Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 16. Nr. | März 2006 | |
6.1. Modalitäten von Kulturkontakt |
Zahra Behfar (Allameh Tabatabaie Universität)
[BIO]
Im wissenschaftlichen sowie im alltäglichen Gebrauch wird der Begriff Kultur sehr weitläufig verwendet. Daher sind auch die Versuche vieler Autoren, eine einheitliche Definition für diesen Begriff anzugeben, erfolglos geblieben. Als Beispiel wäre die Untersuchung von Kroeber und Kluckhohn(1) zu nennen, in der ca. 300 Definitionen geliefert werden, ohne dass aber die Autoren am Ende einen gemeinsamen Inhalt unter ihnen finden können. Somit ist es notwendig, eine für die vorliegende Abhandlung relevante Definition dieses Begriffes anzugeben .
Allgemein gefasst ist Kultur nach Seelye und Nostrand
"The totality of characteristic patterns of thought, behavior and self-expression through which individual members of a national, linguistic or ethnic group or subgroup react to make sense of and seek to satisfy basic human needs."(Zit. n.: Webber 1990: 132)
Hoebel und Frost, aus deren Sicht Kultur in fast allen Handlungen der Menschen zur Geltung kommt, definieren Kultur als
"integrated system of learned behavior patterns which are characteristic of the members of a society and which are not the result of biological inheritance." (Zit. n. Porter 1998: 36)
Ihre Definition gründet auf zwei Hauptpunkte. Erstens ist Kultur für sie - wie bei vielen anderen übrigens auch - erlernbar. Hierbei können Eindrücke sowohl bewusst aufgenommen und imitiert werden, als auch unbewusst die Angehörigen einer Gemeinschaft beeinflussen. Zweitens: Da jeder in eine bestimmte Umgebung hineingeboren wird, nimmt er verschiedene Einflüsse von dieser Umgebung auf oder lehnt sie ab und reagiert dementsprechend.
Auch wenn der Prozess des Lernens und des Aufnehmens von der Umgebung sich hauptsächlich im Rahmen der eigenen Kultur zuträgt, sind außerdem auch Einflüsse von außerhalb ausschlaggebend. Mit der heutzutage zunehmenden Möglichkeit einer Begegnung der Kulturen auf globaler Ebene - die zum großen Teil auch wahrgenommen worden ist - sind die Chancen für einen derartigen Austausch gestiegen. Hierbei wird die Modalität des Kulturaustausches bedeutend. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass sich zahlreiche Philosophen und andere Wissenschaftler mit der Problematik des Kulturaustauschs beschäftigt haben. Einer der bekanntesten und einflussreichsten Ansätze hierzu ist Humboldts Konzept der 'Weltansicht' (1810/11), in dem er die ganze Art der subjektiven Weltansicht notwendigerweise auf die Bildung und den Gebrauch von Sprache überträgt. In den Fragmenten der Monographie über die Basken (1801/02, VII 2: 602) meint er: "Mehrere Sprachen sind nicht ebenso viele Bezeichnungen einer Sache; es sind verschiedene Ansichten derselben." Denn in jeder Sprache spielen außer den sprachlichen Eigenschaften auch die kulturellen Aspekte eine entscheidende Rolle. So meint Korzybski in Science and Sanity, dass die Voraussetzung für die Schaffung eines homogenen Bildes der Welt, das Vorhandensein von sprachlichen Ähnlichkeiten ist. Auf diese Sicht gründend, konkretisieren Porter und Samovar (1994: 12) die Eigenschaften von Kultur unter anderem wie folgt: "culture is learned - culture is transmissible - culture is dynamic - culture is selective - the facets of culture are interrelated". Gerade durch die Fähigkeit zum Austausch erhält die Kultur eine Dynamik, mittels welcher sie sich stets neuen Ansprüchen stellen kann, ohne aber ihre besonderen Eigenarten aufgeben zu müssen.
Ein entschiedener Teil der Eigenarten einer Kultur spiegelt sich in ihren Mythen, Legenden und Erzählungen, im allgemeinen in ihrer Literatur wider. In diesem Rahmen werden die Werte und Eigenarten jeder Kultur von Person zu Person und von einer Generation zur nächsten weitergegeben. Ein Außenstehender kann dadurch einen Einblick in die fremde Kultur und ihre wichtigen Aspekte gewinnen. Besonders interessant sind in diesem Zusammenhang Mythen oder Märchen, die in verschiedenen Kulturen vorkommen. Trotz des gemeinsamen Kernverlaufs weist der Lauf der Handlung Unterschiede auf. Als Beispiel wäre das Märchen Aschenputtel zu nennen, das in verschiedenen Kulturen mit den Eigenarten des jeweiligen Kulturkreises vermischt worden ist und somit auf unterschiedliche Weise wiedergegeben wird (mehr hierzu siehe Porter 1998: 41).
