Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 17. Nr. | März 2010 | |
Sektion 2.1. | Sprachen und kulturüberschreitende Vorstellungsbildungen Sektionsleiter | Section Chair: Csaba Földes (Veszprém / Ungarn) |
Zur Problematik von transkultureller Kommunikation,
Transkulturalität und Transdifferenz
Ein transdisziplinärer Lösungsansatz
Annikki Koskensalo (University of Turku, Finland) [BIO]
Email: ankoske@utu.fi
Abstract:
Die Globalisierung beeinflußt nachhaltig sozio-ökonomische, technologische, politische und kulturelle Prozesse, welche sich wiederum auf Wissenschaft, Kunst und alltägliche Lebensformen in nationalen Gesellschaften auswirken. Der klassische Kulturbegriff a la Herder ist revisionsbedürftig bzw. sogar obsolet geworden. Daher müssen Kategorien entwickelt werden, die dazu befähigen, das zu beschreiben, was kulturelle Globalisierung (vgl. Kühberger 2007: 27 u. 32) für die Existenz und Evolution aktueller Lebensformen darstellt. Anstatt Authentizität, Uniformität und Homogenität sind Begriffe wie Konnektivität, Transkulturalität und Transdifferenz getreten. Kulturen sind neuerdings als dynamische Netzwerke bestehend aus diversen, aufeinander verweisenden Elementen zu verstehen. Die Existenz von Kulturen ist vital-entscheidend davon abhängig, inwiefern und ob es gelingt, zwischen diversen Elementen, Deutungs- bzw. Symbolsystemen und Wertekatalogen permanent Verknüpfungen herzustellen. Methodologisch kann mittels Transdisziplinarität diese komplexe Problematik gelöst werden.
1. Einleitung
Wenn es in der Europäischen Union (EU) bei der Triade ”Kultur – Denken – Sprache” um grenzüberschreitende, kulturübergreifende Kommunikation und vermittelte Vorstellungsbildungen unter dem EU- Sprachpolitik-Motto ”Vielfalt in Einheit” ernsthaft gehen soll, dann kommen automatisch Begriffe wie transkulturelle Kommunikation, Transkulturalität, Transdifferenz und Hybridität ins Spiel. Diese Begriffe sind jedoch problematisch, weil teilweise theoretisch wie methodisch nicht ausgereift, abgeklärt und operationalisiert. Ein potentieller Lösungsansatz besteht darin, mit einem transdisziplinären Projekt-Team zunächst den Theorie- und Forschungsstand zu eruieren, d.h. Forschungsdesiderata festzustellen, sich auf gemeinsame Definitionen dieser Begriffe zu einigen, Problemlösungen zu diskutieren, entwickeln und umzusetzen. Es geht um die Entwicklung einer europäischen Kulturgrammatik bzw. Identität (bei Wahrung der eigenen nationalen), transkulturellen Kompetenz, Pädagogik und Didaktik. Diese Ziele sollen beitragen, im europäischen Haus gegenseitigen Dialog, gegenseitiges Kennenlernen, Verstehen, gegenseitige Toleranz und Akzeptanz, ein verbessertes Miteinanderleben und Zusammenarbeiten zu ermöglichen. Denn es kann nicht sein, dass Derrida zufolge dem Menschen qua Sprache und Denkvermögen keine andere Logik ausser der binären zugänglich ist (vgl. Bormann 2001:23), wenn zusätzlich transdifferentes bzw. transversales Denken zwischen europäischen Ländern und Kulturen hochaktuell ist. Im Hauptteil des Beitrages wird vorerst der Zusammenhang der Triade Kultur-Denken-Sprache dargestellt. Danach werden wichtige Begriffe wie Transkulturalität, Transdifferenz, Hybridität, transkulturelle Kommunikation und Transdisziplinarität damit verknüpft und aus differenztheoretischer Sicht (vgl. Reckwitz 2006:1ffonline) erörtert.
