Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 16. Nr. Mai 2006
 

5.4. OPEN AND CLOSED SYSTEMS: The Improbable Way towards an Equilibrium
Herausgeber | Editor | Éditeur: Manuel Durand-Barthez (Toulouse)

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Brochs und Jelineks "Babel": Ein geschlossenes Wertsystem

Ester Saletta (Universität von Bergamo, Italien)
[BIO]

   

I. Der Babelturm und seine symbolische Bedeutung

Der Mythos des Turmes von Babel gehört zu den großen Mythen der Menschheit, die im zeitgenössischen Leben ihre Bestätigung und Entsprechung finden. Im Vergleich zur kurzen Erzählung im Alten Testament (Genesis 11, 1-9) ist die symbolische Vielfalt und Ambivalenz ihrer Interpretation im Laufe der langen Rezeptionsgeschichte erstaunlich. Die Erzählung vom Turm zu Babel ist - in positivem wie in negativem Sinn gedeutet - immer eine Aussage über die menschliche Existenz und die Bedingtheit des Daseins. In der europäischen Kultur hat die Ikonographie des Turmes von Babel eine mehr als tausendjährige Tradition. Schon Herodot, der um 460 v. Chr. die Stadt Babel (griech. Babylon) besuchte, betonte in seiner Beschreibung(1) des dort zuerst vom Volk errichteten und dann vom Gott im Tempelbezirk zerstörten Turms, dessen architektonischen Struktur an einen babylonischen Zikkurat denken läßt(2), die symbolische Funktion des Babelturms als Brücke zwischen Himmel und Erde, als Zentrum des Universums und als Vanitas- und Superbia-Metapher. Diese theologische Interpretation der Bedeutung des Babelturms wurde im 17. Jahrhundert durch eine neue, weniger religiöse, aber immer mehr rational wissenschaftliche Perspektive ersetzt, wie die Abhandlung Turris Babel (1679) des deutschen Jesuiten und Universalgelehrten Athanasius Kirchner, die den Weg für weitere Deutungen eröffnet, zeigt. Er führte das Motiv der Sprachverwirrung und der Völkerzerstreuung, das im 19. Jahrhundert eine prägnante Bedeutung und Quelle in bezug auf den Diskurs über die Verschiedenheit der Sprachen und Rassen in sprachwissenschaftlichen und anthropologischen Studien gewann, ein. Nicht mehr negativ wurde in der Zeit der Industriellen Revolution die sprachliche Babelunordnung gelesen, sondern mehr als Signal für die Koexistenz von Arbeitskräften(3) aus verschiedenen Ländern, die ein gemeinsames Ziel zu erreichen versuchten wie Auguste Rodins spiralförmiger Turm in Monument au travail (1898) oder wie Stefan Zweigs kurzer Prosatext Der Turm zu Babel (1964), der in der pazifistischen Zeitschrift "Le Carmel" mit schwarz-weißen Illustrationen von dem belgischen Graphiker Frans Masereel erschien, tatsächlich bestätigen. Die Darstellung des Babelturms durch die Spiralform wird auch ein Jahrhundert später von Paul Klee wieder vorgestellt, aber diesmal ist die Konnotation wieder negativ geworden da die "figura serpentinata" eine Bewegung zeigt, die eine innere Instabilität des Gleichgewichts markiert. Metaphorisch gelesen kann man feststellen, daß Paul Klees Kunstkonzept der Spiralform die soziale und geistige Krise der modernen Gesellschaft, in der der Mensch sein inneres Gleichgewicht verliert, vorhergesagt hat. Das Spektrum der Deutungsmöglichkeiten weitet sich im 20. Jahrhundert zunehmend, insbesondere in den letzten zwanzig Jahren. Grund für eine so breite Auffächerung der Babelsymbolik ist seine Loslösung vom biblischen und ontologischen Symbolkontext. Der Babelturm wird nicht mehr nur als Symbol für menschlichen Hochmut und göttliche Rache oder für gesellschaftliche Dekadenz interpretiert, sondern immer mehr als allgemeinverständliches und allgemeingütiges Symbol der subjektiven Welt des Künstlers. Eine nicht unerhebliche Rolle hat in diesem Zusammenhang die 1913 begonnene Ausgrabung des babylonischen Zikkurats unter der Leitung von Robert Koldewey gespielt, der die schon ab 1898 von der Orient-Gesellschaft angefangene Ausgrabungstätigkeit zu Ende brachte. Die Folge war die Publikation verschiedener Monographien über die Darstellung des Turmes zu Babel in Malerei, Graphik und Kunstgewerbe.(4) Wie schon in den früheren Epochen läßt sich auch heutzutage eine gewisse Tendenz der inhaltlichen Ausrichtung des Themas feststellen. Wenn auch thematische Schwerpunkte abgegrenzt werden können, macht gerade der positive und negative Pluralismus der Deutungen den Charakter der Babelsymbolik in der Literatur unseres Jahrhunderts aus wie Hermann Broch und Elfriede Jelinek uns lehren.

 

II. Hermann Brochs Der Turm von Babel in Hofmannsthal und seine Zeit

Am 14. September 1948 schreibt Broch in einem Brief an seine zweite Frau Anne Marie Maier-Graefe von seinem Unfall, der ihn zwingen wird, seine Teilnahme zum vom amerikanischen Methodisten-Bischof G. Bromley Oxnam organisierten Kongreß für die Verteidigung der Menschenrechte abzusagen und einen dreimonatigen für den Autor "gesegneten" Aufenthalt im Princeton Hospital(5) zu verbringen.

"Donnerstag Früh vor der Konferenz raste ich hin [...] zur Untermeyer [...] und stürzte genau an der Stelle, wo im Herbst ihre Bedienerin gestürzt war und brach mir genau so wie sie den Schenkenhals. Es hat nicht übermäßig weh getan, und ich habe sofort Belford, den Princeton-Chirurgen anrufen lassen. [...] Also fuhr ich mit einer Ambulanz."(6)

