfert die Liebhaber in den Tod, in eine Einheit ein. Als viertes Grundelement erscheint auch das Feuer als eine Station des Weges zum Fluss, als Licht, das sich auf dem Fell der Pferde widerspiegelt.

Fortführend der Heerschau, die durchs Urbild des Pferdes bestimmt ist: die Handlung erfolgt in der Nacht, beim Mondschein. Der Name der Frau, Rákhel weist auf eine der vier Urmütter hin. Die Sexualität wird durch die ungewöhnliche Paarungszeit der Pferde von den Eltern, durch die Erinnerungen von Teleszkai und durch die Toten zum Teil der Geschichte gemacht. Der Tod erscheint auch als ein Geschehnis und ein Symbol im apokalyptischen Anblick der Krähe und der Insektenschwärme. Der Traum ist ein Mittel zur Hebung der Erzählung auf eine metaphorische Ebene: "aber vielleicht war das nur das Gift eines Traumes" (125.). Die bisher aufgelisteten Symbole haben bzw. können magische Inhalte haben, aber eine solche Bedeutung haben meistens auch Hinweise auf die Volkssitten. "...die Wahrheit zieht sich nachts aus, sie stellt die Symbole neben sein Bett wie eine Laterne"- schreibt Mészöly in der Vision Wo der Stern geht?(3) Er stellt dieses Detail mit dem Motto parallel, die Mythologie kann auch diese Rolle erfüllen.

Der Bedeutungskreis des Uralten wird auch durch die Anwesenheit von den Mensch-Tier Parallelitäten betont. Die drei Gestalten im Mittelpunkt der Erzählung (Rákhel, Töttös Estván, Teleszkai) können manchmal verwechselt werden bzw. sie werden mit den Pferden verwechselt. Teleszkai fragt: "Glaubst du, dass sie Flügel haben könnten?" (139). Diese Frage kann sowohl für die Pferde als auch für die Liebhaber gelten. Teleszkai wird von den Fliegen mehrmals mit den Pferden verwechselt. "Fliegen hüllten ihn ein, als hielten sie ihn für ein Pferd." (133.) Teleszkai reagiert beim ersten Anblicken der Liebhaber in der Weise: "ein tierisches Röcheln brach aus ihm hervor." (127.). Und auch seine spätere Nacktheit zeigt das Zurückkehren zu einem Grundzustand.

Handlungen der Hauptgestalt rufen einzelne Ereignisse der Volkssitten hervor. So die Krippe und das Bilden des Kranzes: "Das ist nun Krippe und Kranz in einem" (139). Der Hinweis auf die Hochzeit kann das Zeigen des Wassers sein (wie im Gedicht Hochzeitsfest von László Nagy) als auch wie auch das Ausschenken vor dem Altar. Von den Elementen des Kalendarritus’ sind zwei Volksüberlieferungen bezüglich des Palmsonntags bedeutend. "Dennoch gleichen sich nach wie vor zwei Palmsonntagsmarionetten" (147, sagt der Erzähler. Die Palmsonntagsmarionette ist meistens eine als Fräulein oder Braut angezogene Strohpuppe. Sie wurde durch das Dorf mit Singen geführt, dann am Rande des Dorfes ins Wasser gelegt oder verbrannt. "...von da an diktierte er ein noch schärferes Tempo und sang er noch mehr" (135). Zweck dieses "Palmsonntagsmarionetten-Treibens" ist, dass die Mädchen heiraten, weiterhin dass die Krankheit mit der Puppe zusammen aus dem Dorf vertrieben wird. Sie kann auch eine winterbegrabende Funktion haben, und sie wird auch todheraustragend genannt. Die Ursprüngliche Bedeutung von dem Ins-Wasser-Stoβen der Marionette wird von Géza Róheim als eine umgekehrt dargestellte Geburt verstanden. Eine Volkssitte, die an das Sonntagsmarionettentreiben (kicézés auf Ungarisch) gebunden ist, ist das so genannte villőzés, dessen Zubehör die villő-Zweige in verschiedener Gröβe sind. "Als wir die erste Ruhepause einlegten, brach er vier Akazienzweige ab" (131). Das villőzés folgt dem Sonntagsmarionettentreiben, in dem durch das Dorf mit geschmückten Weidenzweigen - genannt villő - gelaufen, gesungen wurde - als eine Form der Frühlingsfeier. Im Volksglauben der slowakischen Volksgruppe sind die "Vilis" tot (auch die Tradition von dem Villőzés wurde aus der Slowakei entnommen), Gespenster, die Seelen von den vor der Hochzeit verstorbenen Bräuten.(4)