2. Hauptteil
2.1 Zum Zusammenhang der Kultur-Denk-Sprach-Triade
Diese Triade beschäftigt schon lange die Sprachwissenschaft und verwandte Disziplinen. Ihre Leitbegriffe Denken, Kultur (vgl. Ruthner 2008:10ff) und Sprache spiegeln die interdisziplinäre Besetzung jener geisteswissenschaftlichen Disziplinen wider, welche durch den „cultural turn“ ihr Selbstverständnis als Kulturwissenschaften ausgedrückt haben. So orientiert man sich in der Forschung verstärkt daran, dass wegen der engen Verflochtenheit von Kultur, Sprache und Kommunikation bei Sprachhandlungen kulturspezifische bzw. –typische Überschneidungs-&Verschränkungssituationen (Stichwort: Hybridität) ein wechselseitiges Zugrundlegen eigenkultureller Handlungsschemata als Modelle der Interpretation fremdkultureller Kommunikationshandlungen charakteristisch ist. Wenn in der Kommunikation neben Kultur zudem persönliche wie individuumsspezifische, strukturell-kontextuelle (= situationsspezifische) und universielle Parameter eine Rolle spielen, so ist festzuhalten, dass kulturelle Aspekte heutzutage von besonderer Bedeutung sind. Nach der These von Gürses (2003:6online) spielt weniger die Vielzahl von Kultur-Definitionen als die Funktionalität des Kultur-Begriffs eine Rolle, welcher dieser in den letzten 300 Jahren erfüllt hat. Das bedeutet, dass die Funktionen des Kulturbegriffs in den letzten drei Jahrhunderten ziemlich gleich geblieben sind. Wohl aber kann ein Begriff – wie der Kultur-Begriff – in seiner epistemischen Funktion als Zeichen einer epistemischen Ordnung kritisiert werden (vgl. ders.). Gürses (2003:8ff) unterscheidet 1. die Differenz-Identität-Funktion, 2. die Dichotomie-Funktion und 3. die Quasi-Subjekt-Funktion. Gürses (2003:8) schreibt über die Differenz-Identität-Funktion: „ Kulturelle Differenz dient als Paradigma bei der Formulierung jeder Differenz, und jede Differenz wird allmählich auf die Kultur zurückgeführt oder als eine in letzter Instanz kulturelle entschlüsselt: sei es, weil sich der Bereich des Kulturellen per definitionem nahezu auf alles ausdehnt; sei es, weil Kultur der Gegenwert einer ,,zweiten Kultur“ zugeschrieben wird; oder sei es, weil die Artikulation von (auch biologischen) Differenzen als ein kulturelles Konstrukt ,,entlarvt“ wird.“
2.1.1 Zum Sprach-Kultur-Zusammenhang
Nach Knapp/Knapp-Potthoff (1990:62f) gibt es im internationalen Kontakt menschliche Verhaltensweisen und geistige, soziale und materielle Schöpfungen, welche von Weltbildern, Glaubenssätzen, Wertvorstellungen, Normen und Konventionen, Interessen und Formen des Denkens, Handelns und Kommunizierens abhängen, die von einer anderen fremden Kultur geprägt sind. Die Begegnung mit anderen Denk- und Verhaltensmustern bzw. das Kennenlernen von fremdkulturellen Schöpfungen können zweifellos bereichern. Aber nicht selten kann fremdkultureller Kontakt zum Problem werden, wenn durch diese Fremdheit das, was selbstverständlich und normal ist, infragegestellt wird, indem diese ganz oder teilweise unverständlich bleibt oder zu Missverständnissen und Konflikten im Umgang mit anderskulturellen Menschen führt.
Die These von der sprachlichen Determination (vgl. Whorf 1956) bzw. sprachlichen Relativität (vgl. Pinker 1994: 59ff) hat sich in der wissenschaftlichen Praxis nicht durchsetzen können (vgl. Ehrhardt 2003: 142ff).
Es kann eine Sprache nur dann adäquat beschrieben und erklärt werden, wenn sie vor dem Hintergrund ihrer Genese als Produkt kommunikativer Bemühungen betrachtet wird. Eine potentielle Verbindung zwischen Sprache und Kultur kann daher wie folgt lokalisiert werden: die Phänomene Sprache und Kultur lassen sich nur dann sinnvoll aufeinander beziehen, wenn man eben nicht auf der strukturellen Ebene stehen bleibt, sondern etwa folgende Intentionen beschreibt: Was macht ein Sprecher, wenn er kommuniziert? Welche Faktoren beeinflussen ihn dabei? Es wird also der Kommunikationsakt selbst untersucht und nicht die Mittel, welche dabei verwendet werden. Wenn also die sprachwissenschaftliche Forschung zum Ziel hat, kulturbedingte Einstellungen, Sicht- und Handlungsweisen, Konventionen und den Einfluß auf die Kommunikation mit anderskulturellen Menschen zu analysieren, dann kann der linguistische Beitrag primär nicht in der Beschreibung von Sprachsystemen liegen, sondern muß die Verwendung von sprachlichen Strukturen in der Kommunikation zum Gegenstand haben. Das heißt, ihr Beitrag muß auf den Begriffen sprachwissenschaftlicher Forschungen aufbauen, welche die Bedingungen für das Zustandekommen von kommunikativer Verständigung untersuchen und die Strukturen einzelner Sprachen als Mittel betrachten, diese Verständigung zu erreichen (vgl. ders. 146).
