Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 16. Nr. | August 2006 | |
14.4. Identitätsmanagement von Minderheiten im Alpen-Donau-Adria-Raum |
Zsuzsa Barbarics (Universität Pécs)
[BIO]
Wenn ich mich gut erinnere, schleichen sich die Gott und Mensch stärkenden Waffen der Türken bereits seit 100 Jahren um Europa herum. Blitzschnell mussten sich Griechenland, Makedonien, Bulgarien, Albanien unter ihr Joch beugen .... und diese wurden in die Sklaverei gestossen, um ihre Religion gebracht; ein fremder Glaube, eine fremde Moral, ein fremdes Gesetz und die Sprache der Ungläubigen wurden ihnen aufgezwungen. Weder Gottes noch der Menschen Rechte blieben vor ihnen verschont .... und jetzt haben sie in unserer unmittelbaren Nachbarschaft Fuss gefasst.(1)
So schildert der ungarische Humanist János Vitéz im Jahr 1448 in einem Brief an Papst Nikolaus V. das Vordringen der Osmanen auf dem Balkan.(2) Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit die Ausführungen von Vitéz bloß der Sicht eines Zentraleuropäers entsprechen. Wenn wir dem ungarischen Humanisten - und vielen seiner Zeitgenossen, die die Folgen der osmanischen Expansion in Südosteuropa auf die gleiche Weise darstellten(3) -, vollständig Glauben schenken würden, würde das bedeuten, dass man auf den Gebieten Südosteuropas, die einst unter osmanischer Herrschaft standen, keine ethnische Vielfalt mehr vorfände, da es die Osmanen bewusst angestrebt hätten, diese zu vereinheitlichen.
Haben die Osmanen in ihren eroberten Gebieten überhaupt eine Assimilation der Ethnien angestrebt? Was war eigentlich für ihren Umgang mit den einzelnen in ihrem Reich lebenden Ethnien gegenüber charakteristisch? Bei der Beantwortung dieser Fragen zielt der Beitrag darauf ab, einige die Osmanen betreffende Stereotypen aufzuzeigen und dabei das damalige Identitätsmanagement und die damit verbundene "Minderheitenpolitik" des "Erbfeindes der Christenheit" in ihrem historischen Wandel darzustellen. Dies ist der Hauptteil des Aufsatzes. Weiters soll noch kurz untersucht werden, welche Auswirkungen das Vordringen der Osmanen in Südosteuropa und die damit verbundenen Migrationsprozesse auf das Identitätsmanagement der zwei multiethnischen Staatsgebilde des Donauraumes - Ungarns im Mittelalter und des Habsburgerreiches in der Frühen Neuzeit - hatte. Wegen der Weitläufigkeit des gewählten Themas wird dieser Beitrag als eine Skizze für eine größere Arbeit betrachtet; für den historischen Vergleich wurden vor allem die Serben in ihren Zusammenhängen mit den Osmanen, Ungarn und den Habsburgern herangezogen.
Gleich am Anfang muss betont werden, dass sich im Gegensatz zum obengenannten ungarischen Humanisten und zu vielen seiner Zeitgenossen ebenso wie zu späteren Historikern, die die "Erbfeinde der Christenheit" immer als "Türken" und ihren Staat als "Türkisches Reich" bezeichneten,(4) nie durch diesen ethnolinguistischen/ethnischen Begriff definierten. Ihr Selbstverständnis war - ähnlich wie im Falle des Habsburgerreiches - 600 Jahre lang mit dem Namen des Dynastiegründers "Osman" verbunden. Selbst der Inhalt dieser Bezeichnung war einem ständigen Wandel unterworfen. Solange das Wort osmanli am Anfang (im 13. Jh.) nur den von Osman geführten Stamm bedeutete, verwendete man dieses in der ersten Periode der Expansion für alle - unabhängig davon, welcher Ethnie und Religionsgemeinschaft sie angehörten -, die Untertanen der Osmanischen Dynastie wurden.(5) Da die Eroberung der kleinen turkmenischen Fürstentümer in Anatolien in diese Zeit fiel, propagierte man dafür gleichzeitig, und bewusst, die türkischen Wurzeln des osmanischen Staates, um die Bevölkerung dieser Gebiete für sich gewinnen zu können.(6)
