Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 16. Nr. Mai 2006
 

7.2. Dominierende Innovationsdiskurse zwischen gesellschaftlicher Relevanz und Ignoranz
Dominating Innovation Discourses between Social Relevance and Ignorance

Herausgeber | Editors | Éditeur: Jens Aderhold (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg/ISInova Berlin) / René John (Universität Hohenheim/ISInova Berlin)

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Innovationsförderung in Deutschland - eine beschäftigungs-politische Bewertung

Astrid Ziegler (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf)

 

1. Vorbemerkung

Der vorliegende Beitrag hat sich zum Ziel gesetzt, die in Deutschland praktizierte Innovationsförderung aus Sicht der Beschäftigten zu bewerten. Um das Ergebnis gleich vorwegzunehmen: es ist nicht selbstverständlich, dass Beschäftigte und ihre Interessenvertretungen in der deutschen Technologie- und Innovationspolitik Gehör finden. Obwohl gerade die Beschäftigten der Dreh- und Angelpunkt für betriebliche Innovationen sind. Ebenso können die Beschäftigungswirkungen von Innovation widersprüchlich sein.

Viele Akteure leisten mit unterschiedlichen Akzenten einen spezifischen Beitrag zur Verbesserung der Rahmenbedingungen, unter denen Innovationen, insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen, in Deutschland angestoßen und gefördert werden. Der gewerkschaftliche Umgang mit dem Einsatz neuer Technologien in Produktion und Verwaltung war lange Zeit spannungsgeladen. Trotz Einsicht, dass es von gewerkschaftlicher Seite notwenig ist, mit der Forschungs- und Technologiepolitik konstruktiv und gestalterisch umzugehen, stand die Angst vor den Rationalisierungswirkungen des konkreten Technikeinsatzes im Betrieb im Vordergrund. Es wurden umfangreiche Diskussionen über die Rückwirkungen der technologischen Entwicklung auf Wirtschaft und Gesellschaft geführt. In der regional- und strukturpolitischen Diskussion der Gewerkschaften wurde dagegen der mit dem Einsatz neuer Technologien verbundene Innovationsschub erkannt, hervorgehoben und häufig in einen schlüssigen Kontext mit der Entwicklung regions- und/oder unternehmensendogener Wachstumskräfte gebracht.

 

2. Welche Aufgabe hat die Innovations- und Technologiepolitik?

Die deutsche Volkswirtschaft ist in einer schwierigen Situation, dies zeigt alleine schon ein Blick auf die hohe Arbeitslosigkeit. Ein Beschäftigungsaufschwung, der die deutschen Arbeitsmarktprobleme in einer nennenswerten Weise lösen wird, ist nicht in Sicht (IMK 2005). Eine der wesentlichen Ursachen für die derzeitige Wachstums- und Beschäftigungskrise in Deutschland wird von vielen Seiten in einer geringen Innovationsfähigkeit der Bundesrepublik gesehen (z.B. Klotz 2003, Krawczyk et al. 2004).

Eine ganze Reihe von Indizien wird hierbei als Beleg dieser Innovationsschwäche angeführt (Gerlach/Ziegler 2005). Insbesondere wird auf den strukturellen Wachstumsrückstand der deutschen Volkswirtschaft im Vergleich zu anderen Ökonomien - wie etwa den USA oder Großbritannien - verwiesen. Die Stärke des deutschen Modells wird in der Fähigkeit zu inkrementellen Veränderungen also in Innovationen entlang bestehender technischer Pfade gesehen. Mit tief greifenden neuen Entwicklungen mit "radikalen" Innovationen tut sich die Bundesrepublik Deutschland hingegen schwerer. Dies führte dazu, dass Deutschland in strategisch zentralen neuen Branchen wie der Informations- und der Biotechnologie nicht "Spitze" ist und es zu einer verengten Spezialisierung der deutschen Industrie auf die Autoindustrie, den Maschinenbau und den Chemiebereich kam.

