Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 17. Nr. | Februar 2010 | |
Sektion 2.3. | Minoritäre Sprachen und Kulturen Sektionsleiter | Section Chairs: Raschid S. Alikajew (Naltschik, Russische Förderation) | Fritz Peter Kirsch (Universität Wien) | George Guţu (Universität Bukarest) |
Gebündelte Information gegen erwünschtes Vergessen.
Die Enzyklopädie der slowenischen Sprache und Literatur in Kärnten.
Erwin Köstler (AdW Österreich)
Email: Erwin.Koestler@oeaw.ac.at
Die Idee zu dieser thematischen Enzyklopädie entstand im Jahr 2005 und geht auf die Initiative der Wiener Slawistin Frau Univ. Prof. Dr. Katja Sturm-Schnabl zurück. Unterstützt wurde sie durch den damaligen Obmann der Balkan-Kommission an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Herrn Univ. Prof. Dr. Johannes Koder, der den institutionellen Rahmen zur Verfügung stellte. Der Antrag wurde im Sommer 2006 beim Österreichischen Wissenschaftsfonds eingereicht und im November desselben Jahres im vollen Umfang gebilligt. Das auf drei Jahre anberaumte Projekt startete am 1. März 2007, Projektleiterin ist Frau Prof. Sturm-Schnabl, durchführende Projektmitarbeiter sind Dr. Michael Reichmayr und Dr. Erwin Köstler, beide an der Universität Wien ausgebildete Slowenisten. In der vorgesehenen Zeit und mit zwei Mitarbeitern ist eine Gesamtdarstellung, die den Zeitraum von den ersten erfassbaren Quellen bis zur Gegenwart umfassen würde, selbstverständlich nicht machbar. Für das nun laufende Projekt war daher eine Beschränkung des behandelten Zeitrahmens nötig. Das Projekt ist somit als 1. Teil eines Gesamtplanes anzusehen, dessen zweiter Teil in einem zu beantragenden eigenen Folgeprojekt zu realisieren sein wird. Teil 1 umfasst den Zeitraum „Von den Anfängen bis zum Jahr 1938“.
Schon im Rahmen der Antragserarbeitung wurden Reisen nach Klagenfurt, Graz, Ljubljana und Maribor sowie an die Studienbibliothek in Ravne na Koroškem unternommen, um das Terrain zu sondieren, einen ersten Informationsaustausch in Gang zu bringen und die Möglichkeiten von Kooperationen auf institutioneller Ebene auszuloten. Dem Projekt wurde von allen Seiten größtes Interesse entgegengebracht, und wir verfügten bereits vor der Antragsstellung über eine offizielle Kooperationszusage des Leiters des Forschungszentrums an der Slowenischen Akademie der Wissenschaften und Künste, Dr. Oto Luthar. Neben den verschiedenen, für unser Projekt wichtigen Instituten des ZRC SAZU aber sind wir schon in dieser Vorlaufphase mit den meisten anderen für den Forschungsbereich wichtigen Institutionen in produktiven Kontakt getreten, so mit den einschlägig relevanten Instituten an den Universitäten Klagenfurt, Graz, Ljubljana und Wien, dem Slowenischen Wissenschaftsinstitut in Klagenfurt, den slowenischen Studienbibliotheken in Klagenfurt und Ravne, der Nationalbibliothek in Ljubljana, dem Institut für Volksgruppenfragen in Ljubljana, dem Volkskundeinstitut Urban Jarnik in Klagenfurt, dem Kärntner Landesarchiv, den Diözesanarchiven in Klagenfurt, Ljubljana und Maribor, dem Landschaftsarchiv in Maribor – um nur einige der wichtigsten zu nennen. Mittlerweile reichen unsere Kontakte von Paris über Moskau nach Toronto. Sie umfassen praktisch alle nationalen und internationalen Institutionen, an denen kompetente Forschung über die Kärntner Slowenen betrieben wird. Derzeit koordinieren wir mehr als 100 externe Mitarbeiter.
