TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr. Juni 2010

Sektion 3.10. Komparatistik und Weltliteratur in der Epoche der Globalisierung
Sektionsleiterinin | Section Chair: Mária Bieliková (Matej-Bel-Universität Banská Bystrica, Slowakei)

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Sektionsbericht 3.10.

Komparatistik und die Weltliteratur in der Epoche der Globalisierung

Mária Bieliková (Matej-Bel-Universität Banská Bystrica, Slowakei) [BIO]

Email: miabielikova@hotmail.com

 

Für die Sektion 3.10. Komparatistik und die Weltliteratur in der Epoche der Globalisierung hatten sich fünfzehn ReferentInnen aus fünf verschiedenen Ländern (Slowakei, Tschechien, Österreich, Deutschland und Indien) angemeldet. Die Arbeit in dieser Gruppe hat den TeilnehmerInnen die Gelegenheit geboten, aus ihrer eigenen Perspektive die Rolle der Interkulturalität und der Alterität in der Literatur zu erforschen, sie anhand von konkreten Darstellungen darzubieten bzw. zur Diskussion zu stellen. Alle Beiträge wurden auf Deutsch präsentiert.

 

Das Fremde und das Eigene

Die Wahrnehmung des Fremden ist innerhalb der letzten Jahrzente zu einem wichtigen Forschungsfeld der Komparatistik geworden. Dabei haben sich – sowohl konkurrierend als auch interdisziplinär verbunden – Literatur und Kulturwissenschaft in zahlreichen Arbeiten mit dem Phänomen des Fremden auseinander gesetzt. Alterität und Interkulturalität wurden im doppelten Sinn zum Thema der vergleichenden Literaturwissenschaft: zum einen ging es um die in den literarischen Werken beschriebenen Kulturkontakte und die sich in ihnen mitteilende Erfahrung der Alterität fremder Kulturen; zum anderen ging es um die Alterität der untersuchten - vor allem epischen - Werke selbst, die als Zeugen einer anderen Epoche und ihres Weltbildes zu Zeugen für die Historizität der Erfahrung des Fremden wurden.

Den Impuls zu diesem Themenkreis hat die Sektionsleiterinin Mária Bieliková mit Ihrem Beitrag Zum Phänomen des Fremden im Werk von Hermann Hesse gegeben. Für die Untersuchung der literarischen Texte unter interkulturellen Fragestellungen ist die Differenzierung zwischen Eigenem und Fremdem in Kategorien des Raums und der Bewegung im Raum relevant. Hermann Hesses Werk ist von einer Relativierung des Eurozentrismus bestimmt. Er setzt sich mit dem Phänomen des Fremden ohne Überlegenheitskomplex auseinander. Sein Weg führt ihn weg von der zeitgenössischen deutschnationalen Kultur, die das Eigene verherrlichte und das Fremde verteufelte. Sein Anliegen hat ihn in die Lage versetzt, ein Werk zu schaffen, das keine Trennung zwischen dem Fremden und Eigenen zuließ. Dieser Dichter wurde wie kaum ein anderer zum Vermittler fernöstlicher Weisheit in Europa. Er hat das Unzugängliche zugänglich gemacht, er hat das Eigene in der Alterität erkannt und das in uns verborgene Fremde enthüllt. Die Forschungsergebnisse wurden am Beispiel Hesses Epik illustriert.  

Der Beitrag von Renata Cornejo behandelte das Thema Das Fremde und das Eigene. Zu Entwürfen der kulturellen Identität der deutsch schreibenden AutorInnen tschechischer Herkunft am Beispiel der Romane von Michael Stavaric. Die Autorin hat den Vortrag wissenschaftlich sehr präzis vorbereitet - er hat zu den besten Beiträgen in dieser Sektion gehört. Er geht von der These aus, dass sich die Alterität und Identität als dichotome Begriffe gegenseitig bedingen. Die Abgrenzung und Ausgrenzung des Fremden bildet nicht nur die Voraussetzung für die Konstitution der eigenen Identität, sondern das „konstitutive  Außen“ ist zugleich immer auch ein Teil des sich „konstituierenden Ich“. Dies wird am Beispiel der Romane stillborn (2006) und Terminifera (2007) von Michael Stavaric dargelegt und illustriert.

