Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 16. Nr. Mai 2006
 

14.2. Regionen und transnationale Prozesse
Herausgeberin | Editor | Éditeur: Elisabeth Wies-Campagner (Luxembourg/Wien)

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Alberto Savinio - ein Künstler zwischen Surrealismus und Metaphysik

Ein Interpretationsversuch des Bildes Hommes nus o La Cacciata dal Paradiso

Marianna Szalai (Berzsenyi Dániel Hochschule, Szombathely, Ungarn)
[BIO]

 

Andrea De Chirico, alias Alberto Savinio, einer der vielseitigsten Vertreter des europäischen Kunstlebens, der auf dem Gebiet der Bildenden Künste, der Musik, des Theaters und der Literatur daheim war. In der Entstehung seiner eigenen Stimme haben der Schauplatz seiner Jugend, die mythologische Tradition von Griechenland, sowie seine Beziehungen zu der europäischen Avantgarde, vor allem zu dadaistischen und surrealistischen Gruppen während seines Aufenthaltes in Frankreich eine große Rolle gespielt. Ebenso war Ferrara ein bestimmender Ort seines künstlerischen Schaffens, wo er neben seinem Bruder Giorgio De Chirico ein leitender Theoretiker der italienischen metaphysischen Malerei war. Die kosmopolitische Charakteristik der Kunst von Savinio basiert über die verschiedenen geographischen Schauplätze hinaus auf der Überschreitung der Grenzen der verschiedenen künstlerischen Gattungen, auf der gemeinsamen Verwendung ihrer Werkzeuge innerhalb eines Werkes. Für ihn bedeutete diese Vielfalt keine Versuche, sondern war Ergebnis von bewusster Entscheidung und entsprang dem Wesen der Kunst:

"Wenn in einem Künstler die Kunst tief innen lebt und die Kunst sich selbst über die einzelnen Zweige der Kunst erhebt, dann ist der Künstler ein kreatives Zentrum, also es ist unmoralisch, wenn er sich nur auf einen Kunstzweig konzentriert, und sich nur dessen speziellen, eigenen Mittel bedient. Ich hatte Mut dazu, weiterzugehen, mich über die Kunstarten zu erheben ."(Savinio 2000:60)

Er versteht den Prozess der Gestaltung als einfachen physischen Akt, für ihn ist die Formung des als Gedanken entstehenden Werks nur Übersetzung, ein sekundärer Akt. Das Werk von Savinio ist nicht abgeschlossen, kein durch Gattungen und rhetorische Regeln definiertes Produkt, sondern aus musikalischen Motiven, malerischen und narrativen Elementen zusammengesetztes Werk, das in die Welt des Traums, der Phantasie. des Gedächtnisses greift.

Áron Kibédi Varga untersucht die Fragen der visuellen Narration aus den Aspekten der Textterminologie und behauptet folgendes: "alle Kunstarten können machen, dass sie sich entweder auf Unabhängigkeit beziehen oder es für eine Herausforderung halten, dass sie ihre inneren Grenzen überschreiten, um sich an den benachbarten Kunstarten zu beteiligen: so wird Malerei dichterisch und Dichtung musikalisch ."(Kibédi Varga 1993:167)

Auf dem Gebiet der künstlerischen "Grenzüberschreitungen" zeigt sich die Beziehung zwischen der Malerei und den verbalen Gattungen offensichtlich, wurzelt in der gemeinsamen Vergangenheit des geschriebenen Wortes und des Bildes, in ihrem Kunstcharakteristik. (chinesische Kalligrafik, die wie malerische Werke künstlerisch bewertet wird). So ist auch die Aufgabe gleich, mit der der Rezipient konfrontiert wird: "alle Kunstarten, nicht nur die des Wortes, sind trotz aller äusserlichen Bestimmtheit durch Regeln für das Lesen bestimmt" ( Gadamer 1997:277). Aus dieser Erklärung folgernd muss auch in den visuellen Gattungen das Instrumentarium der Narrativität, ihre Verwirklichungsform sich durchsetzen. Der Unterschied steckt nur in der Frage "wie". Aber es stellt sich die Frage, wie gültig diese Entsprechungen sind, wie sie zu verifizieren sind und wie sie verwirklicht werden. Die Narration erzählt einen Handlungsprozess, schafft eine Geschichte: wie können die mit der traditionellen Zerlegung zu den raumfesten statischen Kunstarten zugeordneten visuellen Gattungen diese Kontinuierlichkeit ersetzen? Wie wird die Narration bei einem visuellen Werk verwirklicht, wie können die Zeitkategorien für dieses angewendet werden? Bei der Suche nach der Antwort ist es grundlegend, das Bild als visuelles Werk zu untersuchen.

