TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr. März 2010

Sektion 2.1. Sprachen und kulturüberschreitende Vorstellungsbildungen
Sektionsleiter | Section Chair: Csaba Földes (Veszprém / Ungarn)

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Neutralisierungsstrategie und Invarianzphänomen beim Dolmetschen

Zuzana Bohušová (Matej-Bel-Universität, Banská Bystrica, Slowakei) [BIO]

Email: zuzana.bohusova@umb.sk

 

1. Einführung

Den Ausgangspunkt der nachstehenden Ausführungen über die interkulturelle und translationsgeprägte Kommunikation bildet die zentrale Opposition kulturell unmarkiert vs. kulturell markiert, wobei ich mich auf die von Dolník in seinen Aufsätzen 2006 und 2007 veröffentlichten theoretischen Explanationen stütze, da sie für dieses dolmetschspezifische Thema verwertbar sind.

Im Rahmen der Kulturopposition ist die Sprache der primäre Indikator der kulturellen Fremdheit des Kommunikats/Translats, das auf Grund dessen in die Klasse der interkulturell oppositiven Kommunikate eingeordnet wird (vgl. Dolník 2007b). Die erwähnte Opposition enthält eine Evaluierungskomponente in sich und ist abstufbar zu verstehen, also als eine Achse mit möglichen Graden der Markiertheit. Im vorliegenden Methodenansatz wird das aktive Erkennen der Funktionalität (oder Funktionslosigkeit) von markierten ausgangssprachlichen Äußerungen sowie auch die funktionale Neutralisierung der obigen Opposition vorausgesetzt. Dies entspricht dem Anliegen der Translationswissenschaft, darunter auch der Dolmetschwissenschaft, die Dolmetschhandlung als bewusst gesteuerte, gezielte und konzeptuelle Tätigkeit zu bewerten. Einer der wichtigsten Steuerungsfaktoren der translatorischen Tätigkeit ist das Festlegen der optimalen Proportion zwischen den unmarkierten und markierten Erscheinungen im Translat; daraus ergibt sich, dass die zielgerichtete Kultiviertheit der translatorischen Kompetenz in Verbindung mit dem zu entfaltenden Evaluationsmechanismus das Ziel der Dolmetschdidaktik darstellt. Dieser bezieht sich auf die Oppositionen

kulturell unmarkiert vs. kulturell markiert,
standardisiert vs. individualisiert
eigen vs. fremd

Die translatorischen Lösungen der interkulturellen Kontraste sind demnach abhängig von der Orientierungskompetenz des Translators, hier Dolmetschers, im Komplex der situativen, pragmatischen, kommunikativen, rhetorischen, sprechsprachlichen und ästhetischen Standardisierungen und Individualisierungen (vgl. Dolník 2007b). Der vorliegende linguistische Methodenansatz ist also ein weiterer Versuch, so geprägte Entscheidungsprozesse beim Dolmetschen zu erörtern.

In den Erklärungen wird von den Neutralisierungen der kulturellen, darunter der plurizentrischen, stilistischen, substandarden usw. Marker/Markiertheit ausgegangen; die Argumentationen gehen auf die Annahme zurück, dass diese Problematik ein bedeutungsvolles Erkenntnispotenzial auch für die Translationswissenschaft aufweist. In den Mittelpunkt der Ausführungen rückt die interdependente Beziehung zwischen der dolmetschspezifischen Strategie der Neutralisierung einerseits und der Invarianz des Ausdrucks andererseits. Dabei wird auf folgende Fragenstellungen eingegangen:

 

2. Wesen der Neutralisierung beim Dolmetschen

Die Neutralisierung beim Dolmetschen wird für eine kognitive produktive Automatisierungstaktik gehalten, also eine solche Strategie, die eine mentale Auswertung der inhaltlichen und situativen Kontextes, automatische Ausscheidung von nicht verdolmetschbaren oder in der Zielkultur bzw. konkreten Dolmetschsituation nicht geeigneten, d.h. merkmalhaften Faktoren und das Finden eines adäquaten, merkmallosen Äquivalents mit einbezieht Auf diese Problematik wird im Rahmen dieses Aufsatzes durch die der Invarianz eingegangen.