Zu einem Bedeutungswandel des osmanli-Begriffes kam es erst in der zweiten Hälfte des 15. bzw. Anfang des 16. Jahrhunderts, nachdem die Eroberung des Balkans abgeschlossen wurde(7), sowie die heiligen Städte Mekka und Medina unter die Herrschaft der Osmanen fielen.(8) Infolge dessen wurde das Osmanische Reich - ähnlich wie sein grösster Rivale, das Habsburgerreich, zu einem multiethnischen Grossreich, das viele Ethnien und somit zahlreiche Sprachen, Religionen und Kulturen in sich vereinigte. Den osmanli-Begriff verwendete man unter diesen veränderten Umständen nur noch für die Bezeichnung eines bestimmten Teils der Gesellschaft, des sog. askeri-Standes, der die Führungselite bzw. die Vertreter des Militärs und der Verwaltung beinhaltete.(9) Seitdem wurde das Wort "türkisch" als Synonym zu "ungebildet, ungehobelt und undiszipliniert" und das Substantiv "Türke" abwertend für die Bezeichnung der einfachen Bauern und Nomaden verwendet.(10) Die Mehrheit der askeri machten zu dieser Zeit bereits diejenigen aus, die ursprünglich durch das sog. devsirme-System(11) vor allem aus Bosnien, Serbien und Albanien ins Zentrum des Osmanischen Reiches gebracht wurden, um dort zu einem osmanli erzogen zu werden. Die beinahe ganzheitliche Entfernung der türkischen Ethnie aus den höheren Posten im Staatsapparat und die "Beschäftigung" anderer Ethnien des Reiches als "entwurzelte" und treue Sklaven (kul)(12) war eine bewusste politische Entscheidung zunächst von Bajezid I. (1389-1402) und dann später von Mehmed II. (1444-1446, 1451-1481) sowie seiner Nachfolger.(13) Ihren Thron verdankten die Sultane ab der Mitte des 15. Jahrhunderts in erster Linie der Unterstützung der sog. devsirme-Partei und vor allem den Janitscharen. Damit versuchten sie weitere Machtkämpfe zu verhindern bzw. ihre Macht zu stabilisieren.(14)
Es stellt sich dabei die Frage, wie die Umerziehung dieser Personen passierte, die - um es mit den Worten von Vitéz auszudrücken -"in die Sklaverei gestossen, um ihreReligion gebracht" wurden und auf die "ein fremder Glaube", der Islam, "eine fremde Moral" und "die Sprache der Ungläubigen", d.h. das Osmanli-türkische gezwungen wurde? Erfolgte damit ein vollständiger Identitätswechsel bei ihnen? Bis zur jüngsten Zeit hat man die letzte Frage mit "Ja" beantwortet. Neuere Forschungen haben jedoch gezeigt, dass weder die Janitscharen noch die Wesire und Grosswesire, die im 16. Jahrhundert serbischer, albanischer und bosnischer Herkunft waren, ihre Wurzeln, ihre Familie, ihre Muttersprache oder ihre Religion vergassen. Unter einander kommunizierten sie weiterhin in ihrer jeweiligen Muttersprache. Das ist vor allem bei den Serben zu beobachten, deren Sprache in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts sogar als Sprache der Diplomatie in den Verhandlungen mit den ungarischen Königen sowie mit der Walachei und Ragusa verwendet wurde.(15) Auch ein grosser Teil der Janitscharenlieder und -epen wurden nicht nur in serbischer Sprache verfasst, sondern auch ihre Motive, ihre äußere und ihre sprachliche Form entsprechen den ethnischen Traditionen. Diese wurden dann später Teil der serbischen Folklore, was nur dadurch passieren konnte, dass es eine regelmässige Kommunikation/ Interaktion zwischen den "Neu-osmanlis" und ihrer Verwandten gab. Die ersteren versuchten, auch die Lebensbedingungen ihrer zurückgelassenen Verwandten zu verbessern. Manche brachten sogar ihre Familienmitglieder nach Konstantinopel, wie es zB. einer der bedeutendsten Personen mit doppelter Identität, Grosswesir Mehmed Sokollu tat. Ihm bzw. seiner Vermittlung war es auch zu verdanken, dass nach der Auflösung im Jahre 1459 das serbische Patriarchat 1557 mit dem Sitz in Peć wiedererrichtet wurde. Der Patriarch erhielt dann die Oberhoheit über alle Serben im Osmanischen Reich. Es war kein Zufall, dass der neue Patriarch der Bruder des Groswesirs, Makarije wurde, der zuvor Vorsteher des Klosters Hilandar auf dem Berg Athos war.(16)
