Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 16. Nr. | August 2006 | |
6.5. "Den Kunstbegriff gilt es auf Punktgröße zu verengen". Kunst des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart in muslimischen Ländern |
Christine Bruckbauer (Pakistan)
[BIO]
Die zeitgenössische Miniaturmalerei ist ein Phänomen Pakistans und umschreibt jene künstlerische Disziplin, die zwar aktuelle Themen visualisiert, technisch und formal aber auf der klassischen Buch- und Albummalerei basiert - jener Kunstform, die im 16. und 17. Jahrhundert auf dem indischen Subkontinent unter den Großmoguln ihren künstlerischen Höhepunkt feierte.
Die Miniaturmalerei wird heute in Pakistan am National College for Arts in Lahore gelehrt, dem einzigen Institut weltweit, an dem die arbeitsintensive Technik noch im traditionellen Stil weitergegeben wird. Der unveränderte patriarchalische Führungsstil im dortigen Miniaturdepartment, dem der Ustad (Meister) vorsteht, entspricht dem traditionellen Meister/Lehrlingsprinzip der imperialen Hofwerkstatt.
Das Studium beginnt mit dem Erlernen der Herstellung von Malutensilien, wie dem Kalam, einem feinen Pinsel aus Eichkätzchenhaar oder dem Wasli(1), dem typischen Maluntergrund. Das Kopieren von klassischen Malereien aus Persien sowie von Albumblättern der Großmoguln und indischer Fürstenhäuser soll die spezifische Kompositions- und Formensprache automatisieren. Erst im dritten und letzten Studienjahr sind, zumal inhaltlich, Experimente erlaubt.
Verständlicherweise zerren die jungen Miniaturmaler und -malerinnen an diesen rigiden Vorgaben, sei es durch die Ausdehnung der kleinen Malfläche, durch das Brechen des traditionell in Schichten konzipierten Bildaufbaus mittels spontaneren Techniken, durch eine radikale Reduktion der ursprünglich minuziösen Kleinteiligkeit oder aber vor allem durch das Einbringen eines zeitgenössischen Bildvokabulars.
Auffällig ist, dass Miniaturmaler oder -malerinnen, die im Ausland leben oder ein Stipendium erhalten, hier zwangloser mit den traditionellen Vorgaben umgehen und die spezifische Formensprache auch gerne in anderen, dem 21. Jahrhundert zeitgemäßeren Medien zum Ausdruck kommen lassen.
Dahingegen behalten die im Heimatland praktizierenden Künstler und Künstlerinnen gerne das Wasli bei. Innerhalb dieser durchschnittlich 15 x 20 cm großen Fläche zeigt die Experimentierfreude jedoch keine Grenzen.
Im Gegensatz zur Vergangenheit, wo das Genre eindeutig von Männern bestimmt war - die Geschichte weiß nur von vier Miniaturmalerinnen(2) - und trotz des nach wie vor patriarchalischen Regiments am Miniaturdepartment sind es heute vor allem junge Frauen, die sich entschließen, diese traditionelle Kunst zu studieren. Die Parameter klein, dekorativ und lieblich sowie die erforderlichen Eigenschaften ausdauernd und Detail verliebt werden gerne als feminin bezeichnet.(3) Diese Tatsache und sicher auch die aktuelle Situation der Frau in Pakistan bewirken, dass ein Großteil der heute produzierten Miniaturmalereien sich mit frauenspezifischen Themen auseinander setzt.
Bei der Durchsicht vieler Werke, die in den letzten 15 Jahren entstanden sind, wird unmittelbar sichtbar, dass sie sich nicht nur technisch, sondern auch in der formalen Aufarbeitung von Kunstproduktionen in anderen Kulturkreisen unterscheiden. Augenblicklich wird eine Abstinenz der Selbstdarstellung bewusst, ein durchaus übliches Prinzip in der feministischen Kunstpraxis, in der das Künstlerinnenportrait bzw. der Künstlerinnenkörper oft zum visuellen Experimentierfeld werden.(4) Der im Westen oft bewusst eingesetzte Schockeffekt fehlt. Die Konfrontation mit der "nackten" Realität, sei es der Alterungsprozess oder eine pornographische Pose, wird gänzlich vermisst.