Trotz der vorhandenen Unterschiede aber fällt bei einer genaueren Betrachtung der Mythen und Erzählungen verschiedener Kulturen auf, dass einigen universellen Fragen in allen Kulturen nachgegangen und dass versucht wird, den Menschen eine Antwort darauf zu geben. Jede Kultur gibt ihre Antworten auf Fragen wie nach dem Ursprung des Seins, der Entstehung der Menschheit, dem Lauf der Welt etc. Bei einer allgemeinen Betrachtung fällt auf, dass diese Antworten nicht immer vollkommen unterschiedlich sind, oft sogar Ähnlichkeiten aufweisen.
Zur besseren Verdeutlichung des oben Erwähnten werden im Folgenden Beispiele aus der Literatur zweier unterschiedlicher Kulturen aufgeführt, denn gerade darin lassen sich die verschiedenen Vorgänge und Wendungen innerhalb einer Kultur besonders gut erkennen. Anhand der Fallbeispiele wird gezeigt, wie universelle Gedanken in der Literatur verschiedener Kulturen erstaunliche Ähnlichkeiten aufweisen und somit die Basis für ein besseres interkulturelles Verständnis liefern können.
Bei den beiden Kulturen bzw. Ausschnitten aus der Literatur handelt es sich zum einen um Werke des persischen Dichters Dschalaleddin Mohammad Rumi (1207-1273). Geboren in Balch an der östlichen Grenze Irans, übernimmt Rumi nach der Auswanderung nach Konya in der heutigen Türkei den Lehrstuhl seines Vaters an den dortigen Theologie Medressen. Die Begegnung mit dem wandernden Sufi 'Schams' verursacht eine derart starke Wandlung in ihm, dass er beginnt, in verschiedenen Situationen mystische Gedichte hervorzubringen. Sein wohl bekanntestes Werk - das Mathnawi' - umfasst 25632 Verse mystischen Lehrgedichts. E ist ihm auf geschickte Weise gelungen, komplizierte Gedanken mithilfe von Symbolen, einer schönen Bildsprache und anderen literarischen Elementen in Gedichten so darzubieten, dass jeder Leser daran Anteil nehmen kann.
Dem gegenüber werden Ausschnitte aus den Werken des Frühromantikers Novalis (1772-1801) aufgeführt. Obwohl die Frühromantiker im 18. Jahrhundert die Epoche der Aufklärung hinter sich haben und sich im Vergleich zu Rumi in einem vollkommen anderen geschichtlichen und gedanklichen Umfeld bewegen, weisen ihre Gedanken erstaunliche Ähnlichkeiten zu denen Rumis auf. Auch wenn sich einige der Romantiker mit östlichem Gedankengut beschäftigten, habe ich trotz zahlreicher Recherchen keine Anzeichen finden können, die auf eine Vertrautheit der Romantiker mit den Gedanken Rumis schließen lassen, so dass sie eventuell von diesen inspiriert worden sein könnten.
Ob Parallelitäten nun auf einen direkten interkulturellen Austausch zurückzuführen sind oder von übernommenen Phänomenen aus einer dritten Kultur verursacht wurden, sie bieten auf jeden Fall eine gute Basis für ein besseres Verständnis zweier oder mehrerer Kulturen.
Anhand der folgenden zwei Gedanken sollen einige der vorhandenen Ähnlichkeiten in den Werken Rumis und der Romantiker konkretisiert werden.
Kosmogenetische Überlegungen begleiten seit jeher die Menschen. Angefangen bei den Philosophen der Antike bis hin zu den Denkern der Neuzeit haben sie alle versucht zu erklären, wie die Welt zustande kam. In der Antike geht alles Sein und Erkennen vom Einen aus. Plotin etwa gründet die Entstehung des Universums auf dem Einen. "Das Eine ist alles" und "Alles ist aus ihm" (Plotin 1976: 304 - V 2,1). Wegen seiner Fülle strömt dieses Eine über, so wie die Sonne Licht spendet oder wie ein Urbild das Spiegelbild liefert, und schafft das Universum. Mit der Neuzeit aber, speziell durch Descartes, wird dieses System umgewandelt. Mit seinem Satz "Ich denke, also bin ich (cogito ergo sum)" führte er das Subjekt in die philosophische Betrachtung ein. Das Ich wird nun zum Ausgangspunkt allen Erkennens, dem die Welt gegenüber steht.
