TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr.
Januar 2010

Lachen und Ernst
Sektionsleiter | Section Chair: Han-Soon Yim (Seoul National University)

Dokumentation | Documentation | Documentation


Heilkunde der „Hypochondrie“ in der sächsischen Komödie

Ekiko Kobayashi (Niigata, Japan)

 

Einleitung

Hypochondrie ist eine Krankheit, die in der Tradition der europäischen Komödie oft dargestellt wird. Habgierige Ärzte und leichtgläubige Kranke sind dabei die bevorzugten Figuren. In der italienischen Commedia dell´Arte lassen sie sich zu den typischen karikierten Figuren zählen. Melancholie bzw. Hypochondrie sind in der deutschen frühen Aufklärung eine der am häufigsten thematisierten Krankheiten. Als Thema wird die Kombination von „Satire und Medizin“ in der europäischen Komödie besonders oft gewählt. Am bekanntesten sind dafür die Komödien von Molière (1622-1673) aus dem 17. Jahrhundert (Der eingebildete Kranke).

Die Hypochondrie wird wie folgt definiert:

Die Hypochondrie ist die gestörte psych. Einstellung eines Menschen zum eigenen Körper, insbesondere durch übertriebene Neigung, ständig seinen Gesundheitszustand zu beobachten. Hypochondrie wird oft von zwanghafter Angst vor Erkrankungen oder der Einbildung des Erkranktseins oder Überbewertung tatsächlich vorhandener Beschwerden begleitet.(1)

Im Folgenden werden zunächst einige Stücke von Mylius, Luise Gottsched und Quistorp kurz skizziert, um das Thema genauer zu veranschaulichen:

Die Heilkunde zur Hypochondrie ist hierbei meiner Meinung nach nicht immer falsch. In meinem Referat wird deshalb die Heilkunde zur Hypochondrie sowohl in der Komödie als auch im heutigen Kontext betrachtet. Die Therapie wird zudem aus medizinhistorischer Sicht erörtert.(2)

 

I. Hypochondrie und Medizin in Die Ärzte bei Mylius

Lessings Vetter, Christlob Mylius, studierte in Leipzig Naturwissenschaft und Medizin und schrieb danach als Schüler Gottscheds die „sächsische Komödie“. Die repräsentativen Stücke dieser Schule lassen sich in der „Deutschen Schaubühne“ finden, die durch die typisierte Darstellung des Guten und Bösen, durch die Entlarvung der Lasterhaftigkeit und durch eine moralisierende Lehre gekennzeichnet waren.

Schon der Titel verweist auf den Arztberuf. Die Kranke ist Frau Vielgut, die Frau eines reichen Kaufmanns, die an Melancholie leidet. In ihrem Haus wohnen ihre zwei Leibärzte, Dr. Pillifer und Dr. Recept. Sie geben ihr Quecksilber und Abführmittel und führen vollkommen willkürliche ärztliche Untersuchungen durch. Die Kranke schenkt den beiden ihr Vertrauen und möchte ihre Tochter Luisgen mit einem der beiden Ärzte verheiraten. Die Tochter aber hat einen Geliebten namens Damon, der Jura studieren soll. Das junge Paar bemerkt die Habgier der Ärzte. Sie entlarven die Quacksalberei. In der Schlussszene wird die Wahrheit entdeckt, und es stellt sich heraus, dass Damon selbst Medizin studiert hat.
Betrachtet man die Dramenstruktur, so zeigt sich im I. Aufzug die starke Abhängigkeit zwischen Frau Vielgut und den Ärzten. Im II. sowie III. Aufzug werden ihre bedenklichen Untersuchungen an der Hausherrin und ihre Quacksalberei entlarvt. Im V. Aufzug wird die Wahrheit entdeckt, und es stellt sich heraus, dass Damon selbst Medizin studiert und sechs Wochen später den Arztberuf aufnimmt. Die Lasterhaftigkeit der Hausärzte wird öffentlich angeklagt und die Handlung nimmt somit einen glücklichen Ausgang.

