TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr.
Januar 2010

Lachen und Ernst
Sektionsleiter | Section Chair: Han-Soon Yim (Seoul National University)

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Das Lachen und seine Dimensionen im Koran

Khalid Lazaare (Universität Sidi Mohamed Ben Abdellah, Fes / Marokko)

 

Das Lachen ist eine menschliche Universalie, d.h. Sprachbarrieren spielen dabei überhaupt keine Rolle, und man lacht in allen Kulturkreisen. Die Frage, wann und wie der Mensch genau lacht, wird der vorliegende Vortrag nicht berühren. In der hier vorgenommenen Analyse des Lachphänomens sollen vielmehr einige spezifische Parameter, wie z. B. sprachliche Konventionen und kulturspezifische Elemente der Mimik und Gestik in Betracht gezogen werden.

Meine Kollegen in Marokko waren sehr überrascht, als sie den Titel meines Referats hörten, denn für die meisten gilt der Koran als heiliges – wenn nicht das heiligste – Buch der Muslime, als Wort Allahs, d.h. als Buch des Ernstes. Lachen wird in den meisten Fällen mit Leichtigkeit assoziiert.

Für die Marokkaner, die der beruflichen Tradition der Araber bis heute treu geblieben sind, spielt der Handel eine so große Rolle, dass die Redewendungen der in diesem Sektor beschäftigten Menschen nicht außer Acht gelassen werden dürfen. So erwähne ich in diesem Zusammenhang die marokkanische Weisheit, nach der das Lachen den Handel kaputt macht. Diese oft in Märkten und Handelsverhandlungen zitierte Redensweise verleiht dem Lachen einen negativen Charakter und taxiert es mit dem Etikett des Unernsthaften. Demnach kann man keine kommerziellen Verhandlungen abschließen, wenn man lacht. Erfolgreiches Handeln und Lachen schließen einander aus.

Wenn das Lachen in einigen Kulturkreisen positiv betrachtet wird, wird es in der arabischen Kultur wohl eher negativ beurteilt bzw. verurteilt. Schließlich fürchtet der Araber beim Lachen den Tod seines Herzens, wenn man dem arabischen Sprichwort „Viel Lachen tötet das Herz“ (كثرة الضحك تميت القلب ) glauben sollte. Trotzdem stößt der Koranleser auf zehn Stellen, in denen das „Lachen“  entweder als Substantiv oder als Adjektiv erwähnt wird, uns zwar in den folgenden Suren: An-Najm, Almotaffifin, Attawba, Hud, Almuminun, An-naml, Azzukhruf, Abassa. Auf Arabisch heißt das entsprechende Verb „lachen“ in der Infinitivform ضحك „dahika“.

In der 9. Sure liest man in der Übersetzung des 82. Vers فليضحكوا قليلا و ليبكوا كثيرا „Sie werden nur kurz (wenig) zu lachen, aber (dereinst) lange (viel) zu weinen haben. (Dies geschieht ihnen) zum Lohn für das, was sie begangen haben.“ (Übersetzung des Korans von Rudi Paret). Hier spricht der Koran über diejenigen, die den Propheten Mohammed zur Zeit des „Tabukkriegs“ غزوة تبوك in Stich gelassen haben. Die 9. Sure (At-tawba) zählt zu den letzten offenbarten Suren, die um das 9. Jahrhundert der Hegire entstanden sind. Diese Stelle zeigt den Unterschied zwischen dem vorübergehenden Lachen auf der Erde und dem ewigen Weinen im Jenseits.

Dies findet seine „mathematische“ Verdeutlichung in einer anderen Sure, in der Allah seinen Zeitmassstab offenbart: „Ein Tag bei Allah ist wie tausend Jahre ihrem Maß nach“.(1) Al hassan Al Basri erklärt diesen Vers, indem er explizit von der Hölle spricht: Sie werden kurz lachen auf der Erde und viel weinen in der Hölle.(2) In diesem Zusammenhang sagte der Prophet schwörend und warnend:والله لوتعلمون ما اعلم لضحكتم قليلا و لبكيتم كثيرا „Ich schwöre es, wüssten Sie was ich weiß, würden Sie wenig lachen und zu viel weinen“.(3)

Al hassan Al Basri lachte fast nie und er war sehr traurig, weil er so viel Angst vor der Hölle hatte. Einer seiner Freunde dagegen lachte oft und begründete sein Verhalten durch einen anderen Vers aus dem Koran وانه اضحك وابكى „Allah bringt zum Lachen“. Der Muslim steht nun vor einem Paradoxon des Lachens. Die Lebensgefährten des Propheten Mohammed lachten, aber in gemäßigten Mengen, weil der Prophet selber sagte: „Erholen Sie Ihre Gemüter, sie langweilen sich“. Meiner Ansicht nach ist alles im Islam mit dem rechten Maß verbunden, und der Prophet legte großen Wert darauf, dass der Muslim in keiner Richtung übertreibt. خير الامور اوسطها „Die Beste der Lagen ist die mittlere“, sagte der Prophet.

Im 71. Vers der 11. Sure (Hud) liest man: وامراته قائمة فضحكت فبشرناها باسحاق „Seine Frau, die dabei stand, lachte. Da verkündeten wir ihr den Isaak, und nach Isaak den Jakob“. Der arabische Vers wurde z. T. falsch übersetzt. Mujahid und Ikrima erklären das Verb „lachen“ in diesem Kontext mit der Menstruation, die die Frau gerade in diesem Moment durchlebte, obwohl sie in der Menopause war. Die arabischen Linguisten haben sogar einen Vers mit dieser Bedeutung gedichtet:

             Und ich schlafe mit der Frau, wenn sie sauber ist
             Und entferne mich eines Tages, wenn sie „lacht“ (4)

واني لآتي العرس عند طهورها           
 واهجرها يوما ادا تك ضاحكا  

Im Lexikon „Lissan al Arab“ steht: „die Kaninchen lachen, d.h. sie bluten“. Dieser Aspekt ist in keiner Übersetzung zu finden, und dies zeigt, dass die Übersetzung im Allgemeinen auch sehr eng mit dem Grad der Beherrschung der Ausgangssprache verbunden ist.

