TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr. Februar 2010

Sektion 2.9. Der neoliberale Markt-Diskurs. Zur Kulturgeschichte ökonomischer Theorien im Alltagsdiskurs
Sektionsleiter | Section Chair: Walter Ötsch (Zentrum für Soziale und Interkulturelle Kompetenz und Institut für Volkswirtschaftslehre, Johannes Kepler Universität, Linz)

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Work-Life-Balance als Konzept neoliberaler Gouvernementalität

Beatrix Beneder (Alpen Adria Universität Klagenfurt, waff - Wiener ArbeitnehmerInnenfonds) [BIO]

Email: beatrix.beneder@chello.at

 

„Gestresste, aber glückliche Familienmanagerin“ – Zum Bild der erwerbstätigen Mutter in der Zeitschrift Woman. Vereinbarkeit ist in aller Munde, nicht nur zu Wahlkampfzeiten nimmt das Thema einen fixen Platz in der Medienberichterstattung ein, ja produziert mitunter selbst Medienevents (1). Soziale, ökonomische und politische Gründe bedingen das gestiegene Interesse an dem Thema, das in den letzten Jahren verstärkt unter dem Titel „Work-Life-Balance“ (WLB) debattiert wird. Der Artikel leistet zunächst Begriffsarbeit, um die inhaltliche Positionsverschiebung und Ursachenforschung darzulegen. Grundsätzlich besteht für mich diese Verschiebung von einem Diskurs über Vereinbarkeit, als eine Frage nach Verteilungs- und Geschlechtergerechtigkeit, hin zu einer Frage der ökonomischen Effizienz und persönlichen Organisation. Mit Rückgriff auf Michel Foucaults Gouvernementalitätsstudien lese ich diese Veränderung als ein dominant werden der Subjektivierungsform, des „Unternehmerischen Selbst“. Mit einer Inhaltsanalyse von Artikeln zu Vereinbarkeitsthemen der Illustrierten Woman, greife ich ein Anschauungsbeispiel heraus, um diese abstrakt wirkende Anrufungsform des „Unternehmerischen Selbst“ zu konkretisieren.

 

Harmonie zwischen Arbeit und Leben

Ausgehend von den USA ist auch in Europa seit den 90er Jahren der Begriff Work-Life-Balance ein etablierter Begriff im Human-Ressources-Management. Rein begrifflich reflektiert WLB zunächst die Dominanz der Arbeit gegenüber dem Leben (sonst hieße es ja Life-Work-Balance) und bekräftigt damit das Ungleichgewicht zwischen diesen Lebensbereichen. Es liegt also am (an der) Einzelnen, diesen Widerspruch ins Lot zu bringen. WLB, im Gegensatz zu Vereinbarkeitspolitik, ein Ansatz, der aus den Büros von Personalberatern und Personalabteilungen großer Unternehmen stammt und nicht in (meist sozialdemokratischen) Sitzungszimmern.

Warum interessieren sich ArbeitgeberInnen für die Organisation des Familien-, Privatlebens ihrer MitarbeiterInnen? Mit der Zunahme wissensbasierter, mitunter hochqualifizierter Berufe, die sowohl Kreativität wie Eigenständigkeit einfordern, stellen MitarbeiterInnen immer öfter die wertvollste Ressource eines Unternehmens dar. (Esslinger/Schobert 2007). Das zunehmende Engagement von Firmen für WLB liegt darin High Potentials an das Unternehmen zu binden, Fehlzeiten zu reduzieren, aber auch Burnout vorzubeugen. Oder wie es die Bertelsmann AG kurz und prägnant ausdrückt: es geht um „wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität“ (2). Unterschiedlichste Angebote fallen unter dem Titel WLB: Arbeitszeitflexibilisierung, Gesundheitsangeboten im Betrieb, Unterstützung bei der Suche ein Pflegeplatzes (Elder Care), Notfalls-Kinderbetreuung, aber auch Einkaufs- und Übersiedlungsdienste sollen - inbesondere qualifizierte MitarbeiterInnen bei der alltäglichen Lebensführung unterstützen. Personalisten nenne dies eine Win-Win-Situation, weil beide Seiten davon profitieren: der/die Mitarbeiter(in) braucht sich um diese Organisations- und Koordinationsaufgaben nicht zu kümmern, und das Unternehmen verfügt über einen hochmotivierten, durch keine privaten Sorgen belastetes Arbeitspotenzial.