Anders als die zeitgenössischen Dramatiker schrieb Mylius dieses Stück vor dem Hintergrund eigener medizinischer Fachkenntnisse. Aufgrund seiner journalistischen Betrachtungsweise schilderte er die damaligen „Quacksalber“ und ihre Verderbnis mit einem außerordentlich kritischen Geist. Im II. Aufzug tritt Dr. Pillifer mit Spritze und Destillierapparat auf, um die melancholische Kranke zu untersuchen. Der Doktor will ihr Quecksilber und Abführmittel geben. Solche Medikamente lassen sich im damaligen Kontext häufig finden, aber sie sind keine ernsthafte Behandlungsmethode. Die leichtgläubige Kranke, Frau Vielgut, glaubt der übertriebenen Autorität der Ärzte. Sie ist bereit, sich auf alles einzulassen, was ihr die beiden Ärzte empfehlen. In dieser Leichtgläubigkeit liegt auch eine gewisse Komik. Die Frau wird unruhig, wenn sie kein Quecksilber nimmt. Quecksilberpillen sind Medikamente, die aus Quecksilber, Honig, Glyzerin, Süßholz und Alterienpflanzen bestehen. Dieses Rezept wird natürlich ebenfalls als vollkommen willkürlich entlarvt. Damon nähert sich den Ärzten und lässt sich untersuchen, um sie zu prüfen. Gegen seinen Katarrh, Räuspern und Nasenschleim verschreibt einer der Ärzte zunächst ein Abführmittel und die Quecksilberpillen. Ferner empfiehlt er lächerlicherweise dem gesunden Kranken Elystir und ein Brechmittel. In der betrügerischen Untersuchung liegt die größte Komik. Zur Heilkunde für Melancholie bemerkt Frau Vielgut selbst, dass sie nicht mehr psychisch von dem Quecksilber abhängig sei.

Im Stück gibt es einen deutlichen Kontrast zwischen guten und bösen Figuren: das positive junge Paar auf der einen Seite und die lasterhaften Ärzte auf der anderen. Darin lässt sich der Einfluss der Commedia dell'Arte erkennen. Der Gottschedschen Dramentheorie folgend, gibt es keine Harlekinfigur. Die Untersuchungsszene mit der Köchin in der Schwangerschaft ist wohl der Höhepunkt der Komik.

 

II. Hypochondrie als Dramentechnik bei Luise Gottsched

Luise Adelgunde Victorie Gottsched (1713-1762) trieb die Theaterreform voran. Ihre Komödien lassen sich der Gottschedschen Schule einordnen. In ihren Stücken Die ungleiche Heirath (1743), Die Hausfranzösinn (1744) und Das Testament (1745) treten Frauen auf, die an Hypochondrie leiden. Dennoch ist ihre Beschreibung nicht ausführlich.

Ich möchte hier zuerst auf Die ungleiche Heirath eingehen, in der der gescheiterte Versuch einer Konvenienzheirat dargestellt wird und die Hinterlistigkeit der hypochondrischen Adligen besonders auffällig ist. Die hoch verschuldeten Adligen tragen den karikierenden Namen „von Ahnenstolz“. Diese hochnäsige Familie bemäntelt ihre finanzielle Bedürftigkeit. Obwohl die Tochter Philippine den adligen Zierfeld zum Geliebten hat, reden ihr die Eltern die Heirat mit einem anderen Bewerber, Wilibald, ein. Er ist der Sohn eines reichen Kaufmanns, der kühn durch bloße Heirat aus dem Bürgertum in den Adel aufsteigen will. Der bürgerliche Wilibald wird grob behandelt und insgeheim verspottet. Im Kontrast zwischen der äußerlichen Gastfreundlichkeit und dem hinterlistigen Spotten auf der adligen Seite sowie der eitlen Sehnsucht nach dem adligen Titel auf der Bürgerseite liegt die Komik des Stücks. Die Mutter erlaubt dem adligen Bewerber um ihre Tochter nicht, in ihr Haus einzutreten. Dennoch führt ihn die Tochter verstohlen in ihr Zimmer, indem er sich als Gärtner verkleidet.