Diese beiden Volkstrachten bilden ein anschauliches Paar als Riten der Befreiung vom Winter, dem Tod und der Feier um den Frühling und des neuen Lebens. Gábor Tolcsvai Nagy macht in seiner Studie auf die Verdoppeltheit in der Einführung der Novelle aufmerksam. "Die Eltern von Teleszkai, die zwei unwirtlich gehaltenen Pferde, die beiden Kreuze der Eltern, die zwei "almásderes" der Hauptgeschichte, schlieβlich das tote Liebespaar in der Wanne im Presshaus..."(5) Neben den Verdoppelungen sind es die Paare bzw. das gepaarte Leben, welche die Problematik der Grundsituation bilden. Die Gegensätze vereinigende Anschauung der Handlungsreihe von der Volksüberlieferung kann die komplexe und dichte Lebenssituation von der Hauptperson erleben, verarbeiten. Die Choreographie der Tradition beginnt in Teleszkai spontan zu funktionieren. Diese sich bewegenden Gebräuche gestalten sich nach einem Riten-Regelsystem, indem sie eine festgelegte Reihenfolge wegen einem spezifischen, übernatürlichen Zweck wiederholen.(6) Der Ritus kann aus einem bestimmten Gesichtspunkt an den Mythos gebunden sein. "Der Mythos: ein System von verbalen Symbolen, während der Ritus das von objektiven und Handlungssymbolen ist. Beide sind symbolische Verfahren, die sich affektiv auf Situationen gleichen Typs beziehen."(7) Der Mythos funktioniert eher metaphorisch, indem er Formen von menschlichen Lebenssituationen darstellt, der Ritus ist eher metonymisch, indem die mythischen Ereignisse Teile der Sakralität bilden.(8)

Miklós Mészöly schreibt über das Funktionieren des Mythos im Nationalbewusstsein nachdenkend: "Die interpretierte Welt der Tatsachen wird in uns eine sekundäre, symbolische Welt: wir sind übertragende Konstruktionen. Unsere Vernunft, Sinnesorgane, Phantasie und die Sprache: sie sind in ihr eigenes "Mythen-Gewebe" eingebettet. Das ist eindeutig eine determinierte Lage, mit einem zweideutigen Lebens-Allgemeinbefinden. Dem entgegenzuwirken versucht man das ständige Bewusstsein auszuschalten, dass interpretierende Varianten nur innerhalb vom "Mythos" geschaffen werden können." (9) In Teleszkai kommen die ihm gegebenen Traditionsstrukturen in Aktion, in der Form von Handlungen. Die sprachliche Gestaltung, der Hinweis auf die Volkssitte treten auch durch die Narration des Zeugen-Erzählers in die Erzählung. Der Erzähler ist dem Charakter der Geschichte passend ein äuβerer Betrachter, ein Augenzeuge, Zeuge, der an den Ereignissen teilnimmt. Seine Rolle ist, dass die Geschehenen durch ihn "erzählt werden können", er kodiert die Handlungen in der Sprache. Er ist ein naher Nachbar von Teleszkai, er war und ist in den Alltagen ein Augenzeuge des Lebens der Hauptgestalt. Der Narrator macht neben der Beschreibung und Identifikation - also der Interpretation von den Tätigkeiten von Teleszkai - Hinweise auf Geschichten der griechischen Mythologie. "Die Literatur ist genetisch durch die Folklore mit der Mythologie in Beziehung"(10) - die Novelle von Mészöly könnte auch ein Beweis für diese These sein, aber in den Geflügelten Pferden kommt der Parallelität zwischen diesen beiden eine gröβere Bedeutung zu.