Gleichzeitig wird als ein wichtiger Schlüssel und Wegbereiter zu neuen zukunftsträchtigen und sicheren Arbeitsplätzen eine effiziente Technologie- und Innovationspolitik angesehen. Begründet wird dies damit, dass die Arbeitsplätze von heute das Ergebnis der Forschung und Entwicklung von Produkten aus der Vergangenheit sind. Die Idee im Kopf kann morgen ein viel gefragtes Produkt sein und damit für Beschäftigung sorgen. Investitionen in Forschung und Entwicklung (FuE) werden deshalb auch als Investitionen in die Zukunft bezeichnet.

Was allerdings die Beschäftigungswirkungen von Innovationen betrifft, so können diese gegensätzlich ausfallen, in der Regel treten positive und negative, direkte und indirekte Wirkungen gleichzeitig auf und in der Praxis ist es meistens schwierig oder kaum möglich, die Arbeitsplatzeffekte exakt bestimmten innovatorischen Maßnahmen zuzuschreiben. Auch wenn die negativen Beschäftigungswirkungen einzelner Produkt- bzw. Dienstleistungsinnovationen die positiven übertreffen, so wird die Innovationsförderung von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft nicht in Frage gestellt. Ganz im Gegenteil wird immer wieder betont, dass sich rohstoffarme und exportorientierte Länder wie Deutschland am Weltmarkt nur behaupten können, wenn sie einerseits innovative Spitzenprodukte hervorbringen und andererseits in den traditionellen Produktbereichen durch fortwährende Prozessinnovationen Standortnachteile kompensieren.

In Deutschland wird schon seit einigen Jahrzehnten Forschungs-, Technologie- und Innovationsförderung von EU, Bund, Bundesländern und Regionen betrieben. Diese europäischen, nationalen und länderspezifischen Innovationsförderstrategien stehen nicht selten in Konkurrenz zueinander. Die Innovationsförderung des Bundes zielt darauf ab, die Voraussetzungen für die Innovationsentwicklung, den Innovationstransfer und die Marktfähigkeit von innovativen Produkten sowie von Forschung und Entwicklung zu verbessern. Die Innovationsförderung der Länder beruht auf regionalpolitischen Vorgaben unter Berücksichtigung der landesspezifischen Rahmenbedingungen. Die jeweils abgeleiteten spezifischen Förderprogramme sind Ausdruck unterschiedlicher Förderstrategien und Organisationskonzepte zu ihrer Umsetzung. Ein wichtiger finanzieller und politischer Rahmen sind in den letzten Jahren immer mehr die Europäischen Strukturfonds sowie die verschiedenen EU-Forschungsrahmenprogramme geworden. Die Anfang 2004 gestartete Initiative der Bundesregierung "Partner für Innovation" ist bisher der letzte Schritt, um zu einer Innovationspolitik aus einem Guss zu kommen. Die neue Bundesregierung will diese Initiative fortführen. Über diese verschiedenen Finanzquellen hat der deutsche Staat gemeinsam mit der Wirtschaft im Jahr 2003 über 54,5 Mrd. € für Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten ausgegeben (NIW et. al. 2005).

 

3. Wie erfolgreich ist die Innovationspolitik?

Vor diesem Hintergrund drängt sich quasi die Frage auf: wie erfolgreich ist diese Innovationspolitik? Diese Frage kann nicht so ohne weiteres beantwortet werden, weil es keine aussagekräftige Statistik über das Innovationsgeschehen in unserer Volkswirtschaft gibt. Seit kurzem können wir aber auf den Europäischen Innovationsindex der Europäischen Kommission zurückgreifen, der versucht über ein Indikatorensystem von mehr als 13 Einzelindikatoren einen erweiterten Innovationsbegriff auf nationaler wie auch auf regionaler Ebene abzubilden (European Commission 2003; Arundel / Hollanders 2005). Neben den klassischen Variablen wie der Patententwicklung, den FuE-Ausgaben von Unternehmen fließen auch Indikatoren in den Index ein, die das lebenslange Lernen oder den Anteil der Beschäftigten in Hochtechnologiebranchen erfassen.