2.2 Zum Sprach-Kultur-Kommunikations- und Denk-Zusammenhang
In der inter-&multi-&transkulturellen Kommunikation besitzt die Sprachstruktur weniger im Gegensatz dazu aber die Unsicherheit in der Verwendung bzw. im Verständnis einer Fremdsprache mehr Gewicht. Eine entscheidende Rolle spielen etwa stereotype Vorstellungen über eine andere Kultur. Ein Sprecher, welcher die wörtliche Bedeutung einer Äußerung nicht richtig versteht oder nicht zu verstehen glaubt, interpretiert das Gehörte mit großer Wahrscheinlichkeit auf Basis seiner Annahmen über die Fremdkultur und bewirkt somit eine Selbstbestätigung und –verstärkung von Stereotypen (vgl. ders. 155f.). Die Abbildungen 1 (Kodieren/Dekodieren-Modell) und 2 („cultural circuit“-Modell) (beide Modelle von Stuart Hall) (s.Abb.1u.2) werden hier als bekannt vorausgesetzt und daher nicht näher beschrieben.
Programm als "sinntragender Diskurs" |
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kodieren Bedeutungsstrukturen 1 |
dekodieren Bedeutungsstrukturen 2 |
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Wissensrahmen |
Wissensrahmen ------------------------- Produktionsverhältnisse ---------------------------- Technische Infrastruktur |
Abb 1: Das Kodieren / Dekodieren-Modell Stuart Halls
Quelle: Hall, Stuart (2004): Identität, Repräsentation. Ausgewählte Schriften 4, Hamburg: Argument, S.66-80
Abb.2: Stuart Halls "cultural circiut" |
Marchart (2005: 27ff) vertritt die These, dass die innerdisziplinäre Ausdifferenzierung in eine sozialwissenschaftliche Kommunikationswissenschaft und kulturwissenschaftliche Medienwissenschaften eine inhaltliche Bereicherung darstellen kann. Denn die prinzipielle oder basistheoretische Modelldifferenz der beiden Subdisziplinen wie einerseits der kommunikationswissenschaftliche transmission view of communication (J. Carey) und andererseits der kultur&medienwissenschaftliche ritual view of communication ist zwar wie gesagt eine Differenz aber zugleich auch Komplementarität (vgl. ders. 27). Diese Binnendifferenz ist eine Chance oder sogar eine Stärke (vgl. ders. 31). Marchart (2005:31) spricht sich für eine kuratorische und selbstbewusste Pflege einer inneren Differenzierung von Kultur und Kommunikation aus.
Die Abbildung 3 (s. unten) versucht einen Zusammenhang zwischen Kulturalität, ihrem jeweiligen Kulturbegriff, Paradigma, ihrer jeweiligen Denkweise und methodologischen Herangehensweise darzustellen.
Kulturalität (K.) |
Kommunikation (Komm.) |
Kultur-Begriff |
Paradigma |
Denkweise |
Methodologie |
Inter-K. |
Interkulturelle Komm. |
eng/weit. |
Differenz (D.) (statisch) (Eigenes/Fremdes) |
Dualismus (binäres Denken) |
Inter-Disziplinarität |
Multi-K. |
multikulturelle Komm. |
eng/weit |
Differenz (D.) (Modus des Entweder/Oder) |
Dualismus (binäres Denken) |
Multi-Disziplinarität |
Hyper-K. |
hyperkulturelle Komm. |
entgrenzt (räumlich/zeitlich), additiv, (Konjunktionen, Links, Vernetzungen) |
Rhizom, "zwischen", Kontinuum von Diskontinuitäten, Hertero- & Pluralität |
Defaktifizierung, Fragmentierung, Punktualisierung |
Hyper-Disziplinarität? |
Trans-K. |
transkulturelle Komm. |
weit |
Trans-D. |
Dialektik |
Trans-Disziplinarität |
Abb.3: Zusammenhang von Kulturalität, Kulturbegriff, Paradima, Denkweise und Methodologie (Quelle: A.K., 2007)
Die Denkweisen sind der Reduktionismus, Projektionismus, Dualismus und die Dialektik.