Stattdessen ist in der zeitgenössischen Miniaturmalerei - ich beziehe mich hier nun auf jene Arbeiten, die ausschließlich in Pakistan produziert werden - eine Tendenz zur Verschleierung und Umschreibung der weiblichen Figur auffallend.
Die Künstlerinnen bedienen sich mit Vorliebe Metaphern und nützen sie zur Ankündigung ihrer physischen Präsenz. Blumen, Farben, der Schleier und anonyme Körperfragmente kündigen nicht nur die weibliche Gegenwart an, sondern dienen auch als Katalysator zur Visualisierung von unausgesprochenen Gefühlen und Sehnsüchten.
Ich wage es nun zu behaupten, dass diese Tatsache auf den gegebenen sozialen Kontext der Künstlerinnen und zwar konkret auf jene in Pakistan praktizierte Tradition mit dem lokalen Namen Purdah zurückzuführen ist. Das persische Wort Purdah (wortwörtlich Vorhang) beschreibt jene Einrichtung, die die Isolation der Frau von allen Männern, mit Ausnahme von nahen Verwandten, verlangt. Von vielen wird Purdah als religiöse bzw. islamische Sanktion gerechtfertigt, jedoch ergaben sorgfältige Untersuchungen des Koran, des Hadith (Aussagen des Propheten) und der Sharia (islamisches Rechtssystem) keine definitiven Hinweise auf diese Maßnahme. Stattdessen erfährt man von einflussreichen Frauen aus der frühislamischen Zeit in politischen und ökonomischen Positionen, in denen eine öffentliche Präsenz unentbehrlich gewesen wäre. Forschungen ergaben, dass arabische Nomaden Purdah von verstädterten und am Besitz orientierten Gesellschaftsformen wie die der Byzantiner im mediterranen Mittleren Osten oder die der Zoroaster in Persien übernommen haben.(5)
Im heutigen Pakistan ist Purdah in allen Lebensbereichen sichtbar, sei es in der Architektur oder in der Kleidung. Die Strenge der Einhaltung variiert jedoch von Stadt zu Land und von Klan zu Familie. Besonders im Norden Pakistans sind die Strassen und Märkte ausschließlich von Männern bevölkert, während ihre weiblichen Familienmitglieder ein "geschütztes" Dasein hinter den Mauern ihres Familienverbundes pflegen. Kellner und Verkäufer sind grundsätzlich männlich. Schulen, in denen Mädchen und Buben gemeinsam unterrichtet werden, sind die große Ausnahme. Purdah ist mitunter verantwortlich für den Mangel an Pflegepersonal in den Spitälern Pakistans und erschwerte zur Zeit des Erdbebens die Hilfsaktionen in den betroffenen Gebieten, wo Familienoberhäupter sich weigern, mit ihren Frauen und Kindern in die viel leichter zu erreichenden Zeltlager in den Tälern zu ziehen.
Die Miniaturmaler und -malerinnen stammen zum Großteil aus liberalen Familien und dem urbanen, weniger fundamentalen Umfeld. Nichtsdestotrotz sind sie mit ihrer Kultur verwachsen und stehen unter dem Einfluss gesellschaftlicher Mechanismen, was auch klar in ihren künstlerischen Arbeiten sichtbar wird:
Eine Künstlerin, durch deren gesamtes Schaffen sich das Thema Purdah zieht, ist Aisha Khalid. Ihre frühen Werken zeigen Innenräume. Die Präsenz der Frau wird mit einer anonymen Burqah, die Mobilität innerhalb von Purdah gewährt, angedeutet. Gemeinsam mit Vorhang und anderem Dekor wird sie zum Rauminventar. Die süße Heimeligkeit kippt jeden Moment in das Gefühl von Klaustrophobie.
