Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 17. Nr. | März 2010 | |
Sektion 1.1. | Europäische Identitäten, Europäische Realitäten Sektionsleiter | Section Chair: Christoph Parry (University of Vaasa) |
Neu - Entdeckung Europas durch die Literatur
Marja-Leena Hakkarainen (Turku, Finnland) [BIO]
Email: maleha@utu.fi
Die Sprache, mit der ich jetzt über Europa rede,
ist auch eine europäische Sprache.
Nicht nur die Sprache, sondern vielleicht auch
die Argumentationsfiguren und der Tonfall gehören
zu Europa und nicht zu mir. Ich wiederhole Europa in Europa.
Kaum fange ich an, über Europa zu sprechen, wiederhole ich sie.(Yoko Tawada)
Eine Folge der Massenmigrationen des 20. Jh. ist die Zunahme der grenzüberschreitenden Literatur, die in den europäischen Sprachen geschrieben ist, obwohl die AutorInnen bzw. ihre Eltern nicht in Europa geboren sind. Die traditionellen Motive der Migrantenliteratur wie die Reise und das Zuhause haben sich geändert, weil sie im Einklang mit der postmodernen Denkweise nicht länger mit einer Vorstellung stabiler Identitäten bzw. Heimstätten verbunden sind. Wie Sandra Ponzanesi und Daniela Merolla bemerken, ersetzt die neue europäische Literatur nationale Werte wie Authentizität und Originalität durch Wechsel und Vielfalt(1). Ähnlich der postkolonialen Autoren sind die neuen Europäer oft geneigt, westliche Denkmodelle und Einstellungen kritisch zu hinterfragen und durch die interkulturelle Perspektive einen Blick auf die kulturelle Vergangenheit und Gegenwart Europas zu eröffnen.
In meinem Beitrag möchte ich das literarische Interesse an Europa in zwei Büchern untersuchen. Der Hof im Spiegel (2001)(2) ist von der deutsch-türkischen Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar geschrieben und Sprachpolizei und Spielpolyglotte(2005)(3)von der deutsch-japanischen Autorin Yoko Tawada. Auffallend in beiden Büchern ist der hohe Grad an Intertextualität, die sowohl die Kulturgeschichte als auch den Alltag Europas betrifft. Im Fokus meiner Analyse liegt das literarische Zitat als eine Form der Interkulturalität.
Die Intertextualität gilt oft als ein Oberbegriff für Wechselbeziehungen zwischen dem fremden und eigenen Text. Als Zeichen einer expliziten Intertextualität verwendet Oraíc Tolíc Dubravka den Neologismus Zitathaftigkeit, die „die Besonderheit einer durch Zitate bzw. durch das Prinzip des Zitierens konstituierten künstlerischen Struktur“ ausdrückt(4). Sie unterscheidet zwischen fünf grundlegenden Typen eines literarisch-künstlerischen Zitats: interliterarische Zitate, Autozitate, Metazitate, intermediale Zitate und außerästhetische Zitate. Die interliterarischen Zitate bezeichnen die zitathaften Wechselbeziehungen zwischen den literarischen Texten, während die Autozitate das eigene Schreiben betreffen. Durch die Metazitate kommuniziert man mit der Poetik der eigenen oder einer anderen Epoche und die intermedialen Zitate beziehen sich auf andere Künste wie etwa die Malerei oder Musik. Zu den außerästhetischen Zitaten gehören nichtliterarische Texte, fremde Codes und reale Gegenstände der Zivilisation.(5)
Etymologisch ist das Wort Zitat von dem lateinischen Wort citare (in Bewegung setzen, herbei rufen) abgeleitet. Den Begriff Zitier-Fähigkeit verbinden Andrea Gutenberg und Ralph J. Poole mit Fragen der Autorität und der Selbstermächtigung(6). Für sie bedeutet Zitierfähigkeit nicht nur eine literarische sondern auch eine politische Praxis, die mit der Identitätskonstitution und mit der Geschlechterdifferenz verbunden ist. Im Hinblick auf die interkulturelle Literatur möchte ich die These aufstellen, dass gerade das Zitieren geeignet ist, über den kulturellen Standort des Textes Aufschluss zu geben. Im Folgenden möchte ich anhand einiger Beispiele die Funktion der interkulturellen Zitate erleuchten. Ich konzentriere mich vor allem auf die Hinweise auf die europäische Kultur und achte dabei auf die identitätstiftende Rolle des Zitierens.