Die Ergebnisse für Deutschland sind viel versprechend, die deutschen Regionen schneiden im EU-Vergleich ganz gut ab. Oberbayern und Stuttgart zählen zu den top-six der Innovationsregionen in Europa. Beide deutsche Regionen zeichnen sich durch eine hervorragende Patententwicklung und eine stark innovationsorientierte Industrie aus. Andere erreichen bei einzelnen Indikatoren die Spitzenposition, z.B. das Saarland beim Anteil innovativer Dienstleistungsunternehmen oder Bremen bei den FuE-Ausgaben der Industrie. Beim innerdeutschen Ranking zeigt sich ein eher überraschendes Bild. Es sind nicht nur die ostdeutschen Regionen, die das Schlusslicht bilden, sondern am Ende rangieren neben Dessau auch strukturschwache westdeutsche Räume, wie z.B. Weser-Ems, Niederbayern aber auch Trier und Lüneburg gehören dazu.

 

4. Wie werden Innovationen gefördert?

Bund und Bundesländer unternehmen seit Jahren vielfältige Anstrengungen, um die Innovationskraft Deutschlands zu stärken. Das Spektrum von Instrumenten der staatlichen Forschungs- und Technologieförderung ist heute breit gefächert. Es reicht von der institutionellen Förderung von Forschungseinrichtungen über verschiedene Formen finanzieller Anreize zur Durchführung von Forschung und Entwicklung bis hin zur Unterstützung einer "innovationsorientierten" Infrastruktur des Technologietransfers (Meyer-Krahmer/Kuntze 1992).

Die meisten dieser Instrumente haben sich seit den 1970er Jahren herausgebildet insbesondere was die institutionelle Seite der Technologie- und Innovationsförderung sowie die Finanzierungsmöglichkeiten betrieblicher Innovationen betrifft. Seit Mitte der 1990er Jahre verschieben sich die Akzente (Ziegler 2003) in folgender Richtung:

(1) Kompetenz- und Technologiefelder:

Mit wissenschaftlicher Unterstützung sind insbesondere in den 1990er Jahren die Bundesländer dazu übergegangen, ein für ihr Land gültiges Technologieprofil zu entwickeln. Ausgehend von den landesspezifischen Stärken und den Ergebnissen wissenschaftlicher Analysen haben die Länder so genannte Kompetenzfelder bzw. Schlüsseltechnologien festgelegt, bei denen sie hohe Wachstumsraten für sich selbst erwarten mit der Absicht, diese Felder mit Hilfe des technologischen Instrumentariums bevorzugt zu fördern. Im Großen und Ganzen sehen sie ihre Zukunft in fast identischen Technologiefeldern, nach denen sie ihr Technologieprofil ausgerichtet haben. Danach konzentrieren sie ihre technologischen Aktivitäten u.a. auf die IuK-Technologie, die Bio- und Gentechnologie, die Medizintechnik und Energietechnik. Die länderspezifische Technologie- und Innovationspolitik fördert dabei zum einen Teil neue Technologien - wie z.B. die IuK-Technologien bzw. Nanotechnologie -, zum anderen Teil setzt sie auch auf die technologische Entwicklung bestehender Industriezweige - wie z.B. die Förderung der Bergbautechnik im Ruhrgebiet oder die Luft- und Raumfahrttechnik in Bayern.