Das gestiegene politische Interesse für WLB erklärt sich aus demographischen und ökonomischen Gründen. Als Vorzeigebeispiel für die Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit wird gerne das skandinavische Erfolgsmodell als Schlüssel zu höheren Fertilitätsraten gesehen. Weil der demographische Wandel, eine schrumpfenden und alternde Gesellschaft, auch die Finanzierung des Sozialstaats und das Wirtschaftswachstum bedrohe, sei WLB unabingbar. Die Bedeutung der Erwerbsbeteiligung von Frauen bekräftigte auch die EU, die in den Lissabon-Zielen bis 2010 eine Quote von 70 Prozent festlegte und eine Betreuungsquote von 90 Prozent für Kinder zwischen drei Jahren und Schuleintritt bzw. 33 Prozent unter drei Jahren (Littig/Leitner/Wroblewski, 2005, 8).

 

Neoliberale Gouvernementalität

Michel Foucault charakterisiert in seinem Spätwert (neo)liberale Gouvernementalität als eine Regierungstechnik, worin die Ökonomie zur Hauptwissensform wird und der Markt zum Ort der Wahrheit und Gerechtigkeit (Foucault 2004, 52).Bereits 1977 diagnostiziert er für den Neoliberalismus, eine Marktdominanz, die das Wettbewerbsprinzip auf die ganze Gesellschaft überträgt und das Unternehmen zum zentralen Leitbild des Zusammenlebens macht. Darin soll sich der Mensch als Unternehmer begreifen „und zwar als Unternehmer seiner selbst“ (Foucault 2004, 314), dies stößt jene Prozesse der Ökonominisierung des Sozialen an, die alle Lebensbereiche innerhalb einer Kosten-Nutzen-Matrix beurteilt.

Zentral in seinen Vorlesungen zur Gouvernementalität ist die Frage des Regierens, verstanden als umfassende Form des Führens der Bevölkerung, über Gewalt, Herrschaft- und Kontrolle hinausreichend. Diese Führungstechniken unterliegen einem historischen Wandel, den er vom Staat des Souveräns, hin zum neoliberalen Staatsmanagement nachvollzieht. Dieses kennzeichnet ein Ineinandergreifen von Selbst- und Fremdführungstechniken, angeleitet von einer spezifischen Regierungsrationalität, zu verstehen als Denk und Wahrnehmungsweisen, was „gutes Regieren“ sei. Selbstführung, die er „Technologien des Selbst“ nennt, übernehmen in der neoliberalen Gouvernementalität die Funktion, Individuen zu rationalen, eigenverantwortlichen Individuen anzuleiten. Damit ist weder Anarchismus noch Beliebigkeit gemeint, sondern das Individuum rückt in den Mittelpunkt der Regierungskunst, das mittels verinnerlichter Werte und Normen sich quasi selbst unterwirft. An dem Punkt reicht Foucaults Verständnis weit über herkömmliche ökonomisch-politische Neoliberalismus-Definitionen hinaus: Regierungskunst setzt nicht bereits bei dem „fertigen“ Individuum an, sondern wirkt selbst identitätsstiftend, bringt die Subjekte erst hervor. Aufgrund der subjektivierenden Wirkung politischer Regierungsrationalitäten finde ich eine Analyse des Vereinbarkeitsthemas mit Foucault so interessant. Ausgehend von einer entgrenzten Lebenswelt bleibt ökonomisches Effizienzdenken nicht vor dem Privaten ausgespart. So beschreibt es Arlie Hochschild in ihrer Studie über berufstätige Paare in den USA prägnant: " Man lässt zu, dass ein Effizienzkult, der einst dem Arbeitsplatz vorbehalten war, zu Hause Fuß fasst und sich einnistet. Effizienz ist ein Mittel zum Zweck - mehr Zeit zu Hause - , aber auch ein Lebensstil geworden, ein Zweck an sich" (Hochschild 2006, 231). Insofern liefern WLB-Konzepte die Lösung eines Problems, das erst durch die Totalisierung ökonomischer Lebensverhältnissen entstanden ist.