Während dieses langen Krankenhausaufenthalts entstanden die meisten Teile des einzigen Bandes Hofmannsthal und seine Zeit(7) und unter ihnen auch der kurzen Prosatext Der Turm von Babel (1947-1948). Broch, der mit dem Herausgeber des Bollinger Series Verlags - John D. Barrett - schon einverstanden war, eine "Hofmannsthal-Trilogie" in englischer Sprache zu schreiben, deren erster Band Selected Poems heißen sollte, blieb seinem Versprechen nicht treu. Zwischen 1947 und 1948 entwickelte sich in seinem Kopf ein neues Projekt: Die Verwandlung der geplanten Einleitung über Hofmannsthals Prosaschriften sollte eine Epochenstudie über die Jahrhundertwende werden. Die Erklärung für Brochs plötzliche Entscheidung findet sich sowohl in seinem Brief vom 15. Oktober 1947 an Ea von Allesch, in dem er seine Entscheidung, sich mit dem Hofmannsthal-Projekt zu beschäftigen, mit Geldnot begründete, als auch in seinem Brief vom 1. Jänner 1948 an seinen Verleger Daniel Brody - "Ich kann den Hofmannsthal, diesen Homunkulus nur darstellen, wenn ich die ganze Epoche dazu darstelle."(8), in dem er seinen Wunsch äußert, die von ihm damals erfaßte Atmosphäre der Wiener Jahrhundertwende unter den Kleidern Hofmannsthals beschreiben zu wollen. Wie schon Paul Klee die Prekärität des modernen Lebens durch die Symbolik eines spiralförmigen Babelturms beschrieben hatte, hat auch Hermann Broch den "Schlafwandler"-Zustand des heutigen Menschen sowie die moderne Welt-Wertzersplitterung auf ein hypothetisches Babelturmereignis zurückgeführt(9). Nicht neu war Brochs Interesse für die moderne "Welt des Vakuums", da er die Gründe dieser Welt-Wertzerstörung und die folgende Suche nach möglichen Überlebensstrategien in seiner ersten großen dichterischen Anstrengung, der Schlafwandler-Trilogie (1928-1929) und insbesondere in den zehn Abschnitten des Zerfall[s] der Welt im dritten Teil der Trilogie bzw. in Huguenau oder die Sachlichkeit analysiert hatte(10). Der Spekulant, und Fahnenflüchtige Huguenau, später auch Redakteur der Zeitschrift "Kurtrierscher Bote", in der die alltäglichen Reportagen nur seine egoistische manipulierte Wahrheit verkünden, erscheint als skrupelloser und listiger Vertreter der Zwischenkriegszeitwelt, Prototyp eines neuen Lebenssystems, in dem keine harmonische globale - im Sinne von Gott zentrierte - Weltordnung mehr existiert, sondern ihre radikale Destrukturierung. In Huguenau oder die Sachlichkeit wie auch in Der Turm von Babel geht es um die Suche nach den (Ur-)Gründen, die die traditionelle Ordnung zerstört haben, deren Folgen man in den historisch-sozialen und seelisch-menschlichen Verwüstungen der Zwischenkriegszeit sehen kann und dessen (Ur-)Gründe Broch auf zwei reduziert hat: den Krieg und den Verlust des Gottvertrauens. Beide sind verantwortlich für die Destrukturierung des vormals geordneten Weltsystems sowie auch für die schreckliche Folge, daß der Mensch sich in einem Leben voll von Angst, Einsamkeit und Tod geworfen wurde. Anders war hingegen in Brochs Augen die mittelalterliche Weltstruktur, die dem Menschen eine perfekt strukturierte hierarchische Harmonie durch die Anwesenheit Gottes anbot(11). Als aber Gott, Vertreter und Garant dieser "globalen" Ordnung von all seinen Ordnungseigenschaften im Menschenleben beim Eintreten des Protestantismus entkleidet wurde, konnte jeder Mensch mehr Wert und Bedeutung gewinnen, so daß jedes Ich fast in all seinen Lebensentscheidungen selbständig wurde. Die Folge war also, daß die alte hegelianische Meinung über die Existenz einer absoluten Idee, Bild der Einheit und Harmonie des Weltlebens, durch die Relativierung des Ganzen und die Geburt von selbständigen Micro-Zellen, deren Zentrum der Macht mit jedem selbständigen und geschlossenen Ich-System übereinstimmt, ersetzt wurde. Es war die Zeit, in der das Ich die äußere Welt nicht mehr verstand und erkannte; es war die Zeit, in der jeder Mensch die Zersplitterung des traditionellen zentralen Weltsystems und seine Verwandlung in einzelne Unter-Systeme sah; es war die Zeit, in der der alte biblische Mythos des Babelturms, der menschlichen Wette Gott gegenüber, und der folgenden göttlichen Bestrafung zurückkommt.

"Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis zum Himmel, und machen wir uns nicht über die Ganze Erde zerstreuen. [...] Auf, steigen wir hinab, und verwirren wir dort ihre Sprache, so daß keiner mehr ihre Sprache des anderen versteht. Der Herr zerstreute sie von dort aus über die ganze Erde, und sie hörten auf, an der Stadt zu bauen."(12)

Das Ich, träumerischer "Schlafwandler" und hybrider "Gottnacheiferner", das seit langem auf der Suche nach einer Ordnung in der Ordnung war, begann ein eigenes von einem eigenen "Logos" geführtes Lebenssystem aufzubauen, dessen Entwicklung auch Zeichen der erreichten menschlichen Selbständigkeit aus dem Ganzen war. Die Legitimation des Aufbauens des neuen, vom Ganzen getrennten Ich-Systems wird in Niklas Luhmanns systemtheoretischer Studie Soziale Systeme als "plausibel", d.h. "wirklich" bezeichnet in Gegenüberstellung mit der "Unplausibilität" d.h. "Unwirklichkeit" der äußeren Realität.(13) Das Subjekt resultiert also einziger Besitzer einer "privat subjektiven" Rationalität, der die Un-Rationalität der äußeren Welt gegenüberstand. Obwohl der Mensch Gott seines privaten Welt-Wertsystems ist, befindet er sich in einem Babelturmsystem - wie die externe Welt eigentlich in seinen Augen erscheint -, in dem er das Bedürfnis spürt, Überlebenskräfte und Strategien zu entwickeln, damit er das Weiterleben in seinem noch nicht von der äußeren ungeordneten Welt kontaminierten geschlossenen System bewahren kann(14). Er schützt sich vor allen möglichen externen destabilisierenden Kontakten, die die innere Ordnung seines geschaffenen Ich-Systems in Frage stellen könnten; er entwickelt ein eigenes Sprachsystem, das der inneren Ordnung seines geschlossenen Systems entspricht; er schafft ein besonderes Stilsystem, das die innere Struktur seiner monadischen Welt widerspiegelt. Was geschieht, ist im Grunde genommen die Verwandlung eines absoluten Ich-Weltsystems, das mit dem Ganzen übereinstimmte, in ein relativiertes Ich-Ichsystem oder, in Luhmanns Worten, in ein "psychisches System", das nur ein Teil von dem Ganzen repräsentiert, das aber Spiegelung der Ich zentrierten Interiorisierung der äußeren Welt ist. Broch verbindet aber seine Weltsystemtheorie mit stilistischen Kunstelementen, die eine entscheidende Rolle als metaphorische Spiegel der Lebenssituation einer Epoche wie der der Jahrhundertwende kennzeichnen. Der Anfangspunkt von Brochs Argumentationen im Turm von Babel, die mit seiner Erinnerung an die minimalistische und ornamentlose architektonische Struktur der Jahrhundertwende übereinstimmen, läßt indirekterweise auch an die eines babylonischen Zikkurats denken. Deutlich ist hier, wie Brochs Gesichtspunkt über die metaphorische Bedeutung der biblischen Erzählung sich geändert hat. Nicht mehr die Äquivalenz "Babelturm" gleich Unordnung, Hybris, Gottes Rache oder Menschzerstreuung der Schlafwandler-Trilogie, sondern "Babelturm" gleich künstlerische Einfachheit und Essentialität. Keine gloriose griechische klassische Opulenz des Ornaments, sondern die funktionale Ornamentlosigkeit von Loos als Zeichen der "De-Konstruktion" des traditionellen klassischen Kunstkonzepts.(15) Diese moderne stilistische Entwicklung der Kunst in Richtung einer Rückkehr zum funktionellen Minimalismus, den Broch als deutliches Signal für den Tod der "absoluten" Stilbezeichnung jeder Epoche versteht, kann in Brochs Augen eine positive Valenz nur erreichen, wenn es eine konstante Tendenz zum Außen gibt, d.h., wenn die Kunst kein geschlossenes System in sich bleibt, sondern Quelle eines "produktiven Mißverständnisses" wird. In diesem Sinn geschieht es gerade, was ich mit dem Derrida-Begriff "De-Konstruktion" definiert habe: der Weltzerfall produziert gleichzeitig eine Zerstörung und eine Wiedergeburt unter der Bedingung der Ich-Äußerung. Es ist gerade, was Luhmanns Theorie unter dem Begriff "Evolution" der Systeme versteht. Luhmann behauptet, daß strukturdeterminierte Systeme auf Grund ihrer Operationen die Möglichkeit haben, die eigenen Strukturen zu ändern bzw. zu entwickeln. Wenn Luhmann von Evolution spricht, dann im Kontrast zur klassischen evolutionistischen Darwintheorie, da Darwin das auslösende Moment der Evolution noch fremdorganisatorisch im Sinne von Mutationen interpretiert hatte, während Luhmanns Evolution der Systeme als Einheit von drei bestimmten Mechanismen, d.h. Variation, Selektion und Stabilisierung konstituiert ist. Fälle wie der musikalische Impressionismus, der die Naturgeräusche als solche zur Musik adaptiert, oder der lyrische Symbolismus, der Weltsymbolen eine lyrische Bedeutung schenkt, sind für Broch das Resultat der o.g. Faktoren, die zwei absoluten Ordnungen wie Jugendstil und Naturalismus variieren, selektieren und dann wieder in einem neuen "produktiven" Unter-System stabilisieren. "Setzung der Setzung" ist Brochs Begriff, um zu erklären, "es können nur immer wieder Wertsubjekte gesetzt werden, Wertsubjekte, die ihrerseits ihre eigenen Wertsetzungen, ihre eigenen Weltformungen vornehmen: die Welt ist nicht unmittelbare Setzung des Ichs, sondern dessen mittelbare Setzung, sie ist ‘Setzung von Setzungen’, ‘Setzungen von Setzungen von Setzungen’ usf.in unendlicher Iteration."(16) In den beiden o.g. Fälle sieht man, daß die Existenz einer absoluten Kunst unmöglich geworden ist, so daß die Proklamation der Geburt von neuen relativen bzw. subjektiven "Stimmungen", deren symbolische Eigenschaften aus der Verschmelzung von unterschiedlichen Quellen stammen, unentbehrlich ist.