Das Bild ist keine zerlegbare, geschlossene Einheit, sondern eine Struktur von strukturell aufgebauten Zeichen. Auf der Leinwand funktionieren alle Darstellungen, alle Elemente als Zeichen, sie haben eine Rolle als Informationsträger. Während ein verbaler Text die Struktur von linear geordneten Zeichen ist, dessen Essenz das Nacheinander, die Kontinuierlichkeit ist,

ist die Hauptcharaktersitik des visuellen Zeichens die Simultaneität, also das gemeinsame Vorhandensein und gemeinsame Wirken aller Komponenten. "Das Bild ist ein Zeichen, das so tut, als wäre es kein Zeichen, denn es zeigt sich als als natürliche Direktheit und Bedeutung." (Mitchell 1997:338) Die visuellen Elemente als Zeichen stehen zu den Gegenständen und Erscheinungen der realen Welt in einer semantischen Verbindung, aber sie tragen auch eine sekundäre Bedeutung (symbolische, metaforische usw.) Diese bedeutungstragenden Stücke schaffen eine narrative Struktur. Und so geht es nicht nur um die Präsentation von materiellen und formalen Elementen, sondern sie präsentieren Zeit und Raum - denn sie sind auf dieser Ebene die bedeutungstragenden Komponenten der visuellen Struktur, sind also nicht die verschiedenen Ebenen eines Moments, sondern fügen sich als Nacheinander von Momenten, also als Erzählung zusammen." (Fink 1997:96)

Im Bild, eben weil es aus ikonischen Zeichen aufgebaut ist, sind bestimmte, für alle narrativen Texte gültigen, grundsätzlichen Gesetzmäßigkeiten sichtbar. Da es aber um eine sich mit visuellen Elementen verwirklichende Erzählung geht, spiegeln sich nicht nur die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der Erzählung in ihr wider, sondern auch spezielle, mit der Gattung zusammenhängende Gesetzmäßigkeiten. Das Bild, als visuelles Werk, ist ein mehrfach beschränktes Produkt: es wird in der Ebene durch die Rahmen der Leinwand, in Raum durch die zwei Dimensionen, in Zeit durch die ausschließliche Gegenwärtigkeit in Rahmen geschlossen.

Der Rahmen, als Grenzmarkierung der bildlichen Welt der Aussenwelt gegenüber spielt in den Bildenden Künsten eine besonders wichtige Rolle. Als direkte, real existente Grenze des Bildes, und somit als besondere kompositionelle Form hat es die Aufgabe der Organisierung der Darstellung. Der Rahmen bedeutet nicht notwendigerweise eine räumliche und zeitliche Grenze: ein gutes Beispiel dafür ist die auf Bildreihen gebaute Erzählung. Die Narration ist hier segmentalisch, geht von Bild zu Bild, als räumlich und zeitlich gleichzeitig verlaufender Prozess, der der traditionellen (zeitlich-räumlichen) Kunstaufteilung widerspricht. Die Frage ist dann berechtigt: kann es wirklich eine statische Kunst geben, die die Zeitdimension ausschließt? Sowohl im verbalen, als auch im visuellen Text ist ein gleiches Element die Schaffung der Zeit durch die Narration. Als Gegenstand der Kunst erscheint vor dem Rezipienten gerade Entstehendes, seine Zeitlichkeit ergibt der zeitliche Verlauf des Rezeptionsprozesses: Rezeption ist die Narration selbst, während des Prozesses des Erkennens der einzelnen Elemente. So ist die Zeit des Kunstwerks immer die Gegenwart. "Die Zeit ersteht mit den Figuren und den Handlungen auf, sie läßt vergessen, dass sie die Vergangenheit zeigt: sie schmilzt mit der Gegenwart des Zuschauers." (Fink 1997:94)

Die authentischste Methode der Untersuchung der im Bild als visuelles Werk steckenden Narrativität ist natürlich das Befragen des Bildes selbst, das Verfolgen der bildlichen Verwirklichung.