 

Das unternehmerische Selbst sorgt für die Work-Life-Balance

In kritischer Auseinandersetzung mit den Theorien des neoliberalen Paradedenkers und (späteren) Wirtschaftsnobelpreisträger Gary S. Becker entwickelte Foucault die diskursive Figur des „Unternehmerischen Selbst“, das den Idealtypus neoliberaler Gouvernementalität darstellt. Becker geht von einem rational agierenden homo oeconomicus aus und sieht menschliches Verhalten grundlegend nutzenoptimiert. Innerhalb dieser Logik lässt sich die Bereitschaft von einkommensstarken (3) Eltern Kinder aufzuziehen nicht erklären. Gerade für gut ausgebildete Frauen bedeutet die Babypause nicht nur ein Verzicht auf Einkommen, sondern eine Abwertung des erworbenen Humankapitals (4). Warum Menschen überhaupt zu Kindererziehung bereit sind, ist ökonomisch nicht zu erklären, muss selbst der Neoliberale Becker erkennen. Deshalb reiht sich neben „die unsichtbare Hand des Altruismus Adam Smiths neben die unsichtbare Hand des Eigennutzes“ (Becker 1996, 107). Folgedessen setzt sich Becker für die Einführung eines Erziehungsgehaltes ein, weil er diesen Arbeiten einen hohen gesellschaftlichen wie volkswirtschaftlichen Wert zuschreibt. Kinderaufzucht rechnet sich nicht nur nicht, sondern sie kostet sogar. Die deutsche Studie „Wie teuer ist es eine Frau zu sein?“ errechnete den Einkommensverlust einer verheirateten, vollzeiterwerbstätigen und angestellten Mutter mit zwei Kindern und fünf Jahren Berufsunterbrechung gegenüber einer kinderlosen Frau von 195.000 Euro (zit n. Kreimer 2008, 77).

Für Katharina Pühl (2003) müssen deshalb neoliberale Argumentationsmuster wie „paradoxe Appelle“ wirken: einerseits sollen sich erwerbstätige Mütter als „Unternehmerin ihrer selbst“ begreifen, die aktiv, sich selbst anleitend und motivierend, flexibel und mobil am Arbeitsmarkt agieren, aber andererseits weiterhin klassische Versorgungsrollen übernehmen. Dabei wird deutlich, dass auf außerökonomische Bedeutungszusammenhänge nicht verzichtet werden kann, seien es ideologische oder ein Rekurs auf eine „natürliche“ Form der Arbeitsteilung. Iris Nowak (2006) sieht in der negativen Punzierung von Kinderlosigkeit als Egoismus eine Form der „moralischen Entschädigung“ für erwerbstätige Mutter. Zunehmend würde ein Konflikt zwischen Familien und Kinderlosen hochstilisiert. Hingegen die Klassenunterschiede zwischen Müttern, die sich beispielsweise eine Rund-um die Uhr Betreuung leisten können, oder jenen die mit einem Teilzeitjob im Handel und restriktiven Öffnungszeiten öffentlicher Kindergärten zu kämpfen haben, wird ausgeblendet.

 

Von der Hausfrau zur Familienmanagerin: Geschäftsfeld Unternehmen

Bereits die sprachliche Ablöse der Hausfrau durch die Familienmanagerin, beschreibt die veränderte Alltagsdynamik: Organisations-, Koordinations- und Entscheidungsaufgaben bestimmen den Alltag der Familie als Konsumeinheit: Kinder zu Betreuungs- und Freizeiteinrichtungen hinbringen und abholen, Betreuung, Wartung und Pflege des hausinternen Maschinenparks (von Autos bis zu Geschirrspülern) und die wichtige Entscheidung, welcher Partner, welche Aufgaben übernimmt und welche Tätigkeiten sich kostengünstig delegieren lassen. Und ein alternatives Netzwerk organisieren, falls eine Person in dem komplexen Betreuungsgebäude ausfällt. Die anhaltende Nachfrage nach (meist schwarz beschäftigten) Reinigungskräften, Au-Pairs, und der Boom von Nachhilfeeinrichtungen zeigen, dass mit dieser „Defamilialisierung“ von Betreuungsleistungen gut Geld verdienen lässt. Unternehmerisches Effizienzdenken wird immer öfter zum Gestaltungsprinzip familiären Zusammenlebens. „Mit der Risikoverlagerung sind neue Alltagspraktiken gefordert, sich zu sich und anderen ins Verhältnis zu setzen. Sie organisieren die Umsetzung einer Leistungsideologie in alle hautnahen Bereich der alltäglichen Lebensführung verhältnismäßig kleinteilig“ (Pühl 2003, S. 123).

