Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 17. Nr. |
Mai 2010 |
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Sektion 3.1. |
Culture sans frontières | Kultur ohne Grenzen | Culture without Borders |
Sektionsbericht 3.1.
Kultur ohne Grenzen
Gertrude Durusoy (Izmir) [BIO]
Email: g_durusoy@yahoo.fr
In der Sektionsgruppe Literaturen / Künste in der Globalisierung hatte ich die dreisprachige Sektion “Culture sans frontières / Kultur ohne Grenzen /Culture without Borders” vorgeschlagen, um den TeilnehmerInnen aus verschiedenen Ländern die Gelegenheit zu bieten, sehr unterschiedliche Aspekte der Kultur darzustellen und zu diskutieren. Die drei Arbeitssprachen wurden sowohl bei den Präsentationen als auch bei den Diskussionen verwendet; dort wo es notwendig war, habe ich in den anderen Sprachen zusammengefasst oder in sie gedolmetscht. Für diese Sektion wurden siebzehn Referate aus neun Ländern angenommen und zwar aus dem Iran, Kamerun, Uzbekistan, Deutschland, Griechenland, der Türkei, Frankreich, Rumänien und der tschechischen Republik, was tatsächlich für eine kulturelle Vielfalt sorgte.
Das Referat von André Yinda (Paris) betonte die Solidarität als kulturellen Ausdruck in der afrikanischen Kultur, die nicht nur einen Kernwert des Zusammenlebens darstellt, sondern sogar – auch wenn sie marginal aufgefasst werden kann – die internationalen Beziehungen beeinflusst und zeigt, dass sie eine intuitive Weltanschauung bildet, mit der man rechnen muss. Er zeigte, dass der afrikanische Diskurs zur internationalen Solidarität nach dem Kalten Krieg in dieser Hinsicht besonders relevant gewesen ist.
Elmira Gyül (Taschkent) ihrerseits behandelte die Fragestellung der Zukunft von traditionnellen Künsten. Sie zeigte erst, dass der Rückgriff und die Neubewertung der Volkskunst nach 1990 einen Beitrag zur Bildung der nationalen Identität in den zemtralasiatischen Republiken darstellte und dass es zwei Richtungen heutzutage gibt, sie weiterzuerhalten. In Uzbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan will man in Treue zur Tradition diese Volkskunst entwickeln, dagegen gibt es in Kazachstan und Kirghizien die Tendenz, eine neue Dynamik mit anderen Formen in diese traditionellen Herstellungen einzubauen. Die Frage einer finanziellen staatlichen Unterstützung wurde am Beispiel Uzbekistan erörtert.
Béatrice Hendrich (Marburg) zeigte in ihrem Bericht auch visuell wie Kultur und Religion - im besonderen Fall der muslimisch-mystischen Gemeinschaften – in Musik und Tanz eine Rolle spielen. Ihre Beobachtungen und Analysen basierten auf der Untersuchung der Aleviten in der Türkei und in der Diaspora. Hervorgehoben wurde durch die Referentin in diesem Zusammenhang das Phänomen der Verstädterung sowohl in der Türkei als auch in der Diaspora und damit eine neue gesellschaftliche Dimension des Sufismus, der u.a. auch zu Bühnenperformance führte.
Triantafillia Papazioga (Thessaloniki) behandelt in ihrem Referat die Tatsache, dass der Begriff der Kreativität, der ursprünglich die persönlichen geistigen Schöpfungen darstellte, heutzutage immer mehr zum Gegenstand des Interesses von Wirtschaft und Wissenschaft geworden ist.. Sie zeigt, wie eine kreative Politik der Kultur unbedingt auf der kritischen Stellungnahme jedes Individuums sowie auf der innovativen, neuen Herstellung von Ideen basieren sollte, damit als Zweck. immer das gemeinsame Gut sein kann.
Der grösste Teil der Referate unserer Sektion analysiert die Literatur und untersuchte die Wechselbeziehungen der Motive auf diesem Gebiet zwischen verschiedenen Kulturen.
Mforbe Pepetual Chiangong (Bayreuth) behandelte anhand der Werke von zwei Schriftstellern aus Kamerun die Problematik der Umwelt- bzw. der Waldzerstörung als Paradigma eines Kulturverlustes. Es wird gezeigt, wie Menschen überredet werden, den Reichtum ihrer Natur zu vernichten, damit ausländische Firmen durch den Export auf globaler Ebene immer reicher und die Menschen aus dem kameruner Alltag nach einer gewisser Zeit verarmen. Das wurde hauptsächlich anhand der Prosa von Makuchi gezeigt; andererseits zeigte die Referentin, wie der Schriftsteller Butake durch Theaterstücke, die auf Dorfplätzen aufführbar sind, gegen dieses Phänomen eine positive Lösung durch Bewusstseinsbildung der Jugend bezweckt.