Frau von Ahnenstolz leidet an Hypochondrie und klagt über mancherlei Symptome. Wollen sich Wilibald oder ein anderer adliger Gast Wildholz ihr nähern, wird ihr Gesundheitszustand schlechter.(3) Sie verbirgt sich, ehe man es bemerkt. Unter den insgesamt 42 Auftritten tritt sie 22 mal neben Wilibald auf. Ihre Tochter wird ebenfalls plötzlich krank, wenn Wilibald dazu kommt. Die Tochter stellt sich offensichtlich krank. Es gibt hier weder eine Untersuchungsszene noch einen Arzt.

Fräulein Amalia, die Stiefschwester der Frau von Ahnenstolz, warnt Wilibald vor der Heirat mit Philippine. Aus Liebe zu Wilibald stellt sich Amalia der ungleichen Heirat zwischen Adel und Bürgertum entgegen. Zum Schluss lehnt sie seinen Heiratsantrag ab und tadelt ihn, dass ein Adelstitel nicht zu kaufen sei. Fast alle Personen in diesem Stück haben eine heuchlerische Seite. Schein und Ehrgeiz in der „ungleichen Heirat“ werden hier satirisch entlarvt. Karl Holl fasst die Lehre dieser Komödie mit den schlichten Worten zusammen:

Die ungleiche Heirat“, im IV. Band der Deutschen Schaubühne, illustriert die wichtige Lehre, daß man nicht über oder unter seinem Stande heiraten solle.(4)

Die ungleiche Heirath ist im Großen und Ganzen die Übertragung von Molières George Dandin. Holl weist darauf hin, dass „Gottsched meinte, dass es in ihrer Bearbeitung wohl den Possencharakter verliere, ihre Wirkung sei die Langeweile“. George Dandin ist ein reicher Bauer und der Ehemann von Angeliqué. Die Eltern seiner Frau gehören dem Landadel an und stehen immer auf der Seite ihrer Tochter. Sie sehen verächtlich auf den Schwiegersohn herab. Angeliqué hat einen adligen Geliebten, Clitandor. Sie treffen sich wiederholt heimlich. Der Bauer ist beinahe als Narr dargestellt. Zwei Bedienstete und ein bäuerlicher Bote stehen ebenfalls auf der Seiten der jungen Liebenden.

In der Komödie von Luise Gottsched hingegen ist ein junger Mann der Bewerber. Der Geliebte ist auch der „verbotene“ Bewerber. Wilibald ist kein Bauer. Die adlige Mutter leidet an Hypochondrie, die in der damaligen sächsischen Komödie um 1745 häufig zu finden war. Die Lasterhaftigkeit und den Schein der Adligen sowie den törichten Ehrgeiz des Bürgertums zu entlarven ist Gottscheds Absicht. Um Moral und Satire mit Worten darzustellen, besteht bei ihr die Rede aus langen Erklärungen. Es fehlen die rhythmische Personenbewegung und die dramatische Spannung. Es gibt weniger Bühnenanweisungen als bei Lessing. Bei Luise Gottsched hat die Hypochondrie in der Komödie eher die Funktion der Abwechselung der Personen. Die Hypochondrie ist für Frau von Ahnenstolz gleichsam eine Tarnkappe ihrer Hinterlistigkeit. Luise Gottsched zeigt die Gefühle der weiblichen Charaktere in sehr treffender Weise. In diesem Sinne stellt die Hypochondrie einerseits die gebrechliche Weiblichkeit und andererseits die Scheinkrankheit der listigen Frauen dar. Das Lachen bei Luise Gottsched ist der Spott und das Auslachen.