In den früheren Aufsätzen (Bohušová 2007a, 2007b) habe ich die Problematik der funktionalen Neutralisierungen beim Dolmetschen mit Hervorhebung folgender Aspekte angerissen:   

Die Neutralisierungen werden für Strategien gehalten – also für solche fundierte Entscheidungsprozesse, die als Präferenzen realisiert werden: Der Dolmetscher zieht in seinen Entscheidungen eine Alternative mehreren möglichen vor. Auf dieser Grundlage entstand die Notwendigkeit, auch die Relation zwischen der Neutralisierung und der Invarianz zu berücksichtigen und zu erklären, weil die Alternativen auch als Varianten bewertet werden könnten.

Prinzipiell ist der hier vorgestellte Methodenansatz ein linguistischer (die Linguistik brachte die Markiertheitstheorie in die Translationswissenschaft, vgl. Dolník 2007a), aber es wird auch von der These der Autorinnen Müglová – Malá ausgegangen (2002: 51): „Der Erfolg der Translation wird durch die Kategorien Invarianz, Äquivalenz und Adäquatheit bewertet. Der Inhalt des Begriffs Invariante ist in der Übersetzungswissenschaft ein anderer als in der Linguistik.“ (aus dem Slowakischen übersetzt von Z. Bohušová) Das bedeutet, dass der Begriff der Invarianz (Unveränderlichkeit) in der Translationswissenschaft eine weitere Bedeutung erlangte Der maßgebende Umstand ist dabei der invariable Kontext – vgl. Ausführungen im Teil 3.

Bei den Neutralisierungen hat man mit Merkmalen zu tun, die vorhanden oder nicht vorhanden sind bzw. im gegebenen Kontext als irrelevant erscheinen. Im letzten Falle geht es um die Neutralisierung der Opposition, wenn das merkmallose Oppositionsglied die Funktion des invarianten Elements auf sich zieht. Das bedeutet, dass das unmarkierte Glied die Absenz oder Nichtexistenz eines Merkmals nicht evozieren kann (vgl. Ludwig 2001: 402nn)

Potenziell neutralisierbar sind in einer Dolmetschsituation:

  • stilistische Merkmale (z.B. Substandard, Metaphern, historische Ausdrücke, Jiddisch, Umgangsprachlichkeit, Expressivität usw.),
  • Konnotationen,
  • Zugehörigkeit zu einer Existenzform der Sprache aus soziolinguistischer Sicht, hierzu vgl. u.a. Huťková 2007: 186 ff,
  • plurizentrische Elemente,
  • psychologisch-empathische Elemente (vgl. Kadric – Kaindl – Kaiser-Cooke 2005: 41f, Bohušová 2007b: 94),
  • Metasprache,
  • landeskundliche, ethnoverankerte, traditionsträchtige Merkmale,
  • zu einer anderen Sprache als AS oder ZS zugehörige Ausdrücke, z. B. das expandierende Englisch,
  • defekte Formulierungen in spontanen Reden und viel mehr

Tab.1: Neutralisierbare Merkmale

 

Zu den einzelnen Punkten vgl. die Exemplifikationen und Beispiele in der unten stehenden Tabelle Nr. 4.

Eine Summe dieser und ähnlicher textueller Faktoren ist im Dolmetscheinsatz vom inhaltlichen und situativen Kontext abhängig; das dolmetschwissenschaftliche Objekt ist bekanntlich nicht nur Text, sondern Text-in-Situation. In der Dolmetschsituation ist es unentbehrlich, den sprachlichen Einheiten oder Aussagen in einer minimalen Zeitspanne den Status der Markiertheit oder Unmarkiertheit zuzuordnen. Dabei ist wichtig, die zweifache Funktionalität zu betonen: Einerseits sind es die funktionalen oder funktionslosen zu neutralisierenden Merkmale des AT, andererseits ist es die funktionale Neutralisierung an sich – also die Identifizierung des Merkmals und eine zweckmäßige Ausblendung des betreffenden Markers im Rahmen der Kulturopposition. Das Maß der Neutralisierung hängt von der Funktion des Translats mit besonderer Berücksichtigung der relevanten Umstände ab. 

Die Oppositionen entstehen beim Dolmetschen nach den in der Tabelle 1 angeführten Merkmalen (Kategorien) zwischen einem neutralen Stil und einem anderen oder zwischen Standard und Substandard, zwischen einer überregionalen und einer regional stark verankerten Einheit, zwischen einer globalisierten (multikulturellen) und einer individuellen Einheit usw. Das erste Glied dieser Oppositionen ist merkmallos, das zweite merkmalhaft.  