Beim Ursprünglichen, beim Uralten bleibend, ist es wichtig, die Kentauren, die halb Mensch, halb Pferd Gestalten in der griechischen Mythologie die Begleiter von Dionysos waren, und die eigenartige Erscheinungsform von der Einheit von Mensch und Tier vertreten, in Betracht zu ziehen. Die Bezeichnung der Lenaia-Feier von Dionysos steht im Zusammenhang mit den Worten ‚Presshaus’, ‚Traubenpresser’, ‚Wanne’. Die Wanne ist das Epizentrum der Erzählung: Wiege, Sarg, Bett in einem. In ihrer Tiefe zusammen mit den vereinigten Liebhabern ist sie ein Schauplatz für Leben, Tod, Liebe. Das Symbol von Dionysos, dem Gott von der Ertragskraft des Bodens, war der Phallos. Er wird mit dem Namen Lyaios (‚Erlöser’) geehrt, weil er einen von den Alltagssorgen befreit, die die Menschen fesselnden Gebundenheiten auflöst, und er öffnet auf diese Weise einen Weg zu einer reineren, uralten Existenz. Die geflügelten Pferde im Titel der Novelle stärken die von Rákhel betonte mythologische Bedeutung. Der Sonnengott Helios erscheint jeden Morgen mit einem Wagen, der von geflügelten Pferden gezogen wird. Das geflügelte Pferd kann auch die Gestalt des Pegasus wach rufen. Die Symbolik mischt die Kraft und Lebhaftigkeit des Rosses mit dem Fliegen, der Unabhängigkeit von der Gravitationskraft. Dadurch wird es das die Hindernisse bewältigende Symbol der Poesie. Das geflügelte Pferd ist Sohn der Meduse Gorgó und von Poseidon.(11) Als die Meduse von Perseus geköpft wurde, entsprang es aus ihrem Hals. Sein Name stammt davon, dass es bei den Quellen von Okeanos zur Welt gebracht wurde (pégé - ‚Quelle’). Pegasus lieβ die Hippokréné-Quelle - die Quelle der Inspiration - auf dem Helikon, dem Berg der Musen mit einem Stoss herausquellen. Der Pegasus wurde von Bellerophontés mit der Hilfe von Athene gezähmt, und auf seinem Rücken sitzend hat er Kimera besiegt, dann wollte er in seinem Übermut bis zum Himmel fliegen, aber Zeus sandte auf das Pferd eine Dasselfliege, von der es tollwütig wurde, und er fiel herunter. Als Strafe musste er bis zum Ende seines Lebens blind und lahm im Tal von Aléion ("Tal des Durchstreifens") Herumirren. Bellerophontes war das Enkelkind von Sisyphos.

Die von Teleszkai prophezeite Zukunft ist mit ihren Strafen verwandt. Eine Anmerkung des Narrators zitiert bezüglich der Zukunft die fortlaufende Buβe von Sisyphos: "Morgens geht er zum Brunnen, und abends zieht er wieder Wasser herauf" (139). Ein anderer groβer Sühner der griechischen Mythologie, Prometheus, erscheint auch in dem Text, das Dasein von Teleszkai symbolisierend wie die Hauptfigur sagt: "Hast du eine Ahnung, was einem da alles durch den Kopf geht? Alte Geschichten... Man reiβt dir die Leber aus dem Leib, und du siehst zu, wie ein Vogel den Schnabel hineinschlägt..." (133). Das Leiden am Wissen ist mit der Strafe von Prometheus verwandt, dem laut der Mythologie der Mensch ein vielfältiges Wissen zu verdanken hat. Die Parallelität von den drei mythologischen Helden stehen nicht nur in der Gemeinschaft der Sühne. Die Strafe von den Dreien ist an einen Ort gebunden. Bellerophontes - der nach dem Himmel sehnte - gelangte ins Tal des Umherirrens. Sein Negativ, Prometheus - der Helfer des irdischen Menschen war -, büβte auf einem Berge, und Sisyphos wälzte seinen Stein vom Tal auf den Berg. Teleszkai und der Zeuge verrichten heroisch eine Ackerarbeit für vier Personen, sie graben einen Graben, sie machen einen Spalt, einen Riss beim eingestürzten Engpass. Menschliche und göttliche Kräfte, sakrale und alltägliche Energien spielen in einander und lösen sich ihre Unterschiede auf.