Savinios Bild mit sehr reicherIkonographie kann 1929 entstanden sein, in der Periode seiner Wegsuche, in der sich die Kindheit, das archaische Alter der Welt zur Grundthematik des Künstlers entwickelt hat. Das Zurücktreten in die Zeit ist kein Zufall: er denkt, dass die Welt eine tiefe, historische Krise erlebt, und das erweckt das Gefühl des Übergangs, der Unsicherheit und Verwirrtheit in den Menschen. Er spricht über dieses spezielle Lebensgefühl so: "ich kenne das Alter, in dem ich lebe. Ich kenne meine Altersgenossen. Ich denke, dass die Welt noch nie in einer solchen Not gelebt hat, wie jetzt." (Savinio 2000:56)

Aus dieser krisenhaften Zeit kann nur die Kunst einen Ausweg zeigen, denn ihre Aufgabe ist: "die Darstellung des Lebens, aber nicht so, wie es ist, sondern, wie es sein sollte" (Savinio 2000:58) . Eine Fiktion muss geschaffen werden, die Realität muss manipuliert werden, damit die Widersprüche der den Menschen umgebenden Realität ausgeschlossen werden können. Und wenn die Gegenwart enttäuschend und unsicher ist, wenn sie keine stabilen und sicheren Werte bieten kann, muss der Künstler zur Vergangenheit greifen, im Gedächtnis forschen: in der gemeinsamen Vergangenheit von ihm und der Menschheit. Nach der Ästhetik Hegels sind die Bilder rückschauende Augen, dem mythologischen Argus ähnlich. Der Rückblick ist "ein intentionelles Erlebnis, in dem die eigene Vergangenheit für das gegenwärtige Ich zugänglich wird, also bedeutet es Eingriff ins Dämmerlicht seiner vergessenen Geschichte" (Fink 1997:64) . Seine eigene Geschichtlichkeit gibt dessen Realität, das von Hartman folgdendermaßen definiert wird: "das Existente zieht sich in der Zeit auseinander, so bildet es eine paradoxe Einheit." Die Prozesscharakteristik der Gegenwart besteht darin, dass sie sowohl die erlebte Vergangenheit, als auch die zu erlebende Zukunft umfasst. Savinio betont die Rolle des gemeinsamen Gedächtnisses der Menschheit statt der individuellen:

"die Erinnerung ist die geordnete Sammlung unserer Kultur, unserer Gedanken. Nicht nur die unserer Gedanken: die der anderen Menschen, all jener, die vor uns gelebt haben. Das Gedächtnis ist dann geboren, wenn der ausgetriebene Adam die Schwelle des Paradieses auf der Erde übertreten hat. Dann ist die Fähigkeit zum Denken entstanden, damit weder er, noch seine Nachfolger es vergessen ... das unschuldige und unendliche Glück, wofür wir auserwählt wurden, und das wir zu finden hoffen. So ist also die Erinnerung geboren, damit die Menschen dadurch einander den Wunsch nach dem verlorenen Guten vererben." (Savinio 2000:56)

Der Mensch wird von seiner Endlichkeit, seiner zeitlichen Begrenztheit geknebelt, aber er wird durch die gemeinsame Erinnerung kontinuierlich, das gibt ihm seine geschichtliche Charakteristik. Als Teil der Menschheit, wie Makrostruktur ist er Besitzer all der Kenntnisse, die die Erfahrungen seiner Vorfahren zusammenfassen, so wird er trotz seiner zeitlichen Begrenztheit überzeitlich.

Die zwei bevorzugten Gebiete der Erinnerung bei Savinio sind einerseits die reine, unschuldige Periode der Kindheit, andererseits das uralte, unbestimmte Alter: das archaische Alter der mediterranen Zivilisation. Für ihn sind die Kindheit der Geschichte und der westlichen Kultur mit der klassischen griechischen Mythologie gleich: Helden, mythische Figuren, Statuenfragmente an seinen Werken erinnern an die ehemaligen, vergangenen Zivilisationen. In seiner Thematik tauchen oft auch biblische Elemente auf (der verlorene Sohn, Avemaria), nicht selten zusammen, er stellt auf einem Bild Symbole aus verschiedenen Kulturen dar, die einen besonderen Kontrast bilden.