Die Kärntner Slowenen sind eine minoritäre Volksgruppe, die erst mit den politischen Veränderungen (Zusammenbruch der Habsburgermonarchie, Gründung des Staates SHS) im staatsrechtlichen Sinn zur Minderheit wurde. Schon vor der Volksabstimmung 1920, die über den Verbleib Südkärntens bei Österreich entschied, waren sie aber einer planvollen Germanisierung ausgesetzt. Das zeigen unter anderem die Statistiken und Volkszählungsergebnisse, die schon oft zitiert wurden und hier nur illustrativ wiedergegeben zu werden brauchen. Schon die frühesten Erhebungen (Czoernig1846, Schematismus Diözese Gurk 1860) zeigen, dass im Gebiet, das später als das autochthone slowenische Siedlungsgebiet in Südkärnten angesehen wurde und in dem von 1945-1958 der zweisprachige Unterricht verpflichtend war, die Slowenen in einem mehr oder weniger geschlossenen Siedlungsgebiet lebten und eine mehr als 95%ige Mehrheit stellten. Bezogen auf ganz Kärnten stellten die etwa 120.000 Slowenen mehr als 1/3 der Gesamtbevölkerung. Die Volkszählung von 1880 wies nach der „Umgangssprache“ knapp 102.000 Slowenen aus, d. i. knapp 86% der Bevölkerung Südkärntens, 26,6% der Kärntner Gesamtbevölkerung. Die Volkszählung von 1890 84.667 Slowenen (nach dem Schematismus der Diözese Gurk betrug die Gesamtzahl 101.000). Nach der Volkzählung von 1900 pflogen 75.136 die slowenische Umgangssprache (d. h. 77,6% bzw. 22,3%, der für die Katechese der Kärntner Bevölkerung in der jeweiligen Umgangssprache wichtige Schematismus spricht von 100.000 Slowenen).So ging es weiter: Volkszählung 1910: 66.463 Slowenen (67,6% bzw. 18,3%, Schematismus: 99.000 Slowenen; eine private Erhebung nach der Muttersprache, die auch das Kanal- und Mießtal erfasste, kam auf eine Gesamtzahl von 135.000). Volkszählung 1923: 37.292 in gesamt Kärnten (Kriterium: die Sprache, in der jemand für gewöhnlich denkt und die er am leichtesten spricht, d. i. 10,1%, davon 36.163 im ethnisch geschlossenen slowenischen Gebiet. Der Kärntner Landeshauptmann hatte ein Jahr vor der Zählung in einem Brief an das Innenministerium von 65.000 Slowenen gesprochen, der Schematismus stellte 1923 82.000 Slowenen fest. Es ist bekannt, dass die Ergebnisse dieser Zählung gefälscht waren: die Volkszählungsbögen wurden z. T. „amtlich korrigiert“ (wozu die deutschnationale Lehrerschaft herangezogen wurde), Bürgermeister, die zu viele Slowenen zählen ließen, wurden abgesetzt, ein Gemeindesekretär wurde aus demselben Grund inhaftiert. Volkszählung 1934: 26.796 Slowenen (nach der Sprache, zu deren kultureller Gemeinschaft sich der Befragte zählt, d. i. 6,6% der Gesamtbevölkerung). Theodor Veiter schätzte damals auf 71.000 Slowenen – eine vergleichbare Zahl ergab eine private Erhebung in 57 Kärntner Gemeinden. Volkszählung1939: 44.708 Slowenen (nur wenige Windische gezählt). Die Nationalsozialisten wollten im Hinblick auf die geplanten Umsiedlungsmaßnahmen möglichst alle erfassen („Sprachslowenen“, „Nationalslowenen“, „Windische“). Die von ihnen eingeführte Praxis, nach allen möglichen sprachlichen Kombinationen zu fragen, wurde bis in die achtziger Jahre beibehalten. Volkszählung 1951: 42.095 Slowenen und „Windische“ (8,9%). Volkszählung 1961: 25.672 Slowenen und „Windische“ (d. i. 5,14% bzw. 22,6% im Gebiet des zweisprachigen Schulwesens). Volkszählung 1971: je nach Auswertung zw. 19.529 und 27.340 Slowenen und „Windische“. Die Volkszählung „besonderer Art“ 1976, eine reine Minderheitenfeststellung, wurde von den Slowenen und Kroaten boykottiert (in Wien gab es damals mehr „Slowenen“ als in Kärnten). Volkszählung 1981: 14.692 Slowenen, 2.343 „Windische“. Volkszählung 1991: ca. 14.000 Slowenen Volkszählung 2001: etwas über 12.000 Slowenen.