Stand in den 70er Jahren die Frage nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie noch im Zeichen gesellschaftlicher Partizipation und Geschlechtergerechtigkeit noch im Vordergrund, bestimmten heute primär ökonomische Argumente die Diskussion. So erklärt Hanne Martinek (2006, 87) die breiten Unterstützung der deutschen Initiative „Allianz für Familie“ damit, dass Familienfreundlichkeit mit Wirtschaftsfreundlichkeit kommuniziert wurde. Zahlen überzeugen eben. So berechnete beispielsweise eine Studie der WU Wien (Schneider 2007), dass die Wertschöpfung, die durch eine zusätzliche Million für Kinderbetreuung entstünde, bei 1,02 Millionen Euro liege, weil höheren Familieneinkommen den Konsum stimulieren würden, was wiederum Arbeitsplätze schafft. Familienbetreuung soll ein Geschäftsfeld wie jedes andere werden. Im Regierungsprogramm 2000 wurde die Förderung sog. „Home-Service Agenturen“, also Dienstleister für das „Unternehmen Haushalt“, festgeschrieben (Haidinger 2006). Vorrangige Aufgabe sei es „zuverlässiges und qualifiziertes Personal“ für Familienaufgaben bereitzustellen, um den Wettbewerb zwischen öffentlichen und privaten Betreuungseinrichtungen anzuheizen. Bettina Haidinger nimmt berechtigter Weise an, dass dies an der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung im privaten Haushalt wenig ändern wird: weil entweder werden Frauen im Privathaushalt diese Tätigkeiten bezahlter Weise übernehmen, oder weiterhin unentgeltlich.

 

Vereinbarkeit ist machbar – streng dich an!

Wie werden berufstätige Mütter in der Frauenzeitschrift Woman dargestellt? 2001 im Fellner-Verlag 2001 gegründet soll speziell die berufstätige Leserinnenschaft zwischen 20 und 45 angesprochen werden. Für den Beitrag habe ich von 2002 bis 2006 zehn längere Artikel zu dem Thema Vereinbarkeit gefunden. Ausgangspunkt der Fragestellung bestand darin, ob es in der Themenbearbeitung Anküpfungspunkte gibt, die auf der Anrufungsfigur der „Unternehmerin ihrer Selbst“ rekurrieren. Der Artikelaufbau verläuft nach einem wiederkehrenden Schema: Problemaufriss, Darstellung von Fallgeschichten Betroffener, Zahlen und Fakten (meist in Infografiken), eine ExpertInnenmeinung und Lösungsvorschläge. Der Artikel „lebt“ von einer stark entwickelten Bilderwelt, welche viele Fotos der Akteuerinnen sowie Fotomontagen einsetzt. Angesichts der gebotenen Kürze verzichte ich hier auf eine qualitative Inhaltsanalyse zugunsten einer Zusammenfassung der zentralen Auswertungsergebnisse.

Väter kommen nicht vor

Am offensichtlichsten ist die Absenz von Vätern. Abgesehen von einem Artikel, der explizit Väterkarenz thematisiert, werden Väter nicht direkt mit der Vereinbarkeit in Verbindung gebracht, weder in der Bilderwelt, noch thematisch. Einzige Ausnahme bildet dabei die nahezu wortgleich auftretende Aussage befragter Mütter: „mein Ehemann/Partner hat meine Berufstätigkeit immer sehr gefördert“, Konkreteres erfährt man allerdings nicht. Nun mag einzuwenden sein, das in einer Frauenzeitschrift, naheliegender Weise Frauen die zentralen Akteurinnen sind, was allerdings bei diesem Thema zur einer Re-Traditionalisierung der Rollenzuschreibungen führt, worin Väter nur als „exotische“ Ausnahmen auftauchen.

Vereinbarkeit ist eine Frage des Managements

„Job und Familie im Griff zu haben“ ist primär eine Frage der richtigen Organisation und einiger „Tipps und Tricks“. „Mit perfekter Organisation, penibler Ordnung, einem ausgeklügelten Plan und mehreren Bezugspersonen“, sei dies zu schaffen. Frau brauche „Coaching“, ein „Netzwerk“ für die Betreuung und keinesfalls zuviel „Perfektionismus“, um Beruf und Familie zu vereinbaren. Woman übersetzt die Widersprüche und Konflikte zwischen Berufs- und Familien in ein Vokabular der Machbarkeit und Freiheit, dessen Kernbotschaft lautet: Vereinbarkeit ist machbar. Streng dich an! Weiters nahezu redundant sind die Schilderungen erwerbstätiger Müttern, dass sie rotz eines zeitweiligen „unglaublichen Stress“ mit der Situation „glücklich“ seien und auf „keine Erfahrung verzichten wollen“.