Diese Tendenz lässt sich bei Frau von Tiefenborn in Das Testament (1745) noch deutlicher erkennen. Die Witwe Frau von Tiefenborn plant ihre Heirat mit ihrem Kammerherrn von Ziegendorf. Sie möchte ihr Vermögen ihren zwei Nichten und ihrem Neffen vermachen, die sie seit 20 Jahren gepflegt haben. Vorher will die adlige Frau diese Kinder prüfen, deshalb tut sie so, als ob sie an einer schweren Hypochondrie leide. Die Adlige hat ihren Leibarzt Hyppokras Thater. Die ältere Nichte freut sich über ihre Krankheit und versucht, Amalie das Testament schreiben zu lassen, da sie auf das Vermögen der Tante nur für sich zielt. Die jüngere Nichte hingegen pflegt die Hypochonderin mit Hingabe. Der jüngste Neffe, von Kaltenbrunn, zeigt Anzeichen von Verschwendungssucht und hat schon viele Schulden.

Frau von Tiefenbrunn lässt den Kammerherrn sich als zweiten Arzt verkleiden und schreibt ihr Testament. Zum Schluss wird die Wahrheit bekannt gemacht, die Fehler der Neffen und Nichten getadelt und ihre Behandlung gezeigt. Die Hypochondrie ist hier ein Kunstgriff der von Tiefenborn. Da der Leibarzt, Hippokras, von der Nichte für sich gewonnen wird, spricht er lügenhaft. Er beurteilt ihre Krankheit als bedenklich. In diesem Sinne ist er ein Quacksalber. Der zweite „falsche“ Arzt verteidigt die Kranke ebenfalls mit lügenhaften Worten. Susanne Kord beurteilt diese Handlung mit Hypochondrie als das „Zwischenspiel“. Frau von Tiefenborn spiele die Hypochondrie vollkommen.(5)

 

III. Ernst und Lachen: Heilkunde der Hypochondrie bei Quistorp

In Quistorps Komödie Der Hypochondrist (1745) werden die melancholische Rede und das Verhalten der kranken Hauptperson komisch und ernsthaft zugleich dargestellt. Bei Quistorp handelt es sich mehr um die Äußerungen und das Verhalten der kranken Personen als die Lasterhaftigkeit der Ärzte. Im heutigen Sinne ist ein „Hypochonder“ tatsächlich ein „Kranker“, aber damals betrachtete man ihn als einen „schwachen“ Mann, der nicht als richtig krank galt. Walter Busse meint, „Leiden ist im 18. Jahrhundert mit einem positiven Vorzeichen versehen, denn bei keinem Gefühl spürt der Mensch so intensiv, daß er innerlich lebendig ist, daß er empfindet, als wenn er unglücklich fühlt.“(6) Busse ordnet dieses Stück dem pathologischen Zeittyp zu.

Im Hypochondrist leidet die Hauptfigur Ernst Gotthart, der Sohn eines reichen Kaufmanns, an malum hypochondriacum, schwerer Hypochondrie. Der Vorname Ernst steht an sich schon als Karikatur für einen ernsthaften Mann. Zwei Ärzte untersuchen ihn, haben jedoch unterschiedliche Meinungen zur Therapie. Sein Vater, der Kaufmann Gotthart, möchte seinen Sohn mit einer fröhlichen Tochter aus seinem Verwandtenkreis verkuppeln. Im Hypochondrist sind viele Krankheitssymptome ausführlich aber auch ins Lächerliche gezogen dargestellt. Diese Komödie nimmt in der Komödientradition eine besondere Stellung ein.