Der Fokus des Beitrags liegt auf der „Trans“-Zeile. Die in dieser Zeile angeführten Begriffe werden in der Folge aus differenztheoretischer Sicht näher behandelt.
2.3. Die Kultur-Denken-Sprach-Triade in Verküpfung mit „Trans“-Begriffen aus differenztheoretischer Perspektive
2.3.1 Transkulturalität
Das Transkulturalitätskonzept von Welsch (1995:44) entwirft ein anderes Bild vom Verhältnis der Kulturen. Nicht eines der Isolierung und des Konfliktes, sondern eines der Verflechtung, Durchmischung und Gemeinsamkeit. Es fördert eben nicht Separierung, sondern Verstehen und Interaktionen. Den Transkulturalitätsbegriff verwendet erstmalig der Kubaner Fernando Ortiz (1940/ 1970). Der Begriff lebt in den 1990er Jahren in diversen akademischen Disziplinen eine Renaissance (vgl. Reichardt 2006:2 online). Welsch (2000:346) orientiert sich nach dem Kulturbegriff von Ludwig Wittgenstein, welcher prinzipiell pragmatisch ist. So kommt es darauf an, miteinander zurechtzukommen bzw. eine gemeinsame Lebenspraxis zu entwickeln und miteinander zu teilen (vgl. ders). Differenzen kommen im Transkulturalitätstheorem nicht mehr wie bei einem Mosaik durch das Nebeneinander klar abgegrenzter Kulturen, sondern zwischen verschiedenen Netzversionen zustande. Die Differenzierungsmechanik ist komplexer, erstmals genuin kulturell geworden. Denn sie folgt nicht mehr geographischen oder nationalen Vorgaben, sondern nur mehr rein kulturellen Austauschprozessen. Bei diesen transkulturellen Netzen ergibt sich eine neue Qualität: eben nicht nur wie früher bloss Differenzen, sondern zugleich auch Gemeinsamkeiten (vgl. ders.: 347). Somit begünstigt dieser neue Differenz-Typ aufgrund seiner Struktur eher Ko-Existenz als Konflikt (vgl. ders.: 348). Welsch (2000:348) schreibt sogar: „Die transkulturell unterschiedlichen Formen sind von den alten Problemen der separatistischen Differenz frei.“ Welsch (2000: 350) sieht gegenüber den Konkurrenz-Konzepten bei seinem Transkulturalitätskonzepten zwei Vorteile:
Dieser normative Entwurf von Welsch will die Unschärfe, die vage Inhalte des interkulturellen Dialogs produzieren, eliminieren. Dabei steht das dynamische konnotierte Präfix trans- für eine Orientierung jenseits jeder Dichotomie, welche das statische Freund-Feind-Bild der Interkulturalität impliziert, die zwischen Eigenem und Fremdem unterscheidet. Gerade dieses Denkmuster entlarvt Transkulturalität als problematisch und versucht es – siehe oben – zu transzendieren. Wenn auch das Elaborat der Bedeutung von Kultur für die humane Ko-Existenz moderner Gesellschaften ist, so stellt in diesem Punkt das Anliegen von Welsch einen Widerspruch dar. Denn sein Modell ist per se eine Hybriditätstheorie. Sein Anspruch auf einleuchtende Klarheit muss daher per definitionem mit der Architektur seines Gedankengebäudes kollidieren (vgl. Reichardt 2006:4fonline).
Aber auch Welsch (2000:460) formulierte dies ähnlich als spezifisch abendländisches Phänomen:
„Die erstaunlich heftige Absage an den Pluralismus in seinen verschiedenen Gestalten verbindet sich mit einer merkwürdigen Sehnsucht nach fester und absoluter Orientierung.“
Welsch (1995:44) war sich schon sehr früh der Problematik seines Konzeptes bewusst, wenn er sagt, dass es Zumutungen gegenüber liebgewonnenen Gewohnheiten wie auch gegenüber der heutigen Realität überhaupt enthält und er schließt wie folgt:
„Im Vergleich zu den anderen Konzepten skizziert er aber den am ehernsten gangbaren Weg.“(ders.)