Warum hat Sultan Suleiman I. (1520-1566) das geduldet, wo doch alle eroberten Völker "um ihre Religion gebracht" werden sollten, wie Vitéz es darstellte. Bei der Zivilbevölkerung auf dem Balkan gab es zwar freiwillige Islamisierungen,(17) es stand jedoch gar nicht im Interesse der Osmanen, alle ihre Untertanen zu Muslimen zu machen, weil sie dadurch bedeutende Einnahmequellen verloren hätten. Diese waren die dzsizje (Kopfsteuer) und die haradsch (Grundsteuer), die Steuer der sog. zimmis, der Vertreter der Buchreligionen, denen die Osmanen einen besonderen Status gewährten. Wenn die zimmis die Oberhoheit der osmanischen Sultane anerkannten und die Steuer bezahlten, durften sie ihre Religion frei ausüben, eigene Kirchen oder Synagogen bauen, und sie verfügten innerhalb ihrer Glaubensgemeinschaft (millets) über eine Autonomie, die auch die eigene Rechtsprechung beinhaltete. Allerdings war es ihnen verboten, Waffen zu tragen und sie waren verpflichtet, eine für ihr millet charakteristische Kleidung zu tragen. Weiters durften sie nur im Damensitz auf Pferden reiten und in einem Gerichtsprozess nur gegen Nichtmuslime aussagen.(18) Die osmanischen Sultane betrachteten sich laut dem "zimma", dem Vertrag, der ihr Verhältnis mit den zimmi regelte, als deren Beschützer. Dass dies auch im Abendland bekannt sein musste, zeigt das Beispiel von Juden, besonders der Sephardim, die sich nach ihrer Vertreibung aus Spanien und Portugal in einer großen Zahl im Osmanischen Reich ansiedelten.(19)
Ein in Adrianopel angesiedelter Askenasi, Rabbi Jichak Zarfati schilderte in einem Brief an seine Verwandten im Reich, die dort verfolgt wurden, in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Situation im Osmanischen Reich auf folgende Weise:
Ich habe von Eurem Unglück gehört, das schlimmer als der Tod seie [...] von den tyrannischen Gesetzen, den Zwangstaufen und von den Verbannungen, die Tag zu Tag passieren. [...] ich sage Euch, dass die Türkei das Land ist, wo es an nichts fehlt und wenn Ihr das so wollt, alles in Ordnung sein wird. [...] Wäre es für Euch nicht besser unter der Herrschaft der Muslime, als der Christen zu leben? Hier kann ein jeder unter seiner Laube und Feigenbaum im Frieden leben. [...] Wacht auf und verlasst dieses verdammte Land für immer!(20)
Andererseits gibt es auch Beispiele dafür, dass die Osmanen die einzelnen religiösen Gruppen für die Verwirklichung ihrer politischen Ziele einsetzten. Im 15. Jahrhundert war es üblich, dass die Sultane in die neu eroberten Gebiete "besonders treue Untertanen" umsiedelten, um dort die Konsolidierung ihrer Herrschaft zu beschleunigen. Diese als "sürgün" bekannte Methode betraf häufig die im Osmanischen Reich lebenden Juden.(21) Trotz allem können wir jedoch feststellen, dass das millet-System den nicht-islamisierten ethnischen Gruppen innerhalb des Osmanischen Reiches ermöglichte, ihre ursprüngliche Identität weitgehend zu bewahren. Diese hatte natürlich durch den täglichen Kulturkontakt neue Züge erhalten, d.h. es konnte eine Akkulturation erfolgen, die Initiative dafür ging jedoch nicht direkt von oben, von Seiten des Osmanischen Staates aus. Die Gewährung der genannten Rechte oder Privilegien zielte vielmehr auf eine Stärkung ihrer Treue gegenüber dem Sultan ab.