(2) Förderung von Netzwerken und Kooperationen:

In Deutschland wird im Rahmen der Technologie- und Innovationspolitik verstärkt auf die Förderung von Kooperationen insbesondere zwischen Wissenschaft und Unternehmen gesetzt. In diesem Zusammenhang werden Mechanismen gefördert, die einerseits die Zusammenarbeit zwischen kleinen und mittleren Unternehmen und/oder wissenschaftlich technologischen Einrichtungen verbessern und andererseits verstärkt regionalorientierte Komponenten in der Innovationspolitik über die Bildung von regionalen technologieorientierten Netzwerken/Kooperationen berücksichtigen (vgl. Dohse 2000).

Zum ersten Punkt gehören auf der einen Seite Förderprogramme, die das Ziel verfolgen, dass über Verbundprojekte mehrere Unternehmen oder Unternehmen mit einer Forschungseinrichtung innerhalb eines konkreten FuE-Projektes miteinander kooperieren und dieses gemeinsam durchführen. Auf der anderen Seite werden von staatlicher Seite Aktivitäten angestoßen, um bestimmte Technologien zu entwickeln. Über Technologie- und Branchennetzwerke kommen unterschiedliche Partner aus verschiedenen Bereichen der Wirtschaft und der Forschung zusammen. Sie wollen die Wettbewerbsfähigkeit vor allem der vielen kleinen und mittleren Unternehmen der jeweiligen Branche stärken bzw. ihnen den Zugang zu bestimmten Technologien erleichtern helfen.

Der zweite Punkt setzt an den technologieorientierten, endogenen Entwicklungspotenzialen einer Region an und zielt darauf ab, diese zu mobilisieren. Zentrales Element dieser regionalen Förderpolitik ist die Stimulierung des Wettbewerbs zwischen Regionen sowie die Förderung regionaler, technologieorientierter Cluster. In Ostdeutschland erfolgte dies nicht zuletzt aus der Einsicht, dass viele Standorte traditionell durchaus günstige Voraussetzungen aufweisen, um im Innovationswettbewerb bundes- bzw. weltweit mithalten zu können. Zur Mobilisierung der wissenschaftlich-technologischen Potenziale wurden von der Bundesregierung mit Schwerpunkt in den neuen Bundesländern verschiedene regionale Förderinitiativen wie z.B. InnoRegio, BioRegio ins Leben gerufen, die von dem Grundgedanken ausgehen, dass KMU im Innovationswettbewerb nur durch die Kooperation mit anderen Unternehmen und mit öffentlichen Einrichtungen - also in Netzwerken - eine Chance haben (Ziegler 2005). Aber auch in Westdeutschland greift dieser Ansatz, allerdings mit weniger bundespolitischem Engagement. Initiator ist hier verstärkt die Landesebene. Innovationsorientierte Netzwerkaktivitäten zwischen den FuE-Akteuren erlangten insbesondere durch die "Exzellenznetze" innerhalb des 6. Rahmenprogramms der Europäischen Union für Forschung und technologische Entwicklung wachsende Bedeutung.

(3) Einführung von Wettbewerbsmodellen:

Die Konzentration auf Kompetenzfelder sowie die Förderung von Netzwerken geht in jüngerer Zeit damit einher, Wettbewerbselemente im Rahmen der Förderpolitik einzusetzen. Dieses Vorgehen ist der Tatsache geschuldet, dass aufgrund der Sparpolitik der öffentlichen Hand (die auch nicht an der Technologie- und Innovationsförderung vorbei geht) die wenigen Fördergelder nur den besten Projekten zur Verfügung gestellt werden sollen. Ziel dieser Wettbewerbe ist es, die Kooperation und Vernetzung verschiedener Akteure zu intensivieren, die an einem gemeinsamen Projekt arbeiten. Die Akteure werden aufgefordert, innovative Projektideen in Projektteams gemeinsam zu entwickeln. Die einzelnen Projekte stehen in Konkurrenz zueinander, die staatlichen Stellen entscheiden nach bestimmten Kriterien, welches Projekt gefördert wird. Über diesen Weg sollen innovative Verbundprojekte identifiziert, und anschließend sollen die besten Projekte gefördert werden.