2.3.3 Transkulturelle Kommunikation:
Das Paradigma der Transkulturalität generiert eine neue Qualität von Kommunikation. Nicht nur zwischen Kulturen, sondern auch zwischen Nationen, Sprachen (vgl. Földes 2005), Institutionen, Medien (vgl. Hepp 2006; Hepp/ Löffelholz 2002) Gruppen und Individuen. Und deswegen ist dieses Theorem für ein gemeinsames Europa mit seiner charakteristischen Einheit in der Vielfalt so interessant. Das Frontmodell von Sundermeier (1996:129f.), welches auf dem buddhistischen Ansatz der Kyoto-Schule rekurriert, ist hier relevant. Der „sunjata“-Begriff der Kyoto-Schule bildet die Beziehung zwischen zwei Dingen ab. Hier wird umgelegt diese Bezeichnung von zwei Kulturen als eine bewegliche Wand gesehen. Die eigene Identität und Konstitution hängt von der Existenz des Anderen ab. Die Wand trennt und verbindet zugleich. Es findet ein Austausch, aber keine Synthese statt. Der Andere wird zum Mitkonstituenten der eigenen Realität. Dieses Verhältnis wird durch Dialog, Erstaunen und Respekt unterstützt (vgl. ders.: 24 u. 132). Wenn zwar transkulturelle Kommunikation auf einer schier unauflöslichen Dialektik von untereinander dissonanten Handlungsbezügen zwischen Eigen- und Fremdkultur(en) beruht, so kann europäische Kommunikation durch das Transkulturalitäts-Paradigma neu gedacht und transdisziplinär weiterentwickelt werden (vgl. Hamberger 2008:218ff).
2.3.3.1 Exkurs: Hybridität:
Hybridität (vgl. Kien Nghi 2005) ist ein Akt transkultureller Kommunikation. Dabei werden kulturelle Phänomene als nomadische Begegnung mit dem Anderen und dem Anderssein und als eine rekodifizierende, innovative Begegnung des Lokalen und Fremden wahrgenommen. Das Hybriditätskonzept ermöglicht essentialistische Reduktionen zu vermeiden, Alterität und Differenz auf einer präfigurierten Ebene freizulegen und als Prozesse von Alterität und differance zu denken (vgl.de Toro et al. 2003:1online). Hybridität ist eine Alternative zu traditionellen Ideen der Singularität und Totalität. Sie betont die irreduziblen Positionen der Differenz und Diversität. Sie bezieht sich anstatt auf binäre Muster auf liminale Konzepte der Dritten Räume und der Grenzüberschreitung (vgl. Kien Nghi 2006: 1online). Kritisch kann aber die interkulturelle Hybriditätsversion als eine postmoderne Neuauflage eines überkommenen Multikulturalismus analysiert werden,. Gleich wie bei seinem Vorgänger ist der Hybriditätsdiskurs nicht frei von essentialistischen Grundlagen und ethnisierenden Stereotypen. Hybridität ist als kultureller Mix beschreibbar, welcher auf stabilen und holistischen nationalen Kulturen beruht, die keine internen Differenzen haben. Diese Externalisierung kultureller Differenz und sozialer Antagonismen produziert ein unterdrückerisches Modell von Kulturidentität und transzentiert keine nationalen und ethnischen Formationen. Die Hybridisierung als Neo-Paradigma dialogischer Imagination und kultureller Harmonie kann weiters die gewalttätige Gegenwart Rassismus und strukturelle Ungleichheiten (Geschlechter, Klassen, sexuelle und kulturelle Identitäten) verschleiern. Hybridität steht bestenfalls konträr zu kulturellen Binärismen und Dichotomien und verstärkt sie. Aber sie hat nur wenig mit Machtkonstellationen und Hegemonien zu tun (vgl. ders. 8).