Die Expansion des Osmanischen Reiches stellte den grössten multiethnischen Staat des Mittelalters in Südostmitteleuropa, das Ungarische Königreich, im 14. und 15. Jahrhundert vor eine grosse Herausforderung,(22) die zur Veränderung seines Identitätsmanagements und letztendlich zum Ende seiner Staatlichkeit führte. Ungarn betrachtete sich seit der Invasion der Mongolen im 13. Jahrhundert als östliche "porta" der "respublica christiana"(23) und neben dieser Bollwerkfunktion sahen sich die ungarischen Könige als mileschristi auch verpflichtet, Kriege gegen die Ketzer auf dem Balkan, wie zB. gegen die Bogumilen in Bulgarien zu führen. Bis zum Ende des 14. Jahrhunderts haben sie nicht erkannt, welche Gefahr die Osmanen für ihr Territorium bedeuten könnten. Erst nach dem misslungenen Kreuzzug 1396 (Nikopolis) bezeichnete der "Kreuzritter" König Sigismund die Osmanen als hostis naturalis und seinen Staat als "Bollwerk gegen die Erbfeinde der Christenheit", als Verteidiger der ganzen christlichen Welt.(24)
Es war ebenfalls Sigismund, der mit dem ersten größeren Zustrom von serbischen Flüchtlingen konfrontiert war. Sogar der serbische Fürst, Stephan Lazarević, ersuchte ihn zu Beginn des 15. Jahrhunderts, ihm Zuflucht zu gewähren, falls die Osmanen ihn aus seinem Land vertreiben würden. Nachdem Lazarević Sigismund die Treue geschworen hatte, beschenkte ihn dieser in den 1410er und 1420er Jahren mit grossen Gütern im Süden und Osten Ungarns.(25) Dadurch wurde der jeweilige serbische Fürst in die ungarische Aristokratie und so in die sog. natio Hungarica, der nur Adeligen - unabhängig von ihrer religiösen und ethnischen Zugehörigkeit -, angehören konnten,(26) aufgenommen. Diese politische Entscheidung des ungarischen Königs lässt eine gewisse Ähnlichkeit mit den osmanischen Sultanen erkennen, die die Ethnien des Balkans ebenfalls in die Führungselite erhoben, wenn sie sich davon einen politischen Vorteil versprachen. Da die Mitglieder der natio Hungarica mit ihrem "Blut" Steuer bezahlten, d.h. zur Verteidigung des Landes verpflichtet wurden, versuchte Sigismund dadurch die "Türkenabwehr" zu stärken. Die meisten der geschenkten Güter, die mit den Untertanen von Lazarević besiedelt wurden, lagen nämlich in der Grenzregion zum Osmanischen Reich, in erster Linie in Syrmien.(27) Dabei griff König Sigismund auf eine alte Tradition seiner Vorfahren zurück, die zum Beispiel die Szekler im Laufe des 11-13. Jahrhunderts ebenfalls aus Verteidigungszwecken in den Grenzgebieten Ungarns angesiedelt und mit Priviligien versehen wurden.(28) Eine Assimilation wurde weder bei den Serben noch bei den Szeklern angestrebt. Die genannten Privilegien unterstützten die Bewahrung der jeweils serbischen und szeklerischen Identität.
Nach der Eroberung Serbiens 1459 musste der Nachfolger von Lazarević, Djordje Branković, nach Ungarn übersiedeln und sein Hof lebte in Syrmien in seiner alten Form weiter, wo die serbischen Bräuche und die serbisch-orthodoxen Riten das Alltagsleben bestimmten. Neben dieser Form der Einwanderung, die dann bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts laufend geschah, gab es aber auch Zwangsansiedlungen, die von ungarischen Adeligen durchgeführt worden waren, um ihre in den Grenzregionen liegenden Güter zu besiedeln.(29) Die Serben spielten bis 1526 im ungarischen Heer sowie bei der Donauflotte eine bedeutende Rolle. Die ungarische Bezeichnung "Husar" für Mitglieder der leichten, Cavallerie, die einen bedeutenden Teil des ungarischen Heeres im 15. Jahrhundert ausmachten, geht zum Beispiel auch auf das serbische "gursor, gusar" zurück.(30) Die Zusammenarbeit der Serben und der Ungarn in der Osmanenabwehr endete dann mit der Schlacht bei Mohács (1526), nachdem Syrmien unter osmanische Kontrolle gelangt war. Eine Gruppe von Serben unter der Führung von Jovan Ćerni, die ihre Dienste dem einen der zwei neu gewählten ungarischen Könige, Johann Szapolyai anbot, fiel den chaotischen Zuständen zum Opfer, die unmittelbar nach der doppelten Königswahl, von Ferdinand I. und Johann Szapolyai herrschten.(31) Seit diesem Vorfall finden wir die Serben in Ungarn fast ausschließlich in Osmanischen Diensten. Ein grosser Teil der Besatzungssoldaten in den osmanischen Festungen Ungarns war serbischer Abstammung.(32) Die Habsburger haben ihnen sogar verboten, die Erblande zu betreten, weil sie die Serben (mit Recht) für Spione hielten. Nur aus der Zeit des "Langen Türkenkrieges" (1593-1606) sind Zwangsansiedlungen von Serben aus dem Banat in die Festungen Raab und Pressburg bekannt, die jedoch von den im kaiserlichen Dienst stehenden ungarischen Kapitänen, Nikolaus Pálffy und Szava Temesvári durchgeführt wurden.(33)