Die multikulturelle Lust am Sehen in Der Hof im Spiegel
Emine Sevgi Özdamar, die seit den 70er Jahren in Deutschland wohnt, hat in ihren Romanen und Erzählungen die deutsche Sprache in mancher Weise hybridisiert. In dem Erzählband Der Hof im Spiegel erscheint die Geschichte „Schwarzauge in Deutschland“ als Autozitat, das rückblickend die Inszenierung ihres ersten Stückes Karagöz in Alamania schildert(7). In diesem intertextuell sehr reichen Stück wird Karagöz – der populäre Held des östlichen Schattentheaters – herbeizitiert und als Gastarbeiter nach Alamania (Deutschland) geschickt. Der Text enthält ein Gewebe von Zitaten, die etwa aus dem Koran oder Das Kapital stammen und mit deutschen Schlagertexten, arabischen Sprüchen und türkischen Schimpfwörtern vermischt werden.
Die meisten Erzählungen von Özdamar sind im Verlauf der 90er Jahre entstanden. Außer persönlichen Erfahrungen und Erinnerungen enthalten sie Lieder, Gedichte, einmontierte Tagebuch-Abschnitte und Dialoge. Viele Zitate sind interliterarisch, einige auch intermedial. So erscheint z.B. der Titel der Geschichte „Der Hof im Spiegel“ als eine Anspielung auf Hitchcocks Film Das Fenster zum Hof (Rear Window), der die voyeuristischen Freuden des männlichen Protagonisten zum Thema hat. Wie bekannt, hat Freud die Lust am Sehen damit verbunden, dass andere Leute zu Objekten gemacht und dem neugierigen Blick des Betrachters ausgesetzt werden. Im Zusammenhang mit dem Hitchcock-Film weist Laura Mulvey darauf hin, dass der Zuschauer bei Freud immer implizit ein männlicher Zuschauer und die Frau das Objekt seiner visuellen Lust ist(8).
Während bei Hitchcock der männliche Protagonist voyeuristisch das gegenüberliegende Haus durch ein Fernrohr betrachtet, hat Özdamars Ich-Erzählerin durch drei Spiegeln ihre Wohnung mit dem ganzen Haus und dem Garten verbunden.
Die drei Spiegeln sammelten alle Fenster und Etagen und den Garten des Nonnenhauses aus drei verschiedenen Perspektiven. Wenn ich mit dem Rücken zum Hof stand, sah ich in den drei Spiegeln alle Fenster und den Garten der Nonnen. Wir lebten alle in drei Spiegeln Nase an Nase zusammen. Wenn ich aufwachte, schaute ich nicht vom Balkon aus auf den Hof sondern schaute in den Spiegel (Der Hof, 16)
Anders als bei Hitchcock will die Ich-Erzählerin die Nachbarschaft nicht aus der Distanz betrachten sondern in ihre Wohnung hereinholen. Ihre Lust am Sehen gilt auch nicht den erotischen Spielereien sondern den alltäglichen Aktivitäten recht verschiedener Leute. In dem Küchenspiegel treffen sich die katholischen Nonnen, der homosexuelle deutsche Schuster und eine kinderreiche afrikanische Familie. Auch tote Freunde und Verwandte erscheinen im Spiegel. Wenn die Protagonistin vor dem Spiegel mit ihrer Mutter telefoniert, beschreibt sie die Bewegungen ihrer Spiegel-Nachbarn und lauscht gleichzeitig den türkischen Stimmen im Hintergrund. Schließlich endet das Telefonat mit einem Brecht-Lied, das die Protagonistin ihrer Mutter vorsingt:
Hallo, jetzt fahren wir nach Birma hinüber
Whisky haben wir ja noch genügend dabei
Und Zigarren nehmen wir Henry Clay
Und die Mädels sind wir ja auch schon über.
