Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 16. Nr. | Dezember 2005 | |
7.4. Tradition und Innovation. Die Anwendung von 1001 Nacht als Medium der politischen und sozialen Kritik in der europäischen und der arabischen Literatur / Tradition and Innovation. Applying the stories of 1001 Nights as a medium for political and social criticism in European and Arab literature |
Haimaa El Wardy (Humboldt-Universität, Berlin / Ain Schams Universität, Kairo)
[BIO]
In der Sektion 7.4. wurden fünf Vorträge gehalten, deren Schwerpunkte sich auf die Wirkung der berühmtesten Märchensammlung 1001 Nacht auf die europäische und die arabische Literatur konzentrierten.
Haimaa El Wardy bot im Vortrag, der die Sektion eröffnete, einen Überblick über die Entstehungsgeschichte von 1001 Nacht, die Übersetzungen dieses Werkes in die europäischen Sprachen im 18. Jahrhundert sowie den Einfluss von dieser Märchensammlung sowohl auf das arabische Kulturleben und die moderne arabische Literatur seit dem 19. Jahrhundert als auch auf die europäische Literatur im 18. und im 19. Jahrhundert. Hervorgehoben wird die neue, symbolhafte politische Rolle des Märchens in den beiden Kulturen und die Versuche der zeitgenössischen Autoren, das Märchen als Erzählstrategie wieder zu beleben.Die Verwebung des Märchens als eine Erzählgattung mit anderen literarischen Genres sowie die narrative Konstruktion mit ihren zyklischen Strukturen sind weitere neu verbreitete Aspekte der Literatur der Postmoderne, welche in dem Beitrag von Andreas Pflitsch über 1001 Nacht und die zeitgenössische arabische Literatur deutlich wurden. Der Vortrag stellt mit den Roman Die Tore der Stadt (1981) des Libanesen Elias Khoury ein Beispiel vor, welches intertextuelle Bezüge zu der Erzählung Die Messingstadt aus den Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht erkennen lässt und sich durch eine äußerst kreative Anverwandlung des erzählerischen Erbes auszeichnet.
Noch ausführlicher gezeigt wurde dies in dem Vortrag von Annette Sundermeyer, die durch drei angeführte Beispiele aus der zeitgenössischen arabischen Literatur die Themenbereiche verdeutlicht, mit denen sich die modernen arabischen Autoren in ihren Werken beschäftigen und ihre Anwendung von 1001 Nacht als Medium zur politischen, gesellschaftlichen und post-kolonialen Kritik.
In dem Beitrag von Yafa Shanneik wird das klischeehafte Bild der orientalischen Frauen und der Harem-Phantasien in der westlichen Literatur kritisiert und Beispiele von Werken der so genannten arabischen Migrantenliteratur sowohl in Deutschland als auch in England angeführt, die sich mit solchen Vorstellungsmustern der arabischen bzw. orientalischen Frauen auseinandersetzen und diese zu revidieren versuchen.
Lilli Kobler präsentierte anhand ihres Beitrags, wie das Herrscherbild von dem berühmten abbassidischen Kalifen Harun ar-Rasids in 1001 Nacht dargestellt wird. Hauptanliegen ihres Beitrags war der Versuch, auf die Frage zu antworten, ob das Herrscherbild, welches in den Erzählungen von Tausendundeiner Nacht vorkommt, der historischen Wirklichkeit entspricht oder aus sozial-politischen Gründen idealisiert wird.
In dem Beitrag, den Hannelies Koloska uns hat zukommen lassen, ist anhand der verschiedenen Studien von Katharina Mommsen gezeigt worden, wie der große deutsche Dichter Johann Wolfgang von Goethe 1001 Nacht rezipierte. Der ausgeprägte Realismus orientalischen Erzählens, das Fabulieren im Grenzbereich zwischen Übernatürlichem und Wirklichem stellten für ihn eine unerschöpfliche Quelle für sein eigenes Werk dar, wovon insbesondere der 2.Teil seines Faust Zeugnis ablegt. Im Gegensatz aber zu vielen anderen Dichtern und Denkern seiner Zeit wie etwa Wieland, Montesquieu - oder modernen arabischen Dichtern - die die Erzählungen aus 1001 Nacht als Medium von Gesellschaftskritik benutzten und benutzen, war es das Credo Goethes, dass Geschichten niemals Mittel zum Zweck sein dürften, sondern einen Selbstzweck erfüllten. In diesem Sinne waren seine Werke, die aus der Fülle von 1001 Nacht schöpften, echte Innovationen. Oder in seinen eigenen Worten "Nur durch Aneignung fremder Schätze entsteht ein Großes".
Als eine anregende Besonderheit dieser Arbeitsgruppe möchte ich hervorheben, dass im Anschluss an die Vorträge sehr ausführliche weiterführende Diskussionen geführt wurden, wofür allen Teilnehmern und den Vortragenden Dank gebührt.
© Haimaa El Wardy (Humboldt-Universität, Berlin / Ain Schams Universität, Kairo)
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