Durch ihren Beitrag hat Gertrude Durusoy (Izmir) versucht am Beispiel des poetischen Œuvre der zeitgenössischen spanischen Lyrikerin Maria Cinta Montagut zu zeigen, dass die Wahrnehmung des Lebens in all seinen Realitäten eine Poesie erzeugt, die nicht auf eine einzige Kultur beschränkt ist. Die Rezeption jenseits aller Grenzen verleiht dieser besonderen Kunst des Schreibens eine immer noch rege Gültigkeit. Gedichte aus dem Band La voluntad de los metales exemplifizieren die Auswirkungen von Gewalt und Krieg in einer so knapp formulierten Sprache, dass jede Übersetzung beim Leser ankommt.
Jaroslav Kovář (Brno) hat in seiner Präsentation Zur Rolle der Poesie-Übersetzungen in den deutsch-tschechischen Beziehungen geschildert, daß man von der Übersetzung lyrischer Texte nicht nur eine rein literarisch-ästhetische Funktion erwarten darf; vielmehr sei im konkreten Fall der deutsch-tschechischen Beziehungen seit den ersten deutschen Übertragungen der alttschechischen Dalimil-Chronik vom Anfang des 14. Jahrhunderts eine politische Diskussion entstanden; auffallend sei u.a., dass der bayerische Übersetzer anstatt „deutsche“ Einwanderer wie es im tschechischen Original steht, das Wort „Fremde“ benutzt hatte. Im 19. Jahrhundert sei behauptet worden, dass alle tschechischen Dichter auch die deutsche Sprache beherrschten, weshalb kaum übersetzt wurde. Goethes Wanderlied aber existiere in siebenunddreissig tschechischen Versionen. Bemerkenswert ist, dass im 20. Jahrhundert ganz viele Übertragungen in der DDR aus und ins Tschechische entstanden sind. Betont wurde die hervorragende Übersetzertätigkeit des deutschen Dichters Reiner Kunze.
Die Übersetzung von und aus einer fremden Kulturwelt bzw. einem fremden Gedankengut in eine andere Kultur wurde von Gülperi Sert (Izmir) unter dem neuformulierten Titel ihres Referats Ein Einblick in die Türkischübersetzungen von Nietzsches “Also sprach Zarathustra” zur Diskussion gestellt. Es wurden dreizehn türkische Fassungen des weltbekannten Werkes von Nietzsche unter die Luppe genommen; darunter auch die von der Referentin veröffentlichte Übersetzung. Das andauernde Interesse am Zarathustra-Stoff wurde dabei besprochen und eingehend die Verfahrensweisen der verschiedenen Übersetzer dargestellt und bewertet.
Divine Che Neba (Universität Burundi) seinerseits behandelt den Mythos des in Europa oder Amerika vorhandenen Afrikanerbildes und verarbeitet anhand aktueller Diskursauszügen die in postkolonialen Zeiten immer noch fortdauernden Vorurteile diesem Kontinents gegenüber. Als literarische Illustration verwendet Neba das Werk von Armah Osiris rising , um durch die Metapher der berühmten ägyptischen Gottheit Osiris den Myhos und die potentiell vorhandene Zusammenarbeit zu stärken. Der Übergang aus einer weltbekannten Kultur in das eigene literarische Schaffen wird dabei bewertet.
Ihrerseits bearbeitet Cristina Balinte (Bucuresti) am Beispiel der Verzauberung Hermann Brochs und Der Vogel und der Schatten Sorin Titels die ästhetischen Dimensionen eines Kulturtransfers. Indem der Prozess des Transfers sowie seine Dynamik analysiert wurden, wurde der Schwerpunkt auf die Behandlung ähnlicher Motive sowie auf die thematische Vielfalt bei dem deutschsprachigen sowie bei dem rumänischen Autor gelegt.