Nun ist zwar bei den Romantikern die subjektivistische Sichtweise vertreten, doch widmen sie auch der antiken Tradition besondere Aufmerksamkeit, sodass diese wieder aufgegriffen wird und in ihre Gedankenwelt einfließt. Wie die Neuplatoniker waren auch sie der Ansicht, dass das ganze Universum in seiner Unendlichkeit eine Einheit bildet, sodass die Seelen an allem teilhaben, alles bereits gesehen und gekannt haben. Daher sagt Novalis auch, man kenne "Jenes seit unbedenklichen Zeiten", es sei fremd, man wisse aber, was es "bedeuten solle", es komme "so bekannt" vor (Novalis zit.n.: Reiff 1946: 78). Nach ihm sind die Naturgeschöpfe durch das Herabsteigen der Geistseelen erzeugt worden, wenn er z.B. von der Beseelung der Gestirne spricht. Somit sind die menschlichen Wesen und das Universum durch die Emanation ein und derselben Substanz entstanden.
In einem von diesem sehr unterschiedlichen kulturellen Umfeld, in dem andere gedankliche Voraussetzungen existierten, treffen wir bei Rumi auf eine ähnliche Ausarbeitung der neuplatonischen Idee. Bei ihm sind zwar subjektivistische Gedanken im Gegensatz zu den Romantikern nur schwach nachzuweisen, dafür sind Spuren neuplatonischer Gedanken umso deutlicher erkennbar. Auch er thematisiert die Trennung vom Ur-Einen oder Gott - - in der persischen Dichtung bekannt als 'Alast' oder 'gestriger Abend (dush)' . Aus dem 'Nichts' - oder 'adam'-, in dem noch vollkommene, ungeteilte Einheit vorhanden war, hat Gott als Überseiendes die ganze Schöpfung hervorgerufen. Dieses 'adam' ist bei Rumi eine 'Nicht-Existenz', aus der unendliche Sonnen hervorgerufen werden können. " Die Wüsten des Nicht-Seins sind von Sehnsucht erfüllt" (M VI, 2772. Übs. in: Schimmel 1995: 84). Den Unterschied unter den Seienden aber macht das Maß ihrer Teilhabe am Sein aus. So gehören sie verschiedenen Rangstufen an, von der Materie bis hinauf zum Menschen.
Nach Rumi sind die Seelen durch den Schöpfungsakt in die dunkle Welt der Materie verstoßen worden, verspüren aber eine Sehnsucht nach der einstigen Einheit und der Rückkehr in den Urzustand. Er macht dieses Thema zum Ausgangsgedicht seines bedeutenden Werkes, dem Ma tnawi, und berichtet von einem Rohr, das aus dem Röhricht getrennt wurde und sein Lied von der ewigen Sehnsucht nach dem einstigen Zusammensein singt.
Hör auf der Flöte Rohr, was sie verkündet,
hör, wie es klagt, von Sehnsuchtsschmerz entzündet:
"Als man mich abschnitt am beschilften See,
da weinte alle Welt bei meinem Weh."
(M I, 1ff, Übs. G. Rosen, zit. n.: Staden 1913: 55)
Somit ist alles aus dem Absoluten entstanden, hat sich von ihm getrennt und sehnt sich nun wieder zurück zu ihm. Daher meint Rumi:
Die Vorliebe des Körpers für die Welt und ihre Erscheinungen,
kommt daher, dass ihr Ursprung daher stammt.
Die Seele aber tendiert zu dem Lebendigen,
da die ortlose Seele ihr Ursprung ist. (M III, 4436-4447)
Ebenso:
O lass mich Nicht-sein! Denn das Nichtsein ruft
Mit Orgeltönen aus: 'Zu ihm kehr'n wir zurück!' (M III, 3906, vgl. Übs. in: Schimmel 1984: 454)
Das Motiv der Durchwanderung der Seinsstufen, ist auch bei den Romantikern vorzufinden. Erst nachdem die vorhandenen Grenzen in der Welt überwunden worden sind, kann eine Annäherung an das Unendliche erreicht werden. Diese Annäherung geht so weit, dass nicht mehr zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen unterschieden werden kann.
