Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 16. Nr. | August 2005 | |
7.4. Tradition und Innovation. Die Anwendung von 1001 Nacht als Medium der politischen und sozialen Kritik in der europäischen und der arabischen Literatur / Tradition and Innovation. Applying the stories of 1001 Nights as a medium for political and social criticism in European and Arab literature |
Hannelies Koloska (Berlin)
Was hat J.W. Goethe, der von den Deutschen zum Nationaldichter erhobene Poet, mit den "Märchen" aus Tausendundeiner Nacht zu tun? Was sollte ihm, dem Meister der Verseschmiede, an diesen abenteuerlichen, amourösen, phantastischen und manchmal gar trivial anmutenden Geschichten gelegen sein? Der Klassiker der Klassik, das Genie, der Universalgelehrte - ein Liebhaber Scheherazades?
Solche Zuneigung scheint doch zu sehr unter dem Niveau dieses wahrhaft begabten Literaten zu liegen, als dass es wahrhaft in Betracht gezogen werden kann und darf.
Dennoch, so unwahrscheinlich es erscheinen mag, Goethe war Zeit seines Lebens bekennender Anhänger der Scheherazade und der ihr zugeschriebenen Erzählungen.
Diese Liebe hat die deutsche Germanistin Katharina Mommsen in ihrer 1960 erschienenen Studie "Goethe und 1001 Nacht" (auf deren Arbeiten ich mich in meinen Ausführungen zum größten Teil stütze) publik und zugänglich gemacht. Dennoch werden diese Studie, wie auch Mommsens weitere Arbeiten zu Goethe und der Islam, bzw. Goethe und die arabische Welt, in der Fachwelt nur sehr selten wahrgenommen. Man hängt bis heute dem traditionellen Goethebild an, das ohne Orient auszukommen vermag.
Stefan Wild, deutscher Arabist, hat treffend dazu bemerkt: "und doch hat man das Gefühl, dass die brisanten Forschungsergebnisse immer noch nicht in der breiten Öffentlichkeit angekommen sind. Der Grund dafür dürfte klar sein: sie sind von einer allzu großen kulturellen Sprengkraft gewesen."(1)
Antoine Galland (1646-1715) traf mit seiner Übersetzung der Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht ins Französische "Les Milles et une nuit" auf den Nerv der Zeit. Seine zwischen 1704 und 1717 erschienenen Ausgaben (also bis nach seinem Tode) fanden begeisterten Absatz und Umlauf. Durch die Aufklärung übersättigt an der bloßen Realität und Vernunft, der Zerstörung von Illusionen und Phantasien, der Entmystifizierung der Natur sehnten sich die Menschen nach Fluchtwelten ohne Weltflucht.(2) Gallands Übersetzungen erschienen in just jener Zeit, als die Gattung der Feenmärchen einen ungeheuren Erfolg bei den europäischen Lesern verbuchen konnte. Sie wurden von dieser Erfolgswelle mitgerissen.(3) Viele weitere Autoren und Übersetzer sprangen aus unterschiedlichen Motiven und mit mannigfachen Zielen auf den Zug der Märchen und der Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht auf. Cazottes "Tausend und eine Albernheit" (1742) und "Der verliebte Teufel"(1772), Voltaires "Zadig" (1748), Wielands "Der goldene Spiegel" oder Beckfords "Vathek" (1786) sind einige wenige Bespiele dafür. Die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht dienten nicht nur der Lektüre, sondern der Reproduktion. Nicht nur der Lust auf Utopie und der Sehnsucht nach Abenteuern, erotischen ebenso wie phantastischen, konnte durch ihre Nachahmung abgeholfen werden, sondern sie bildeten auch eine hervorragende Projektionsfläche für Kritik an der eigenen Gesellschaft. In diesem Sinne waren sie Mittel zum Zweck und waren nicht selbst genügend.
Dem ungeachtet eröffneten sich für die europäischen Leser und Hörer der Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht neue Welten, nicht nur die des Orients, sondern und vor allem die der Welt des Erzählens, des Träumens, des Erdichtens und Verzauberns, die in keinem Widerspruch zu Geist, Bildung und Vernunft zu stehen schien.