"Auch hier ist alles auf die ‘Stimmungen’ ausgerichtet, und was symbolisiert wird, sind Stimmungen. Wenn Blüten fallen, reift ein Mädchen zur Frau ist daran, mit ihrem Partner zu schlafen: wenn das Dengeln einer Sense ertönt, ist der Tod in der Nähe; wenn ein Vogel auffliegt, fliegt auch ein Herz davon."(17)

In diesem Sinn sind auch der Tanz, die Pantomime, das Ballett neue "Stimmungen", "weil es sich hier vornehmlich um Stimmungs-Symbole handelt, diese aber mit den primitiven menschlichen Gefühlen [...] korrespondieren, diese aber [...] durchaus an den körperlichen Ausdruck gebunden sind, ja für diesen fast ein feststehendes Vokabular bilden."(18) Brochs kritische Stildarstellung von Loos hat sich durch den Prozeß der "Setzung der Setzung" in eine Sprachbezeichnung verwandelt, die er in Huguenau oder die Sachlichkeit dargestellt und begründet hat. Das moderne babylonische Weltchaos als "Setzung der Setzung", als Vereinigung unterschiedlicher Kräfte (d. h aus unterschiedlichen Unter-Systemen stammenden) wird positiv konnotiert wie es schon im 19. Jahrhundert geschah.(19) Noch einmal ist Luhmanns Systemtheorie, die Brochs "Setzung der Setzung" mit dem Begriff "Konstruktivismus" übersetzt hat, diejenige, die die epistemologische klassische Unterscheidung zwischen transzendental und empirisch durch die zwischen System und Umwelt ersetzt hat. Die Konstruktion eines möglichen Netzes der unterschiedlichen Unter-Systeme ist durch die Sprache erreichbar, wie Broch auch mit dem Beispiel der Satire von Kraus erklärt. Dessen ethischer Hohn, über den Broch schon in dem Essay Ethik (S.243-249) gehandelt hatte(20), resultiert als die wichtigste Komponente, die "den Weg zu einer neuen religiösen Menschheitshaltung freizulegen"(21) mitgeholfen hat, wenn Broch auch mit der späteren esoterischen Sprachkritik von Kraus nicht immer einverstanden ist. 1934 wird er tatsächlich dessen Tendenz, die Sprache zu verabsolutieren, kritisieren. Diese Sprachbesessenheit einerseits und Hofmannsthals Flucht in die Traumwelt der verlorenen habsburgischen Vergangenheit andererseits sind für Broch Barrieren statt Forschritt, Signale von "unproduzierten Mißverständissen", die keine "Kooperation" mit anderen Systemen predigen, sondern ein Refugium in einem alternativen in sich geschlossenen Weltsystem, Mittel für das Bewahren des alten traditionellen globalen Ordnungssystems(22). "L’art pour l’art" oder "A la recherche du temps perdu" sind Brochs Mottos in bezug auf die Kraussche Satire und auf Hofmannsthals Konzeption des psychischen Systems, in dem "die Angst vor dem Kommenden, [...] das Grauen vor der kommenden Dehumanisation, das Grauen vor dem kommenden Menschheitsschweigen, [...] das Grauen vor dem Menschheitsleid, das überall sich bereits anmeldete [...] an der Vergangenheit" festgehalten bleibt, und "das Gestern eine Hoffnung auf ein Morgen"(23) werden kann. Nicht mehr die Suche nach dem ethischen Prinzip, sondern die Relativierung der Kunst nur zu seinem eigenen ästhetischen Effekt bzw. zum "Kitsch"(24). Diese unproduktive in sich selbstzentrierte Systemstruktur, die aus dem menschlichen Wunsch stammt, persönliche Erwartungen in der Welt widergespiegelt zu sehen(25), ist keine "Imitatio Dei" oder "Setzung der Setzung" mehr, da sie keiner Nachahmung des originellen Gott zentrierten Ordnungssystems der Tradition entspricht, sondern die Spiegelung des "reflexionslosen" Subjekts von Jürgen Habermas(26). Diese von Habermas nicht kontemplierte Möglichkeit der Reproduzierbarkeit eines Systems wird hingegen zuerst von Broch und später von Jelinek betont, da beide die Zyklizität der Geschichte hypostasiert haben.

 

III. Elfriede Jelineks Theaterstück "Babel"

Wie Brochs Essay Der Turm von Babel die historisch-sozialen und kulturellen Bedingungen, die die Kunst und die Ethik der Hofmannsthal-Epoche zum Zerfall des menschlichen Lebens geführt haben, als die zwei Kategorien des Krieges und des Verlustes des Gottvertrauens identifiziert hatte, hat auch das von der österreichischen Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek 2004 geschriebene Theaterstück Babel (2004) sie neu kontextualisiert. Durch die bis jetzt geführte und von Luhmann stark beeinflußte Erklärung der Brochschen Systemtheorie einerseits und durch die Lektüre von Jelineks Theaterstück Babel andererseits erscheint es mir interessant zu zeigen, dass Jelineks Werk eine praktische Applikation von Brochs theoretischen Prinzipien ist (sein könnte). Es ist, als ob Jelinek ihr Theaterstück gerade auf Brochs Systemtheorie modelliert hätte. Die reine Theorie ist gegenwärtige Praxis geworden. Krieg, Mangel an Gott-Ordnung, "la parole pour la parole", egoistische Strategien eines machtvollen Überlebens im eigenen Ich-System sind bei Jelineks Babel Grund für die Schöpfung dreier geschlossenen Sub-Systeme, des Irakkriegs, der Medien und des Exports der Demokratie. Diese Sub-Systeme gründen die Basis von einer Re-Konstruktion bzw. Re-Kontextualisierung oder in Jelineks Worte De-Mythisierung der biblischen Episode des Babelturms. Die symbolische Bedeutung von Jelineks gegenwärtigem "Babelturm" vereinigen in sich sowohl klassische Elemente wie die Wette des Menschen Gott gegenüber und die menschliche Hybris als auch moderne Komponenten wie die architektonische Assoziation der Höhe des Babelturms mit jedem amerikanischen Wolkenkratzer(27). Die Folge ist in beiden Fällen die Präsenz einer Unordnung, die gewalttätiger als die Brochs ist, auf Grund der konstanten Anwesenheit der Medien im Privatleben jedes Menschen(28). Schon Broch hatte versucht - in Huguenau oder die Sachlichkeit - die verwüstete Macht einer von komplexen historischen Bedingungen manipulierten Presse wie diese von Huguenaus gekaufter Zeitschrift "Kurtrierschen Bote" zu zeigen.