(Der Hof, 30)
Die Wahl des Zitats weist auf eine Identifizierung mit den Abenteurern hin. Offensichtlich teilt die Ich-Erzählerin mit ihnen die Lust am Sehen, die laut Mulvey nur den männlichen Zuschauern vorbehalten sein sollte. Der Spiegel eröffnet außerdem die Möglichkeit eines imaginären Grenzgängertums, so dass die Protagonistin das Gefühl hat, zur gleichen Zeit an mehreren Orten zu sein(9) (vgl. Seyhan 2001, 15).
Neben Bertolt Brecht zitiert die Protagonistin ausgiebig Heinrich Heine, Charles Baudelaire und Vincent van Gogh. In der Erzählung „Fahrrad auf dem Eis“ werden Ausschnitte aus van Goghs Biografie mit mehreren Bildern aus der europäischen Kunstgeschichte vermischt. Das Festmahl der Offiziere von Frans Hals ist keine Dekoration des Textes sondern dient der Rekonstruktion der holländischen Geschichte. Mit der Stimme eines Historikers bemerkt die Ich-Erzählerin: „Diese Männer gehören den reichsten und mächtigsten Handelsfamilien in Haarlem an, einem Zentrum der Textilmanufaktur“ (102). Die Offiziere im Gemälde, „vom modernen Geist des freien Unternehmertums“ erfüllt, werden anschließend mit der Beschreibung der multiethnischen Bevölkerung auf den Strassen und in den Schwulenbars konfrontiert.
Es ist zu beachten, dass in Özdamars Erzählungen die interliterarischen und intermedialen Zitate häufig mit den „Texten des Lebens“ konfrontiert werden. Die Ausschnitte von Briefen und Reklamen vermischen sich mit den Gesprächen, die etwa die Kolonialgeschichte Hollands und die heutige Multikulturalität betreffen. In einer Kneipe erfährt die Ich-Erzählerin den Hinterkultur der kulturellen Mischung des Landes.
Holländische Männer haben im 17. Jahrhundert in den Kolonien alles ausgesaugt. Ich hoffe, dass sich jetzt in Holland alles vermischen wird. Es ist nicht gut, wenn Surinam, Türken und Holländer sich nicht vermischen. Wenn es nur eine einzige Religion gäbe, wäre es leichter. Hier leben 45% Menschen, die nicht von holländischen Eltern sind. In Holland leben mehr Surinamer als in Surinam. Holland ist einer der reichsten Länder der Welt. (Der Hof, 87)
In Özdamars Erzählungen fungieren die Zitate als Schlüssel zu einem historischen und kulturellen Kontext. Wie Dubrovka(10) bemerkt, setzen sich die zitathaften Beziehungen aus drei Komponenten zusammen: aus dem eigenen Text, aus dem zitierten Text und aus dem ehemaligen Kontext. In den Erzählungen Özdamars rufen die verschiedenartigen Zitate den ehemaligen Kontext hervor, so dass zwischen den Bildern von Frans Hals und den Zeilen von Baudelaire das europäische Projekt der Moderne erscheint. Eine flüchtige Erinnerung an die jugendliche Lektüre von Anne Franks Tagebuch vervollständigt das Bild indem sie einen Blick in die Geschichte der europäischen Juden und in ihre Massenvernichtung in der Schoah eröffnet.
Sprachspiele und Metakritik in Sprachpolizei und Spielpolyglotte
Ein anderes Beispiel von der Funktion des Zitats in der interkulturellen Literatur bietet Yoko Tawada, die im Alter von 17 Jahren mit der transsibirischen Eisenbahn aus Tokio nach Europa kam und sich in Hamburg niederließ. In ihrem teils auf Deutsch, teils auf Japanisch geschriebenen Erzählwerk vermischt sie Texte aus dem westlichen und östlichem Kulturgut um einen Dialog zwischen den Kulturen hervorzurufen(11) (vgl. Kersting 2006, 5-6). Im Fokus des Erzählbandes Sprachpolizei und Spielpolyglotte liegt die Frage nach den linguistischen und kulturellen Grenzen und Grenzübergängen der Sprache. Das Buch beginnt mit einem Gedicht „Slavia in Berlin“:
Ich nahm Abu Simbel vor meinen Kamerun und ging
Los angeles,
verabredet um drei Uhr.
Ein Sonntag mit leuchtenden Aluminiumblättern
in Berlin.