Nach dem Zerfall des ungarischen Königreichs übernahmen die Länder der Habsburger die Schutzfunktion für Ostmitteleuropa gegen die Osmanen. Seitdem propagierten sich sowohl Kaiser Karl V. als auch sein Bruder Ferdinand I. als defensor christianitatis und als "Bezwinger der Osmanen".(34) Ihre Vorgehensweise gegenüber den vor den Osmanen in ihre Länder flüchtenden Ethnien zeigt ebenfalls gewisse Ähnlichkeiten mit der der ungarischen Könige auf: Sowohl die Kroaten, als auch orthodoxen Vlachen und Uskoken wurden in den Grenzregionen, in erster Linie an der kroatisch-slawonischen Grenze angesiedelt und mit Gütern und Privilegien versehen,(35) die ihnen die Bewahrung ihrer kulturellen und ethnischen Eigenheiten ermöglichten.
Im Laufe des letzten grossen Türkenkrieges (1683-1699), in deren Folge die Osmanen beinahe vom ganzen ungarischen Territorium(36) vertrieben wurden, finden wir die Serben wiederum auf beiden Seiten. Ein Teil von den im osmanischen Herrschaftsgebiet lebenden Serben zog sich mit den Osmanen auf den Balkan zurück, andere schlossen sich den kaiserlichen Truppen an. Auch die letzte grosse Einwanderung von Serben nach Ungarn fand während dieses Krieges statt. Interessanterweise boten 1689/1690 sogar Serben auf dem Balkan unter der Führung des Patriarchen von Ipek, Arsenije Carnojević, dem habsburgischen Kaiser Leopold I. und den auf dem Balkan vordringenden kaiserlichen Truppen ihre Dienste an. Da zu dieser Zeit bereits Pläne für die Befreiung des ganzen Balkans geäussert wurden, bei deren Durchführung der Kaiser die Unterstützung der Serben brauchte, erliess Leopold I. im April 1690 ein Patent für die Serben unter Carnojević. In diesem wurde versprochen, dass Serbien, Albanien, Bulgarien und Mazedonien nach der Befreiung von der osmanischen Herrschaft vom Kaiser als autonome Provinz unter der Führung eines Woiwoden dem Ungarischen Königreich angschlossen würde. Die Serben würden neben Religions- und Steuerfreiheit das Recht bekommen, diesen Woiwoden und überhaupt sämtliche ihrer eigenen Vorsteher selber zu wählen. Ausserdem würde die serbisch-orthodoxe Kirche in dieser Provinz eine priviligierte Stellung erhalten. Durch die Veränderung, die durch die Kriegsereignisse herbeigeführt worden war, wurden diese Versprechungen wieder revidiert und im August 1690 erschien ein neues Patent. In diesem wurden den Serben "nur noch" jene Rechte garantiert, die sie bereits unter der osmanischen Herrschaft gehabt hatten: Religionsfreiheit, Wahl eigener Vorsteher, priviligierte Stellung der serbisch-orthodoxen Kirche bzw. kirchliche Autonomie.(37) Die unter der Führung von Arzenije Carnojević nach Ungarn eingewanderten Serben spielten dann später auch in der Verteidigung eine wichtige Rolle, da nach 1702 aus ihnen ein Teil der Militärgrenze organisiert wurde.(38)
Als Fazit können wir feststellen, dass das Zeitalter des Mittelalters und der Frühen Neuzeit das Minderheitenproblem im Sinne des 'nationalen Erwachens’ des 19. Jahrhunderts nicht kannte, da damals die Grenzen innerhalb der jeweiligen Gesellschaften nicht so sehr zwischen den einzelnen Ethnien, sondern vor allem zwischen den einzelnen Gesellschaftsschichten bzw. Konfessionen lagen. Aus diesem Grunde waren weder die Osmanen noch die Ungarn und später die Habsburger bestrebt, bei sämtlichen Untertanen eine Assimilation durchzuführen. Das Ringen um die Gunst der Ethnien unterlag in diesen Jahrhunderten in erster Linie militärischen Zwecken und diente zur Unterstützung der jeweiligen Machthaber. Alle drei genannten multiethnischen Staaten erkannten, worauf der ungarische König Stephan I. bereits im 11. Jahrhundert seinen Sohn aufmerksam machte: Dass "ein Land mit einer einzigen Sprache, Religion und einem einzigen Brauch schwach und verletzlich ist".(39)
© Zsuzsa Barbarics (Universität Pécs)
ANMERKUNGEN
(*) Dieser Aufsatz ist Teil des Projektes OTKA (T 043432) an der Universität Pécs.