"Denn es gibt wohl keinen Beruf, der so sehr von den Unberechenrbarkeiten und den Unsicherheiten des Weltenlaufs abhängig ist wie der eines Schriftleiters, insbesonders zu Kriegszeiten, in welchen Nachricht und Gegennachricht, Hoffnung und Verzweiflung, Mut und Elend so nahe beieinander stehen, daß eine ordnungsmäßige Eintragung in die Bücher zur baren Unmöglichkeit wird."(29)

Huguenau wird hier als (n Canettis Sinn)"reißender Wolf des Lesens" von sensationellen Nachrichten dargestellt, der "sich den Kopf über die Frage, was er dem Major bieten könne," zerbricht und der "in den großen Zeitungen nach Anregung" sucht. Er

"fand sie, als er die Entdeckung machte, daß die Journale allenthalben im Dienst der vaterländischen Wohltätigkeit arbeiteten.[...] Und wenn Huguenau allmorgendlich die Weltereignisse in der Zeitung verfolgte, so geschah es mit dem Unbehagen aller Zeitungsleser, die gierig nach den Berichten greifen, voll Hunger nach der Tatsachen, besonders nach den mit Illustrationen geschmückten Tatsachen, und die dabei täglich von neuem hoffen, daß die Masse der Fakten imstande sein werde, die Leere einer stummgewordenen Welt und einer stummgewordenen Seele auszufüllen. [...] sie trauen keinem Worte, wollen es durch Bilder belegt sehen, sie können selbst an die Gemäßheit der eigenen Rede nicht mehr glauben"(30).

Das in diesem langen Zitat Brochs dargestellte System der "feilen Presse" in der deutschen Zwischenkriegszeit wird von Jelinek in Babel vertieft und modern kontextualisiert. Nicht nur mehr die Presse allein, sondern eine Kombination von Presse und Fernsehen konstituiert Jelineks Mittel für die Darstellung des Irakkriegssystems(31). Skrupellose "embedded reporters"(32) auf der Suche nach der besten Instrumentalisierung jeder Nachrichten treten mit Gewalt ins Wohnzimmer jeder Familie ein, ohne zuerst um Erlaubnis gefragt zu haben. Die Bilder haben die Sprache ersetzt und

"Egal, wir haben es, das schöne große Netz, und das ziehen wir voll mit Bildern ein, die ziehen wir uns rein, und das Netz zieht uns auch mit, das nimmt uns mit, ob wir wollen oder nicht, da werden die Bilder noch jahrzehntelang herumschwimmen, einmal Brust, einmal Keule, ich meine Rücken, ja, Schenkel, Keule, Schwanz, das ist ja das Beste dran, immer!"(33)

Jelineks experimentelle Collage-Literatur(34), in der unterschiedliche Sprachcodes der traditionellen literarischen Sprache ihre kommunikative Rolle weggenommen haben(35), symbolisiert einerseits den Zerfall der klassischen Kommunikationstheorien der russischen Formalisten im Rahmen eines schriftlichen Textes und unterstreicht andererseits die schon von Broch betonte Rolle der Satire als kohäsives Mittel eines ungeordneten Kommunikationssystems. Das sarkastische Lächeln ist auch in Jelineks Fall sowohl das latente Signal einer Ordnungszersplitterung des Diskurssystems als auch des Zweifelns über die gelieferte Nachrichtenwahrheit. Sowohl Wittgenstein und Habermas als auch Luhmann haben durch unterschiedliche Argumentationen versucht, die Wahrheit im kommunikativen Prozeß zu definieren. Wittgenstein postulierte ihre Existenz nur im Rahmen einer Übereinstimmung des Nachrichteninhalts mit der äußeren Welt, während Habermas die Entsprechung der mitgeteilten Nachricht mit den die Erwartungen des Adressaten fordert. Auf der Basis von Habermas ist es folglich logisch, daß man die Medienkommunikation fast nie als wahr bezeichnen kann, da es sehr selten ist, daß die Erwartungen des Senders auch die des Adressaten sein können(36). In diesem Sinn soll Jelineks Babel als "Wahrheitsführer" des Irakkriegssystems gelesen werden, da Bush und die Medien immer nur eine konstruierte Ich-zentrierte Wahrheit liefern. Exemplarisch sind die Nachrichten über die Gründe für die amerikanische Entscheidung, den Krieg gegen Irak zu erklären: Saddam ist Besitzer von Waffen für die Massenvernichtung; Saddam ist Mittäter von Al-Qaida; Saddam ist ein krimineller Diktator. Der schnitzlerianische Unterschied zwischen "Sein" und "Schein" wurde schon in Bambiland vom folgenden Zitat vorhergesagt.

"Es ist unentschieden ausgegangen zwischen Sein und Schein. Beide gleich stark. [...] Es ist alles wahr, was Sie sehen, aber es ist nicht richtig. Das Sein ist immer nur ein Grad von Scheinbarkeit, und der Schein kommt aus diesem Fernsehgerät, welches ich ebenfalls erschaffen habe. Es ist ein praktisches Zusatzgerät zu all diesen Bomben. [...] Sein und Schein, die beide eins sind, auch das habe ich bewirkt, indem ich das Fernsehen erfunden habe, ist aber schon lange her, aber seither ist es doch so, seien wir ehrlich: Sein und Schein ergibt noch nicht Sein."(37)

Sie wird auch von der Südtiroler Journalistin Lili Grüber, damals Korrespondentin beider Golf-Kriege für RAI UNO und heute europäische Abgeordnete, in ihren zwei Büchern I miei giorni a Baghdad [Meine Tage in Bagdad, 2004] und L’altro Islam [Der andere Islam, 2004] betont. Grüber ist tatsächlich überzeugt, daß die Fernsehjournalisten eine wunderbare Macht besitzen(38), denn sie haben immer die Möglichkeit, die Aufmerksamkeit von Millionen von Zuschauern zu gewinnen, aber genau wegen dieses Privilegs ist es unbedingt notwendig, daß sie Lautsprecher der "absoluten" Wahrheit seien. Was sie hingegen in der Zeit ihres Aufenthalts im Irak erlebt habe, sei fast das Gegenteil: die Medien waren nur ein politisches Verteidigungsinstrument sowohl der irakischen Diktatur als auch der amerikanischen Demokratie(39). Jelineks Antwort diesen Behauptungen gegenüber ist eine Einladung zur Aktivierung unseres Immunsystems - "Sehr geehrter Mann, sehr geehrte Frau, Sie haben ein Immunsystem, das ist wie ein Instrument, also benutzen Sie es bitte auch!"(40) -, da nur eine von all diesen Auskünfte wahr ist - Saddam ist ein krimineller Diktator -, während die anderen zwei nur von den demokratischen Länder geschaffen wurden, damit man eine überzeugende Ausrede für die Weltöffentlichkeit hätte, um den Irak "demokratisch" zu erobern und zu verteidigen, aber "wenn man die Demokratie erst mal schützen muß, ist sie schon keine mehr."(41) Der amerikanische Versuch, die Demokratie in den Irak zu exportieren, wird in den Augen Jelineks zu einer militärischen Business-Eroberungsoperation(42), in Spivaks Metapher der sexuellen Kolonisierung zur reinen Vergewaltigung(43) durch die Hand "de[s] große[n] Mann, de[s] Repräsentant[en], de[s] Herrscher[s] - ihm fällt eh keine andre Rolle mehr zu als die von einem Massenstreber, also er vertritt die Massenbestrebungen, und wer sie am besten vertritt, der wird als groß angesehen, während die andren doch eher klein bleiben."(44) Jelineks Vision eines machtvollen Bush(45), dessen Systemlogik nur auf eine vorgebliche ethische Legitimation des Kriegs gründet(46), läßt wieder an Brochs Konzept des Kitsches und an Luhmanns Beitrag Wahrheit ist nicht zentral denken(47), denn Bushs sprachliche Überzeugungsart verwendet alle möglichen Mittel, um den Zweck zu erreichen, die die Manipulation der Wahrheit inkludiert.(48) Der Krieg wird die richtige Ausrede nicht nur für die sicher nötige Befreiung Iraks vom Regime Saddams(49), sondern auch für die Lösung finanzieller Schwierigkeiten der U.S.A.(50).