Goethe hatte durch seine Großmutter und Mutter einzelne Geschichten aus Tausendundeiner Nacht schon in seiner Kindheit kennen gelernt. Vor allem seine Mutter bediente sich bei ihren Erzählungen der Art Scheherazades, Geschichten zu erzählen. An den spannendsten Stellen brach sie ab und fuhr erst am nächsten Tag mit dem Erzählen fort. Mommsen sagt dazu: "Der Scheherazadestil des Märchenerzählens in Fortsetzungen wie ihn die Mutter pflegte prägte sich Goethe so tief ein, daß er für ihn sich aufs engste verknüpfte mit seinen Vorstellungen von der Gattung des Märchens wie von wirkungsvollem Erzählen überhaupt."(4) Die Lust am Fabulieren, Geschichten zu erdenken und zu erzählen, verlor Goethe bis zum Lebensende genauso wenig, wie die Freude an der wiederholten Lektüre von Tausendundeiner Nacht. In seinem autobiographischen Werk "Dichtung und Wahrheit" beschieb er seine Kunst des Märchenerzählens: "Der Freund...that den Vorschlag ich solle etwas erzählen, worein ich sogleich willigte...ich trug ein Märchen vor ... mir gelang, was den Erfinder und Erzähler solcher Productionen belohnt, die Neugierde zu erregen, die Aufmerksamkeit zu fesseln, zu voreiliger Auflösung undurchdringlicher Rätsel zu reizen, die Erwartungen zu täuschen, durch das Seltsamere, das an die Stelle des Seltsamen tritt, zu verwirren."(5) Wiederholt verglich Goethe seinen Erzählstil vor allem seiner Prosaerzählungen mit dem der Scheherazade. So schrieb er 1794 an Schiller über die "Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten", die er in Schillers "Horen" veröffentlichte: "...überhaupt gedenke ich aber wie die Erzählerin in der Tausend und Einen Nacht zu verfahren".(6)
Anhand von Tagebuchaufzeichnungen, Briefen, Entleihvermerken der Weimarer Bibliothek und Memoiren dritter wird ersichtlich, dass Goethe Zeit seines Lebens den Tausendundeinen Nächten sehr zugeneigt war. Am 17.Dezember 1824 vermerkte ein Bekannter Goethes: "Diese Mährchen [1001 Nacht, A.d.V.], sagte er, müssen mir über die trüben Tage weghelfen; ist es doch als ob das Bewußtseyn, in wenig Tagen der Sonne wieder näher zu kommen, mich schon jetzt erwärmte."(7)
Worin aber liegt die Faszination der Geschichten aus Tausendundeiner Nacht für Goethe? Goethe selbst hat seine Überlegungen zu Ästhetik und Wert niedergeschrieben: "Tausend und Eine Nacht. Der Stoff real, durchaus gegenwärtig [zuerst: wirklich], durch unübersehlichen Reichthum oft lastend, nie lästig. Die imaginative Behandlung den Geist befreyend, obgleich immer in einem gewissen Kreise herumführend. Der Anhauch von Sentimentalität in den Gedichten ist sammelnd, aufs eigene Gefühl unwiderstehlich zurückführend. In diesem Sinne möchte wohl schwerlich ein bedeutenderes Werk aufzufinden seyn."(8)
Diese tiefe, innige und lebenslange Beziehung Goethes zu Scheherazade und ihren Erzählungen hat auch in seinem Werk Niederschlag gefunden.
Dabei seien zwei Vorzüge von Tausendundeine Nacht noch einmal betont, die auch im obrigen Zitat anklangen: Der poetische und stilistische Eigenwert dieser Erzählsammlung und die Fülle und Verschiedenheit der Geschichten, die eine unerschöpfliche Quelle darstellen. Beide hatten einen entscheidenden Einfluss auf Goethe.
So ist seine Vorliebe zur freizügigen Komposition bei der Prosaerzählung zu verstehen, wie sie uns in "Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten" oder "Wilhelm Meisters Wanderjahre" begegnet. Bei beiden gibt es eine lockere Rahmenhandlung, die durch Märchen und Geschichten immer wieder unterbrochen und in andere Richtungen getrieben wird. Kein künstlicher Bau, keine bis ins Detail bedeutsame Struktur, keine Überschaubarkeit. So wie in Tausendundeine Nacht soll der Leser sich in den Geschichten verlieren und in eine "Art von Unendlichkeit"(9) geführt werden. Dieses Stilprinzip bezeichnete Goethe unterschiedlich als Verflechtung, Geschlinge oder Aggregat. Zudem ist Goethe immer wieder daran gelegen, bei der Veröffentlichung einzelner Werke in Fortsetzungen zu publizieren, um, wie er sagte, "die Neugierde zu erregen"(10). So erschien "Die neue Melusine" in zwei Fortsetzungen, der erste Teil wurde 1817, der letzte 1819 veröffentlicht. Die Ungeduld der Leser wurde wahrlich auf eine harte Probe gestellt, zumal die Unterbrechung mitten im Satz erfolgte.