Zur Veranschaulichung der atmenden Elementarität wählt Mészöly den Weg der Persönlichkeit - paradox durch die Unpersönlichkeit des Augenzeugen und die mittelbare Persönlichkeit der Hauptperson. Loszev betont die Persönlichkeit des Mythos’, nach seiner Theorie sei "Im Mythos eben das ‚Innere’, das ‚Konkrete’, das ‚Sinnliche’, das ‚Eigenartige’, das ‚Reale’, das ‚Bildhafte’.(12) Das Schicksalsereignis formt sich durch die Tragödie eines persönlichen Lebens, ist subjektiv, beschreibt anschaulich die wesentlichen Charakterzüge des mythologischen Denkens. Mészöly sprach auch über die Wichtigkeit dieser Anschauung im Jahre 1986 bei der literarischen Schifffahrt des Örley-Kreises bezüglich der zeitgenössischen Literatur aus: "Es ist kaum zu verneinen, dass die Bedeutung von dem Irrationalen, dem Esoterischen, dem Fantastischen, dem Absurden, dem Märchenhaften und den mit diesen verwandten Sphären in unserer Literatur gewachsen ist. Sie motivieren direkt oder mittelbar die Realitätsanschauung, das Geschehnis, die Veranschaulichung, die Auslegung. Dies ist nach den Zeichen eine Folge von dem "magischen" (besser gesagt: von den Schlussfolgerungen unserer Naturwissenschaft nicht weit fallenden) Lebenserlebnis, dass die somatische Annäherung der Dinge sowie ihr Einschachteln nur einen oberflächlichen Bericht ermöglichen. In den Werken findet man mehr Rätsel, ungelöste Sachen als bisher. Es gibt mehr schattige Winkel, Gebrochenheit und den Bruch selbst. Dies meldet sich nicht als Rückzug, sondern als das neue Kodesystem, Emblem von der Totalität."(13)

Die Elemente dieser Denkart als Elemente des neuen Zeichensystems der Totalität erscheinen in der Novelle folgenderweise: die Erzählung wird in einen Dämmerungsrahmen eingebettet. Es beginnt mit dem Erwähnen der Dämmerung und endet in der Dämmerung. Hier ist auch die schon erwähnte Verdoppeltheit zu beobachten, sie spielen in einander mit dem Spiel von den Bedeutungen der "Dämmerung". Die Dämmerung ist die Grenze zwischen der Nacht und dem Morgen, nicht mehr Nacht, aber noch kein Morgen, ein Vermischen von der Dunkelheit und dem Licht, ein Spalt in der Dunkelheit, ein Tagesanbruch. Mit "Rákhel Tikos hatte von der Morgendämmerung einmal gesagt, "die geflügelten Pferde sind gekommen", aber vielleicht war das nur das Gift eines Traumes" (125), beginnt die Erzählung, die in eine mythische Zeit eingebettet ist, und endet mit der Morgendämmerung, die die Tür sorgfältig schlieβt, die Fenstertafel zumacht. Es ist ein Zusammenspielen vom vertikalen und horizontalen Weltmodell im Rahmen zu beobachten, das neben dem Bild der Dämmerung auch auf die Metapher vom Traum hinweist, kann also auch als ein Traumrahmen erfasst werden. "Die Mythen ähneln den Träumen sehr, indem in ihnen sich die normalen Assoziationen und Beziehungen auflösen und neu gestalten."(14) Diese Traumlogik, die dem mythischen Denken ähnelt, bedeutet eine prälogische Denkweise, deren Basis die organische Beziehung von Mensch und Natur ist. In der Novelle erscheint diese enge Beziehung auch auf der Ebene der schon erwähnten Symbole, was vor allem durch die Hinweise auf den Totemismus deutlich wird.