"Aber man darf nicht nur abbauen, man muß auch aufbauen, und da kommt der Baukonzern, jawohl, erst niederreißen, dann aufbauen, ins Spiel und spielt sofort alle andren an die Wand, die er selber gebaut hat.(51)"

Die Affären Halliburton und Blackwater sind sicher Namen, die in Jelineks Augen als Korruption des demokratischen Prozesses zu verstehen sind. Kriegssystem plus "manipuliertes" Medien- und Demokratiesystem gleich Machtsystem. Jelineks innovative Systemtheoriegleichung, die im Vergleich mit jenem Brochs, wo die Sub-Systeme meist in sich geschlossene Entitäten sind, zieht eine Verkoppelung der unterschiedlichen Sub-Systeme in Betracht und zeigt wie die Logik jedes monadischen Systems auch der Logik des Hauptsystems entspricht. Sie sind also logische Ableitungen eines einzigen Zentralsystems: der Macht. Was in der Logik des Weltsystems zählt, ist die Erreichung der Macht; sicher nicht die Mittel. Es ist schließlich deutlich, daß man mit diesem "procedere" Risiko läuft, Hannah Arendts Konzept der "Banalität des Bösen" wiederzubeleben. Mit Babel hat Elfriede Jelinek ihr Konzept der Weltsystemtheorie zu Ende gebracht. Ein Konzept, das schon mit dem Werk Die Ausgesperrten (1980) begonnen war und mit zwei späteren Texte, Die Klavierspielerin (1983) und Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr (1985), weitergeführt wurde. Während der Roman Die Ausgesperrten die Kontextualisierung des Ich-Systems - hier durch die Darstellung einer kriminellen Bande von vier Jungen verschiedener sozialer Herkunft - in der Gesellschaft der 50er Jahre sowie den Versuch einer ungelungenen Verkoppelung der zwei Systeme beschreibt, versucht Die Klavierspielerin die Aufmerksamkeit auf zwei in sich geschlossene Ich-Systeme, das der Klavierspielerin Erika und ihres Schülers Walter, zu richten. Das Erika-Mutter-System, dessen Wurzel in der symbiotischen Beziehung der zwei Frauen in den vier Wände ihrer Wohnung zu finden sind, stößt mit Walters System der Freiheit der Gefühle, der männlichen sexuellen Eroberung und der körperlichen Macht zusammen(52). Die Verkoppelung dieser zwei Systeme produziert ein drittes, das Erika-Walter System, in dem aber die Logik und das Ziel Erikas und Walters getrennt bleiben. Jelinek hat hier das radikale Gegenteil von in Babel geschaffen, denn dort folgten verschiedene unverkoppelte Systeme einer einzigen Logik, der der Macht in einem historisch-politischen Rahmen, während hier verkoppelte Systeme in historischer Aseptik mit der eigenen Logik weitergehen. Babel resultiert also die Endstation von Jelineks Weltsystemprozeß, da subjektive Systeme wie die eines "embedded reporter[s]" mit extra-subjektiven Systemen wie der Politik und der Geschichte selbständig nebeneinander stehen..

© Ester Saletta (Universität von Bergamo, Italien)


ANMERKUNGEN

(1) Herodot: Historien I, 181 zitiert nach: Herodot, Geschichten und Geschichte, Buch 1-4, übersetzt von Walter Marg. Zürich 1973 S.100 "In der Mitte des Heiligtums ist ein Turm gebaut, ohne Innenraum, ein Stadion lang und breit, und auf diesen Turm ist ein weiterer Turm gekommen und dann immer noch einer drauf, bis es acht sind. Der Aufstieg ist außen rings um alle Türme geführt. [...] Auf dem letzten Turm aber steht ein großes Gotteshaus, und in dem Haus steht ein großes Ruhebett mit schönen Decken und daneben ein goldener Tisch. Aber ein Götterbild ist nicht drinnen."

(2) Die Errichtung eines Zikkurats in Babylon war keine Seltenheit, vielmehr gehörte dieser Bautyp, der schon von den Sumerern entwickelt wurde, seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. zu den charakteristischen Elementen der mesopotamischen Städte. Auf mehreren Stufen - normalerweise waren die Zikkurats von drei bis fünf Stufen hoch -, die nach oben hin an Volumen abnehmen, wurde ein Hochtempel errichtet. Die religiöse Bedeutung dieser Tempelbauten, die fast immer Bestandteile einer großen Tempelanlage waren, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Wenn das Interesse für den Babelturm im 12. Jahrhundert auf die Darstellung des Baubetriebs mit seinen technischen Möglichkeiten konzentriert war, beginnt es ab 15. Jahrhundert in Richtung eines "theologischen Lehrbildes im Dienst einer volkstümlich-didaktischen Heilsvermittlung" zu gehen. Das wurde insbesondere durch die Hilfe der Malerei gezeigt, die seit dem 16. Jahrhundert versuchte - insbesondere (im Wiener Kunsthistorischen Museum und in Rotterdam aufbewahrt) Peter Bruegel der Älteren - eine neue Ikonographie - auch durch das Hinfügen von neuen architektonischen Elementen, die direkt aus der persönlichen Erfahrung des Künstlers stammen konnten - zu entwickeln. Ein Beispiel davon ist die Form des Turms in Peter Bruegels Bild, die deutlich an das von Bruegel 1552-53 besuchte römische Kolosseum erinnert. Sowohl die Bögen mit den Halbsäulenvorlagen am Außenbau, als auch und noch stärker die offene Struktur des Inneren mit den tonnengewölbten Gängen geben Anlaß zur Annahme, daß Bruegel das antike, im Verfall begriffene Bauwerk genau studiert hat. Die Interpretationen von Bruegels Bildern sind sehr unterschiedlich: Johann Christian Klamt erkennt die Kritik des Malers an der römischen Kirche während Zygmunt Wazbinski zwei Bedeutungen pointiert: den Turm als urbanistisches Zentrum von Campanellas utopischer Renaissance-Idealstadt "Città del sole" und die Turm Beziehung zu Rom als "Babylonia occidentalis".

(3) Ein Bildbeispiel hierzu sei der Holzschnitt von Mauritis Cornelis Escher aus dem Jahr 1928, in dem die Künstlerthematik das Hervorheben von Gegensätzen, von Schwarz und Weiß, und vom Entstehen der Rassen wie die Hauptfarbe der Bauarbeiter bestätigt.

(4) Die berühmteste Monographie ist die von Helmut Minkowski aus dem Jahr 1959, die eine Sammlung von über 350 Beispielen aus der europäischen Kunstgeschichte eingliederte.