Diese Erzählform traf auf den Widerstand des Publikums. Der Wunsch nach Klarheit und Geschlossenheit, nicht nach Geschlinge und Geschlänge machte es Goethe schwer, seine Ideen und seine Freude am Erzählen in dieser erwähnten Art ausgiebig zu betreiben. In ironischer Art lässt er deswegen Baronesse C. in "Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten" sagen:
"...wenn Sie uns eine Geschichte zur Probe geben wollen, so muß ich Ihnen sagen, welche Art ich nicht liebe. Jene Erzählungen machen mir keine Freude, bei welchen, nach Weise der Tausend und einen Nacht, eine Begebenheit in die andere geschachtelt, ein Interesse durch das andere verdrängt wird; wo sich der Erzähler genöthigt sieht, die Neugierde, die er auf eine leichtsinnige Weise erregt hat, durch Unterbrechung zu reizen, und die Aufmerksamkeit, statt durch eine vernünftige Folge zu befriedigen, nur durch seltsame und keineswegs lobenswürdige Kunstgriffe aufzuspannen. [...] Die Gegenstände ihrer Erzählung gebe ich ihnen ganz frei, aber lassen Sie und wenigstens an der Form sehen, daß wir in guter Gesellschaft sind ."(11)
Neben dieser formalen Übernahme (die übrigens auch Faust II betrifft, dessen Form die eines Aggregats ist und dessen Akte von Goethe zeitversetzt, also in Fortsetzung, veröffentlicht wurden) sind aber auch die motivischen Anleihen in Goethes Arbeiten erkennbar. Mommsen hat sie in sieben Kategorien eingeteilt, die hier kurz angeführt seien:
Figuren (z.B. der schweigsame aber erzählfreudige Barbier in "Wanderjahre"),
Zauberrequistit (z.B. der fliegende Teppich in "Was wir bringen"),
Gestalten, die typusartig auftreten ( z.B. der feuerspeiende Drachen - Schatzhüter in "Faust II),
Topographisches zur suggestiven Schilderung zauberhafter Vorgänge ( z.B. Weg zum Zauberschloss in "Novelle")
Märchensituationen ( z.B. Löwe vor dem Eingang eines Zauberschlosses in "Novelle"),
Motivkette, Erzählschema ( z.B. Verbleib in glücklicher Lage aufgrund bestimmter Bedingungen in "Die neue Melusine")
Betrachtung ethische Motive ( z.B. Unschuld, die Löwen zu folgsamen Begleitern macht in "Novelle")
Goethe bediente sich Tausendundeiner Nacht nicht, um eine Geschichte daraus umzugestalten oder eng an sie anknüpfend eine ähnliche zu schaffen, wie es etliche seiner Zeitgenossen taten (vgl. Wieland oder Öhlenschläger). Vielmehr benutzte er seine "Quelle" indirekt und bereicherte seine Arbeiten durch sie. Goethe vermied es, die Quellen und Welten in seinen Werken sehr offenbar werden zu lassen und zu sehr miteinander zu verquicken. So unterließ er eine Hineinmengung offensichtlicher orientalischer Motive in Faust II, dessen Welt die Antike und das Mittelalter war. Er verbarg sie hinter okzidentalen Chiffren, die nur dem Kundigen erlauben, die Anspielungen und Entlehnungen zu erkennen.* Dennoch setzt er seiner Scheherazade genau in diesem Werk ein, wenn auch anachronistisches, Denkmal. In der Lustgartenszene spricht der europäische, mittelalterliche Kaiser, der Tausendundeine Nacht wohl kaum schon kannte, zu Mephistopheles:
Welch gut Geschick hat dich hieher gebracht,
Unmittelbar aus Tausendeiner Nacht?
Gleichst du an Fruchtbarkeit Scheherazaden,
Versichr ich dir der höchsten aller Gnaden.