In der Novelle sind die binären Oppositionen bestimmend, die ein duales System umkreisen, oder wirken eben gegen den Systembau durch das Relativwerden ihrer Unterschiede. Grundgegensätze wie dunkel-hell, Leben-Tod, oben-unten, Frau-Mann, Trauer-Feier, Tier-Mensch sind einander eher nebengeordnet und ergänzend, sie löschen die Opposition von den Grundgegensätzen und bilden eine Einheit.

Die Geschichte ist auch eine Art Einweihung in dieses neue System, eine Einheit in der Anwesenheit der vertikalen Ebene. Beispiel für die Ordnung, die menschliche Ordnung ist die Platzierung von den Gegenständen im Presshaus. Der einzige, seinen Platz verlassene Gegenstand ist die Traubenstampfe, der auf die Liebhaber verweist. Die Struktur der Ordnung gerät ins Gefahr im Augenblick der Entdeckung. "Die Schicksalsschläge machen kein Elend, sie enthüllen es nur", schreibt Simone Weil. Der Schicksalsschlag bringt eine Spaltung im Leben mit sich. Die Spaltung, der Riss ist ein zurückkehrendes Motiv bei Mészöly, ein aufdeckendes und trennendes Zeichen von verschiedenen Dimensionen, ein Teil von der Tafel der Tatsachen, die einem die Möglichkeit zum Erkennen anbietet.

© Timea Urbanik (Szeged, SZTE)


ANMERKUNGEN

(1) Miklós Mészöly: Makett und Mythologie. In: eb. Berührungen. Szépirodalmi, 1980, 96.

(2) Hoppál, Jankovics, Nagy: Symbolensammlung. Helikon, 1990. 144.

(3) Miklós Mészöly: Wo der Stern geht? In. Eb. Es war einmal ein Mittel-Europa. Magvető, 1989. 569.

(4) S. 241.

(5) Gábor Tolcsvai Nagy: Tier, Mensch, Solidarität. Pannonhalmi Szemle, 1994/4. 96.

(6) G. S. Kirk: Der Mythos. Holnap, 1993. 54.

(7) G. S. Kirk zitiert Kluckhohn: Der Mythos. 46.

(8) Jeleazar Meletyinszkij: Poetik des Mythos’. Gondolat, 1985. 306.

(9) Miklós Mészöly: Zu einem zukünftigen Nationalbewusstsein. In: Eb. Zuhause und Welt. Kalligram, 1994. 100.

(10) Jeleazar Meletyinszkij: S. 357.

(11) Poseidon wurde öfters in der Form von einem Pferd dargestellt. Nach einer uralten Sage vereinigte sich der Gott in der Gestalt von einem Hengst mit Demeter, die ihm das Pferd Areion gebar.

(12) Alekszej Loszev: Dialektik des Mythos’. Európa, 2000. 52.

(13) Miklós Mészöly: Seminar an der Donau. In: Eb. Einsamkeit des Schmetterlings. 106.

(14) G. S. Kirk: Der Mythos. 299.


4.3. Die inter- und transdisziplinären Verhältnisse kultureller Vermittlung

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For quotation purposes:
xxx. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 16/2005. WWW: http://www.inst.at/trans/16Nr/04_3/urbanik16.htm

Webmeister: Peter R. Horn     last change: 30.8.2006     INST