Zwischen großer Körperlichkeit (weich fallender Draperie) und flacher Zweidimensionalität (streng-geometrisch gemusterte Bodenfliese) findet ein Wechselspiel statt. Zu ihrer Gewohnheit, die Figuren von hinten zu portraitieren, verweist die Künstlerin auf ihre Kindheit im konservativen, ländlichen Sindh. " My parents were very strict and we were not allowed to have pictures that showed a face in my house. So I could only portray the backs of people. Interestingly, even now most of my work depicts the back of a person; curious how some things stick with you" , erzählt Aisha Khalid in einem Interview.(6)
Eine ihrer Arbeiten trägt den Titel Chandan Pani, was soviel wie parfümiertes Wasser bedeutet. Aisha Khalid entlieh diese Phrase einem populären Hindi-Song, in dem die Sängerin die Umarmung ihres Geliebten mit "parfümiertem Wasser" vergleicht. Die Darstellung des Wassers in Kringel übernimmt die Künstlerin aus der klassischen Buchmalerei. Ebenso ist der "Lotussitz" in Darstellungen der indischen Mythologie zu finden.
Ein Studienaufenthalt in Holland an der Rijksakademie veränderte ihre Perspektive auf die eigene Kultur. Eine unmittelbare Gegenüberstellung zwischen West und Ost bestimmte diese Schaffensperiode. Rechts Frauen in Purdah, links eine Tulpe. Nachforschungen der Künstlerin ergaben, dass die Pflanze ihren Ursprung im arabischen Raum hat und von Händlern im 15. Jahrhundert nach Holland gebracht wurde. Mit den Jahrhunderten wurde sie mit Hilfe von Genmanipulation zu jener zwar großen und perfekten, aber geruchlosen Kreation, wie sie heute in Europa zu finden ist. Aisha Khalid zögert nicht, diese überzüchtete Pflanze mit der europäischen Frau zu vergleichen, die ihre Energie für die Perfektionierung ihres Äußeren verausgabt und dabei innere Werte in Vergessenheit geraten lässt.(7)
Plötzlich tritt die Burqah aus dem Raum, dreht sich in Richtung Betrachter und geht auf Konfrontation. Sie öffnet sich leicht und durch einen Spalt blitzt kräftiges Rot hervor. Es symbolisiert die ungeahnte Leidenschaft, die bislang verborgen unter den gewaltigen Stoffmassen lag. Die Burqah befindet sich nun auf neutralem Hintergrund oder verschmilzt harmonisch mit dem Muster der Umgebung. Kein Aufbegehren ist mehr zu erkennen. Dieselbe Burqah, die zuvor noch Unterdrückung und Hilflosigkeit versinnbildlichte, wird zum Symbol der weiblichen Kraft.
Die neueren Arbeiten der Künstlerin zeigen eine große Reduktion. Auf dekoratives Beiwerk wird verzichtet. Die Burqahfigur verschwindet und die Konzentration liegt nun auf Ausschnitten. Statt geometrischen Bodenfliesen sind es nun minutiös gemalte Linien einer Schulheftseite, die sich durch den fließenden Faltenwurf ziehen. Laut Künstlerin präsentieren sie die unbeschriebenen Seiten eines Tagesbuches. Ein Hinweis der Künstlerin auf die hohe Rate des weiblichen Analphabetismus im Land?(8)
Aisha Khalid
Ein weiteres weibliches Synonym, das neben dem Schleier immer wieder zum Einsatz kommt, ist das Haar.
Ausführlich besungen in der persischen und subkontinentalen Liebesdichtung, steht es vor allem im gelösten Zustand für die Schönheit und Erotik der Frau. Aufgrund seiner verführerischen Eigenschaft wurden bzw. werden auch heute Frauen in vielen Kulturen angehalten, es zu verdecken.