Der Akzent des Sprechers des Ausgangstextes – sei es ein plurizentrisch-standarder, substandarder (dialektal gefärbte Aussprache) oder fremder, der die Herkunft und den Idiolekt des Redners andeutet – ist ein Merkmal, der unumgänglich zu neutralisieren ist, denn es hat kein äquivalentes phonetisches Mittel in der Zielsprache. Mit den plurivarianten lexikalischen Markern der Austriazismen oder Helvetismen, also mit der Zugehörigkeit des Ausgangstextes zu einer der Varietäten der deutschen Sprache, ist es vergleichbar – es mangelt an entsprechenden zielsprachlichen Mitteln (vgl. Beispiele in der Tabelle Nr.3). Die inhaltlich-formalen interlingualen Neutralisierungen sind dann eine natürliche Konsequenz der Differenzierung: Deutsch als plurizentrische Sprache vs. eine monozentrische Sprache (z.B. Slowakisch). Die unten angeführten Beispiele illustrieren ein breites Spektrum an Ausnutzungsmöglichkeiten, weil sie den alltäglichen Wortschatz, Fachlexik (hier Rechtssprache) und Höflichkeitsfloskeln repräsentieren:

dt. Aprikosen – österr. Marillen – slow. marhule
dt. Weinschorle – österr. Gspritzter – slow. vínny strik
dt. Führungszeugnis – österr. Strafregisterauszug – schweiz. Leumundszeugnis – slow. výpis z registra trestov
dt. Hallo! – österr. Servus! – schweiz. Grüezi! – slow. Ahoj!

Tab.2: Plurizentrische Beispiele
(Bei dieser Übersicht sei angemerkt, dass viele deutsche Einheiten expandieren und schrittweise einen überregionalen Verwendungsstatus erreichen können.)

 

Vor dem Hintergrund auslandsgermanistischer Skepsis bezüglich der Relevanz der österreichischen Sprachvariante für den DaF-Unterricht oder für das Germanistikstudium sei in diesem Abschnitt ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es Pro-Argumente reichlich zu finden sind.

Bei der Erörterung der Beziehung zwischen der binnendeutschen und z.B. der österreichischen Variante der deutschen Sprache bietet sich als geeignetes Instrument die Gegenüberstellung beider Varianten im Rahmen einer Opposition und die Bestimmung des unmarkierten und des markierten Oppositionsgliedes an: Die österreichische bzw. schweizerische Variante ist ohne Zweifel das merkmalhafte Glied.

Opposition 

Deutsch vs. Österreichisch
Deutsch vs. Schweizerisch
Markiertheit 
+
+

Tab. 3: Oppositionen des plurizentrischen Deutsch

 

Dies würde bedeuten, dass die binnendeutsche Variante infolge der Neutralisierung der Opposition als die pragmatischere, von der Funktion her allgemein gültige und majoritäre Sprachvariante der deutschen Sprache ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt. Auch hier gilt, dass das unmarkierte Glied an sich auf die Existenz des markierten nicht deuten kann.

Die Voraussetzung dafür ist eben die bereits erwähnte Neutralisierung der Opposition wegen situativer, kommunikativer oder anderer sprachinterner oder -externer Faktoren. Geschieht sie aber nicht, bietet das markierte Oppositionsglied weitere kreative Möglichkeiten im Rahmen der einheimischen, kontrastiven oder fremdsprachenzentrierten Forschung, weitere plurizentrische Berührungspunkte und interkulturelle Parallelen, spezifische Blickwinkel und neue Perspektiven für den Umgang mit der Sprache und Kultur sowie einen pragmatischen Zugang zur Nachbarsprache usw. Dies sind dann akzeptable Gründe, die Neutralisierung – wenn möglich – zu meiden. Betroffen davon sind z.B. der rezeptive Bereich im Rahmen des DaF-Unterrichts oder die Auswahl der Ausgangstexte für das Dolmetschtraining, wobei nicht an die Produktion, sondern lediglich um die Aperzeption der plurizentrischen deutschen (Aus)Sprache mit dem Ziel Respektieren, Verstehen, Kommunizieren gedacht wird.