Sei stets bereit, wenn eure Tageswelt,
Wies oft geschieht, mich widerlichst missfällt.(12)
Hier wie überall geht es Goethe um den Selbstzweck der Dichtung und Erzählkunst Scheherazadens. Ihm ist nicht an Moralisieren, an das Einkleiden von Gesellschaftskritik in das moderne Gewand des Orients (z.B.Voltaire) gelegen. Das unterscheidet seinen Umgang mit Tausendundeiner Nacht grundsätzlich von den meisten seiner Zeitgenossen. Während diese die Reproduktion bemühten, ging es Goethe um Innovation, um Erneuerungen und Bereicherungen des eigenen Stoffes. Denn poetische Werke können für Goethe allenfalls zufällig nützen, sie sollen aber niemals vordergründig moralisieren oder belehren. Genau diese Art Literatur findet sich in Tausendundeine Nacht. Zwar werden ethische und sittliche Maßstäbe durch die Geschichten und die Rahmenhandlung vermittelt, aber doch niemals vordergründig. Deswegen kann Goethe über den Charakter von Tausendundeine Nacht notieren: "Vortrefflichkeit und Schein, Der Wissende und der Unwissende ergötzt sich daran."(13)
Zudem befreite Tausendundeine Nacht Goethe aus der Enge seines eigenen Lebensbereiches und gewährte ihm Blicke in ein Leben, das von Traum und Zauber durchdrungen ist, niemals aber die Realität aus den Augen verliert. Dieser Blick wurde ihm immer wieder zur Hilfe, um seinen eigenen Arbeiten ein Anstoß zu sein oder auch den letzten Schliff zu geben. So beschreibt Mommsen, wie Goethe in Dankbarkeit über die beflügelnde Hilfe von Tausendundeine Nacht für das Zustandekommen der Szene von Fausts Werbung um Helena folgendes kleines Gedicht niederschrieb:
Wer sich selbst und andre kennt
Wird auch hier erkennen:
Orient und Occident
Sind nicht mehr zu trennen.Sinnig zwischen beiden Welten
Sich zu wiegen lass’ ich gelten;
Also zwischen Ost- und Westen
Sich bewegen, sei’s zum Besten.(14)
Goethe wäre nicht Goethe ohne Tausendundeine Nacht.(15)
Als Beispiel sei die Metamorphose des Zoilo - Theristes (1.Akt, Weitläufiger Saal, Mummenschanz) angeführt. Durch die Einführung der Verwandlung des Zoilo -Theristes schafft Goethe den Übergang von Realität zu Traum- und Zaubersphäre. Aus "alles ist möglich" wird "nichts ist unmöglich":
ZOILO-THERSITES. Hu! Hu! da komm' ich eben recht,
Ich schalt' euch allzusammen schlecht!
Doch was ich mir zum Ziel ersah,
Ist oben Frau Viktoria.
Mit ihrem weißen Flügelpaar
Sie dünkt sich wohl, sie sei ein Aar,
Und wo sie sich nur hingewandt,
Gehör' ihr alles Volk und Land;
Doch, wo was Rühmliches gelingt,
Es mich sogleich in Harnisch bringt.
Das Tiefe hoch, das Hohe tief,
Das Schiefe grad, das Grade schief,
Das ganz allein macht mich gesund,
....So will ich's auf dem Erdenrund.
HEROLD. So treffe dich, du Lumpenhund,
Des frommen Stabes Meisterstreich!
Da krümm und winde dich sogleich! -
Wie sich die Doppelzwerggestalt
So schnell zum eklen Klumpen ballt! -
- Doch Wunder! - Klumpen wird zum Ei,
Das bläht sich auf und platzt entzwei.
Nun fällt ein Zwillingspaar heraus,
Die Otter und die Fledermaus;
Die eine fort im Staube kriecht,
Die andre schwarz zur Decke fliegt.
Sie eilen draußen zum Verein;
Da möcht' ich nicht der dritte sein.
GEMURMEL. Frisch! dahinten tanzt man schon -
Nein! Ich wollt', ich wär' davon-
Fühlst du, wie uns das umflicht,
Das gespenstische Gezücht? -
Saust es mir doch übers Haar -
Ward ich's doch am Fuß gewahr -
Keiner ist von uns verletzt -
Alle doch in Furcht gesetzt -
Ganz verdorben ist der Spaß -
Und die Bestien wollten das.