Die Bilder von Savinio sind grundsätzlich zweideutig, mehrdeutig und kündigen offen an, dass es keine eine Wahrheit ist: "Es gibt keine einzige Wahrheit. Es gibt Wahrheiten" (Cirillo 1997:14). Das Bild hommesnüsse basiert grundsätzlich auf der Kontrastwirkung durch die Vielfalt der inhaltlichen und formalen Elementen, auf der Simultaneität der verschiedenen Deutungsebenen.

Der Kontrast, die Nicht-Identität ist ein unerlässliches und beliebtes Werkzeug darstellender Künstler. Wie auch die sprachlichen Zeichen nur durch ihre Abgegrenztheit voneinander eine Bedeutung bekommen. Sie haben allein keine Bedeutung: die Bedeutung entsteht gerade durch den Kontrast. Wenn es in die Sprache des Bildes übersetzt wird, heisst es, dass die Farben, die Formen ihr Wesen durch ihre Gegenüberstellung gewinnen. Im Erkennen von Cezanne bestimmen die Bildzeichen Deutungstendenzen, und die Relation der Zeichen "exponiert eine der Deutungstendenzen in solchem Maße, wie die konkurrierende Deutungstendenz oder wie sie eine weitere Deutungstendenz in den Hintergrund drängt" (Boehm 1993:105)

Das Bild kann nicht nur die eine oder andere von der oberflächlichen Struktur diktierte Interpretation haben, sondern sowohl die eine als auch die andere und beide und darüber hinaus noch welche. Die einzelnen Bedeutungsebenen der einzelnen Elemente ergeben eine komplexe Bedeutung - bei der entsprechenden Interpretation. Das Bild erlangt seine Ausdruckskraft aus den Bedeutungsmöglichkeiten seiner Bestandteile. Die Einstellung, die kompositionelle Struktur und die Farbkombination haben alle expresive Inhalte.

Das narrative Gemälde verallgemeinert notwendigerweise eine Geschichte: "die Attribute, der Titel, unsere Kenntnisse über die dargestellte Figur ermöglichen, dass wir die dargestellte Handlung identifizieren können" (Kibédi Varga 1993:178) .

Aus dem Titel erwartet der Rezipient die Darstellung einer biblischen Szene, das erste Menschenpaar im Moment des Alleinbleibens. Statt der traditionellen, christlich gedeuteten Figuren von Adam und Eva tauchen die beliebten Menschenpuppen-Figuren von Savinio auf. Die Vitalität des kräftigen, klassisch geprägten Körpers bildet einen starken Kontrast mit der gesichtslosen, also unpersönlichen Gestaltung, er degradiert die Figur aus einem humanoiden Wesen auf die Stufe tierischer Triebhaftigkeit, sie bezieht sich mit der Wirkung einer ausgeelerten, inhaltsleer gewordenen Form auf den Identitätsverlust des Menschen seines Alters. Die Hervorrufung der Figuren der Titane als Kinder des Himmels und der Erde geschieht nicht ziellos: unter ihnen ist selbst Mnemos, die Göttin der Erinnerung.

Es scheint vielleicht nicht willkürlich zu sein, auf dieser Deutungsebene untersuchend, auf dem Bild mit ausserordentlich komplizierter Symbolik auch andere Hinweise zu finden: so das Auftauchen des Meeresmotivs, das über seine kosmogonische Symbol-Charakteristik hinaus hier auch eine aktuelle Bedeutung trägt: nach der Tradition der griechischen Mythologie ist Aphrodite, die Göttin der Liebe, aus dem ins Meer tropfenden Blut des Himmels, des Vaters der Titane geboren, der Liebe, die das Pfand der Neugeburt, der Kontinuierlichkeit ist. Diese Deutung scheint deshalb berechtigt zu sein, weil auf einem Bild von Savinio aus dem Jahre 1950 diese Thematik detailliert thematisiert wurde: die Figur der aus den Wellen auftauchenden Venus bedeutet das Bild einer Titanin vor den Augen des Rezipienten.