Der 19. Vers der 27. Sure zeigt das Wunder von Soliman, der die Sprache der Tiere verstehen konnte. فتبسم ضاحكا من قولها „Da lächelte er über ihre Worte und sagte: ,Herr! Halte mich dazu an, dass ich dir für die Gnade […] dankbar bin […]‘“. In der Übersetzung findet man nicht die Nuance, dass das Lächeln des Propheten Soliman mit Lachen verbunden ist, doch der arabische Text zeigt genau diese Nuance, um diese Situation eindeutig zu machen. Denn schließlich ist es möglich, dass man ohne Freude lächelt; Lächelsituationen können sehr vielfältig sein, man setzt das Lächeln des Zornigen auf, oder man lächelt aus Spott. Im Gegenteil dazu ist das lachende Lächeln ein Symbol für Glück und Freude, und Al-Qortobi fügt hinzu, dass die Freude der Propheten hauptsächlich das Jenseits betrifft.

Im 110. Vers der 23. Sure liest man: وكنتم منهم تضحكون „Da triebt ihr euren Spott mit ihnen, so dass ihr über ihnen vergaßet, meiner zu gedenken. Und ihr lachtet über sie“. In dieser Stelle zeigt sich deutlich, dass das Wort „lachen“ in seiner spöttischen Dimension verwendet ist. Es ist eine Warnung für diejenigen, die das irdische Leben ernsthafter als das himmlische wahrnehmen.

Die gleiche Konnotation gewinnt das Wort „lachen“ in der folgenden Stelle der Sure (Azzukhruf): فلما جاءهم بآياتنا ادا هم منها يضحكون „Als er dann mit unseren Zeichen zu ihnen kam, hatten sie nichts Eiligeres zu tun, als darüber zu lachen“. Sie wollten durch ihren Spott ihren Anhängern zeigen, dass sie fähig sind, die Wunder der Propheten zu entlarven, und dadurch beweisen, dass diese Propheten bloß Magier, Lügner und Betrüger sind.

Das Lachen als Freude im Jenseits ist Thema des 39. Verses der 80. Sure:وجوه يومئذ مسفرة ضاحكة مستبشرة  „[…] die lachen und fröhlich sind“. Diese lachenden Gesichter werden im Gegensatz zu den schwarzen, unglücklichen erwähnt. Hier wird die Dimension des Glanzes implizit erwähnt.

In der 82. Sure haben wir das Lachen chronologisch gesehen, ein Lachen der Sünder, die über die Gläubigen lachten (Vers 29): إن الدين أجرموا كانوا من الدين امنوا يضحكون  „Die Sünder lachten (zeitlebens) über die Gläubigen“, und fünf Verse weiter erlebt der Leser einen Sprung in die Zukunft, um zu sehen, wie sich die Lage zugunsten der Gläubigen ändert: فاليوم الدين امنوا من الكفار يضحكون „Heute [d.h. am Tag des Gerichts] lachen nun (umgekehrt) die Gläubigen über die Ungläubigen“.(5) Der letzterwähnte Vers gibt den Gläubigen Hoffnung, und sie leben in dieser optimistischen Dimension. Den Vers kann man als Lösung eines inneren Konflikts sehen: der Gläubige akzeptiert mit einer gewissen Resignation sein Scheitern, seine Unentwicklung, seine Niederlagen, in der Hoffnung, dass er das ewige Glück nach dem Tod genießt, ganz gemäß dem Sprichwort „Rira bien qui rira le dernier“ („Wer zuletzt lacht, lacht am besten“). Denn das irdische Leben ist nur provisorisch, und nur naive Leute erkennen diese Wahrheit nicht.

Die Araber meinen, dass das Lachen und das Weinen Eigenschaften der Menschen sind. Ihnen zufolge lacht zwar auch der Affe, aber er weint nicht, und es weint zwar auch das Kamel, aber es lacht nicht. Youssef ben Hassan berichtete über die Frage an Taher Al maqdissi, ob die Engel auch lachen, und erzählte, dass sie nicht mehr gelacht haben nach der Schöpfung der Hölle, so schlimm sei diese Strafe.

Im selben Zusammenhang können wir auch erwähnen, dass der Prophet Mohammed nach der Offenbarung des folgenden Verses nicht mehr gelacht(6), sondern nur noch gelächelt hat:ا فمن هدا الحديث تعجبون وتضحكون و لا تبكون „Wundert ihr euch denn über diese Verkündigung und lacht (darüber), statt zu weinen (und weint nicht)“. (An-najm)

 


Fußnoten:

1 Said Qotb: fi delal Al Quran,  Bd. 3, S. 1682.
2 AL Qortobi: Kairo 1961,  Bd. 8, S. 216.
3 Ebenda.
4 Al Qortobi, Kairo 1961.
5 Ebenda 1962, Bd. 9, S. 66.
6 Ebenda 1964, Bd. 13, S. 169.

1.9. Lachen und Ernst

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For quotation purposes:
 Khalid Lazaare Das Lachen und seine Dimensionen im Koran: - In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/1-9/1-9_lazaare.htm

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