Die Frage ist schon oft gestellt worden: Wohin sind die Slowenen verschwunden? Die Antwort wurde ebenso oft gegeben: sie wurden zum einen im Dienste einer repressiven Minderheitenpolitik systematisch weggezählt, zum andern war ihr Bekenntnis aufgrund des massiven Assimilationsdrucks, dem die Slowenen ausgesetzt waren, nicht frei.
Neben diesen Faktoren, die v. a. auf Landesebene wirksam sind, gibt es aber ein „Vergessen“ von staatlicher Seite. Die traurige Ortstafelfrage, die in jüngster Zeit wieder die politischen Kommentatoren beschäftigte, ist nur ein Symptom des Verdrängens, und nicht einmal das dringendste. Es gibt viel zu wenig Information in Schule und Öffentlichkeit, die eine ernsthafte Thematisierung der Ortstafelfrage erst ermöglich würde. Ich selbst z. B. konnte an einer oberösterreichischen Schule maturieren, ohne auch nur eine Ahnung von der Existenz einer slowenischen Volksgruppe zu haben. Dennoch geht es um eine Frage, die den österreichischen Staat in seinem ureigensten Interesse berührt. Die Frage wird gewohnheitsmäßig und mit publizistischer Lässigkeit reduziert auf eine Angelegenheit der Volksgruppen in Kärnten, und man käme auch bei den neuesten Konsensbemühungen zwischen den Slowenenvertretern und dem Heimatdienst gar nicht auf den Gedanken, dass der Staat in dieser Frage irgendeine Bringschuld hat. Es geht aber um die Durchsetzung verfassungsmäßig garantierter Rechte, die bis heute nicht durchgesetzt wurden. Die Frage der Rechte der slowenischen Volksgruppe in Kärnten ist somit eine Frage, die den österreichischen Staat in in seiner rechtsstaatlichen Legitimation betrifft.
Es ist müßig, über den Informationsstand in der Politik zu reden, die ihre eigene Pragmatik im Auge hat. Auch auf akademischer Ebene aber besteht hinsichtlich der Kärntner Slowenen bis heute ein erhebliches Informationsbedürfnis. Diesem Befund scheint zu widersprechen: die beeindruckende Fülle von bereits erschlossenen Quellen, von Primär- und Sekundärliteratur auf hohem wissenschaftlichen Niveau. Dies gilt auch im Hinblick auf die spezifischen Entwicklungsbedingungen der Sprache und Literatur der Kärntner Slowenen, die in zahlreichen Artikeln, Projektstudien, Monographien und Sammelbänden, ja in ganzen Buchreihen kompetent und eindrücklich thematisiert wird. Allein: die seit dem Zweiten Weltkrieg geleisteten Forschungen sind teils schwer erreichbar, teils veraltet, betreffen teils nur Marginalien, teils wurde ihnen nicht weiter nachgegangen, und die erwähnten Buchreihen neueren Datums, für deren Entstehen zu einem erheblich Teil Andreas Moritsch verantwortlich zeichnete, setzen v. a. historische Akzente.
Hier setzt die Enzyklopädie der slowenischen Sprache und Literatur in Kärnten an. Sie ist der Versuch einer ersten repräsentativen Synthese des bislang zugänglichen Wissens zu Sprache und Literatur der Kärntner Slowenen auf hohem Niveau, die nicht nur eine Fülle von faktographischem Material vermitteln und in repräsentativer Weise über die vorhandenen Quellen und die zum Themenbereich erschienene Literatur informieren wird, sondern auch neue Forschungsergebnisse anbieten und zu weiterer Forschung anregen soll. Die Gesellschaftliche Relevanz eines solchen repräsentativen Werks liegt auf der Hand: Sie hebt einen akademisch und politisch marginalisierten gesellschaftlichen Bereich ins Bewusstsein und reagiert damit auf neue Wissenserfordernisse, die die politische Umgestaltung Europas mit sich bringt. Sie erweitert das Bildungsangebot (Schulunterricht, Nachschlagewerk für jeden Interessierten). Sie regt im Idealfall weitere und vertiefende Forschungen an, indem sie einem gesellschaftlich relevanten Problemkreis auch zu gesellschaftlichem Prestige verhilft. Und nicht zuletzt: sie tut etwas gegen die Anonymität der Kärntner Slowenen.
Bevor ich die konkreten Zielsetzungen unserer Enzyklopädie erkläre, muss ich klären, wovon wir sprechen, wenn wir von den Kärntner Slowenen sprechen.
