TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr.
Juni 2010

Sektion 2.7. Neue Entwicklungen in der Psycholinguistik / New Developments in Psycholinguistics
Sektionsleiterin | Section Chairs: Elly Brosig (Stuttgart, Germany)

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Sektionsbericht 2.7.

Neue Entwicklungen in der Psycholinguistik

Elly Brosig (Stuttgart, Deutschland) [BIO]

Email: brosig.emk@gmx.de

 

Mit der immer größer werdenden Europäischen Union mit einer multilingualen Bevölkerung und der allgemeinen Globalisierung ist in den letzten Jahren in der Psycholinguistik das Gebiet des Fremdsprachenlehrens und -lernens in den Vordergrund gerückt. Dabei untersucht die Psycholinguistik einerseits die im Gehirn ablaufenden Prozesse beim Sprachenlernen, aber auch angewandte Themen wie das Problem adäquater Übersetzungsmöglichkeiten, wobei ein Wort in verschiedenen Sprachen  verschiedene semantische Bedeutungen haben kann, was zu Problemen in der Interpretation führen kann. Auch  der unterschiedliche kulturelle Hintergrund von  Lehrenden und Lernenden kann zu Kommunikationsproblemen beitragen. Das Ziel der Psycholinguistik auf diesen Gebieten ist, durch empirische Versuche für  Fremdsprachenlehrer, -lerner und Übersetzer die Grundlagen für immer bessere Lernmethoden zu liefern und zu überprüfen. - Solche empirischen Untersuchungen wurden in der Sektion 2.7. vorgestellt.

In ihrem  einleitenden Vortrag How we identify and control different languages (Wie man verschiedene Sprachen identifiziert und kontrolliert) stellte die Sektionsleiterin Elly Brosig  ihr jüngstes Projekt zu diesem Thema vor. - Die Ergebnisse, durch ein größeres Experiment belegt, zeigten, dass geschriebene Sprache eher durch visuelle (d.h. orthographische oder ikonische ), morphologische und ggf. semantische Merkmale identifiziert wird, gesprochene Sprache aber nicht nur durch phonetische, morphologische und ggf. semantische, sondern auch durch prosodische Merkmale. Dies ist gegenüber bisherigen Untersuchungen ein neuer Befund. - Diese visuellen, phonetischen, prosodischen und morphologischen Merkmale sind anscheinend eng verbunden  mit der Sprachmarke (‘language tag’), die ein Wort als z.B. Deutsch, Englisch oder Polnisch definiert. Solch ein ‘language tag’ gehört zu den Eigenschaften eines Wortes wie seine semantische Bedeutung und grammatische Funktion. Das ‘language tag’ mit seinen Merkmalen scheint aber ein von Semantik und Grammatik getrenntes Modul zu bilden, denn man kann eine Sprache nach diesen Merkmalen auch dann identifizieren, wenn man die Bedeutung und Syntax nicht versteht. Die anwesenden Zuhörer, die das Experiment selbst ausprobieren durften, engagierten sich sehr lebhaft an der anschließenden Diskussion.

 In ihrem Vortrag Attitudes and feedback from the relevance-theoretic perspective (Einstellungen und Rückmeldung aus relevanz-theoretischer Perspektive) behandelte Anna Nizegorodcew einen kommunikationspsychologischen Aspekt bei der Kommunikation in einer Fremdsprache. Sie stellte die Relevanz-Theorie als eine pragmalinguistische Theorie vor, die eine Nachricht mit der Situation verknüpft, in der sie geäußert wird. - Am Beispiel einer auf Englisch geführten Email-Kommunikation mit einer Studentin zeigte sie, wie Missverständnisse entstehen können, da die begleitende nonverbale Unterstützung fehlt. Dies ist ein Problem aller schriftlicher,  besonders aber der elektronischen Kommunikation. - Die Zuhörer stimmten dem aus eigener Erfahrung  zu.

Danuta Gabrys-Barker versuchte in ihrem Vortrag Note-taking as evidence of language processing (Notizen als Hinweis auf die Sprachverarbeitung) aufzuzeigen, mit welchen Strategien Studierende die von der Dozentin auf Englisch vorgetragenen Informationen mitschreiben, in der Annahme, dass man daraus die zugrundeliegenden Denkprozesse ableiten kann. In ihrem vorgestellten Projekt wertete sie einen großen Korpus studentischer Auf- schriebe  nach Inhalt, Struktur, Technik der Notierung, wörtlicher Wiedergabe oder Paraphrasierung aus. Während alle diese Faktoren Indikationen für die Art der Sprachverarbeitung sein können, musste sie jedoch feststellen, dass ihre polnischen Studierenden hauptsächlich eine passive, mechanische Wiedergabe von Inhalt und Sprache ohne besondere eigene kreative Verarbeitung bevorzugten. -  Dieses äußerst interessante Projekt, an dem die Zuhörer großes Interesse zeigten, soll mit anderen Versuchspersonen fortgesetzt werden.