(5) Die verbrachte Zeit im Krankenhaus gab Broch die richtige Gelegenheit in Ruhe und Stille seiner literarischen Arbeit zu widmen, wenn er auch gegenüber Friedrich Torberg nicht verleugnete, daß er sich wie "eine Kombination von Hiob und Lazarus" vorkomme. Wie auch Lützeler in seiner Broch-Biographie betont, sind die Spitalsaufenthalte die produktivsten Zeiten für Broch als Schriftsteller, wenn auch die ersten Wochen dieses letzten Spitalaufenthaltes im Streckverband als "langweilig und verloren, weil ich nicht arbeiten konnte" bezeichnet wurden. Die folgenden drei Monate aber in Gipsverband und Lehnstuhl schenkten ihm gerade die richtige Stimmung für das Verfassen des Werks Hofmannsthal und seine Zeit. Schon Mitte Juni 1948 hatte Broch die erste Fassung des Einleitungskapitels über Kunst und Stil im 19. Jahrhundert fertig und die erste Version des zweiten Kapitels betreffend Hofmannsthals Persönlichkeit in Vakuumszeit entstand nach zwei Monaten. Im Herbst schrieb er dann das dritte Babelkapitel und entschied sich für den Titel des Bandes Hofmannsthal und seine Zeit, wenn er auch am Anfang an den Titel Geistesgeschichten des Vakuums gedacht hatte, ein Titel, den Daniel Brody als "Reclameschrift für einen Vakuumcleaner der Hoover Firma" bezeichnet hatte. Der fertige Band wurde 1951 an den Bolliger Verlag geschickt und erschien ein Jahr später. Hannah Harendt, Freundin und Ratgeberin vieler Werke Brochs, der Broch seine persönliche Unzufriedenheit und geistige Schwierigkeit, die Hofmannsthal-Studie zu beenden, beichtete, kommentiert Brochs neuen Band wie folgt: "Die Hofmannsthal-Studie ist eine großartige, mit historischen Ansichten gesättigte Arbeit, in der Broch sich mit allen gegebenen Voraussetzungen seiner eigenen dichterischen Existenz: mit der jüdischen Herkunft und Assimilation, mit Glanz und Elend der untergehenden Österreichs, mit dem ihm verhaßten bürgerlichen Milieu und dem ihm noch verhaßteren Literatentum Wiens, der ‘Metropole des Wertvakuums’ auseinandersetzt."

(6) Lützeler, Paul Michael (Hrsg.): Hermann Broch. Eine Biographie. Frankfurt a/Main: Suhrkamp 1988 S. 329. Broch war schon Gast des Princeton Spitals, da er ein Jahr vorher wegen eines Armbruchs dorthin geführt wurde.

(7) Brochs Studie über die dekadente und zerfallene Wert-Weltsituation der Wiener Moderne nach dem Absturz der habsburgischen Monarchie sieht Hofmannsthal als literarischen Lautsprecher der menschlichen Haltung dieser Zeit. Die Studie, die auch eine starke autobiographische Valenz hat, erscheint zuerst 1955 im Rhein Verlag und später 1974 in der Bibliothek Suhrkamp als Band 385. In beiden Fälle aber enthält die Studie Kapitel III, d.h., gerade "Der Babel Turm" nicht.

(8) Ebda. S.333.

(9) Der französische Mathematiker Laplace im 18. Jahrhundert und J.S. Mill ein Jahrhundert später hatten schon den Verfall aller Dinge durch eine historische Kontextualisierung des Menschenlebens vorhergesagt. "The order of nature", schreibt Mill, "as perceived at first glance, presents at every instant a chaos followed by another chaos. We must decompose each chaos into single facts. We must learn to see in the chaotic antecedent a multiple of distinct antecedents, in the chaotic consequent a multitude of distinct consequents." Es ist tatsächlich schon die Brochsche Darstellung der Zerlegung komplexer Systeme in Sub- und Subsubsysteme bis zu einem Grad, an dem sie analytisch behandelbar sind, wodurch sich durch anschließende Summation der Teilsysteme das Verständnis des Gesamtsystems ergibt. Seit der Aufklärung bis zum 20. Jahrhundert, als die Quantenmechanik entdeckt wurde, hatte sich in den Wissenschaften eine Weltanschauung etabliert, die das Ganze als die Summe seiner Teile versteht. Und Brochs damaliges Studium der Mathematik kann in diesem Zusammenhang nicht übersehen werden. Vgl. Lützeler, Hermann Broch, S.96f.

(10) Die Studien Zerfall der Werte waren Frucht von Brochs zeitkritischen Untersuchungen über die Wert- und Systemtheorie in den Jahren zwischen 1915 und 1929. Viele von Brochs Bemerkungen sind auch in seinen philosophischen Schriften wiederzufinden.

(11) Broch, Hermann: Die Schlafwandler, Bd.3. Frankfurt a/Main: Suhrkamp 1994. S.496-536f.

(12) Senarclens de Grancy, Antje: Der Turm von Babel als Thema der Kunst und Architektur des 20. Jahrhunderts. Graz: Dissertation 1993, S.23.

(13) Vgl. Ebda. S.471.

(14) Exemplarisch sind Brochs Gestalten Pasenow und Esch aus der Schlafwandler-Trilogie. Während der Offizier Pasenow seine alte Uniform als Schutz vor der Unordnung der Welt immer trägt, versucht Esch seine verlorene seelische Ordnung als Buchhalter wiederzufinden bzw. seinem Leben einen Sinn zu geben, zuerst durch den Wunsch, die Tänzerin Ilona und den sozialistischen Freund Martin zu retten und dann durch die Religion. Vgl. Brochs Die Schlafwandler Bd.1 S.24-68-70; Bd.2 S.243-251-377; Bd.3 S.583-595-658.

(15) Das Interesse Brochs für die Theorie der Ornamentlosigkeit von Loos war schon in einem in der Zeitschrift "Kultur 1908/1909" entstandenen Beitrag des Autors fokussiert. Die Position Brochs der Kunsttheorie von Loos gegenüber enthält negative Bemerkungen auf Grund seiner festen Überzeugung, daß die Abschaffung des Ornaments in der Kunst den Tod der Kunst selbst bedeute, da in Brochs Augen "Ornamentierung die Grundlage der bildenden Kunst" ist. Broch pointiert dann auch, daß seine kritische Meinung in bezug auf die Zwecksmäßigkeitskunsttheorie nicht direkt auf Loos, sondern auf seine Schule gerichtet ist. Die Broch-Loos Debatte entwickelt sich weiter, als Broch 1911 ein Pamphlet mit dem Titel "Ornamente (Der Fall Loos)" schrieb, in dem er durch eine sarkastische Metapher aus dem Stil von Karl Kraus die geistige Leere einer anthropomorphen modernen Kunst betont. "Aber die Selbstherrlichkeit des Rationalismus wagt sich an alles: - und er geht hin, haut dem Greis den Kopf ab, kastriert ihn, steckt ihn in einen vernünftigen, englischen Schneideranzug. - Nun ist der Greis gut gewachsen, praktisch beschuht, nun sei er jung und schön. Leider ist er nun geist- und geschlechtslos". Auch ein Jahr später, d.h. 1912, läßt Broch seine Äußerungen gegen das minimalistische Architekturkonzept von Adolf Loos in dem weiteren Essay Notizen zu einer systematischen Ästhetik erscheinen. Auch in diesem Fall ist die Position Brochs Loos gegenüber wieder hochkritisch und polemisch, da er Loos als Vertreter der Rationalisierung der bildenden Kunst beschuldigt. Das auf der Basis, daß das Ornament "eine Abbreviatur des Stils, sein Siegel und sein Differential" ist. Ohne Ornament gibt es in Brochs Augen keinen Stil und indirekterweise keine Darstellung einer Epoche, denn jede Epoche identifiziert sich immer mit ihrem besonderen Stil.

(16) Broch, Hermann: Die Schlafwandler, Bd.3. Frankfurt a/Main: Suhrkamp 1994, S.622.

(17) Broch, Hermann: Der Turm von Babel. In: Hofmannsthal und seine Zeit. Hrsg. von Paul Michael Lützeler. Frankfurt a/Main: Suhrkamp 2001, S.139.

(18) Ebda. S.141.

(19) Vgl. Senarclens, Antje de Grancy: Der Turm von Babel als Thema der Kunst und Architektur des 20. Jahrhunderts. Graz: Dissertation 1993, S.49f. Auch in Stefan Zweigs 1916 verfaßtem Text Der Turm von Babel liest man: "So begann er allmählich auf Europas Boden wieder zu erstehen, der Turm zu Babel, das Denkmal der brüderlichen Gemeinschaft, das Monument der menschlichen Solidarität. Nicht die stumpfe Materie war es mehr, Ziegel und Ton, Mörtel und Erde, die sie wählten [...] Aus dem feinsten unzerstörbarsten Stoff des irdischen Wesens, aus Geist und Erfahrung, aus den sublimsten seelischen Substanzen war es erbaut, der neue Turm ".