(1) "Ha jól emlékszem, immár szász esztendeje ólálkodnak Európa körül a törökök Istenre-emberre acsargó fegyverei. Villámgyors egymásutánban igázták le Görögországot, Macedóniát, Bulgáriát, Albániát...szolgaságra taszítva, vallásukból kiforgatva őket, idegen hitet, idegen erkölcsöt, idegen törtvényt és a hitetlenek nyelvét kényszerítették rájuk. Sem Isten, sem ember jogait nem kímélték...s most országunk tőszomszédságában vetették meg lábukat." Magyar humanisták levelei, XV-XVI. század. veröffentlicht von Sándor V. Kovács, Budapest, 1971, 120. übers. d. d. Verf.
(2) Zum Vordringen der Osmanen auf dem Balkan bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts ausführlicher siehe: SZAKÁLY, Ferenc: Phases of Turco-Hungarian Warfare before the Battle of Mohács (1365-1526). Acta Orientalia Academiae Scientiarum Hung., Tomus XXXIII (1), 65-111.; HALIL, Inalcik: The Ottoman Empire. The Classical Age 1300-1600, London, 1997, 9-34.; HÖSCH, Edgar: Geschichte der Balkanländer. Von derFrühzeit bis zur Gegenwart. München 2002, 78-88.
(3) An dieser Stelle sei nur auf einige Beispiele verwiesen: Georgius de Hungaria. Tractatus de moribusconditionibus et nequicia Turcorum, Roma, 1480. ungarische Übersetzung: Kimondhatatlan nyomorúság: Kétemlékirat a 15-16. századi oszmán fogságról. hrsg. und übers. von Erik Fügedi, Budapest, 1976, 5-148.; TARDY, Lajos: Rabok, követek, kalmárok az oszmán birodalomról. Budapest 1977, 50-143.
(4) Obwohl die Osmanisten - besonders seit den 1990er Jahren - die Unkorrekheit der Bezeichnungen "Türken" und "Türkisches Reich" betonen, werden diese in den historischen Werken meistens weiterhin unverändert verwendet. Unter den ungarischen Osmanisten waren es Gábor Ágoston und Pál Fodor, die auf dieses Problem aufmerksam gemacht haben. Vgl. FODOR, Pál, Török és oszmán: az oszmán rabszolgaelit azonosságtudatáról. In: Ders., A szultán és az aranyalma. Tanulmányok az oszmán-török történelemről. Budapest, 2001, 25-44.; ÁGOSTON, Gábor/ OBORNI, Teréz: A tizenhetedik század története. Budapest, 2000, 16-19.
(5) Vgl. KUNT, Metin: Ottoman Names and Ottoman Ages. Journal of Turkish Studies 10 (1986), 227-234.; ITZKOWITZ, Norman: Ottoman Empire and Islamic Tradition. Chicago/London, 1972, 59-61.
(6) Besonders unter Murad II. (1421-44, 1446-1451) setzte man sich ausführlich mit der "türkischen" Vergangenheit der Dynastie auseinander und dementsprechend wurde seine Regierungszeit als Epoche der oguz-türkischen kulturellen Renaissance bezeichnet. Vgl. FODOR, Török és oszmán, 26.
(7) Zur Eroberung des Balkans durch die Osmanen ausführlicher siehe: HÖSCH, Geschichte derBalkanländer, 78-88.; IMBER, Colin, The Ottoman Empire 1300-1481, Istanbul, 1990.
(8) ITZKOWITZ, Ottoman Empire, 32-34.; McCARTHY, The Ottoman Turks. An Introductory History to 1923, London/ New York, 1999, 84-85.