(4) Neue Wege der Finanzierung - Stärkung des Risikokapitalmarktes:

Aufgrund der angespannten Finanzsituation der öffentlichen Haushalte gehen staatliche Stellen immer mehr dazu über, neue Finanzierungsquellen zu erschließen. Dies wird zum einen über den Beteiligungsmarkt versucht. Über die Gründung sog. Beteiligungsgesellschaften für Risikokapital werden vorwiegend junge Unternehmen und ihre innovativen Vorhaben mit Wagniskapital sowohl in der Seed-, Start-up- und Wachstumsphase unterstützt. Diese Wagniskapitalfonds stehen allen innovativen Unternehmen zur Verfügung, daneben existieren branchenspezifische Wagniskapitaleinrichtungen z.B. im Bereich der Bio- und Gentechnologie oder der Medien- und Kommunikationsindustrie. Zusätzlich gibt es auch in vielen Regionen eigene Wagniskapitalfonds der regionalen Kreditwirtschaft. Zum anderen sollen über die Einrichtung revolvierender Fonds bei technologischen Entwicklungsprojekten die Finanzmittel für die Technologie- und Innovationsförderung mittels Rückflüssen und Gewinnbeteiligungen aufgefüllt werden, um diese Gelder anschließend wieder für weitere technologische Projekte einsetzen zu können.

(5) Privatisierung staatlicher Innovationsaktivitäten:

In letzter Zeit ist außerdem zu beobachten, dass es im Bereich der Technologie- und Innovationspolitik zu einer Verlagerung staatlicher Aktivitäten auf eine Vielzahl von Gesellschaften in privater Rechtsform gekommen ist. Insbesondere auf der Umsetzungsebene ist dieser Weg von staatlicher Seite her angegangen worden. So ist der Freistaat Bayern ein Paradebeispiel dafür: Mitte der 1990er Jahre gründete der Freistaat die Gesellschaft Bayern Innovativ, deren Hauptaufgabe die Förderung des Technologietransfers über die Bildung von Netzwerken ist. Darüber hinaus entstanden in Bayern andere Vollzugsorgane für die bayerische Innovationspolitik außerhalb der Verwaltung, die ohne echte demokratische Kontrolle arbeiten. Auch andere Bundesländer gehen diesen Weg.

 

5. Wo liegen die Defizite der heutigen Innovations- und Technologiepolitik?

Allgemeine Kritik an der Gesamtanlage der aktuell betriebenen Innovations- und Technologiepolitik setzt im Kern an ihrer starken Technik- und Kapitalorientierung an, die soziale, organisatorische und strukturelle Innovationen vernachlässigt (Putzhammer 2005). Gestützt wird diese Kritik durch wissenschaftliche Analysen über den Erfolg von Innovationen, die die Notwendigkeit der Verknüpfung von Technikangebot und -nachfrage herausstellen. Die Quelle von Innovationen sind immer Menschen. Sie müssen ihre Qualifikation und Motivation in entsprechenden Formen der Arbeitsorganisation entfalten können. Während die Wachstumsschübe der Vergangenheit auf Technologien beruhten, die große Sachinvestitionen auslösten, spielen bei heutigen Technologien komplexe Kommunikationsbezüge und das Lernen der Beschäftigten eine größere Rolle. Wissen, Einfallsreichtum und Motivation der Menschen waren schon immer die ausschlaggebenden Faktoren. In einer wissensbasierten Gesellschaft gilt das mehr denn je.