Die nachstehenden Beispiele verfolgen das Ziel, den praktischen Gegenpol zu allen theoretischen Ausführungen zu bilden und die Möglichkeiten oder Notwendigkeit der Neutralisierungen zu illustrieren. Sie sind einsprachig – nur Deutsch – ohne die slowakischen oder anderssprachigen Äquivalente, welche nur individuelle Varianten oder Alternativen der Verdolmetschung sein könnten. Die Tabelle enthält markierte Einheiten mit einem expliziten Marker Die Äußerungen oder Lexeme sind authentisch und wurden einigen spontan gehaltenen Reden* entnommen.

Ausgangstext

Merkmal

Das Erlernen der Schlagfertigkeit können Sie mit der Grammatik der deutschen Sprache vergleichen. Sie sagen vollkommen korrekt „Ich habe gespielt.“ und nicht „Ich habe gespielen“. Andererseits sagen Sie korrekt „Ich habe geholfen“ und nicht „Ich habe gehilft“.

Ich denke mir inzwischen nur noch das Wort „Lösung“ und schon beginnt sich mein Gefühl zu ändern. Es ist interessant, welche Wirkung dieses Wort hat. Wenn Sie es übrigens einmal genauer anschauen, sehen Sie, dass darin das Wort „lösen“ steckt. Sie lösen sich vom Problem.

Metasprache bzw. auf eine Sprache bezogene Äußerungen, Sprachspiel

Haben Sie eigentlich Tomaten auf den Augen? Das steht doch geschrieben…

Das ist ein völlig undurchdachter Käse, was da erzählt wird…

Stil: Idiome, Metaphern, Umgangsprachliches

Fast jede erwähnte Technik können Sie durch Anhängen einer Frage zu einer Power-Feststellungsfrage umfunktionieren.

Eine Hardcore-Methode, die es Ihrem Gegenüber superschwer macht, eine andere als Ihre zu beziehen.

Sie gehen mit Ihrer Clique brunchen. Ein Riesen-Brunchbuffet ist im Restaurant aufgebaut.

Anglizismen, Fremdwörter

Ein junger Bursche mit Rastalocken kam plötzlich verzweifelt ins Postamt.

Ethnomarker

Ossi
Kümmeltürke
Du lebst wohl hinterm Mond!

A: Sie transpirieren unter den Achseln. B: Ich dusche sogar darunter.

Landeskunde, Umgangssprachlich,
pejorativ, direkte Angriffe der Gesprächspartner

Ich begrüße Sie ganz herzlich, ich möchte nicht alle wichtigen Persönlichkeiten, Ministerpräsidenten, Ratsmitglieder, Parlamentsmitglieder…Stellvertreter… Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland Frau Angela Merkel, und ich begrüße Sie ganz herzlich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, dass Sie das Interesse haben an diesem Thema, das kein leichtes Thema ist in diesen Tagen…

defekte Satzkonstruktion (spontan, jedoch funktionslos),
umg. Ausklammerungen

Die EWG, wie sie seiner Zeit noch hieß, ist am Ende. Nicht zuletzt von den Medien, aber auch von der Politik wurde das Totenglöckchen fleißig gebimmelt…

Stil: Metapher

Aber immer hat sie sich wieder aufgerappelt und als tausendfacher Phoenix hat sie sich in eine Erfolgsgeschichte…, sondern…

Konnotation – Mythologie (sich wie Phoenix aus der Asche erheben), Stil: Umgansgspr., (Satzfetzen)

Das Gespenst des polnischen KENTNERs geistert durch Europa, besonders durch Deutschland.

aktuelle ziel- oder ausgangskulturelle Landeskunde, Konnotation (Kentner – das polnische Straßengüterverkehrs-gewerbe, sehr konkurrenzfähig; Anspielung auf die Vorbemerkung im  Kommunistischen Manifest „Ein Gespenst geht um in Europa“) 

Tab.4: Neutralisierungsstellen

 

3. Invarianzproblematik beim Dolmetschen

Die Vorstellung über die Invarianz in der Sprache bildet sich deduktiv und durch ihre Realisierungen – Varianten heraus. Die weiteren Ausführungen bauen auf die Überzeugung, dass die variable Proportion zwischen der translatorischen Akkomodation und Assimilation die Basis der Translationsvariabilität eines jeden Kommunikats darstellt und dass auch die Dynamik der Proportion zwischen der Markiertheit und Unmarkiertheit ein relevanter Faktor der professionellen Kultiviertheit des Translators ist (vgl. Dolník 2006: 19ff, Dolník 2007b). Die Variabilität bereichert die Problematik um die Varianz und somit auch Invarianz.