Der Begriff Kärnten bezieht sich natürlich nicht auf die geographische Ausdehnung des heutigen österreichischen Bundeslandes, sondern er steht für ein historisches Gebiet, das hinsichtlich der Grenzen und der verwaltungsmäßigen Zugehörigkeiten mehrmals einem starken Wandel unterworfen war. Dieses historische Kärnten bezeichnet einen geographischen Raum, der neben Südkärnten zumindest das Mießtal, Seeland und das Kanaltal umfasst. Somit müssen die jeweiligen historischen und politischen Gegebenheiten, die für das Verständnis der maßgeblichen geistigen Orientierungen in dieser multiethnisch geprägten Region von Belang sind, berücksichtigt werden.
Hinsichtlich der sprachlichen und literarischen Entwicklung herrschten für alle Slowenen (auch in Krain) die gleichen gesellschaftlichen Bedingungen. In der Reformationszeit wurde die erste überregional rezipierte slowenische Schriftsprache etabliert, an deren Kodifizierung auch Kärntner ihren Anteil hatten, sowohl durch die finanzielle Unterstützung der Bibelübersetzung durch die Kärntner Landstände als auch durch die Teilnahme von Kärntner Slowenen an der zur sprachlichen Redaktion dieser Übersetzung eingerichteten überregionalen Sprachkommission.
Hinsichtlich der Bilingualität herrschten bis zum Ende der Gegenreformation in Kärnten vergleichbare Verhältnisse wie in Krain. Das Jesuitenkollegium in Klagenfurt, von dessen Außenstelle in Eberndorf/Dobrla vas aus die Seelsorge für die Kärntner Slowenen im Jauntal organisiert wurde, widmete sich (wie jenes in Ljubljana und Škofja Loka) auch der Pflege der slowenischen Sprache. In Eberndorf spielten die Jesuiten unter anderem Theater für die ansässige Bevölkerung, in der ehemals protestantischen Spitalskirche in Klagenfurt wurde auf slowenisch gepredigt. Und die Jesuiten hinterließen vor allem auch ein bedeutendes lexikographisches Corpus, etwa mit der erweiterten „Kärntner“ Neuausgabe von Megisers „Dictionarium quatuor linguarum“ (1744, zuerst erschienen 1592) oder mit der Edition des „Deutsch-Windischen Wörterbuchs“ von Oswald Gutsmann (1789), das bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zu den wichtigsten slowenischen lexikographischen Werken überhaupt zählte.
Der beträchtliche Anteil der Kärntner slowenischen Sprache und Philologie an Ausbau und Standardisierung der modernen slowenischen Schriftsprache ist in allen ihren Etappen dokumentiert. Das slowenische Element in Kärnten manifestiert sich auch in der Aufklärung, unter anderem in kaiserlichen Patenten, in der Marktordnung für Klagenfurt, in der Gebrauchsliteratur zu Obstbau, Landwirtschaft, Viehzucht, in Schulverordnungen, Schulbüchern und Katechismen sowie später auch in den Verordnungen Napoleons zur Zeit der illyrischen Provinzen.
In wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive datiert mit der Frühromantik, d. h. mit Urban Jarniks persönlichen Beziehungen zu Bartholomäus Kopitar und zu Moskauer Gelehrten, der Beginn der Dialektforschung in Kärnten. Jarniks Arbeiten über das Gailtal markieren auch den Beginn einer Kärntner slowenischen Ethnologie. Jarnik wird nebenbei als der bedeutendste Lyriker der slowenischen Frühromantik angesehen.
Matija Majar Ziljskis ausgedehnte wissenschaftliche Kontakte manifestiert z. b. sein Beitrag zur ethnologischen Ausstellung in Moskau 1867. Er war ein Vertreter des Illyrismus, pflog enge Kontakte nach Zagreb und schrieb u. a. eine Grammatik, die eine gemeinsame südslawische Kunstsprache etablieren wollte und natürlich wirkunsglos blieb. Der unbequeme Pfarrer, der von einer Pfarre zur andern versetzt wurde, brachte in seinen Kirchen auch kyrillische Aufschriften an.
In den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurde Klagenfurt zum publizistischen und integrativen literarischen Zentrum für den gesamten slowenischen Sprach- und Kulturraum. Die gesammelte literarische Prominenz Sloweniens beteiligte sich schreibend, kritisch oder auch redaktionell an der Kärntner slowenischen Publizistik, bis hin zur literarischen Zentralfigur Fran Levstik, der in Klagenfurt seine programmatischen literarischen Schriften veröffentlichte. Mit Josip Jurčičs Deseti brat (Der zehnte Bruder) erschien 1866 in Klagenfurt der erste echte slowenische Roman.