Eine Strophe, entnommen von einer Hindavi Sufi Romanze aus dem beginnenden 16. Jahrhundert, vergleicht die weiblichen Locken mit giftigen Schlangen:
Her beautiful hair was bee-coloured, black,
coiled like cobras around her sandal-scented neck.
When she opened her topknot, the day darkened,
it was suddenly the sixth night of Bhadon(9)!
The curl that hang down on her cheek
Was a black poisonous snake on a lotus.
Whoever sees it is stung by desdly venom.
No medicine, nor root, nor physician can help!
From head to foot her curls hung there,
like poisonous serpents in waves upon waves.
Thant poison was the shears of death to me,
and I fell down in a shiver and fainted.(10)
In Hajra Khans Arbeit taucht eine weibliche Figur ins Wasser ein, zu sehen ist jedoch bloß die losgelöste schwarze Haarpracht, halb bedeckt von einem hauchdünnen Schleier. Die Künstlerin beschreibt Übergange. Vorhang und Stoffbahn markieren einzelne Lebensabschnitte. So liegt die Vergangenheit verborgen hinter einer schützenden Drapierung. Schließlich wird der "Sprung ins kühle Nass" gewagt. Das Wasser, wieder im klassischen Stil mit vielen kleinen Kringeln, symbolisiert Ungewissheit und Zukunft.
In einer späteren Arbeit verlaufen Haarbahn und Schleier parallel zueinander und sind nur auszugsweise wahrzunehmen. Die zuvor den Schleier fixierenden Haarnadeln haben sich gelöst. Freies Schweben wird möglich.
Hajrah Khan
Mahreen Zuberi zeigt eine Badezimmerszene. Es handelt es sich hier um jenen Bereich im Haus, der private Intimität und freie Entfaltung gewährt. Statt dem beliebten "Susanna-im-Bade"-Motiv bzw. "Frau-beim-Baden-beobachtet" deuten hier jedoch nur Spuren auf eine einstige Anwesenheit hin. Lange Frauenhaare befinden sich im Abflusssieb. Mit der detailgetreuen Ausführung des Siphons und der Wasserrohre wird Marcel Duchamps "Fontäne" wachgerufen. In der Tat ist eine intensive Beschäftigung der Künstlerin mit dem französischen Dadaisten nachweisbar, die deutlich neues Vokabular in die Miniaturmalerei bringt.
Der Abfluss und die Rohre, die männlichen Pendants zu den Haaren, führen in die Außenwelt. Das Sieb versperrt den Weg. Langsam und stetig gelingt es einzelnen Haaren durchzusickern.(11)
Eine weitere Arbeit präsentiert einen Aschenbecher, der zur Unerkennbarkeit von schwarzen langen Haaren umhüllt ist. Wieder findet sich hier eine Gegenüberstellung von Männlich und Weiblich. Im Aschenbecher, laut Künstlerin ein Objekt des Mannes mit einer weiblichen Form, hinterlässt der Mann die heiße Asche seiner Zigarette, um sie schließlich darin auszudämpfen.(12) Die Haare verschleiern den Ort des "Gewaltaktes", gleichzeitig wird seine Weiblichkeit durch die Öffnung in Form einer Vagina verstärkt.
Mit dem Verhältnis der Geschlechter beschäftigt sich ebenso der junge Miniaturkünstler Muhammad Zeeshan. In einer früheren Arbeit, einer Photocollage mit Miniaturmalerei, kommt es zu einer Gegenüberstellung eines weiblichen Portraits mit einer Pistole und einer phallusförmigen Frucht, der Banane. Bei den beiden letzteren handelt es sich um bekannte Synonyme für Männlichkeit, Macht und Kontrolle und beide Motive bestimmen das weitere Schaffen des Künstlers. Die Pistole ist kalt und hart, beschützend und bedrohlich zugleich, im Gegensatz dazu ist das Haar schön und seidenweich.