Die Anfangsszene ist als Exposition außerordentlich lang. Zwei Leibärzte diskutieren über die Therapie für den jungen Hypochonder im Haus. Der Kranke wurde damals gepeitscht, ans Bett gebunden oder saß darauf, zitternd vor Angst. Der Diener pflegt und beobachtet seinen Herrn Ernst, wenn dessen Gesundheitszustand bedenklich wird. Die Ärzte vermuten Milzbeschwerden. Dr. Krebsstein rät ihm, sein Leiden mit Balneotherapie, d. h. mit Heilbrunnen und Baden zu kurieren, da seine Verwandte ein heißes Quellenbad betreibt. Krebsstein ist ebenfalls ein karikierter Name für Krankheit. Er ist der Meinung, dass die Ursache der Hypochondrie in der Milz liegt. Der andere Arzt, Dr. Muscat, will dem Kranken ein Rezept schreiben, wodurch er in der Apotheke seines Verwandten einen Gewinn erwartet. Der zweite Doktor meint, dass das Symptom von den Nerven herkomme. Dr. Muscat schlägt unterschiedliche Arzneien vor, da der Kranke vier Krankheiten hat:(7) 1) gegen Hypochondrie allerhand lösende Mittel und vertreibende Mittel, 2) gegen Melancholie eine besondere Sorte von Kräutertee und ein fleißiges Aderlassen, 3) gegen Schwermut Waschmittel und Spülmittel, 4) gegen Milzsucht kräftige Milderungsmittel und Abführmittel oder Brechmittel. Seine Argumentation über die Arzneiwirkung klingt auf den ersten Blick überzeugend. Kräutertee und Aderlassen waren damals häufig verbreitete Behandlungsarten, aber heute kommt letzteres nicht mehr in Frage.

Krebsstein bietet dem Hypochonder und dessen Vater unterschiedliche Heilbrunnen und Weine an. Er ist der Meinung, dass Ernsts Sternbild ein Wasserkrug sei, deshalb eigne sich für ihn die Balneotherapie. Diese ist jedoch ebenfalls eine fragliche Heilmethode. Die Mineralquellen sind im allgemeinen gut und Wein bringt einen in fröhliche Stimmung. Das tägliche Einnehmen kostet den Kaufmann viel Geld. In den gegensätzlichen, lächerlichen Therapien liegt hier die Komik des Stücks.

Die Erörterungen der Ärzte spiegeln einigermaßen die damalige medizinische Lehre wider. Krebsstein kritisiert seinen Kollegen Muskat so:

Und sie sind ein Burhavianer, ein neuer Mechanicus, ein Scientificus, der den Patienten noch einmal so viel Krankheiten an den Hals demonstriert als sie wirklich haben. (I/1)(8)

Laut Krebsstein gehöre sein Nebenbuhler zur „Burhavianer“-Schule. Muscat ist ein kleiner Anhänger von Herman Boerhaave (1668-1738), dessen Ruf sich schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in ganz Europa ausbreitete.(9) Auch in Japan wurde Boerhaaves Lehre von seinen Schülern gegen Ende des 18. Jahrhunderts vorgestellt.(10)

Dagegen verspottet Muscat Krebsstein als Stahlianer und Empiriker, der nur seine eigene Erfahrung hochschätze. Krebsstein war ein Anhänger von Georg Ernst Stahl (1659-1734). Gegen Anfang des 18. Jahrhunderts war er einer der repräsentativen Denker in Europa.(11)

Die zänkische Rede über die Therapie zwischen den beiden Ärzten steigert sich heftig. Im II. Aufzug wird hauptsächlich die Angst von Ernst in den Mittelpunkt gestellt. Der Patient schwankt zwischen den Meinungen der beiden Ärzte. Von beiden Seiten wird Geld verlangt und er gerät in Ratlosigkeit. Zwischendurch bemerkt der Vater, dass die Ärzte seinen Sohn nicht heilen können. In der Szene mit Ernst, Frau Kreuzin und der Fröhlichin werden allerlei Symptome des Hypochonders erörtert. Das gesunde Fräulein hört der Klage wohl zu, lacht sie jedoch einfach aus. Die Ängste des Hypochonders sind nichts besonderes in den Augen des gesunden Menschen. Dass ein Hypochonder Gegenstand des Lachens wird, ist im heutigen Kontext unvorstellbar. Das Lachen von Fröhlich ist aber nicht gleich dem Verlachen in der Komödie Luise Gottscheds. Die junge Frau leitet bei Quistorp die seelischen Kranken zur Heiterkeit hin.