(9) FODOR, Török és oszmán, 29.
(10) FODOR, "Hivatásos törökök" - "született törökök". Hatalmi elit és társadalom a 15-17. századi Oszmán Birodalomban. Századok 2004/4., 778.
(11) Zur devsirme ausführlicher siehe: FODOR, Pál: Gyermekadó a szultánnak. In: Ders., A szultán és az aranyalma. Tanulmányok az oszmán-török történelemről. Budapest, 2001, 308-314.
(12) Vgl. KUNT, Metin: The Sultan’s Servants. The Transformation of Ottoman Provincial Government, 1550-1650. New York, 1983.
(13) FODOR, Pál: "Hivatásos törökök", 779-784.
(14) McCARTHY, The Ottoman Turks, 64-97.
(15) Diese Dokumente wurden in serbischen Cyrilika verfasst. Dazu ausführlicher siehe: HADROVICS, László: Vallás, egyház, nemzettudat: a szerb egyház nemzeti szerepe a török uralom alatt. Budapest, 1991, 29.
(16) Vgl. HADROVICS, Vallás, egyház, nemzettudat, 30-31.; SZAKÁLY, Ferenc: Szerbek. In: Ács, Zoltán (szerk.): Együtt élő népek a Kárpát-medencében. Budapest, 1994, 149-152.
(17) Dieser mehr oder weniger freiwillige Religionswechsel erfolgte in erster Linie nach der Integration der jeweiligen Gebiete ins Osmanische Reich - vor allem bei den Bosniern und Albanern -, in der Hoffnung auf ein besseres Leben bzw. auf eine Karriere in der osmanischen Verwaltung und im osmanischen Heer. Vgl. HEGYI, Klára, Török berendezkedés Magyarországon. Budapest, 1995, 28-35.
(18) Zum Status und zur Rechtsituation der zimmis im Osmanischen Reich ausführlicher siehe: LEWIS, Bernard: The Jews of Islam. Princeton, 1984, 20-66.; FODOR, Pál: Egy antiszemita nagyvezír? Együttműködés és válság a 15-17. századi oszmán-zsidó kapcsolatokban. In: Ders., A szultán és az aranyalma. Tanulmányok az oszmán-török történelemről. Budapest, 2001, 308-314.
(19) Vgl.: LEVY, Avigdor: The Sephardim in the Ottoman Empire. Princeton, 1992.; EPSTEIN, Marc Alan: The Ottoman Jewish Communities and their Role in the Fifteenth and Sixteenth Centuries. Freiburg, 1980.; LEWIS, The Jews of Islam.
(20) übers. D. d. Verf. "Hallottam a halálnál is keserűbb szerencsétlenségekről, [...] a zsarnoki törvényekről, a kényszerű megkeresztelésekről és a száműzetésekről, melyek nap mint nap történnek. [...] kijelentem nektek, hogy Törökország az a föld, ahol semmi sem hiányzik és ahol, ha ti is úgy akarjátok, minden a legnagyobb rendben lesz. [...] Nem jobb-e nektek a muszlimok, mint a keresztények alatt élnetek? Itt mindenki békében élhet a szőlőlugasa és a fügefája alatt. [...] Ébredjetek, és hagyjátok ott örökre azt az átkozott földet!" Zitiert nach: FODOR, Egy antiszemita nagyvezír, 111.
(21) LEWIS, Bernard: Isztambul és az oszmán civilizáció. Budapest, 1981, 61-82.
(22) Dazu ausführlicher siehe: SZAKÁLY, Phases of Turco-Hungarian Warfare, 65-111.; ENGEL, Pál: Magyarország és a török veszély Zsigmond korában (1387-1437). Századok 1994/2., 273-286.
(23) Vgl. TERBE, Lajos: Egy európai szállóige életrajza (Magyarország a kereszténység védőbástyája). Egyetemes Philológiai Közlöny 1936/ 7-12., 297-311.; B. SZABÓ, János: Vázlat egy ellenségkép történetéről. A tatárok emlékezete Erdélyben, 1241-1621. Aetas 1995/1-2., 5-10.
(24) FODOR, Pál: Az apokaliptikus hagyomány és az "aranyalma" legendája. A török a 15-16. századi magyar közvéleményben. In: Ders., A szultán és az aranyalma. Tanulmányok az oszmán-török történelemről. Budapest, 2001, 179-181.; ŐZE, Sándor: "A kereszténység védőpajzsa" vagy "üllő és verő közé szorult ország". In: Hofer, Tamás (szerk.): Magyarok Kelet és Nyugat közt. Budapest, 1996, 99-107.