Mangelnde Kinderbetreuungsplätze als Kernproblem

In der Berichterstattung reduziert sich die Darstellung des Vereinbarkeitsproblems meist auf die mangelhafte Verfügbarkeit von Ganztagsbetreuungsplätzen. Für deren Bereitstellung macht Woman eindeutig den Staat, die Politik verantwortlich. Dies ist ein deutlicher Unterschied zu neoliberalen WLB-Ansätzen, die den Ausbau einer privatisierten, marktvermittelten Kinderbetreuung fordern.

Technologien erhöhen die Vereinbarkeit

Im Anschluss an die Artikel sind oftmals Webeinserate oder Advertorials (das sind bezahlte PR-Texte) geschalten, welche technologische Erleichterungen für die berufstätige Frau anbieten: sei es das Handy mit vielen Organizer-Funktionen oder Schnellkoch-Gerichte. Dieser technologisch-effizienzorientierte Lösungszugang steht in engem Zusammenhang mit der starken Werbeausrichtung der Zeitschrift, rund 1/3 der Gesamtseitenanzahl des Heftes ist Werbung.

Keine Bilderwelt für berufstätige Mütter

Zwei Visotype bestimmten die Bildsprache der Artikel: zunächst das klassische Portrait-Foto mit Kindern und als zweites Sujet, ein Foto einer Mutter mit ihrem Baby (Kleinkind), auf dem Schreibtisch neben dem Computer sitzend. Ein gestelltes Bild, wie es in der Wirklichkeit gerade mal für die Dauer einer Fotoaufnahme funktioniert. Diese visuellen Konstruktionen interpretiere ich als Hilflosigkeit gegenüber den Illustrationsmöglichkeiten des Themas.

Wie bereits Iris Nowak (2006) in ihre Analyse eines Spiegel-Artikels zum Thema Work-Life-Balance resümierte, vermittelt auch Woman, dass eine Vereinbarkeit bzw. Balance zwischen befriedigenden (Liebes-) Beziehungen, Familiengründung und der Aufforderung zur Selbstvermarktung möglich ist. Die Visio- und Sterotypen berufstätiger Mütter in der Frauenzeitschrift Woman bilden in erstaunlicher Weise das Konzept der „Unternehmerin ihrer Selbst“ ab, die Frauen zur Selbstoptimierung anhält.

 