Im 6. Auftritt des III. Aufzugs bereitet Muscat allerlei Medikamente für Frau Kreuzin zu, während er ihr gut zuhört. Das ist der Höhepunkt der Untersuchungsszene. Muscat selbst probiert die Arznei, was ist in der Realität unvorstellbar ist. Die alte Kranke zieht bald nach Hamburg und hat nun Hoffnung auf Heilung an einem neuen Ort. Der Vater der Fröhlichin will nicht gern von seiner Hypochondrie in der Vergangenheit sprechen. Ernst neigt sich zum jungen Fräulein und singt allein in guter Laune. Das junge Paar singt und tanzt im IV. Aufzug. Aber Ernst kann die Fröhlichin nicht küssen, weil er scheu ist und Angst hat, dass er sie mit seiner Hypochondrie anstecken könnte. Damals wurde Hypochondrie als Infektionskrankheit verstanden. Je mehr sich Ernst in seine dunkle Phantasiewelt flüchtet, desto mehr leistet ihm das Fräulein Hilfe.

Der Diener Heinrich beobachtet seinen Herrn besser als die Ärzte. Er studiert heimlich ein Medizinbuch. Er meint, dass Ernst keinen Kräutertee, keine Tröpfchen, keine Pulver mehr zu nehmen brauche. Heinrich liest:

Heinrich: Selbst die Gedanken der Liebe erfreuen, erquicken und stärken uns: sie vermehren unsern Ca.
lo rem und diffi ... diffi ... pi ... ren und dissipiren die dicke Schwarze Galle ... (V/2)(12)

Die Gefühle des liebenden Hypochonders sind jedoch wechselhaft. Sein Kummer und das Überstürzen im Monolog steigern sich zum Höhepunkt des Konflikts.

Ernst: Ach! Himmel! Nach 80 Jahren das Malum hypochondriacum zu haben? Wie will ich das ausstehen? --- Nein! Ich muß mich umbringen! (V/3)(13)

Mit dem Selbstmordversuch von Ernst bekommt die Handlung eine gewisse Spannung. Er versucht, sich mit der goldnen geflochtenen Schnur, die er von der Fröhlichin bekommen hatte, zu erhängen. Vom Diener und vom Fräulein wird er jedoch gepflegt und kommt wieder zu Atem. Seine Liebe kommt zu einem glücklichen Ende. Ernst bemerkt:

Ernst: Ihre vernünftigen Vorstellungen curiren mich viel besser, als alle Brunnen und Recepte. Sie sehen es doch ein, daß meine Krankheit mehr am Gemüthe, als am Leibe liegt. (V/5)(14)

Der Vorschlag von der Fröhlichin, dass er eine ordentliche Diät halten und keine Gelegenheit versäumen solle, sich eine Freude zu machen, ist eine vernünftige, allgemeine Denkweise, die auch heute noch gültig ist. In „Minna von Barnhelm“ (1767) von Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) erklärt die emanzipierte, vernünftige junge Frau dies einem steifen, ernsthaften jungen Mann, dem stoischen Tellheim:

v. Tellheim: Sie wollen lachen, mein Fräulein. Ich beklage nur, daß ich nicht mitlachen kann.
Das Fräulein: Warum nicht? Was haben Sie denn gegen das Lachen? Kann man denn auch nicht lachend sehr ernsthaft sein? Lieber Major, das Lachen erhält uns vernünftiger als der Verdruß.
(...)“ (IV/6)(15)

 