Zigarettenautomaten waren Heilbronn,
Fahrkartenautomaten waren Kapstadt.
Die Maschine nahm meine Europa nicht an,
weder München noch Scheine
(Sprachpolizei ,7)
Die vermeintliche Ähnlichkeit mit der Sprache der Ausländer ist betrügerisch, denn es handelt sich nicht um unbeholfenes Gastarbeiterdeutsch sondern um ein Sprachspiel. Es ist kein Zufall, dass die Geschichte „Sprachpolizei und Spielpolyglotte“ dem Wiener Dichter Ernst Jandl gewidmet ist, der durch seine lustigen Neologismen und absurden Sprachspiele bekannt ist. In Tawadas Buch ist der Kampf zwischen den kontrollierenden und den spielerischen Kräften der Sprache mit den Fragen der Macht und Identität verbunden. Die Reisende aus dem Fernen Osten fühlt sich verloren in Europa: „Ich bin in Europa, ich weiß nicht, wo ich bin“(12). Die Ich-Erzählerin weiss jedoch, dass sie selber keine Europäerin ist, weil man nicht nachträglich zu einem Europäer wird. „Einer, der einen amerikanischen Pass hat, ist ein Amerikaner aber einer, der einen europäischen Pass hat, ist nicht unbedingt ein Europäer. Ein Mensch ist entweder als Europäer oder als etwas anderes geboren“, (14). Die Fremde wird nicht nur aus dem Alltag der einheimischen Wir-Gruppe sondern auch von dem kulturellen Erbe ausgeschlossen.
Ich blieb vor der offenen Tür der Kirche stehen. In meinem Kopf kehrte fragmentarisch das Bach-Glück zurück. „Wie finden Sie unsere Musik?“ Eine ältere Frau im grauen Mantel stand neben mir und lächelte mich freundlich an. Ich war entsetzt. Sie nannte meinen Bach einfach ihre Musik, nur weil sie wahrscheinlich in Sachsen geboren war. (Sprachpolizei, 20)
Die Ich-Erzählerin hat deutsche Musik bereits in der japanischen Schule kennen gelernt und z.B. das Lied Heidenröslein auf Japanisch gesungen: warabe va mitari (Sah ein Knab= ein Röslein stehn), nonaka no bara (Röslein auf der Heide).
In dem Essay „Metamorphosen des Heidenrösleins“ wird Goethes Dichtung nicht nur als ein innerliterarisches Zitat sondern auch als Meta-Zitat verwendet. Irritiert durch eine Interpretation, die das Gedicht Heidenröslein „mit großer Selbstverständigkeit als Szenario einer Liebesbeziehung behandelt“ (51), untersucht die Protagonistin die Beziehung zwischen Menschen und Pflanzen in Goethes Werk. Das Gedicht Heidenröslein (1771), das auf ein älteres Liedgut zurückgeht, ist gekennzeichnet durch eine sexuelle Konnotation der Blume. Bekanntlich geht das Motiv des Pflückens einer Blume auf eine lange westliche Tradition zurück. In Goethes Heidenröslein-Gedicht fehlt jedoch jede Gegenseitigkeit, und die Lust am Sehen führt zu einer sexuellen Gewaltanwendung. In der jüngeren Goethe-Forschung ist das Gedicht in der Tat durch Karl Eibl als eine Geschichte der Vergewaltigung interpretiert worden(13). Auch Tawadas Ich-Erzählerin ist überzeugt, dass für die Blume ihr Tod nichts mit der Liebe zu tun hat.
In Goethes Lehrgedicht „Die Metamorphose der Pflanzen“ wird „das erkannte botanische Bildungsgesetz auf die Genese einer menschlichen Liebesbeziehung“ übertragen(14). Im Hinblick auf Michel Foucault bemerkt Tawadas Ich-Erzählerin, dass die Botanik im 18. Jh. eine besondere Bedeutung gewann und zwar wurde damals das selektive Sehen erfunden. Laut Foucault eignen sich die Pflanzen für eine Klassifizierung außerordentlich gut, weil ihre wichtigsten Organe meist sichtbar sind. Goethes Darstellung verschiedener Entwicklungsstufen der Pflanzen bis zu der Vollendung vergleicht die Ich-Erzählerin mit der Form des Bildungsromans: „Man könnte ihm einen Titel wie >Lehrjahre der Nelken< oder >Wanderjahre der Rosen< geben“ (55).