Immer wieder kommt diese Konfrontation der Geschlechterdifferenzen zum Ausdruck. Eine metaphysische Spannung entwickelt sich, die produktive Kräfte ins Spiel bringt. Der Pistolenlauf steckt im Bananen"schaft", bereit zum Zug. Gegenüber, symbolisiert durch das Ei, ver"harrt" das Weibliche.
Die Einschusslöcher rechts (man beachte die Leserichtung von rechts nach links) verbildlichen die Spuren einer feurigen Penetration, mit der Folge, dass sich die Umrisse der Waffe verdünnen und einzelne Bestandteile von Haaren umwuchert werden. Ein Prozess, der sich im Laufe der Zeit verstärkt. Die Haare nehmen überhand und nun sind sie es, die die Feuerwaffe formen. Die klaren, strengen Umrisslinien verschwinden. Es handelt sich nun vielmehr um eine vage Andeutung, um die Skizze einer Waffe, der jede Bedrohlichkeit genommen wurde.
Die Relevanz der bewussten Zuordnung wird deutlich. Aus Dislokation oder Fusion resultieren zugleich zerstörerische sowie harmonisierende Kräfte.
Muhammad Zeeshan
Keinem Motiv wurde in der Kunstgeschichte so viel Aufmerksamkeit geschenkt, wie dem nackten Frauenkörper, dem Inbegriff von Weiblichkeit. Wird er von der männlichen Künstlerwelt aufgrund seiner mysteriösen Schönheit zumeist idealistisch abgebildet, so bedienen sich Künstlerinnen seiner zum Ausdruck ihrer Befindlichkeit.
Wie jedoch verhält sich die Situation in einem Land, wo Purdah praktiziert wird und der Anblick einer Frau grundsätzlich verpönt ist?
Trotz gesellschaftlicher Auflagen und politischer Maßnahmen, wie die Verbannung sämtlicher Kunstwerke mit figürlicher Darstellung sowie die mutmaßliche Zerstörung von Kunstwerken mit anstößigem Inhalt in den frühen achtziger Jahren, verstanden es pakistanische Künstler und Künstlerinnen seit jeher, nackte Haut ins Bild zu bringen, und sei es mittels der Umgehung von Hindernissen.
Fehlt es an der eigenen Verfügbarkeit, so importiert man das Objekt der Begierde aus einem anderen Kulturkreis, ein durchaus bekanntes Prinzip des imperialistischen Kolonialismus.
Mit Wasim Ahmed ist es nun hingegen ein Künstler aus dem Osten, der sich nackter Berühmtheiten des Westens bedient. Er verpflanzt die "Olympia" Edouard Manets in ein östliches Ambiente und bedeckt sie fürsorglich mit der landesüblichen Burqah. Dabei wird Wasim Ahmed dem viel zitierten Stereotyp des "männlichen Blickes" gerecht, denn anstatt zu verhüllen unterstreicht die transparente Ausführung des feinen Gewebes die verführerische Kraft des berühmten Aktes.
Waren es ein Jahrhundert zuvor Europäer, die mit Freuden "orientalische" Frauen abbildeten, so gelingt hier nun dem pakistanischen Künstler eine postkoloniale Kompensierung. Dem Jäger gleich wirft er sein Netz aus, um das Opfer darin gefangen zu halten, hier im konkreten der berühmte Rückenakt aus Jean-Auguste-Dominique Ingres "Türkischem Bad". Turbane im Deckenfries bezeichnen die männliche Überhand.
In einer weiteren Serie versucht der Künstler, durch die Inkarnation des blauen Liebesgottes Krishna Hollywood Diven zu bezwingen, sei es mittels Abschuss von Liebespfeilen geradewegs in das Hinterteil von Marilyn Monroe, oder durch eine ehrwürdige Huldigung mit tiefem Kniefall vor den Füßen der jugendlichen Liz Taylor.