In ihrem Vortrag Reading and re-reading second language texts by young learners (Lesekompetenz und Sprachkompetenz im mehrsprachigen Spracherwerbsprozess) stellte Heidemarie Sarter ein Projekt vor, das sie in Johannesburg, Südafrika, an einer deutschen Schule mit bi- oder multilingualen Kindern - alle keine deutschen Muttersprachler - durchgeführt hatte. Der Schwerpunkt lag auf den Lernstrategien beim Lesen und Wiederlesen zweier sehr ähnlicher Texte in der Annahme, dass dadurch innere Lernprozesse sichtbar gemacht werden könnten. Es stellte sich auch heraus, dass beim Wiederlesen Abweichungen auftraten, und zwar sowohl in der Lexik als auch in der Grammatik. Dies weist darauf hin, dass die Kinder den ersten Text bereits in ihr Gedächtnisschema integriert hatten. Auch zeigte sich, dass ein englisches Wort im deutschen Text zu phonetischen Interferenzen führte, insofern, als dann auch weitere Wörter mit englischer Aussprache gelesen wurden. Diese Untersuchung sollte dazu beitragen zu überprüfen, ob durch das Lesen und anschließende reflektierende Textarbeit der Zweitspracherwerb von Kindern - besonders auch von Migrantenkindern - gefördert werden kann.

Bei dem Thema Verbs of thinking in spoken academic English (Verben des Denkens im gesprochenen akademischen Englisch) ging es um ein Forschungsprojekt von Andrzej Lyda mit dem Ziel zu analysieren, wie mentale Prozesse und Zustände in akademischer Rede ausgedrückt werden. Seine Untersuchung konzentrierte sich auf den Korpus einer Klasse epistemischer Verben, auch ‘Verben des Denkens’ genannt - z.B. ‘denken’, ‘schlussfolgern’, ‘annehmen’ -, die er in Seminaren und Vorlesungen von englischen und amerikanischen Dozenten gesammelt hatte. - Es zeigte sich, dass der Gebrauch von Verben des Denkens, die mentale Zustände bezeichnen, und ihre Häufigkeit immer auch mit dem Kontext der Interaktion und den sozio-kognitiven Fertigkeiten der betreffenden Person zusammenhängt.

Mit dem Vergleich polnischer und englischer akademischer Sprache befasste sich der Vortrag von Krystyna Warchal Encoding certainty: on some epistemic modality markers in Polish and English research articles (Wie Gewissheit ausdrückt wird am Beispiel einiger epistemischer Modalitätsmarker in englischen und polnischen Forschungsartikeln). In ihrem Projekt, das  auf einem großen Korpus von Artikeln aus englischen und polnischen wissenschaftlichen Fachzeitschriften basierte, untersuchte sie wie englische und polnische Wissenschaftler die verschiedenen Grade von Wahrscheinlichkeit und Gewissheit ausdrücken. Dabei stellte sich heraus, dass polnische Autoren sich in ihren Behauptungen vorsichtiger ausdrücken, das heißt, eher Wahrscheinlichkeit als Gewissheit äußern als englische. Es ist aber nicht sicher, ob dies nun durch kulturelle Unterschiede bedingt ist; es könnte  auch an den zwar sehr ähnlichen Verben ‘must’ und ‘musiec’ liegen, die hier verglichen wurden, aber doch eine leicht verschiedene semantische Bedeutung haben. - Über dieses Problem schloss sich eine lebhafte Diskussion an.

Es fiel auf, dass die teilnehmenden österreichischen und ausländischen Gasthörer ganz gezielt zu den Vorträgen kamen, die sie am meisten interessierten und für die sie hoch qualifiziert erschienen und sich dann sehr engagiert an den Diskussionen beteiligten.


2.7. Neue Entwicklungen in der Psycholinguistik / New Developments in Psycholinguistics

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For quotation purposes:
Elly Brosig: Sektionsbericht 2.7. Neue Entwicklungen in der Psycholinguistik- In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/2-7/2-7_sektionsbericht_d17.htm

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