Nachhaltige Wirkung zeitigte die St. Hermagoras-Gesellschaft (Družba svetega Mohorja), die verlagsgeschichtlich auch im internationalen Maßstab einzigartig dasteht. Diese Gesellschaft brachte es bis 1918 auf über 90.000 Mitglieder und über 16 Millionen produzierte Bücher, weshalb von einer im Wortsinn flächendeckenden Versorgung des gesamten slowenischen Sprachraums mit den Büchern der Mohorjeva gesprochen werden kann. Die Geistlichen spielten eine eminent wichtige Rolle als Organisatoren des sprachlichen und literarischen Lebens der Kärntner Slowenen. Allein aufgrund des durchschlagenden Erfolgs der Mohorjeva ist die weitere Entwicklung der Kärntner slowenischen Literatur eng mit der Tätigkeit dieser Institution verbunden. Die Gründung von Filialen in Celje und Gorica ist nur ein zusätzlicher Beleg für den kulturellen Input der Kärntner Slowenen in den gesamtslowenischen Raum.
Eine selbstverständliche Verbundenheit mit dem slowenischen Zentralraum bis zum Ersten Weltkrieg tritt aber auch für die deutschsprachige Bevölkerung zu Tage, etwa in den wirtschaftlichen und verwandtschaftlichen Beziehungen Villachs zu Krain, dem Küstenland und Kroatien oder in der Tätigkeit des Verlages Kleinmayr, der eine Dependance in Ljubljana und ein Vertriebsnetz für slowenische Literatur hatte. Bekannt ist die Ausbildung des Deutschkärntner Publizisten Vinzenz Rizzi am Lyzeum in Ljubljana, wo die intellektuelle Leitfigur der slowenischen Romantik, Matija čop, zu seinen Lehrern zählte. Markant ist auch der in Kärnten selbst vermittelte Kulturtransfer, der sich zum Beispiel in der bis 1848 selbstverständlichen Einbeziehung des slowenischen Elements in der Zeitschrift Carinthia manifestiert.
Eine politische Trennung bedeutete die infolge des Plebiszits 1920 gezogene Staatsgrenze. Mit dem Verbleib des Gebiets der Abstimmungszone I bei Österreich wurden die dort lebenden Kärntner Slowenen (bei allen schon vorher von deutscher Seite ausgehenden Assimilationsbestrebungen) im staatsrechtlichen Sinn zur Minderheit. Der darauf folgende, behördlich gelenkte aggressive Antislowenismus und der tiefe Spuren hinterlassende Exodus der slowenischen Intelligenz aus Südkärnten bewirkte, dass ein eigenständiges literarisches Schaffen für die nächsten zwei Jahrzehnte nur in eingeschränktem Umfang und teilweise im Verborgenen stattfand. Aber selbst in der Zwischenkriegszeit war die österreichisch-jugoslawische/slowenische Staatsgrenze, was den sprachlich-kulturellen Austausch betrifft, durchlässig, so dass von einer Isolierung oder gar Abkapselung der slowenischen Sprache, Literatur und Kultur in Kärnten von den übrigen slowenischen Kulturzentren nicht die Rede sein kann. Die neue politische Situation verstärkte zwar die Dominanz der herrschenden Ethnie, führte jedoch nicht unmittelbar zu größeren Veränderungen im Sprachgebrauch der Kärntner Slowenen.
Einen tatsächlichen kulturpolitischen Bruch aber bedeutet der Beginn der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Österreich, der mit der Besetzung Jugoslawiens 1941 auch die reale Perspektive einer Eindeutschung Kärntens und weiterer slowenischer Länder eröffnete. Diese wurde mit den ersten Aussiedlungen aus dem besetzten Krain und dem Mießtal im Juni 1941 ins Werk gesetzt und betraf im April 1942 auch die ersten Slowenen im „Reich“. De facto existierte in Kärnten schon bald nach dem „Anschluss“ ein Verbot des öffentlichen Gebrauchs der slowenischen Sprache. Klagenfurt wurde zum Zentrum einer Auslöschungspolitik, die neben Kärnten und Krain ab 1943 auch ehemals italienisch besetzte Gebiete Sloweniens umfasste. Der Aspekt, dass von Klagenfurt aus auch der planvolle Raub slowenischer Kulturgüter administriert wurde, wurde in jüngster Zeit im Zuge der Provenienzforschung auch öffentlich thematisiert, vgl. etwa die vom 10. 12. 2004 bis 27. 2. 2005 gezeigte Ausstellung „Geraubte Bücher“ der Österreichischen Nationalbibliothek. Die an der Universitätsbibliothek Wien befindliche sogenannte „Sammlung Tanzenberg 1951“ dokumentiert die konkrete Dimension des im Nationalsozialismus begangenen Bücherraubs an den Kärntner Slowenen.