Ihre letzte Entsprechung findet die Aufhebung der Grenzen zwischen dem Endlichen und Unendlichen im Übergang vom Leben in den Tod. Im Gegensatz zur allgemeinen Meinung, die im Tod nur die physische Seite sieht und ihn als endgültigen Abschluss oder Scheiden vom Leben ansieht, ist er für die Romantiker unmittelbar verbunden mit dem Leben. Er stellt lediglich den Übergang zu einer neuen Phase dar und bedeutet das Aufgehen im Unendlichen. "Ein Freund, der stirbt, tut nichts weiter, als dass er sich wieder mit der großen allmächtigen Erde vermischt und mir unkenntlich macht" (Tieck 1996: 51). Dies zeigt, dass auch die Trennung durch den Tod überwunden werden kann, und noch dazu, dass der Mensch zu dem ihm bekannten Ort zurückkehrt. Novalis sagt hierzu:
"Leben ist der Anfang des Todes. Das Leben ist um des Todes willen. Der Tod ist Endigung und Anfang zugleich, Scheidung und nähere Selbstbindung zugleich. Durch den Tod wird die Reduktion vollendet" (Novalis, zit. n.: Stenzel 1954: 323).
Durch den Tod werden die trennenden Unterschiede zwischen dem Endlichen und Unendlichen aufgehoben, mit anderen Worten: es entsteht eine Vereinigung zwischen ihnen.
Auch für Rumi ist der Tod immer ein Anlass zur Freude, da er alle Schleier aufdeckt und Trennungen aufhebt.
Der Löwe dieser Welt sucht Beute und Verpflegung;
der Löwe des Herrn sucht Freiheit und Tod.
Da er im Tod hundert Existenzen sieht,
verbrennt er sein Sein wie ein Falter (vgl. DM I, 3965f).
Rumi widerspricht immer denjenigen, die im Tod eine Vernichtung sehen, da es für ihn keinen Verlust oder Mangel bedeutet (vgl. Akram 1382/2003: 395).
Der Mensch muss in dieser Welt sterben, um die höher stehende, geistige Welt erleben zu können. Der Tod ist sozusagen das 'Tor zum Leben' (Scharf 1980: 199). Leben und Tod bedeuten mit anderen Worten ein Kommen von und ein Gehen zu Gott.
Der Tod der Unsterblichkeit ist uns erlaubt,
unser Brot wird die Verpflegung der Unabhängigkeit sein
Es scheint der Tod zu sein, doch in Wirklichkeit ist es Leben.
Es scheint nicht weiterzuführen, doch ist es beständig.
Für den Embryo im Mutterleib ist die Geburt ein Gehen,
in der Welt wird er erneut erblühen (vgl. DM I, 3927ff).
So kommt es, dass Rumi den Tod zu sich einlädt, um zur Ewigkeit zu gelangen.
Wenn der Tod sich traut, sag ihm er soll zu mir kommen,
ich werde ihn willkommen heißen.
Von ihm werde ich ein scheinloses Leben bekommen,
Er wird von mir einen farbenprächtigen Umhang kriegen ( Kollyāte Šams).
Über das Verb "sterben" sagt Rumi:
Auch wenn Zeyd in dem Satz: 'Zeyd starb.' als Subjekt steht,
kann derjenige, der zu nichts taugt doch nicht ein Mörder sein.
Er ist nur vom Satzbau her gesehen der Mörder,
denn in Wirklichkeit ist er das Objekt und sein Tod ist das Subjekt (M III, 3683-3684).
Dieser Tod ist demnach nicht gleichzusetzen mit der Vernichtung des Seins oder mit dem Nicht-Sein, sondern es ist eine Änderung im Zustand des Seins. Jeder Tod bedeutet das Eintreten in die nächste Stufe, nachdem man in der vorhergehenden gestorben ist; also eine Bewegung in Richtung des Absoluten als höchstes Ziel.
Folglich wird auch der Vers von Hallāğ zu einem bedeutenden Gedanken Rumis:
Tötet mich, o meine Freunde,
denn im Tod nur ist mein Leben ...(vgl. Schimmel 1984: 452).
Anhand zahlreicher Bilder, die die Lage des Menschen symbolisch darstellen, versucht Rumi diesen Tod zu konkretisieren.