Dilek Altınkaya-Nergis (Izmir) schilderte in ihrem Beitrag, wie Elias Canetti, der schon als Kleinkind die Multikulturalität in seiner Geburtsstadt und Familie quasi selbstverständlich aufnahm, bei seinem dreiwöchigen Aufenthalt in Marrakesch die ihm familiäre Atmosphäre des Orients wiederfindet. Von der Gerettete[n] Zunge zu den Stimmen von Marrakesch zeigte die Referentin, wie das Grenzenlose der Kulturen und die frühenn Eindrücke aus Rustschuk ihren Niederschlag in Werken wie Masse und Macht und Die Blendung finden.
Den Niederschlag des Multikulturellen in der Literatur, wie es in den ersten Jahren nach der Gründung der türkischen Republik erlebt wurde, hat die Romanistin Fazilet Cirit anhand der Werke der Romanautorin Adalet Ağaoğlu untersucht und dargestellt. Dabei wurde in dieser historischen Transitionsperiode zwischen Sitten der osmanischen Kaiserzeit und derjenigen der westlich orientierten neuen Zeit auf das Erleben der menschlichen und sozialen Wandlungen anhand von zahlreichen Beispielen eingegangen. Die Referentin hob hervor, dass eine kulturell bedingte Identitätsproblematik im Dualismus zwischen Vergangenem, aber noch vorhandenem und der Zukunft sowie zwischen Tradition und Fortschritt im eigenen Land aufgetaucht ist.
Der Romanist Mohammed Ziar (Teheran) richtete unsere Aufmerksamkeit auf die Beziehungen der Fabelmotive von Jean de la Fontaine mit den berühmten Fabelautoren Persiens wie Saadi, Anvari, Nasser Khosrow, Sanaï, Saado Din de Varavine, Mohammad Oufi u.a. Er vermittelte diesbezüglich die Ergebnisse der Forschung im Laufe der letzten Jahrhunderte und zeigte, dass viele dieser Autoren sehr früh ins Französische übertragen worden waren.
Die Germanistin Faranak Haschemi (Teheran) veranschaulicht ihrerseits wiederum auf dem Gebiet der Fabel die merkwürdige Motivähnlichkeit, die beim persischen Dichter des Mittelalters Saadi in seinen moralischen Werken Bustan und Golestan sowie dem deutschen Gottfried Konrad Pfeffel sechs Jahrhunderte später festzustellen ist. Es scheint sich anhand der behamdelten Beispiele zu ergeben, dass Pfeffel die von Graf verfertigte Übersetzung Rosengarten aus Leipzig (1846) gekannt habe. Die Motive betreffen hauptsächlich menschliches Benehmen innerhalb der Gesellschaft.
Zwei weitere Beiträge behandelten Themen aus dem persischen und deutschen Kulturkreis. Elham Rahmani Mofrad (Teheran) stellte den Zusammenhang zwischen Nationalität, Namensbedeutung und Funktion der Frauenfiguren in Schahname, einem der berühmtesten persischen Heldenepen einerseits und im Nibelungenlied andererseits dar und zeigte die Ergebnisse ihrer Unteersuchung von der Spur der verschiedenen Kulturen in den Frauencharakteren der obengenannten Heldenepen. Festgestellt wurde, dass u.a. Mutterschaft, Rache oder Leid, die in beiden Werken vorkommen, in einem sehr unterschiedlichen kulturgeprägten Kontext vorkommen.
Afsoun Goudarzpour aragh (Teheran) vergleicht ihrerseits Gottfried von Strassburgs Tristan und Isolde mit dem Paar Vis und Ramin des Persers Fakhr Ud-din Gurgani, wo im Titel der Frauenname an erster Stelle steht. Es wurde gezeigt, dass in beiden Werken - was die Handlung angeht - die Übereinstimmungen sehr zahlreich sind und in der Forschung schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts z.T. aufgefallen waren. Die Referentin hat bei beiden Autoren die mystische Dimension der Liebe, die zur Erkenntnis leitet, herausgearbeitet, so dass der ethische Aspekt eine Ehebruchs in beiden Fällen nicht als Hauptthematik zu erkennen sei.
Die Dreisprachigkeit unserer Sektion ermöglichte einen vielseitigen Dialogansatz und öffnete in den Diskussionen Perspektiven nicht nur für andere Gesichtspunkte, sondern auch für künftige Forschungsvorhaben.
3.1. Culture sans frontières / Kultur ohne Grenzen / Culture without Borders
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For quotation purposes:
Gertrude Durusoy: Sektionsbericht 3.1. Kultur ohne Grenzen -
In: TRANS.
Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008.
WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/3-1/3-1_sektionsbericht17.htm