Die mit dem „Anschluss“ eröffnete Perspektive der Auslöschung der slowenischen Ethnie und der damit verbundene Bruch in der auf die slowenische Minderheit in Kärnten bezogenen politischen Praxis bildet auch die zeitliche Zäsur im Hinblick auf das beantragte Enzyklopädieprojekt, dessen Gesamtplan die Behandlung der slowenischen Sprache und Literatur in Kärnten bis zur Gegenwart vorsieht, wie gesagt jedoch den Rahmen eines dreijährigen Einzelprojekts deutlich übersteigt. Die Bearbeitung des Zeitraums von 1938 bis zur Gegenwart soll deshalb einem eigenen, nach erfolgreichem Abschluss des ersten Teils geplanten, Forschungsprojekt vorbehalten bleiben.
Was sind nun die Ziele unserer Enzyklopädie und was tun wir, um sie zu erreichen? Vorrangiges Ziel ist, das gesicherte Wissen zum Themenbereich Sprache und Literatur der Kärntner Slowenen in der synthetischen Gesamtschau zugänglich zu machen. In der Auswahl und Gewichtung der Lemmata wird die eigentliche Syntheseleistung dieses Werks, für das es im Bereich der Kärntner Slowenen keinen Vorgänger gibt, bestehen.
Die Gesamtschau erfordert auch einen an Komplettheit orientierten Zugang, der sich einmal in der Schließung faktographischer Lücken, die die bisherigen Forschungen offen gelassen haben, manifestieren wird. Dies kann z. B. eine ganze Epoche betreffen wie den Humanismus, der im Hinblick auf die Kärntner Slowenen noch nicht in irgendeiner greifbaren Publikation aufgearbeitet wurde. Es kann aber auch die Grundlagenforschung betreffen, z. B. frühe urkundliche Nennungen von Eigennamen in Urkunden- und Urbarialbeständen, Registern, Inventaren, Katastern und Einzeldokumenten (sehr zahlreich, nur punktuell systematisch erschlossen). Die Berücksichtigung solcher Quellen kann freilich im Rahmen des Projekts nur summarisch erfolgen. Eide für eine Reihe angesehener Berufe (Stadt-Amtsmann, Weinmesser, Getreidemesser, Salzmesser, Zimmerleute etc.) in slowenischer Sprache relativieren die traditionelle ethnisch-spezifische Qualifizierung „slowenisches Bauernvolk“ und sind sozialgeschichtlich aufschlussreich. Auf den Forschungsbedarf, der nur durch aufwendige und langdauernde Archivstudien gedeckt werden kann, kann freilich nur aufmerksam gemacht werden.
Fast wichtiger als die faktographischen Ergänzungen aber sind die Innovationen, die in der Etablierung von Forschungsansätzen liegen, die im Diskurs um die slowenische Sprache und Literatur in Kärnten im deutschsprachigen Raum bislang wenig oder gar nicht präsent waren. Beispiele sind etwa die Betonung eines komparatistischen Ansatzes für den genannten Zeitraum, die Behandlung der Übersetzungstätigkeit und Kulturvermittlung durch und für Kärntner Slowenen, die explizite Behandlung organisatorischer und literatursoziologischer Aspekte, die Berücksichtigung der Motivgeschichte der Kärntner slowenischen Literatur, die Einbeziehung des in der slowenischen Ethnologie entwickelten Methodeninventars der sogenannten literarischen Folkloristik, die anhand der Kärntner slowenischen Literatur überhaupt einen im deutschen Sprachraum bislang nicht etablierten theoretischen Zugang zu Grundfragen der Literaturwissenschaft eröffnet. Ihrer interdisziplinären Ausrichtung entsprechend wird die Enzyklopädie Erkenntnisse aus dem Grenzbereichen zwischen Literaturwissenschaft und Ethnologie, Sprach- und Sozialwissenschaft integrieren, wird aber auch neuere interdisziplinäre Forschungen, die etwa den Genderbereich betreffen, mit einbeziehen müssen. Schließlich werden (etwa anhand des Begriffs „windisch“) auch begriffsgeschichtliche Akzente gesetzt.