Fiel je ein Korn in die Erde,
das sich nicht köstlich entfaltet?
Glaubst du denn, dass sich das Korn, das
Die Menschen sind, anders gestaltet? (Kollyāte Šams, in: Schimmel 1995: 143).
Zu einem ähnlichen Ergebnis führt auch die Geschichte der Kichererbse im Ma tnawi: Das Gemüse, das zum Kochen in heißes Wasser geworfen worden ist, klagt über seine Lage und möchte aus dem Kessel springen. Doch es wird ihm gesagt, nachdem es den Regen und Sonnenschein der göttlichen Gnade genossen hat und dadurch gewachsen ist, müsse es jetzt auch im Feuer (des göttlichen Zorns) leiden, um 'gekocht' zu werden, zu reifen. Er wird vom Menschen gekocht und verzehrt, somit als Gemüse vernichtet. Aber gleichzeitig nimmt es Teil an etwas Höherem, dem menschlichen Wesen. Dies ist der einzige Weg, wie er von seinem Seinszustand in die nächste Stufe aufsteigen kann.
Die Voraussetzung zum Werden und zum Sein, ist das Nicht-Sein. Nur in diesem Zustand kann Gott in ihnen wirken.
Der Niedrige sagte zu ihm:
"Ich habe früher genau wie du zu den Teilen der Welt gehört.
Eine zeitlang wurde ich in der Welt gekocht,
dann eine andere zeitlang im Körper als Topf.
Durch dieses Kochen sind meine Sinne gestärkt worden,
bin zur Seele und daher zu deinem Lehrer geworden (M III, 4203, 4204+5).
Die Selbstaufopferung (fanā) zu der Rumi einlädt, geschieht mit freiem Willen. In der Mystik kann eine Vereinigung erst durch Selbstaufopferung erreicht werden (vgl. Jafari Langrudi 1378/1999: 243). Jeder der die göttliche Vereinigung ersehnt, muss alles Niedere in sich vernichten, um göttlich zu werden. Ein Beispiel dafür ist das Holz, das sich nach dem Feuer sehnt, obwohl es dadurch vernichtet wird. Dies ist gleichbedeutend mit dem freiwillig gewählten Tod, um zur Vereinigung zu gelangen.
Wie wir oben ausführten, ist der Gedanke der Entstehung aller Seelen aus einem einheitlichen Ursprung, aus dem sie sich am Anfang der Schöpfung gelöst haben, auch bei den Romantikern vorzufinden. Nun erfolgt durch die Aufhebung der Grenzen, durch die Verschmelzung des Endlichen mit dem Unendlichen, eine Wiedervereinigung, und der selige Urzustand wird hergestellt. Daher sagt Novalis:
"Alle aber, vollkommener und minder vollkommen, werden in dem Augenblick der Vermählung IHM gleich, von IHM erfüllt. Nur IHM gleich glühen sie in der höchsten Wonne und werden vollendet - zum Tode. Denn dieser ist die Zeit der Reife allen Dingen. ...
Und wenn nun die Dinge das innre Werk zur Vollendung geschaffen haben, wenn die Erde das Werk der Nacht geendet, naht die Morgenröte, und die Zeit des Anfangs ist die Stunde des Todes" (Stenzel 1954: 336).
Der oben erwähnte Begriff "Vermählung" für die Wiedervereinigung mit dem Herrn ist eher ein christliches Motiv. Unter den Mystikern im Osten tritt dieser Begriff in einem etwas unterschiedlichen Zusammenhang auf. Dort gilt der Mensch als Manifestation der Eigenschaften(2) Gottes, daher wird von einer 'Vermählung der Namen Gottes' im Menschen gesprochen.
Die romantische Poesie soll bei der Wiedervereinigung des Endlichen mit dem Unendlichen und der Herstellung des Urzustandes beitragen. Die Trennungen sollen poetisch überwunden werden. Demnach kann und soll sich die Poesie bei den Romantikern nicht auf besondere Elemente festlegen und damit einschränken lassen. Sie müsse fortwährend im Werden sein. Somit entsteht der von Friedrich Schlegel erwähnte Progressivitätsbegriff als ein Zentralthema in der romantischen Gedankenwelt, deren Auswirkungen in ihren Werken vorzufinden sind. Schlegel meint: "Ja, das ist ihr eigentliches Wesen, dass sie ewig nur werden, nie vollendet sein kann" (Nivelle 1970: 178). Weiter heißt es bei ihm:
"Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennten Gattungen der Poesie zu vereinigen und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Berührung zusetzen. Sie will und soll auch die Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen" (Peter 1988: 353).