HEROLD. Seit mir sind bei Maskeraden
Heroldspflichten aufgeladen,
Wach' ich ernstlich an der Pforte,
Daß euch hier am lustigen Orte
Nichts Verderbliches erschleiche,
Weder wanke, weder weiche.
Doch ich fürchte, durch die Fenster
Ziehen luftige Gespenster,
Und von Spuk und Zaubereien
Wüßt' ich euch nicht zu befreien.
Bei dieser Szene bedient Goethe sich eines Motivs aus Tausendundeiner Nacht, nämlich das des Geisterverwandlungskampfes. Mommsen hat die einzelnen Verwandtschaften nachgewiesen, doch kann an dieser Stelle nur grob darauf eingegangen werde.
In der "Geschichte vom Neider und Beneideten"(16) treffen in einer Szene Dämon/Neider und Zauberin/Prinzessin aufeinander und es kommt zu einem Kampf zwischen beiden, der Gleichklänge zur Verwandlung im Faust enthält und hier in seinem Anfang zu Wort kommen soll(17):
" ...da rief der Dämon: Nimm hin, was über dich kommt; und der Löwe stürzte mit offenem Rachen auf die Prinzessin zu. Aber sie war schneller als er, riß sich ein Haar von ihrem Haupte, schwenkte es mit der Hand und murmelte dazu mit ihren Lippen. Alsbald wurde das Haar zu einem scharfen Schwert; mit dem hieb sie auf den Löwen ein, und er fiel in zwei Hälften auseinander. Sein Kopf aber verwandelte sich in einen Skorpion; da wurde die Prinzessin zu einer gewaltigen Schlange und sprang auf diesen Verfluchten los, der in der Gestalt eines Skorpions war, und die beiden rangen erbittert miteinander. Da plötzlich verwandelte sich der Skorpion in einen Adler, die Schlange ward zu einem Geier."(18)
Neben der inhaltlichen Nähe zu diesem Verwandlungskampf in seinen Einzelheiten ist der von Goethe gewählte Name des Ungetüms Zoilo - Thersites in diesem Zusammenhang von Bedeutung. Hier erfolgt eine Verschmelzung von Antike und Orient. Zoilo ist der Typus des literarischen Neiders bei Homer, Thersites der hässliche Lästerer in der Ilias. Beide Namen weisen aber nicht nur auf die Antike, sondern auch auf die eben erwähnte Geschichte aus 1001 Nacht, die unter der Überschrift "Die Geschichte des Neiders und des Beneideten" zu finden ist. Es scheint also, dass Goethe gerade die Figur des Neiders als die geeignete Gestalt für den spukhaften Auftakt des Mummenschanzes empfand. Der orientalische Inhalt wurde antik eingekleidet und maskiert, so dass nur der Kundige die Entlehnung zu erkennen vermag.
© Hannelies Koloska (Berlin)
ANMERKUNG
(1) Wild, Stefan: "Katharina Mommsen zum achzigsten Geburtstag", Qantara online, 27.09.2005.
(2) Man möge in diesem Zusammenhang und zum besseren Verständnis auch die Sehnsucht nach Phantastischem in heutiger Zeit bedenken. Es grenzt kaum an ein Wunder, dass Harry Potter genauso wie Bilbo und Frodo Beutlin wichtige Begleiter der Kinder, Jugendliche und der Erwachsenen in unserer technisierten Welt sind, wo kein Platz mehr zu sein scheint für Träume, Zaubereien, und gute Helden.
(3) Amman, Östliche Spiegel, S.83.
(4) Mommsen, 1001 Nacht, S.5.
(5) A.a.O., S.20.
(6) A.a.O., S.58.
(7) A.a.O., S.157.
(8) A.a.O., S.158.
(9) A.a.O., S.65.
(10) A.a.O., S.62.
(11) A.a.O., S.58.
(12) Goethe, Faust, S.331.
(13) Mommsen, 1001 Nacht, S.157.
(14) A.a.O., S.294.
(15) In Anlehnung an Stefan Wilds Leitsatz: "Goethe wäre nicht Goethe ohne den Orient." Ebd.
(16) Littmann, 1001 Nacht, Bd.I, S.144ff.
(17) Die Anklänge wurden in beiden Texten zur leichteren Kenntnisnahme fett gedruckt.
(18) A.a.O., S.155.
BIBLIOGRAPHIE:
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