(20) Broch wie auch Canetti machen in ihren Werke deutlich, wie die Figur und die Schreibart eines Kraus eine entscheidende Rolle in den jüngsten Jahren ihrer schriftstellerischen Existenz gespielt hat. Vgl. Lützelers Nachwort zu Hofmannsthal und seine Zeit, S.248f.

(21) Vgl. Ebda. S.247.

(22) Radikal anders ist hingegen Brochs Urteil in bezug auf Karl Kraus, der durch seine satirische und sarkastische Sprache das System des Ichs und der Welt ernährt und verkuppelt hat. Dessen Satire fokussiert die Punkte der Schwäche durch die physische Karikatur des Subjekts während Jelineks Satire ihre Aufmerksamkeit mehr auf die inhaltliche Dimension des Lebens des Subjekts richtet, so daß das Subjekt in sich in seinem eigenen Leben verschwindet und eine einzige Sache mit dem Leben selbst wird.

(23) Broch, Hermann: Der Turm von Babel. In: Hofmannsthal und seine Zeit. Hrsg. von Paul Michael Lützeler. Frankfurt a/Main: Suhrkamp 2001, S.169.

(24) Vgl. Ebda. S.176f.

(25) Luhmann erklärt die menschlichen Erwartungen mit dem Prinzip der "Kontingenz" folgend: "Kontingenz bedeutet eine Verunsicherung des Individuums in seinen Erwartungen, insofern alles auch anders eintreten kann, als es erwartet hat. Kontingenz heißt praktisch Enttäuschungsgefahr und Notwendigkeit, sich auf Risiken einzulassen."

(26) Vgl. Niklas Luhmanns und Jürgen Habermas’ Debatte über die Systemtheorie in Miguel Torres Morales: Systemtheorie, Diskurstheorie und das Recht der Transzendentalphilosophie. Bd. 324 Würzburg: Königshausen & Neumann 2002, S.285f.

(27) Jutta Zander-Seidl bringt einige neue Beispiele von Darstellungen aus dem 20. Jahrhundert, die auf den Mythos Babel in Zusammenhang mit der Wolkenkratzerarchitektur New Yorks gehen.

(28) Schon in den 70er Jahre hatte Jelinek in dem Text Michael (1972) den großen Einfluß der Medien und insbesondere des Fernsehens im Alltagsleben pointiert. Die zwei jungen Protagonisten, Gerda und Ingrid, modellieren ihr ganzes Leben auf das der Fernsehprotagonisten, so daß die Sendungen als die richtige Führung, die Lebensschwierigkeiten zu überwinden, betrachtet werden. In diesem Kontext erscheint in Jelineks Argumentation das Thema der Untrennbarkeit zwischen der medialen und der realen Wahrheit von zentraler Bedeutung. Vgl. S.33-45-65-82.

(29) Broch, Hermann: Die Schlafwandler. Bd.3 Frankfurt a/Main: Suhrkamp 1994 S.413f. Vgl. auch S.503-706

(30) Ebda. S.514

(31) Auch Peter Handkes Roman Die Fahrt im Einbaum oder Das Stück zum Film vom Krieg (1999) ist als Filmdarstellung des Balkankriegs gedacht, und die Entscheidung des Regisseurs O’Hara, den Film nicht zu drehen, läßt sich deutlich als Handkes Wunsch, die Leiden des Krieges nicht zu kommerzialisieren, verstehen. "Und ich sage den Film ab, weil mir vorkommt, für diese Geschichte muß ein anderer Atem her als der eines Films. Es ist zu viel Schmerz in der Geschichte - schneidendes Weh. Ich scheue zurück für Tragödien, auch vor dem Wort: aber die Geschichte ist eine Tragödie. Und Film und Tragödie gehen bei mir nicht zusammen." (S.123)

(32) Vgl. Ramonet, Ignacio: Breve storia dell’informazione di guerra. In: Guerra e informazione. Hrsg. von Maurizio Torrealta. Milano: Sperling Edizioni 2005 S.1-22; Maggioni, Monica: Infiltrarsi come "embedded". In: Se dici guerra umanitaria. Hrsg. von Corrado Veneziano/Domenico Gallo. Nardò: BESA Editrice 2005 S.56-63.

(33) Jelinek, Elfriede: Babel. In: Bambiland. Babel. Zwei Theaterstücke. Hamburg: Rowohlt 2004 S.146.

(34) Jelineks Experimentieren mit der Sprache hatte schon mit bukolit (1968) und mit wir sind lockvögel, baby! (1970) angefangen. In beiden Texte sieht man Jelineks Suche nach einer Destrukturierung des Inhalts, um der Sprache mehr Raum zu geben. Die Folge ist eine "babylonische Unordnung", da die einzigen Sprachelemente nur einen Sinn haben, wenn sie als selbständige Entitäten gelesen werden. Der Sinn verschwindet, wenn man sie als Sprachdiskurs liest. Wie schon Kraus mit seiner Sprachbesessenheit gezeigt hat, ist die Satire auch für Jelinek das einzige kohäsive Mittel des Verstehens. Nur durch den satirischen Prozeß kann man die sinnlose Bedeutung eines solchen Sprachexperimentes merken.

(35) Die Demontage der Sprache und ihre extreme Reproduktion einer surrealistischen Bilderwelt, die keine Logik ergibt, wenn nicht die der Provokation und der Destabilisierung von tradierten kommunikativen Sicherheiten, ist einerseits die deutliche Überprüfung, daß man nicht nur den Inhalt, sondern auch die Gattung des Romans liquidiert hat, und andererseits, daß es eine radikale Unmöglichkeit der Verkoppelung von unterschiedlichen kommunikativen Systeme gibt. In Jelineks ersten zwei Romanen bukolit (1968) und wir sind lockvögel baby! (1970) zeigt die Autorin, daß die Koexistenz von verschiedenen Sprachwelten nur zur babylonischen Unordnung, d.h. zu Nonsense führt, so daß man deutlich erkennen kann, daß die Kommunikationssysteme monadische Realitäten sind, deren Verschmelzung einen satirischen Effekt verursacht.

(36) Vgl. Harald Andreas Wiltsches Diplomarbeit Wahrheit und Sinn in der Systemtheorie. Graz 2002 S.84f.

(37) Jelinek, Elfriede: Bambiland. In: Bambiland. Babel. Zwei Theaterstücke. Hamburg. Rowohlt 2004 S.82

(38) Grüber, Lili: L’altro Islam. Milano: Rizzoli 2004 S.225

(39) Ebda. S.104.

(40) Jelinek, Babel, S.135.

(41) Ebda. S.210 .

(42) Vgl.Manlio Dinucci/Valentino Parlato: Eurobusiness in Iraq. San Cesario di Lecce: Manni 2004 S.1-42.

(43) Ebda. S.167.

(44) Ebda. S.93. Schon Broch hatte das Motiv des Führers und der von ihm ausgeübten propagandistischen hypnotischen Wirkung auf die Masse in seinem Roman Die Verzauberung (1928-1935) fokussiert, und insbesondere in der Darstellung von Marius Ratti. Vgl. S. 78-142f.-211f.-228 und in dieser vom römischen Kaiser Augustus in Der Tod des Vergil (1945) Vgl. S.55-347.