Einen ausführlich beschlagworteten Bereich stellt die organisatorische Tätigkeit der Kärntner Slowenen dar (Vereine, Institutionengeschichte). Nach Möglichkeit sollen hier substantielle, sonst evtl. nur schwer zugängliche, für die weitere Forschung aber wesentliche Sachinformationen zur Verfügung gestellt werden. Dieser Anlage gemäß werden jene Lemmata, die die Beschreibung von Institutionen, Körperschaften, Vereinen, von Verlagshäusern oder auch von Periodika zum Inhalt haben, eine Fülle von Sachinformationen transportieren, die die Organisationsstrukturen, Größe, personelle Besetzung, Auflagenhöhen, Distributionskanäle usw., also literatur- und sprachsoziologisch relevante Daten, beinhalten. Es geht, wenn man so will, um die materielle Basis der Kultur, die sich im Auftreten von Mäzenen (und zu denen gehörten im kulturellen Bereich z. B. auch die slowenischen Kreditbanken in Kärnten) ebenso äußert wie in den politischen Machtverhältnissen in Land und Reich, die im späten 19. Jahrhundert kaum mehr eine slowenenfreundliche, auf die Bewahrung einer öffentlichen slowenischen Sprachpraxis ausgerichtete Politik ermöglichten.
Ein weiterer wichtiger Bereich ist die Wissenschaftsgeschichte. Der Philologie kam spätestens in der Epoche der Romantik eine wichtige nationale Funktion zu. Gerade in der Philologie sind einige wichtige Kärntner Slowenen hervorgetreten. Von Interesse sind natürlich aber auch die regionalen und überregionalen wissenschaftlichen Institutionen, die für die Kärntner Slowenen relevant waren.
Ein weiterer eminent wichtiger und der vielleicht politisch am meisten aufgeladene Themenbereich ist das Bildungswesen, von der Schulpolitik über Bildungsstätten bis zur Bedeutung der utraquistischen Schule für die Kärntner Slowenen. Zu zeigen wird auch sein, an welchen überregionalen bzw. internationalen Einrichtungen die Kärntner Slowenen ihre Eliten über die Jahrhunderte ausbilden ließen.
Neben den genannten thematischen Schwerpunkten wird es aber auch einen Anhang mit wissenschaflticher Dokumentation geben, in dem die für die weiterführende Forschung relevanten Archive, Institutionen und Bibliotheken genannt sind. Auch eine solche Zusammenstellung ist bisher noch nicht gemacht worden, sie wird die Orientierung über relevante Quellenbestände erleichtern und damit eine fördernde Wirkung auf die weiterführende interdisziplinäre Forschung haben.
Ziel dieses mehrschichtig konzipierten, in inhaltlicher wie methodologischer Hinsicht innovativen Nachschlagewerks ist somit eine kompakte Synthese, die aus dem Blickwinkel der historischen und sozialen Entwicklungsbedingungen der Sprachkodifizierung und der verschriftlichten oder mündlichen Überlieferung der slowenischen Literatur die bereits geleisteten Forschungsarbeiten lexikalisch integriert und kritisch bewertet, neue Forschungsergebnisse anbietet und auf Forschungsbedarf hinweist. Als praktisches Nachschlagewerk mit einem umfangreichen wissenschaftlichen Apparat wird es ein unentbehrliches Hilfsmittel für die interdisziplinäre Forschung sein. Über die unmittelbare wissenschaftliche Nutzung hinaus stellt es, etwa im Bereich des Bildungswesens und der Publizistik, eine verlässliche Informationsquelle und eine wesentliche Bereicherung für den gesellschaftlichen Diskurs über eine minoritäre Sprache und Literatur in Österreich und in Europa dar. Damit wird es auch ein Baustein für eine nicht an nationaler Einsprachigkeit orientierte Sprach- und Literaturgeschichte sein.
2.3. Minoritäre Sprachen und Kulturen
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Webmeister: Gerald Mach last change: 2010-03-02