Allerdings stößt jede staatliche Technologie- und Innovationspolitik an Grenzen:

Trotz dieser Einschränkungen werden im Folgenden vier große defizitäre Bereiche heraus gestellt, an denen die Weiterentwicklung der deutschen Innovationspolitik ansetzen sollte:

(1) Innovation ist demnach mehr als High-Tech- und technikzentrierte Förderung. Die Förderung von Spitzentechnologien ist zwar wichtig, aber dabei dürfen nicht die Stärken des Standortes Deutschland vernachlässigt werden. Auch im hoch entwickelten Industriestaat Deutschland können Low-Tech-Unternehmen mit guten Produkten und Ideen erfolgreich sein. Ihre einfachen Produkte entstehen mit hoch technisierten Anlagen, in diesen Unternehmen arbeiten immer noch die meisten Beschäftigten in Deutschland. Innovationspolitik sollte die gesamte Innovationskette im Blick haben und die Zusammenhänge zwischen Low- und High-Tech stärker nutzen (Hirsch-Kreinsen 2005).

(2) Der internationale Wettbewerb zwischen Standorten, Technikfeldern, Unternehmen und Produkten setzt sich in der Bundesrepublik im Wettbewerb der Bundesländern um den besten Technologiestandort fort. Alle Bundesländer wollen jeweils für sich genommen eine Spitzenposition in den jeweiligen Technologiefeldern in der Welt erobern, unabhängig davon, ob sie über bessere Bedingungen verfügen als die anderen. Sie setzen dafür im Rahmen ihrer Technologie- und Innovationspolitik enorme finanzielle und personelle Ressourcen ein. Obwohl doch jedem klar ist, dass in Deutschland auf kurz oder lang nur einige wenige Standorte bei bestimmten Spitzentechnologien - wie z.B. bei der Biotechnologie - im weltweiten Technologiewettbewerb übrig bleiben dürften. Eine Abstimmung wäre dringend erforderlich.

(3) Es ist ein deutlicher Trend in Richtung Privatisierung festzustellen. Die Probleme, die mit dieser Privatisierung verbunden sind, zeichnen sich heute bereits ab: Intransparenz der Organisationsstruktur; Konzentration der Akteure auf Ministerien, Unternehmen sowie auf ausgewählte Wissenschaftler; deutlicher Machtzuwachs speziell von Unternehmen und unterm Strich ein Rückzug des Staates.

Der 4. Punkt "Überwindung eines reduzierten Innovationsverständnis" hängt eng mit der Frage zusammen,

 

6. Welche Rolle haben Beschäftigte?

In der staatlichen Innovations- und Technologiepolitik spielen Beschäftigte und damit auch Gewerkschaften und Betriebsräte eine untergeordnete Rolle. Denn die aktuelle Innovations- und Technologiepolitik ist technikorientiert. Die Rolle der Beschäftigten und ihrer Interessenvertretungen wird im Innovationsprozess oft unterschätzt. Die Entwicklung von Produktideen, ihre Umsetzung in marktfähige Produkte und der zu ihrer Erstellung notwendige betriebliche Prozess kann nur dann erfolgreich sein, wenn dieser von den Beschäftigten im Betrieb mit getragen wird. In der staatlichen Innovations- und Technologiepolitik wird allzu oft dieser Aspekt nicht berücksichtigt. Es reicht demnach nicht aus, Investitionen in technologische Neuerungen des Produktionsapparates zu fördern, wenn gleichzeitig z.B. die Fähigkeiten ihrer Nutzung im Betrieb nicht vorhanden sind. Bei der Umsetzung der staatlichen Technologiepolitik kommt es demnach auch darauf an, wie das Zusammenspiel von technisch-ökonomischen und arbeitspolitisch-sozialen Aspekten geregelt ist. Mit dem Begriff der sozial verträglichen Technikgestaltung rückte der Faktor Arbeit zwar schon Ende der 80er Jahre in das Interesse der staatlichen Technologiepolitik. Es ging schwerpunktmäßig darum, die Auswirkungen der Technikeinführung auf verschiedene Bereiche abzumildern. Nach mehr als 20 Jahren muss aber heute konstatiert werden, dass sich die sozial verträgliche Technikgestaltung nicht überall in der staatlichen Technologiepolitik wiederfindet und eher ein Nischendasein führt. Das gleiche gilt auch für die Beteiligung von Gewerkschaften im Innovationsprozess. Mit Ausnahme von Nordrhein-Westfalen spielen Gewerkschaften kaum eine Rolle in der deutschen Technologiepolitik.