Fazit

Wie Lessing durch die Wirkung des „Lachens im Ernst“ zeigte, gelang es Quistorp in der Figur der Fröhlichin, den naiven Hypochonder lachend im Ernst aufzuklären. Nach heutiger Sicht wird der Hypochonder nicht als lasterhafter Mensch eingeordnet, obgleich er seelisch krank ist. Die Leibärzte zeigen satirisch die Habsüchtigkeiten. Das gegensätzliche Schema des Guten und des Bösen in der Komödie mag dem heutigen Leser nicht mehr deutlich werden. Die dargestellte Heilkunde in den obengenannten Komödien bietet allgemeine Ratschläge, die auch für das moderne Alltagsleben Gültigkeit besitzen, wie es in einer deutschen Redensart zum Ausdruck kommt: „Lachen ist die beste Medizin.“


Anmerkungen:

1 Brockhaus Enzyklopädie. Bd. 10, S. 349.
2 Dieser Vortrag ist ein Teil von Ergebnissen meiner Forschung zum Thema „Die Darstellungen der ‚Hypochondrie‘ in den sächsischen Typenkomödien und ihre Bedeutung in der Medizingeschichte in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts“, die von der Japan Society for the Promotion of Science gefördert wird.
3 Frau von Ahnenstolz klagt über Hypochondrie und ist manchmal vollständig gelähmt, aber die Kranke kann in ihrer bedenklichen Lage nicht so häufig ins Wohnzimmer kommen.
4 Karl Holl: Geschichte des deutschen Lustspiels. Leipzig: Weber 1923, S. 137.
5 Susanne Kord: Little Detours. The Letters and Plays of Luise Gottsched (1713-1762). NY: Camden House 2000, S. 79-80.
6 Walter Busse: Die Hypochondrie in der deutschen Literatur der Aufklärung. Mainz (Diss.) 1952, S. 6.
7 Vgl. Ekiko Kobayashi: Hypochondrie im Konflikt der Kulturen. Satire und Wissenschaft in C. Mylius’ Die Ärzte und T. J. Quistorps Der Hypochondrist. In: Akten des XI. Int. Germanistenkongresses Paris 2005, Band 7. Bern: Peter Lang 2007, S. 237-244.
8 Theodor Johann Quistorp: Der Hypochondrist. In: Deutsche Schaubühne. Sechster Teil. Stuttgart: J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung 1972, S. 282.
9 Herman Boerhaave ist 1668 in Voorhout bei Leiden geboren, studierte am Anfang dort Theologie, Philosophie u.a., promovierte dann im Fach Medizin in Harderwijk. Er lehrte theoretische Medizin, Chemie, Botanik in Leiden. Er schuf als Professor für Medizin die Grundlage für medizinische Ausbildung, gebrauchte das Thermometer und das Mikroskop bei der Diagnose und führte das Praktikum in der Arztausbildung ein.
10 Boerhaaves Abhandlung Instituiones medicae (1708) wurde von Samurai-Arzt Shindo Tsuboi (1795-1848) ins Japanische übersetzt. Ryotei Shingu (1787-1854) übersetzte seine Bluttheorie und Physiologie auszugsweise.
11 Georg Ernst Stahl war damals einer der bekanntesten Ärzte in Deutschland. Er promovierte in Jena. 1687 wurde er Hofarzt in Weimar, später wurde er auch Professor an der Universität Halle, lehrte neben Medizin auch Botanik, Chemie, Anatomie, Physiologie, Pathologie und Pharmazie. Nicht nur im Fach Medizin, sondern auch wegen seiner heute nicht mehr gültigen „Phlogiston-Theorie“, einer Verbrennungstheorie, wurde er in Europa bekannt.
12 Quistorp: Der Hypochondrist. Ebenda., S. 379.
13 Quistorp: Ebenda. S. 385.
14 Quistorp: Ebenda. S. 393.
15 Gotthold Ephraim Lessing: Minna von Barnhelm In: Gotthold Ephraim Lessing. Werke 1767-1769. (Hrsg.) Klaus Bohnen. Frankfurt am Main 1985, Bd. 6, S. 82.

1.9. Lachen und Ernst

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For quotation purposes:
Ekiko Kobayashi: Heilkunde der „Hypochondrie“ in der sächsischen Komödie - In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/1-9/1-9_kobayashi.htm

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