Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 16. Nr. | Februar 2006 | |
7.6. Kartographie, Kartosemiotik und moderne Gesellschaft |
Alexander Wolodtschenko (Dresden)
[BIO]
Es war nicht zufällig, dass diese Sektion in einer anspruchsvollen Sektionsgruppe "Wissensorganisation und Erkenntnisumbrüche" ihren Platz gefunden hat. Die Kartographie ist eine relativ junge, aber sehr (manchmal zu sehr) flexible Wissenschaftsdisziplin (über 100 Jahre alt). Ende des 20. Jahrhunderts kann man in der Kartographie Umorientierungen bzw. Umwandlungen deutlich wahrnehmen; sie waren nicht nur auf die Technologie beschränkt. Mit einer sozusagen technologischen Asymmetrie ist die moderne Kartographie ein wesentliches Element der räumlichen Kommunikation in der Informationsgesellschaft geworden.
Die Kartosemiotik (als Bestandteil der Kartographie) ist eine neue Disziplin, die ihre eigene Geschichte erst seit vier Jahrzehnten schreibt. Als eine Grenzdisziplin zwischen der Kartographie und Semiotik hat die kartographische Semiotik ein sehr großes Potential kommunikativen, multimedialen und synergetischen Charakters, das bei der Erkenntnisgewinnung und -vermittlung mittels Kartensprache realisiert werden kann. Die Kartensprache als System von graphischen, mathematischen, ikonischen und verbalen Sprachen ist noch nicht ausreichend erforscht. Gerade mit diesen Forschungen erschließt die Kartosemiotik neue Identifikationsmerkmale für die moderne Kartographie. Dabei verläuft die Akkumulation des kartosemiotischen Wissens weiter, unabhängig davon ob es von einigen Kartographen akzeptiert wird oder nicht. Schließlich zeichnet die moderne Kartosemiotik zielstrebig - wenn auch nicht in rasantem Tempo - ihre Konturen und Kompetenzgrenzen auf.
In den Sektionsbeiträgen (als PowerPoint Präsentationen) wurden sowohl kartographisch-kartosemiotische perspektivisch orientierte Fragestellungen als auch technisch-technologische und methodisch-interdisziplinäre Darlegungen zur Diskussion gestellt.
Am ersten Tag der Arbeit unserer Sektion wurden fünf Referate präsentiert.
Georg Gartner (Wien) sprach in seinem Beitrag "Moderne TeleKartographie und Kommunikationskultur" über die modernen Trends in der Kartographie. Anhand von aktuellen Beispielen kartographischer Kommunikationsvorgänge im Bereich der TeleKartographie, kartenbasierter LBS und Augmented Reality wurde dieser Kontext analysiert und präsentiert.
Im Beitrag "Map Individualisation - emotional response - representing a borderline of user-adaptation and demographic user-classification" von Markus Jobst (Wien) wurde auf die Problematik der benutzerorientierten Kartenproduktion eingegangen. Mit Vergleichen zu existierenden medizinischen Test- und Meßverfahren wurde versucht, strukturelle Erweiterungen der individualisierten Semiotik aufzuzeigen und die Kompetenzgrenzen der Kartografie auszudehnen.
Nikolay Komedchikov (Moskau) beschäftigte sich in seinem Beitrag "The general theory of cartography under the aspect of semiotics" mit semiotischen Problemen in der theoretischen Kartographie. Besonders die Frage der Evolution des kartographischen Zeichensystems und der Kartensprache steht hier im Mittelpunkt.
Alexander Wolodtschenko (Dresden) diskutierte in seinem Beitrag "Quo vadis europäische Kartosemiotik?" die Erscheinungsformen der Kartosemiotik im europäischen Raum sowie ihre neuen wissenschaftlich orientierten, konzeptionellen und lehrbezogenen Aufgaben und Perspektiven.
Mit der Präsentation "Einige Aspekte der ökologischen Atlaskartosemiotik" von Irina Rotanova (Barnaul) und Alexander Wolodtschenko (Dresden) beschließt die Sektion ihre Arbeit am ersten Tag. Hierbei wurden im Rahmen der ökologischen Atlaskartosemiotik (eine neue Subdisziplin der Kartosemiotik) einige projektbezogene Ergebnisse der Komplexanalyse von 20 ökologischen Atlanten dargestellt.
Am zweiten Tag begann die Sektion ihre Arbeit mit dem Beitrag "Structuring Thematic Spatial Information for User - Oriented Visualisation" von Kamilya Kelgenbaeva (Dresden/Bischkek). In einem Forschungsbericht wurden einige Ergebnisse der Modellierung der Landeignungsbewertung basierend auf Geofernerkundungs- und GIS-Daten dargestellt. Für die Fallstudie ist das Uimon Bassin (Altai Republik, Russland) gewählt worden.
In dem Beitrag "Ökologische Kartographierung in Russland: Analyse der Grundrichtungen und -ansätze" von Irina Rotanova (Barnaul) wurden literarische und kartographische Quellen aus Russland (herausgegeben zwischen 1990 und 2004) analysiert, die eine Vorstellung von wissenschaftlichen Grundlagen, Hauptrichtungen, Techniken sowie Ansätzen der ökologischen Kartographierung vermitteln; es wurden ausgewählte kartographische Werke für das gesamte Territorium Russlands und für dessen konkrete Regionen behandelt.
In der Präsentation "Globen als karto- und kultursemiotische Modelle" von Anne Hiller und Alexander Wolodtschenko (Dresden) wurden semiotische und kulturhistorische Aspekte von Globen diskutiert. Die durchgeführten Untersuchungen wurden auf Basis von ausgewählten Globen (in Werbung, Kunst, Architektur usw.) aus dem Raum Dresden realisiert.
Der Beitrag "Role of Cartographical Thinking in Formation of Stereotypes of Modern Societies"von Giedre Beconyte (Vilnius) und Michael Govorov (Nanaimo) wurde per Email geschickt und lag in schriftlicher Form vor. Hierbei wurde versucht, die Struktur der Auswirkung von Kartographie auf die Stereotypen der modernen Gesellschaften zu analysieren und Beispiele der menschlichen Reflexion mit Hilfe von Diagrammen zu zeigen.
Nach der Mittagspause wurde eine spontan organisierte Diskussionssession zum Thema "Philosophie der Systematik und ausgewählte Probleme der Semiotik" durchgeführt, die von G.Uzilevsky (Leiter der Sektion "Innere und äußere Faktoren von Innovation, Reproduktion und Traditionen. Eine synthetische Annäherung") und A.Wolodtschenko (Leiter der Sektion "Kartographie, Kartosemiotik und moderne Gesellschaft") initiiert wurde. Die Vertreter von Biologie, Geographie, Kartographie, Linguistik und künstlicher Intelligenz hatten eine gute Möglichkeit, einige Fragen der Kuhn-Theorie sowie Systematik-Theorie von Epshtein im Lichte der Innovationen der Semiotik zu diskutieren. Ein solcher Disput stellt ein gutes Beispiel für interdisziplinären Erfahrungs- und Meinungsaustausch dar.
© Alexander Wolodtschenko (Dresden)
7.6. Kartographie, Kartosemiotik und moderne Gesellschaft
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