Zusammenfassung und Ausblick

Der Reiz Alltagsdiskurse über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie auf ihren neoliberalen Gehalt hin zu analysieren, liegt in dem immer deutlicher hervortretenden Widerspruch: einerseits soll frau die Verantwortung für die eigene berufliche Karriere übernehmen, andererseits wird von Frauen Verantwortungsbewusstsein als TrägerInnen gesellschaftlicher und sozialer Verantwortung eingefordert. Wer auf gesellschaftlicher Ebene Marktradikalismus, Eigenverantwortung und Effizienzdenken predigt, erhält erwerbsorientierte, sich vorrangig an dem Arbeitsmarkt ausrichtendende, mobile „Arbeitsmonaden“. Die unentgeltliche Übernahme von Care-Arbeiten (als Sammelbegriff für Betreuungs-, Sorge-, und Pflegearbeit) wird in einem rein an Effizienzkriterien ausgerichteten Gesellschaftsmodell, zum finanziell wie identätsmäßig unattraktiven MinderleisterInnen-Modell. Stand in den 80-er Jahren die Forderung nach Vereinbarkeit noch unter dem Titel der Geschlechter-Gerechtigkeit, wird es heute zur Frage des individuellen Arrangements zwischen den PartnerInnen und dem Markt. Gegenüber der klassischen Vereinbarkeitspolitik, die auf eine Neuverteilung bezahlter (produktiver) und unbezahlter (reproduktiver) Arbeit abzielt, betonen Konzepte der „Work-Life- Balance“ die Wahlfreiheit und verlangen dem/der Einzelnen die Fähigkeit zum Selbstmanagement ab. Im Mittelpunkt der Verantwortung steht der/die Einzelne, der/die durch Aushandeln mit dem/der Partnerin und dem Arbeitgeber, sich ein persönliches Betreuungsarrangement zusammenstellt. Wobei es aus einem Angebot von privaten Betreuungsanbietern (Home Service Agenturen), öffentlicher Kinderbetreuung (staatlich oder betrieblich) und dem Zukauf individueller Betreuungsdienste, sei es durch Kindermädchen oder Au-Pair-Kräften, auswählt. Obwohl die Work-Life-Balance-Konzepte geschlechtsneutral formuliert sind, trägt das Ausblendung realer Geschlechter-Macht – und Einkommensverhältnisse zu einer Festschreibung bestehender Geschlechterhierarchien bei. Der neoliberale Umbau des Sozialstaates, mit Kürzung und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, trifft Frauen lange vor einer echten Gleichstellung. WLB illustriert nicht nur das Primat der Ökonomie gegenüber allen anderen denkbaren gesellschaftlichen Zielen (wie etwa Geschlechtergerechtigkeit), sondern reißt neue Gräben zwischen den Frauen auf. Die im Zuge der WLB propagierte individuelle Machbarkeit von Betreuungslösungen mag für eine Minderheit von SpitzenverdienerInnen machbar sein. Die Mehrheit der Mütter, mit meist nicht existenzsichernden Teilzeitjobs verharren in der Abhängigkeit von einem Ernährer, ohne der Möglichkeit „Nur-Hausfrau“ sein zu können, angesichts sinkender Realeinkommen. So wird Frauen zwar eine „Wahlfreiheit“ zwischen Beruf und Familie suggeriert, die aber historisch wie aktuell nur für eine Minderheit relevant ist. Darin verdeutlicht sich Foucaults These von der „Freiheit als liberale Regierungstechnik, die im Zentrum der Machttechnologien steht“ (2004, 78). Abschließend möchte ich noch hervorheben, dass man aus meiner kritischen Analyse von Work-Life-Balance-Konzepten, keine Forderung a la „ Frauen, zurück an den Herd“ ablesen darf. Vielmehr will ich den Finger auf die strukturellen Unvereinbarkeiten legen, welche die neoliberale Wirtschaftsordnung im Bereich der Kinderbetreuung hervorbringt. Die vorherrschende Logik der WLB-Konzepte macht die/den Einzelnen zum Versager: wer es nicht schafft, habe einfach ein schlechtes Selbstmanagement, zuwenig Flexibilität oder zu hohe Ansprüche, im Beruf oder in der Familie. Wie Betreuungsleistungen organisiert sein müssen, um weder allein an einer ökonomischen Kosten-Nutzen-Logik ausgerichtet zu sein, noch des (weiblichen) Altruismus bedarf und auch nicht zu Lasten der Betroffenen geht, bleibt eine dringende gesellschaftliche Herausforderung.

 

Literaturliste:

 


Anmerkungen:

1 Wie etwa die Debatte um die ehemalige ARD-Moderatorin und spätere Buchautorin Eva Herrmann. In dem Buch „Prinzip Eva“ beschwört sie die Vorzüge der Vollzeitmutterschaft und bediente mit ihren kontroversen These alle deutschsprachigen Talk-Show-Formate.
2 Zitiert in Studie des Prognos-Instituts http://www.ihs.ac.at/pdf/soz/wlb_prognos.pdf, letzter Aufruf 2007-05-12.
3 Demgegenüber sinken für ärmere Familien die Kosten für Kinder, da die mit der steigenden Kinderzahl wachsenden Transferzahlungen höher liegen als die Investitonskosten für die Kinder (Becker 1996, 111).
4 Jeder Mensch verfügt über ein Humankapital, dessen Höhe durch die Möglichkeit Einkommensströme zu generieren, ermittelt wird. Investition in Bildung verursachen zwar Kosten, steigern aber mittelfristig das Humankapital. Erworbenes Humankapital verliert aber mit der Zeit an Wert, insofern schädigen gerade gut ausgebildete Frauen mit längeren Babypausen ihr Humankapital.

2.9. Der neoliberale Markt-Diskurs. Zur Kulturgeschichte ökonomischer Theorien im Alltagsdiskurs

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For quotation purposes:
Beatrix Beneder: Work-Life-Balance als Konzept neoliberaler Gouvernementalität - In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/2-9/2-9_bender17.htm

Webmeister: Branko Andric     last change: 2010-03-08