Allerdings muss man auch für NRW sagen, dass angesichts der Breite der Technologiepolitik die Gewerkschaften nicht den ganzen Bereich der Technologie- und Innovationspolitik abdecken. Sie konzentrieren ihre Tätigkeit auf den Schwerpunkt der Technikgestaltung und in diesem Zusammenhang auf die Verbindungen zu Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik. Weniger fest sind die Gewerkschaften im Prozess der reinen Technikförderung verankert.

© Astrid Ziegler (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf)


LITERATURVERZEICHNIS

Arundel, A. / Hollanders H. (2005), Policy, Indicators and Targets: Measuring the Impacts of Innovation Policies, hrsg. v. Europäische Kommission, Brüssel

Dohse, D. (2000): Regionen als Innovationsmotoren: Zur Neuorientierung in der deutschen Technologiepolitik, Kieler Diskussionsbeiträge 366, Kiel

European Commission (2003): European Innovation Scoreboard, Technical Paper No 3, Regional innovation performances, Brüssel

Gerlach, F./ Ziegler, A. (2005): Innovation in Wirtschaft und Gesellschaft, in: WSI-Mitteilungen 3/2005, S. 118-120

Hirsch-Kreinsen, J. (2005); "Low-Tech-Industrien": Innovationsfähigkeit und Entwicklungschancen, in: WSI-Mitteilungen 3/2005, S. 144-150

IMK (2005): Wirtschaftliche Entwicklung 2006: Vor schwierigen Weichenstellungen, IMK-Report Nr. 3, Oktober, Düsseldorf

Klotz, U. (2003): Innovation der Innovationspolitik - "Innovationen werden von Menschen gemacht"; IG Metall (Hrsg.), Frankfurt

Krawczyk, O. et al. (2004): Deutschlands forschungsintensive Industrien und wissensintensive Dienstleistungen: Außenhandel, Produktion und Beschäftigung, Studien zum deutschen Innovationssystem, Nr. 17, Berlin

Meyer-Krahmer, F./ Kuntze, U. (1992): Bestandsaufnahme der Forschungs- und Technologiepolitik, in: Grimmer K. et al. (Hrsg.): Politische Techniksteuerung - Forschungsstand und Forschungsperspektiven, Opladen, S. 95-118

Niedersächsisches Institut für Wirtschaftsforschung / Bundesinstitut für Berufsbildung / Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung / Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie / Hochschul-Informations-System / Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung / Institut für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsforschung / Wissenschaftsstatistik im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft / Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (2005), Zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2005, Bonn und Berlin

Putzhammer, H. (2005): Kreativität, Kompetenz und Mitbestimmung - Schlüsselfaktoren für Innovationsfähigkeit, in: WSI-Mitteilungen 3/2005, S. 151-155

Ziegler, A. (2003): Technologiepolitik und Mitbestimmung. Eine exemplarische Untersuchung in den Bundesländern Bayern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen, Marburg

Ziegler Astrid (2005): Aufbau Ost und die Rolle der Förderpolitik, OBS-Arbeitsheft Nr. 43, Frankfurt/Main


7.2. Dominierende Innovationsdiskurse zwischen gesellschaftlicher Relevanz und Ignoranz
Dominating Innovation Discourses between Social Relevance and Ignorance

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For quotation purposes:
Astrid Ziegler (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf): Innovationsförderung in Deutschland - eine beschäftigungs-politische Bewertung. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 16/2005. WWW: http://www.inst.at/trans/16Nr/07_2/ziegler16.htm

Webmeister: Peter R. Horn     last change: 26.5.2006     INST