Die präzise Ausführung von kleinen Details, wie zum Beispiel die hauchdünne Gaze der Burqah, beweist Wasim Ahmeds Meisterschaft der komplexen Technik. Sein Bildvokabular, mit Ausnahme der importierten Damen, sowie die Hintergrundgestaltung in der Waschtechnik sind Zitate der klassischen Albummalerei.
Waseem Ahmed
Die Künstler und Künstlerinnen entwickeln unterschiedliche Strategien zur latenten Visualisierung des weiblichen Körpers. Anonyme Fragmente und Ausschnitte werden sichtbar. Einzelne Körperteile sprechen für die Ganzheit. Eingebettet in ein gestaltetes Umfeld entstehen "Körperlandschaften".
Bewusst wählt Mahreen Zuberi für ihr Selbstportrait ihre Füße, liegen sie doch beim Malakt im Blickwinkel, wenn sie nach traditionellem Vorbild mit dem Wasli auf den Oberschenkeln am Boden sitzt.
"Das Paradies liegt zu den Füßen der Mütter", soll Prophet Mohammed gesagt haben, ein Grund mehr, warum Frauen im islamischen Kulturkreis ihren Füßen große Bedeutung zukommen lassen. Neben den Händen, sind die Füße jene Köperteile, die unter der Kleidung zum Vorschein kommen.
Eingeklemmt zwischen den Zehen befindet sich ein Ei, das Symbol für den Ursprung von neuem Leben. Ein Hinweis auf eine gesellschaftliche Verpflichtung? Die Reproduktion als primäre Funktion der Frau? Zwischen Ei und dem Rist der Füße tut sich willkürlich ein rotes Feld auf, das in seiner Form dem weiblichen Geschlechtorgan nahe kommt, jene Geheimnis umwobene Höhle, die den Machtbereich der Frau ausmacht. Rot wiederum symbolisiert die Farbe des Lebens und der Kraft. Lotusblumen säumen den unteren Bereich. Die geschlossene Blüte wiederholt die ovale Form des Eis.
Der Lotus, ein Seerosengewächs, hat viele Bedeutungen in der indischen Mythologie. Primär als Zeichen für Schönheit und Reinheit steht er auch für spirituelle Freiheit gegenüber allem Irdischen. Die Wurzeln des Lotus stecken zwar im Schlamm, seine Blüte und Blätter schwimmen jedoch losgelöst, ohne vom Wasser benetzt zu werden.(13) Der Lotus stellt somit die Verbindung zwischen der irdischen (weiblichen) und der spirituellen (männlichen) Welt dar.
Mahreen Zuberi
Das Thema der weiblichen Sexualität beziehungsweise das Trauma der Geburt verarbeitet die Künstlerin Habiba Khan in ihren Arbeiten. Der rote vaginale Spalt kehrt immer wieder, hier ist er in eine scheinbar dezente Landschaft eingebettet. Neben klassischem Buschwerk, aus der Paharimalerei(14), lassen sich die umschlungene Nabelschnur aber auch die Nähte eines Dammrisses erkennen.
Die Reduktion wird vorangetrieben. Ein Experimentieren mit dem Farbauftrag ist erkennbar. Wieder der rote Spalt, diesmal jedoch zusammengehalten mit den Haarspangen ihrer mittlerweile dreijährigen Tochter.
Habiba Khan
Vornehmlich verweigern die Künstlerinnen ihre Identität und beschränken sich auf Ausschnitte und Andeutungen. Stellvertreter nehmen ihren Platz ein und treffen sich in deren Unberührbarkeit. Synonyme ihrer Geschichte wie der Schleier, das Haar oder Fragmente ihres Körpers sprechen von geheimen Gefühlen und Ängsten, aber auch von großer Sinnlichkeit und Widerstand.