Die Invarianz ist in der Linguistik ein Explanationsmodell, das auf der theoretischen Ebene das Allgemeine und das Wichtige in der Sprache erörtert, also die Tiefstruktur. Die Entstehung der Varianz ist sprachhistorisch auf die Innovation, d.h. Verletzung der Konvention in aktueller Kommunikationssituation zurückzuführen (vgl. Múcsková 2007: 366f). Die Varianten sind von der Invariante ableitbar und verkörpern Manifestation der Invariante. Dadurch kann die Invariante auch um die sekundären, zusätzlichen Merkmale – Konnotationen bereichert werden.

Die Invariante und die Variante(n) stehen in einer auf Polystruktur (Multidimensionalität) des Textes basierenden Opposition zueinander (Popovič 1975: 77ff). Die schriftliche oder mündliche Übersetzung ist eigentlich eine Übertragung des invarianten semantischen funktionalen Kerns des Kommunikats. Die Existenz dieses Kerns kann empirisch mit Hilfe der sog. Kondensierung der Semantik bewiesen werden. Der semantische Kern ist dann der gemeinsame Nenner der varianten Konkretisierungen, also Interpretationen vom Leser oder Translatoren (Popovič 1975: 276). Während die (semantische) Invariante bei allen Texten (beim Original und bei den Übertragungen) unverändert bleibt, überschneiden sich die varianten Elemente in den Translaten nicht. Sie sind abhängig von vielen individuellen, sprachlichen, stilistischen, kulturellen, kontextuellen und anderen Faktoren.

Bei der bilingualen Kommunikation ist die Situation auch daher komplex, denn

Der letzte Punkt korrespondiert mit den Schlussfolgerungen von Müglová – Malá (2002: 51), dass die Vorstellungsbildung über die Invariante auf Grund des Originals und der Sprechsituation herausgebildet wird. Das wichtigste Bewertungskriterium des Translats ist die funktional-kommunikative Adäquatheit: Das Translat erfüllt in der Zielkultur dieselbe Funktion wie in der Ausgangskultur. Daraus ergibt sich für die Translation, dass nicht die formal-inhaltliche Struktur, also die semantische Komponente, invariant ist, sondern der pragmatische (kommunikative, situative) Kontext. Das optimale Translat – um noch einmal das Optimum an markierten und unmarkierten Elementen zu nennen – erfolgt durch das In-Verbindung-Setzen von allen Komponenten. Die Invariante ist dabei ein dynamisches Phänomen (vgl. Müglová – Malá 2002: 52), dass durch Zusammenspiel folgender Aspekt konstituiert wird:

Die Invariante beim Dolmetschen wird in verschiedenen mündlichen Textsorten unter die Lupe genommen; diese können ganzheitlich markiert sein (z.B. durch die phonetische Markiertheit, also wegen des Akzents/Idiolekts des Sprechenden, welcher seine Zugehörigkeit zur Region oder eine andere Muttersprache andeutet) oder vereinzelte Elemente aus anderen Stilen bzw. Konnotationen aufweisen. Die sog. neutrale Ebene als Ergebnis der Neutralisierung und der Suche nach der Invariante ermöglicht die Kommunikation ohne extreme Abweichungen von den jeweiligen Stilkonventionen (auf Seite des Dolmetschers als Textproduzenten) und ohne auffällige stilistische oder situative Regelwidrigkeiten bzw. ohne subjektive Inhaltsabschweifungen oder -verluste auf Seite des Rezipienten.

Es ist selbstverständlich, dass auch die Neutralisierungen bestimmten Einschränkungen unterliegen, um ein Optimum zu erzielen. Das Auslassen/Ausblenden der Attribute jeglicher Art ist auf den redundanten Charakter der Sprache zurückzuführen. Auch andere produktive Dolmetschstrategien – z.B. Komprimieren, Generalisieren, Selektion – basieren auf der analogen Unterscheidung des Relevanten vom Irrelevanten. Diese Erkenntnis korreliert mit der natürlichen Fähigkeit des Menschen solche Inhalte wahrnehmen und verstehen zu können, die bekannt oder vorher prognostizierbar sind. Die Prädiktabilität (Vorhersagbarkeit, Antizipieren) kennzeichnet das menschliche Sprachverhalten.