Die Thematik des Bildes wird, wie durch die weitere Deutung klar wird, durch ein ungewöhnliches Element erweitert: durch die typische formale Lösung der Malerei von Savinio, mit dem Abschluss des Bildhintergrunds durch ein Theater-Schließelement. Das dekorative Muster des Hintergrundes scheint ein Vorhang zu sein, die geometrischen Formen des Vordergrundes mit Kulissenwirkung, die Lichtquellen auf beiden Seiten aussen, der Paravent, die auffliegende Draperie mit der Vorstellung eines Segels unterstützen alle diese Absicht. Alle Bildzeichen zusammen und einzeln betonen kategorisch die Deutung von einem Aussengesichtspunkt, auch durch die Fiktion, den Raumn des Bildes von der Welt des Zuschauers trennend-entfernend. Der Raum des Bildes wird enger, seine Tiefe sinkt, beschränkt sich nur auf einen dünnen Streifen, aus dem sich die zentralen Figuren auch nach aussen bewegen. Der Hintergrund-Vorhang erscheint als Schließelement hinter dem Meerausschnitt auf der rechten Seite: allen logischen Regeln widersprechend, das Beschränkte beschränkt das Unbeschränkte, das Endliche das Unendliche - obwohl gerade die Fähigkeit der Darstellung, die das Bild in Tiefen gliedert, die Brechung der zweidimensionellen Ebenen der Leinwand ermöglicht. All das schafft seine Spannung, separiert und verbindet gleichzeitig.

Bei Savinio funktioniert aber der Rahmen nicht nur aus Raumausschnitt, er umfasst die narrative Makrostruktur des Bildes als ganze Geschichte. Mit der beabsichtigten Fiktion der Theatralik modelliert Savinio eine solche Welt, die ausrechenbar und geordnet ist, wo die Ereignisse nach einem vorher bestimmten Drehbuch ablaufen, ihrer eigenen unsicheren und trüben Realität gegenüber. Aber diese mit der Theatralik erweiterte Narration bleibt auf der Ebene der Darstellung und der Gestaltung nicht stecken, sie findet eine neue Ausdrucksweise in der Figur der Zentralfiguren: die Tatsache, dass die Figur von Adam und Eva in Form von starken Männerkörpern erscheinen, ist trotz aller scheinbaren paradoxen Charakter die einzige Gestaltungsweise, die zur Aufrechterhaltung und Entfaltung der Fiktion der Theatralik fähig ist, denn die Frauenrollen der antiken griechischen Dramen wurden von Schauspielern gespielt. So werden seine Figuren zu simultanen Darstellern verschiedener Bedeutungsstrukturen und so zu Trägern von Inhalten über der Zeit.

Das Bild von Savinio erzählt eine Geschichte, sogar mehrere Geschichten. Das Gemälde, das sowohl dem Realitätsanspruch des Rezipienten als auch den Gesetzen der Narratologie genügen muss, erfasst und stellt den zentralen Moment dar, der sowohl die Vergangenheit der Handlung, als auch ihre Zukunft umfasst. Der Zuschauer kann auf dem monoszenischen Bild nur ein Ereignis sehen, nicht eine Geschichte. Das kommt nur dann vor, wenn "er die Handlung als Teil eines weiteren Zusammenhangs erkennt" (ibidem) Die durch das Bild so enstandene visuelle Narration, da sie aus dem Text herausgeht, auf einen Text hinweist (Bibel, Mythologie), hat literarischen, verbalen Ursprung: "sie erzählt nicht direkt, sondern weist auf einen Text hin, ohne den die Narration nicht genau zu rekonstruieren wäre" (Kibédi Varga 1993:176) . Wenn das Gemälde nur dieser Bedingung entsprechen würde, könnten wir auch über Illustration sprechen. Aber Savinio hat die Thematik nicht nur durch die Veränderung der Ausdrucksmittel und durch Übersetzung in eine andere Gattung überarbeitet: er hat die Formelemente des Theaters, der Malerei, der Literatur etwa zusammengefasst. Er hat eine neue visuelle Narration geschaffen, mit dem Ineinanderspielen der Elemente der antiken griechischen Mythologie und der christlichen Symbolik ermöglicht er eine neue, autonome Deutung.

© Marianna Szalai (Berzsenyi Dániel Hochschule, Szombathely, Ungarn)


BIBLIOGRAPHIE

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14.2. Regionen und transnationale Prozesse

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For quotation purposes:
Marianna Szalai (Berzsenyi Dániel Hochschule, Szombathely, Ungarn): Alberto Savinio - ein Künstler zwischen Surrealismus und Metaphysik. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 16/2005. WWW: http://www.inst.at/trans/16Nr/14_2/szalai16.htm

Webmeister: Peter R. Horn     last change: 30.5.2006     INST