Die künstlerischen Antworten auf die bestehenden aus der Purdah Tradition resultierenden Zwänge verzichten auf moralische Unterstellungsformen und auf bürgerliche Regulative.
Eine scheue Zurückhaltung in der Wahl des Sujets ist zu spüren. Der Trend zum Minimalismus und zur Reduktion des ursprünglich figürlichen und kleinteiligen Genres, verstärkt diese Bewandtnis. Die Verinnerlichung der Thematik sowie der hochsensible Umgang mit der eigenen Wesensart zeichnen die Künstler und Künstlerinnen als eine im politischen Bewusstsein ihrer Generation bedeutende kulturelle Instanz aus. Die zeitgenössische Miniaturmalerei, die ihren Ursprung in der eigenen Geschichte findet(15), gewährt die beste Voraussetzung zur Artikulierung von persönlichen Botschaften.
© Christine Bruckbauer (Pakistan)
ANMERKUNGEN
(1) Urdu, wortwörtlich: "Treffen", "Appointment", stammt vom persischen Wort: "vasl": "Vereinigung". In der mystischen Literatur: "Frau die Einigung erreicht hat", Annemarie Schimmel, Meine Seele ist eine Frau (München: Kösel, 1995) 132, 208.
(2) Shafi’a Banu, Nini, Raqiya Banu und Nadare Banu sind die Namen der bekannten Miniaturmalerinnen; vgl. Asok Kumar Das, Mughal Painting, During Jahangir’s Time (Calcutta: The Asiatic Society, 1978) 46 und Som Prakash Verma, Painting Mughal Experience (New Delhi: Oxford University Press, 2005) 25.
(3) Virginia Whiles, "Miniature Painting in Pakistan Today: Authenticity for Whom?" The Politics of Authenticity in Indian Art (Conf. of CNRS. Paris, 2001) 8.
(4) Ich denke hier an die künstlerischen Arbeiten von z.B. Elke Krystufek, Maria Lassnig, Frida Kahlo oder Cindy Sherman.
(5) Louis Dupree, Afghanistan (1973, Karachi: Oxford University Press, 2002) 531 oder Leila Ahmed Women and Gender in Islam (Michigan: Yale University, 1992) 11 - 37.
(6) Aisha Khalid, "The Miniature Revolution" ( Interview mit Qudsia Ali), Ego, 2005, 9 - 14.
(7) Aisha Khalid in einem persönlichen Interview mit der Autorin, 3. Juli 2004.
(8) Afshan S. Khan, "75% of women are illiterate in Pakistan", The News, 2. Januar 2005.
(9) Bhadon: 6. Monat des Hindu Kalenders.
(10) Qutban, Mirigavati, 1503, D.F. Plukker ed. (Amsterdam: Universiteit van Amsterdam Academisch Proefschrift, 1981)
(11) Mahreen Zuberi, persönliches Interview mit der Autorin, 28. April 2005.
(12) Mahreen Zuberi, persönliches Email an die Autorin, 2. März 2005.
(13) Kendra Crossen Burroughs, Selections from the Gospel of Sri Ramakrishna: Annotated & Explained (Woodstock: SkyLight Paths Publishing, 2002).
(14) Pahari, wortwörtlich: Hügel. Die Paharimalerei beschreibt eine bestimmte Genremalerei, die in fürstlichen Werkstätten Nordindiens entstanden ist. Das ausgehende 17. Jahrhundert wird als der stilistische Höhepunkt der Paharimalerei gesehen. Als Hauptthema der Paharimalerei gilt die Liebe mit all ihrer Freude und ihrem Schmerz.
(15) Im Gegensatz dazu stehen Kunstformen wie die Ölmalerei, Druckgraphik oder Photographie, die von der britischen Kolonialmacht am indischen Subkontinent eingeführt wurden.
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