 

4. Gegenseitige Dependenzen beider Phänomene 

Auf Grund der oben angeführten Ausführungen ist es unmöglich, eines der Oppositionsglieder für die Invariante zu halten. Konkrete markierte oder unmarkierte Realisierungen können als Varianten von der gleichen oder einer divergierenden Invariante abgeleitet werden. Auf Grund ihrer konkreten Manifestationen und der menscheneigenen Deduktion über die inhaltliche Invarianz bildet man sich eine gewisse Vorstellung über abstrakte inhaltliche Invariante. Das unmarkierte Oppositionsglied definiert sich – wie bekannt – durch eine höhere Frequenz, einfachere Struktur und eine intensivere Varianz (vgl. Ludwig 2001: 403), die den Zugang zur invarianten Vorstellungsbildung erleichtert. Die semantische Invariante steht zu jeder Variante in einer Opposition, im Rahmen dieser speziellen Opposition ist die Invariante als unmarkiert zu werten, alle Varianten sind markiert.

Darüber hinaus ist beim Dolmetschen mit einer immanent bilingualen Kommunikationssituation zu rechnen. Das Dolmetschen schließt

Je vollkommener die Aperzeption der Invariante ist, desto effektiver werden die Entscheidungen des Dolmetschers durch die dolmetschspezifischen Strategien unterstützt. Die Strategie der Neutralisierung ist auf diesem Hintergrund eine relevante.

Gemessen am invarianten Status des situativ-funktionalen Kontextes des Dolmetschens ist es nicht eindeutig, welches Translat – kennzeichnend durch intensive Neutralisierungen oder umgekehrt bereichert um äquivalente Merkmale bzw. zusätzliche Erklärungen – „geeigneter, kommunikativer und besser“ ist. Analog dazu besteht keine Möglichkeit auf Grund dieses elementaren Zuordnungsprinzips den Grad der dolmetscherspezifischen Fundiertheit zu bestimmen. 

 

5. Zusammenfassung und Ausblick des Themas

Im Rahmen des vorliegenden Themas haben sich drei Typen von Neutralisierungen der formal-inhaltlichen Markiertheit beim Dolmetschen herausgestellt:

Die Kommunikationssituation determiniert auf eine signifikante Art und Weise die Auswahl der Strategien und zielsprachigen Mittel bei der Translatsproduktion. Für den nächsten Forschungsschritt erscheint als angebracht, die quantitativ-qualitative Evaluierung des Translats vorzunehmen – und zwar unter besonderer Berücksichtigung des Varianzphänomens, der Erfüllung des Kommunikationsziels, der Sprachökonomie und -redundanz beim mündlichen Translationsprozess sowie der Vermittlung der inhaltlichen Varianten.

Eine Anmerkung zum Titel dieses Beitrags – und somit schließt sich der Kreis: In der Überschrift werden einige Aspekte der untersuchten Erscheinungen explizit genannt – die Neutralisierungstrategie evoziert etwas Dynamisches, einen  Prozess der zielgerichteten Tätigkeit des Dolmetschers, dagegen aber das Invarianzphänomen benennt etwas sich Ergebenes, eine  unabhängig von Willen oder absichtlichem Handeln des Menschen existierende Eigenschaft des natürlichen Sprachgebrauchs. Auf die sprachlichen Phänomene wie Invarianz und Varianz, Sprachökonomie und Redundanz usw., die erkannt und ausgenützt werden, bauen folgend sinnvolle und effiziente dolmetschspezifische Strategien beim fundierten Dolmetscheinsatz auf.  

 

Literatur:

 


Anmerkungen

* Die angeführten Beispiele aus der aufgenommenen Rede Das NonPlusUltra der Schlagfertigkeit und dem WDR-Europa-Forum sind demnächst Bestandteile der Diplomarbeit meiner Fernstudentin Soňa Škorecová, die Verteidigung findet im Frühjahr 2008 an der Matej-Bel-Universität in Banská Bystrica, Slowakei statt.


2.1. Sprachen und kulturüberschreitende Vorstellungsbildungen

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For quotation purposes:
AZuzana Bohušová: Neutralisierungsstrategie und Invarianzphänomen beim Dolmetschenl - In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/2-1/2-1-_bohusova17.htm

Webmeister: Gerald Mach     last change: 2010-03-14