2.3.4 Transdifferenz:
Gegenwärtig gibt es eine zumindest teilweise Umstellung vom Differenz-Denken (Multikulturalität) auf ein Transdifferenz-Denken (Transkulturalität, Hybridität). Das Konzept der Transdifferenz (Allolio-Näcke/Kalscheuer 2007; Allolio-Näcke/Kalscheuer/Manzeschke 2005) zielt dabei auf die Untersuchung von Ungewissheitsmomenten, der Unentscheidbarkeit und des Widerspruchs, welche in Differenzkonstruktionen auf Basis binärer Ordnungslogik ausgeblendet werden. Demnach soll dieses Konzept es ermöglichen Dasjenige in den Blick zu nehmen, was kognitiver bzw. imaginativer Erfassung durch Differenz-Denken entgeht. Es ist nicht als Überwindung von Differenz bzw. Entdifferenzierung mißzuverstehen, sondern es bezeichnet Situationen, in denen überkommene Differenzkonstruktionen gleichsam ins Schwimmen geraten und in ihrer Validität zeitlich suspendiert werden, ohne dass sie so entgültig dekonstruiert würden. Transdifferenz bezeichnet somit nicht die Überwindung bzw. Aufhebung von Differenz, sondern das Aufscheinen des in dichotomen Differenzmarkierungen Ausgeschlossenen vor dem Hintergrund des polar-Differenten (vgl. Lösch 2005: 26ff). Ein potentieller Vorzug des Transdifferenzkonzepts liegt darin, dass es die Unmöglichkeit eines stabilen Zwischenraumes aufzeigt, gleichzeitig aber im Rahmen des Doing Identity fähig ist zu zeigen, dass die Konstitution von Identitäten sich nicht nur in binären Akten der Festschreibung bzw. des Positioniert-Werdens verdankt, sondern zudem immer einer aktiven und subjektiven Akteurspositionierung, welche das emanzipatorische Potential besitzt, existierende Machtverhältnisse zu verschieben (vgl. Kalscheuer 2007: 16). Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Konzepten der Hybridität und Transdifferenz gilt es zukünftig noch genauer herauszuarbeiten.
2.3.5 Transdisziplinarität:
Diesen Begriff verwendet erstmals Erich Jantsch (1970) auf der Konferenz des Centre für Educational Research and Innovation (CERI) in seinen Vortrag „Towards Interdisciplinarity and Transdisciplinarity in Education and Innovation“ (vgl. Grunwald/Schmidt 2005:5). Transdisziplinarität ist als Sonderform wissenschaftlichen Arbeitens kein Patentrezept. Denn viele Probleme in der Grundlagenforschung können mit traditionellen, monodisziplinären Methoden besser analysiert und erforscht werden. Wenn das aber nicht mehr genügt, dann wird Transdisziplinarität wirksam (vgl. Mittelstrass 2005: 18). Sie begreift Wissenschaft als Projekt- oder Lehr-, Lern- und Forschungsprogramm. Als gemeinschaftliches Konzept von Wissenschaftlichkeit kann sie sich von disziplinären Grenzen lösen, d.h. fächerübergreifenden zusammenarbeiten, ihre Probleme disziplinenunabhängig definieren und disziplinenübergreifend lösen (vgl. Franz Schaller Völker 2004). Genau diese Eigenschaften der Transdisziplinarität könnten der europäischen Sprachpolitik wichtige methodische Grundlagen liefern. Praktisch hinsichtlich Durchführung von transdisziplinären Projekten sind die Aufgabenpakete 1 bis 9 des Handbuches Forschungsverbundmanagement (vgl. Defila/Di Giulio/Scheuermann 2006) abzuarbeiten.
3. Schluss und Ausblick
Es ist zu zeigen versucht worden, daß ein weiter Kulturbegriff im Verbund mit Transkulturalität, Hybridität, Transdifferenz, transkultureller Kommunikation und Trans-Disziplinarität ein gangbarer Weg ist. Eine solche Perspektive in gebotener Kürze begrifflich darzulegen, zu klären und anzubieten, kann nicht nur ein Philosoph wie Welsch (2000: 351) sondern auch eine Fremdsprachenpädagogin (A.K.). Es ist besser, wenn Differenzierungs- stärker als Homogenisierungstendenzen ausgeprägt bleiben. Ansonsten würde der nicht wünschenswerte Zustand einer geistigen Verarmung in Europa eintreten. Es bleibt also nur die Wiederinstallierung und Prologierung ad infinitum des Merkmals der europäischen Mehrsprachigkeit und Kulturalität. Denn von dieser Mehr- bzw. Vielsprachigkeit leitet sich der kulturelle Reichtum Europas ab. Die sollte so bleiben. Allerdings liegt die Lösung dieser Problematik in den Händen der politischen Entscheidungsträgern in ganz Europa.
Verwendete Literatur:
Online-Quellen:
2.1. Sprachen und kulturüberschreitende Vorstellungsbildungen
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Webmeister: Gerald Mach last change: 2010-03-14