Das Motiv der Blume taucht in dem Gedicht „Gefunden“ auf, das in der Goethe-Forschung als ein Gegen-Text zu „Heidenröslein“ gilt(15). Am Anfang des Gedichtes geht das lyrische Ich ziellos im Wald herum, entdeckt eine schöne Blume und will sie pflücken. Die Ich-Erzählerin bemerkt, dass diese Blume „nicht so wild wie das Heidenröslein“ spricht sondern leise fragt: „Soll ich zum Welken gebrochen sein?“ In diesem Fall wird sexuelle Gewaltausübung als eine Form des Gartenbaus umschrieben.
Mit allen Wurzeln
Hob ich es aus,
Und trugs zum Garten
Am hübschen Haus.Ich pflanzt es wieder
Am kühlen Ort;
Nun zweigt und blüht es
Mir immer fort.(Sprachpolizei, 56)
Die Ich-Erzählerin stellt fest, dass der Garten still ist, weil die Blume nach der Umpflanzung nicht mehr spricht. Im Unterschied zu dem Röslein auf der Heide und dem Veilchen auf der Wiese ist diese Blume mit keinem Ort verbunden sondern eine Fundsache, die mitgenommen werden darf. Dabei entpuppt sich die durch die Gärtner-Figur verkörperte „reife“ Männlichkeit als eine Variante der Männer-Phantasie, die Frauen und Pflanzen als ihr Eigentum betrachtet.
Die Funktion der Goethe-Zitate beschränkt sich nicht auf eine Auseinandersetzung mit der Blumen-Metaphorik sondern die zitierten Gedichte rufen als ihren Kontext die kanonisierte Literatur der deutschen Klassik sowie westliche Vorstellungen von der Geschlechterdifferenz und der Liebe hervor. Wenn man den neuen Kontext – ein Buch mit dem Titel „Sprachpolizei und Spielpolyglotte“ – mitberücksichtigt, wird deutlich, dass die Analyse des Blumen-Motivs der Dekonstruktion der patriarchalen Strukturen und Denkweisen dient.
Zusammenfassung
Aus den Beispielen geht hervor, dass das literarische Zitieren, an sich ein geeignetes Medium des kulturellen Austauschs, gleichzeitig als Instrument der Metakritik fungiert. Darüber hinaus dient es als Mittel der Identitätskonstitution und Selbstbehauptung im interkulturellen Raum. In Özdamars und Tawadas Erzählungen wird die Verflechtung von Geschlecht und Macht insbesondere in den Darstellungen der visuellen Lust veranschaulicht. Während es Özdamar gelingt, die Grenzen zwischen männlich und weiblich, deutsch und türkisch, spielerisch zu überschreiten, geht es Tawada vor allem um die Dekonstruktion der verborgenen hierarchischen Strukturen.
Die Auswahl und Einmontierung der Zitate in beiden Texten lässt auch Alternativ-Entwürfe für ein neues Europa erkennen. Literarisch folgen sie der Tradition von Heine und van Gogh, Brecht und Celan, politisch setzen sie sich für die multikulturelle Demokratie und für die Gleichberechtigung der Geschlechter ein. Für die Protagonistin in dem Buch Der Hof im Spiegel sind die multikulturellen Städte Europas eine Bühne zur Performanz durch Wiederholungen sich immer ändernder Identitäten. Tawadas Sprachpolizei und Spielpolyglotte wiederum gibt sich als eine ethnologische Poesie erkennbar, die die altbewährten kulturellen Muster entlarvt und die Möglichkeiten des Grenzgängertums beleuchtet. Für sie ist Europa „ein Denkspiel, keine Zugehörigkeit“, (17). Im Gegensatz zu dem Bild von Festung Europa konzipieren beide Texte Visionen von einem toleranten kosmopolitischen Kontinent, wo die Sprachpolizei den Spielpolyglotten nicht nur Gedanken- sondern auch Bewegungsfreiheit erlaubt.
Anmerkungen
1.1. Europäische Identitäten, Europäische Realitäten
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Webmeister: Gerald Mach last change: 2010-03-20