(45) Die Bush-Parodie wurde schon im früheren Theaterstück Bambiland ausgeführt: "Noch wehrt sich der Jesus W. Bush, gottgleich genannt zu werden, aber wir werden ihn schon noch überzeugen. Er ist Gottes Sohn: aber alle anderen können es auch werden, sie können es zumindest wollen." (S.26) und weiter: "Mein Gott ist ein wiedergeborener Christ, und er kann noch einmal und noch einmal geboren werden, das ist ja das Schöne an ihm als Christ. Und noch besser ist, daß er die Logik der Ungläubigsten und die Moral der Ungläubigsten auch verwenden darf, um zu beweisen, daß nur er recht hat und nur er Recht schafft und die Dinge als unwiderlegbar darstellen kann und überhaupt. Er darf alles. Er darf alles, mein Gott." (S.75)

(46) Im Bambiland zeigt Jelinek das folgende Beispiel, um zu erklären, wie Amerikaner und Engländer sich unter der demokratisch-ethischen Fassade verstecken. "Die Engländer werden jetzt dafür sorgen, daß die Menschen Wasser bekommen, denn sie haben einen Kanal gegraben, die Engländer, in den Wasser hineinkommen soll, wenn es erst mal da ist, und zwar, um den Menschen ihre Würde wiederzugeben. Das sagt der Engländer. Den Menschen wird durch einen Wasserkanal ihre Würde wiedergegeben, das ist der Zweck ihres Hierseins. Ich meine, das ist der Zweck, weshalb die Engländer überhaupt hier sind. Aber derzeit: noch kein Wasser zum Trinken und kein Essen. Es tut uns sehr leid." (S.55)

(47) In seiner Diplomarbeit Informationsleistungen der Neuen Medien unter Berücksichtigung der Theorie sozialer Systeme (1997) zitiert Kurt Benedek aus Luhmanns Beitrag "Wahrheit ist nicht zentral" (S.21): "Wir wissen, wie die Nachrichten ausgewählt werden, wie raffiniert Werbeleute das Wichtige in den Hintergrund rücken und mit welchen Gedächtnistheorien sie arbeiten. [...] Man muß das, was aus den Medien zu erfahren ist, für bare Münze nehmen. Es ist diese Diskrepanz zwischen den bekannten Selektionsmechanismen der Medien einerseits und ihrer Anwesenheit in unserem privaten Selbstverständnis andererseits, gegen die wir uns mit dem Manipulationsverdacht wehren."

(48) Die vielen Ausreden des Wiederaufbaus des Irak sind schon im Bambiland zu finden. "Es ist absolut ungerecht zu behaupten, wir machten mit diesem Krieg unsere Profite, weil wir nämlich auch mit vielen andren Kriegen unsere Profite machen. Der Aufbau ist schließlich das Wichtigste überhaupt. Aber bevor man aufbaut, muß man halt das Unheil lastend und schwer für den Gegner machen, bis er zerbricht, bis alles zerbricht und fortgerafft wird, damit wir was Neues anschaffen können, das wird Ihnen doch einleuchten, oder? [...] Dick Cheney. [...] Er wird das alles wieder aufbauen, der Herr von der Energiewirtschaft, der Herr Vorstandsvorsitzende, der Herr der Bilanzfälschungen, der Herr der Vettern." (S.61-S.20)

(49) In Jelineks Bambiland geht die Beschreibung Saddams Gewalt parallel mit Bushs Wunsch nach kolonialer Eroberung. "Das sind Unmenschen. Das ist eine Höllenbrut. Das sind Mörder und Vergewaltiger. Ehrlich wahr. Ich habe persönlich mehrmals gesehen und gehört und gelesen, wie sie gemordet und vergewaltigt haben. Das werden sie jetzt nie mehr tun. Sie werden keine Zeit mehr dafür haben. Jetzt auf einmal verlangen sie nach Freiheit." (S.50) Und dann in Babel erinnert die Autorin auch die brutale Gewalt von Abu-Ghraib: "Auf diesem Foto haben sich zwei Hundeführer, ja, zwei Hunde und zwei Führer, einen regelrechten Wettbewerb geliefert, wer mehr Häftlinge dazu bringt, aus Angst vor den Hundis zu urinieren. Hat gut geklappt. [...] wenn Sie mich fragen, was mir gefällt: das Springen auf einen Berg nackter Häftlinge und das Drauftreten mit Stiefeln auf Hände und Füße von Inhaftierten." (S.146-147)

(50) Jelineks Anhaltspunkt geht hier zurück zur wichtigen Bedeutung des Öls. Vgl. Bambiland, S.34.

(51) Ebda. S.180.

(52) Das Motiv der körperlichen Stattlichkeit wurde von Jelinek schon im Theaterstück Ein Sportstück (1998) verwendet, wo die Sprache des Körpers die der Worte ersetzt. Vgl. S.70-99.


LITERATURVERZEICHNIS

Broch, Hermann: Die Schlafwandler. Hrsg. von Paul Michael Lützeler. Frankfurt a/Main: Suhrkamp 1994

Broch, Hermann: Der Turm von Babel. In: Hofmannsthal und seine Zeit. Hrsg. von Paul Michael Lützeler. Frankfurt a/Main: Suhrkamp 2001

Broch, Hermann: Die Verzauberung. Hrsg. von Paul Michael Lützeler. Frankfurt a/Main: Suhrkamp 1994

Dinucci, Manlio/Valentino Parlato: Eurobusiness in Iraq. San Cesario di Lecce: Manni 2004

Grüber, Lili: L’altro Islam. Milano: Rizzoli 2004

Grüber, Lili: I miei giorni a Baghdad: Milano: BUR 2004

Handke, Peter: Die Fahrt im Einbaum oder Das Stück zum Film vom Krieg. Frankfurt a/Main: Suhrkamp 1999

Jelinek, Elfriede: Bambiland. Babel. Zwei Theaterstücke. Hamburg: Rowohlt 2004

Jelinek, Elfriede: Michael. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2004

Jelinek, Elfriede: Ein Sportstück. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2004

Jelinek, Elfriede: wir sind lockvögel, baby! Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2004

Jelinek, Elfriede: bukolit. Berlin: Berliner Taschenbuch Verlag 2005

Jelinek, Elfriede: Die Klavierspielerin. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2005

Jelinek, Elfriede: Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2004

Jelinek, Elfriede: Die Ausgesperrten. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2004

Loisl, Otto: Chaostheorie: zur Theorie nichtlinearer dynamischer Systeme. Wien: Oldenbourg 1996

Lützeler, Paul Michael (Hrsg.): Hermann Broch. Eine Biographie. Frankfurt a/Main: Suhrkamp 1988

Maggioni, Monica: "Infiltrarsi come ‘embedded’". In: Se dici guerra umanitaria. Hrsg. von. Corrado Veneziano/Domenico Gallo. Nardò: BESA 2005 S.56-63

Ramonet, Ignacio: Breve storia dell’informazione di guerra. In: Guerra e informazione. Hrsg. von Maurizio Torrealta. Milano: Sperling Edizioni 2005 S.1-22

Senarclens, Antje de Grancy: Der Turm von Babel als Thema der Kunst und Architektur des 20. Jahrhunderts. Graz: Dissertation 1993

Torres Morales, Miguel: Systemtheorie, Diskurstheorie und das Recht der Transzendentalphilosophie. Bd. 324. Würzburg: Königshausen& Neumann 2002

Trenkwalder, Julia: Turmbau zu Babel. Tradition und neue Forschung. Wien: Diplomarbeit 2002

Zweig, Stefan: Der Turm zu Babel. Hrsg. von Erich Fitzbauer. Wien: Verlag der Internationalen Stefan-Zweig-Gesellschaft 1964

Wiltsches, Harald Andreas: Wahrheit und Sinn in der Systemtheorie. Graz: Diplomarbeit 2002


5.4. OPEN AND CLOSED SYSTEMS: The Improbable Way towards an Equilibrium

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Ester Saletta (Universität von Bergamo, Italien): Brochs und Jelineks "Babel": Ein geschlossenes Wertsystem. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 16/2005. WWW: http://www.inst.at/trans/16Nr/05_4/saletta16.htm

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