(25) SZAKÁLY, Ferenc: Serbische Einwanderung nach Ungarn in der Türkenzeit. In: Glatz, Ferenc (ed.): Ethnicity and Society in Hungary. (=Etudes Historiques Hongroises 1990, publiées à l’occasion du XVIIe Congrès International des Sciences Historiques par le Comité National des Historiens Hongrois). Sonderdruck Separatum. Budapest, 1990, 1-2.
(26) Zur Bedeutung des Begriffes natio Hungarica im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit ausführlicher siehe: SZŰCS, Jenő: A magyar nemzeti tudat kialakulása. Budapest, 1997, 337-338.
(27) Vgl. SZAKÁLY, Ferenc: Szerbek Magyarországon - szerbek a magyar történelemben. (Vázlat) In: Zombori, István (szerk.): A szerbek Magyarországon. Szeged, 1991, 10-15.
(28) Dazu ausführlicher siehe: KÖPECZI, Géza ( Hrsg.): Kurze Geschichte Siebenbürgens. Budapest, 1990, 42-65.
(29) Vgl.: SZAKÁLY, Serbische Einwanderung, 22-23.
(30) Die bedeuten "Plünderer" und "Streifzügler".vgl. Ders., 24.
(31) Zu Jovan Ćerni und zu seinem Schicksal ausführlicher siehe: SZAKÁLY, Ferenc: Honkeresők. (Megjegyzések Cserni Jován hadáról). Történelmi Szemle 1979/2., 227-261.; Ders.: Magyar adóztatás a törökhódoltságban. Budapest, 1981, 159-174.
(32) HEGYI, Klára: Etnikum, vallás, iszlamizáció. A budai vilajet várkatonaságának eredete és utánpótlása. Történelmi Szemle 1998/3-4., 229-256.
(33) PÁLFFY, Géza: A tizenhatodik század története. Budapest, 2000, 176-177.
(34) Dazu ausführlicher siehe: ÁGOSTON, Gábor: Ideologie, Propaganda und politischer Pragmatismus. Die Auseinandersetzung der osmanischen und habsburgischen Großmächte und die mitteleuropäische Konfrontation. In: Fuchs, Martina/ Oborni, Teréz/ Ujváry, Gábor (Hrsg.): Kaiser Ferdinand I. Ein mitteleuropäischer Herrscher. Münster, 2005, 207-234.
(35) KASER, Karl: Freier Bauer und Soldat. Die Militarisierung der agrarischen Gesellschaft an der kroatisch-slowenischen Militärgrenze (1535-1881). Wien/Köln/Graz, 1997.
(36) Nach dem Frieden von Karlowitz (1699) blieb nur das Temeschwarer Banat in den Händen der Osmanen. Vgl. WINKELBAUER, Thomas: Ständefreiheit und Fürstenmacht. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg imkonfessionellen Zeitalter. Teil. 1.Wien, 2003, 166-173.
(37) SZAKÁLY, Szerbek, 150-152.
(38) Dazu ausführlicher siehe: PÁLFFY, Géza: A török elleni védelmi rendszer szervezetének története a kezdetektől a 18. század elejéig. (Vázlat egy készülő nagyobb összefoglaláshoz). Történelmi Szemle 1996/ 2-3., 204-205.
(39) Árpád-kori legendák és intelmek. Hrsg. von Géza Érszegi. Budapest, 1987, 59.
LITERATURVERZEICHNIS
ÁGOSTON, Gábor: Ideologie, Propaganda und politischer Pragmatismus. Die Auseinandersetzung der osmanischen und habsburgischen Großmächte und die mitteleuropäische Konfrontation. In: Fuchs, Martina/ Oborni, Teréz/ Ujváry, Gábor (Hrsg.): Kaiser Ferdinand I. Ein mitteleuropäischer Herrscher. Münster, 2005, 207-234.
ÁGOSTON, Gábor/ OBORNI, Teréz: A tizenhetedik század története. Budapest, 2000.
Árpád-kori legendák és intelmek. Hrsg. von Géza Érszegi. Budapest, 1987.
ENGEL, Pál: Magyarország és a török veszély Zsigmond korában (1387-1437). Századok 1994/2., 273-286.
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