Auch Novalis deutet darauf hin, dass sich die Poesie unmöglich auf unveränderliche Elemente festlegen lasse. Aus seiner Sicht ist diese Vereinigung nicht überirdisch, wie der christliche Himmel, sondern eine im Innern der Seele, wo das wahre, zeit- und raumlose Universum liegt (vgl. Wanning 1996: 196).
Ein Beispiel für diese poetische Vereinigung bietet Joseph von Eichendorff in seinem Gedicht Mondnacht:
Es war als hätt der Himmel
Die Erde still geküsst,
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müsst.
Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauchten sacht die Wälder,
So sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.
(Baumann/Oberle 1996: 134)
Die Einheit von Mensch und Natur wird in diesem Gedicht mit besonderer Zartheit dargestellt. Das Irdische, der Mensch, strebt nach Einheit mit dem Himmlischen und schlägt sehnsüchtig den Weg zu seinem Ursprung, seinem Zuhause, ein.
Die Begegnung und der eventuell sich daraus ergebende Austausch unter verschiedenen Kulturen bedürfen eines neuen Wertesystems oder universell menschlicher Werte, die jenseits der Unterschiede unter allen Erdenbürgern gemeinsam wären. Wie auch Habermas schreibt, kann ein interkultureller Dialog eine Suche sein, "die zusammenführt, ohne Abstände zu tilgen, die verbindet, ohne Verschiedenes gleichnamig zu machen, die unter Fremden, das Gemeinsame kenntlich macht, aber dem Anderen seine Andersheit lässt".
Ein Beispiel für eine derartige Spur, liefern die oben erwähnten Beispiele aus der Literatur zweier verschiedener Kulturen. Anhand dieser Ausschnitte wurde gezeigt, wie trotz vorhandener Unterschiede, die Antworten auf universelle Fragen in verschiedenen Kulturen ähnlich ausgefallen sind.
Auf der Basis eines auf diesem Wege erlangten höheren Verständnisses, kann somit aus dem Zusammenstoß verschiedener Kulturen ein ertragreiches Zusammenarbeiten und 'Sich-Ergänzen' erreicht werden.
© Zahra Behfar (Allameh Tabatabaie Universität)
ANMERKUNGEN
(1) Zu der von Kroeber und Kluckhohn gelieferten Übersicht unter dem Titel Culture: A Critical Review of concepts and Definitions siehe Seelye 1985, 12-15
(2) Anstelle der Eigenschaften Gottes wird auch von seinen Namen gesprochen.
LITERATUR
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Bauman, Barbara/Oberle, Brigitte (1196): Deutsche Literatur in Epochen. Ismaning: Hueber
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Meyer, Bernhard u. Kaveh und Jilla Dalir Azar (Übs.) (1999): Das Matnawi. Köln: Kaveh Dalir Azar 1999 - (Im Text erwähnt als DM)
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Reiff, Paul F.(1946): Die Ästhetik der deutschen Frühromantik. Hg. Theodor Geissendorfer, Urbana: The University of Illinois Press
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Scharf, Kurt (1980): "Nachwort". Zu: Hafis, Rumi, Omar Chajjam. Die schönsten Gedichte aus dem klassischen Persien. Übs. Cyrus Atabai. Frankfurt am Main: Insel
Schimmel Annemarie (1999): Im Namen Allahs, des Allbamherzigen, der Islam. ungekürzte Ausgabe. München: dtv
Schimmel, Annemarie (1984): Mystische Dimensionen des Islam - Geschichte des Sufismus. Köln: Diederichs
Schimmel, Annemarie (1995): Rumi. Ich bin Wind und du bist Feuer. Leben und Werk des großen Mystikers. 9. Aufl. München: Diederichs
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Stenzel, Gerhard (Hg. u. Verf.) (1954): Die Deutschen Romantiker. 1. Bd. Salzburg: Das Bergland-Buch
Tieck, Ludwig (1996): "Franz Sternbalds Wanderungen". In: Wanning, Berbeli: Novalis zur Einführung. 1. Aufl. Hamburg: Junius
Wanning, Berbeli (1996): Novalis zur Einführung. Hamburg: Junius
Webber, Mark: Intercultural Stereotypes and the teaching of German. Die Unterrichtspraxis 2, 1990, 132-141
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