Nach diesen zwei Beiträgen über die Symbiose des Fremden und des Eigenen in einem einzigen Menschen haben sich die Referate auf einer viel breiteren Ebene gestaltet.

 

Fragen der Rezeptionsforschung

Petr Kučera hat das Thema Die Rezeption des Werkes von R.M. Rilke in der tschechischen und slowakischen Literatur behandelt. Sein Beitrag befasste sich mit der unterschiedlichen Rezeption der Lyrik von R.M.Rilke in den verwandten slawischen Literaturen Mitteleuropas. In diesen Themenkreis – poetologische Fragen der Rezeptionsforschung –  könnte man auch den hochinteressanten Vortrag von Mária Bátorová einreihen. Die Autorin befasste sich mit den Fragen über die Stellung des europäischen Romans in der Zeit der literarischen Moderne. Ihre Forschungsergebnisse hat sie im Beitrag unter dem Titel Der europäische Roman der literarischen Moderne. „Das Feld des Möglichen“ in der Moderne des zwanzigsten Jahrhunderts erläutert. Das Unterbewußtsein, verbreitet in anderen Schichten der Beziehungen der Romangestalten (d. h. Oedipuskomplex oder sadomasochistische Beziehungen), spielt hier eine wesentliche Rolle. Ein anderes wichtiges Merkmal der Moderne ist die Emanzipation der Kinderwelt.

 

Bedeutung der Komparatistik für die Erforschung der Kinder- und Jugendliteratur

Edita Jurčáková hat das Thema ihres Beitrages aus dem Bereich der vergleichenden Literaturforschung gewählt: Die Bedeutung der Komparatistik für die Märchenforschung. Sie hat von der komparatistischen Methode in der deutschen Volkskunde und vor allem vom Beginn dieser Forschung bei den Brüdern Grimm gesprochen. Mit dem Vortrag hat sie sich auf die Spuren des Ursprungs und der Entstehung der Volksmärchen begeben. Zum Schluß brachte sie einige Ergebnisse der komparatistischen Märchenforschung und Theorien über Ursprung und Entstehung der Volksmärchen (Migrationstheorie, historisch-geographische Theorie, Theorie der Polygenese usw.). Andrea Mikulášová hat einen Beitrag unter dem Titel Adoleszenzliteratur komparativ gehalten. Gerade diese spezifische Art der literarischen Werke bietet sich für komparatistische Literaturforschung in ihrer Kernkompetenz an. In der Forschung der Adoleszenzliteratur können alle möglichen komparatistischen Herangehensweisen eingesetzt werden. In ihrem Beitrag hat sie sich versucht, die Traditionen der vergleichenden Literaturforschung in Bezug auf die Adoleszenzliteratur im deutschsprachigen Raum auszuleuchten.

 

Literarisch-didaktischer Bereich

Tamara Bučková hat ihr Thema aus einem mehr didaktisch orientierten Gebiet gewählt: Die Kinderwelten und Phänomene der Realität im gegenwärtigen Jugendbuch. Das Referat hat sich mit dem Vergleich ausgewählter Aspekte des Kinder- und Jugendliteratursystems in der deutschsprachigen und tschechischen Literatur befasst. Die Phänomene der Realität werden als Bestandteil der Poetik der Texte verstanden, deren literarische und ästhetische Qualitäten oft in Diskussion stehen. Es wurden ausgewählte Werke der Autoren aus Österreich, Deutschland und der Tschechischen Republik vorgestellt. Thomas Haupenthal hat zwei Werke der deutschen und tschechischen Literatur verglichen. Der Titel seines Referats lautete: Kindheit, Jugend und Erwachsenwerden im Kontext der Literatur: das Jahr 1945 in Böhmen und Deutschland. (Josef Škvořecký: Zbabelci [dt. Die Feiglinge], Siegfried Lenz: Die Deutschstunde).  Dem Referenten ging es um die Antwort auf die Frage: wie erlebten Jugendliche in Deutschland und in Böhmen den Krieg und das Kriegsende und in welchem Maße tragen die beiden Geschichten autobiographische Züge. Der Beitrag von Agáta Dinzl-Rybářová behandelte das Thema: Die wissenschaftlichen Mythen in der Zeit der Globalisierung. Am Beispiel der Lehrbücher in Tschechien und der Slowakei. In Ihrem Vortrag analysierte sie die Rezeption historischer und kultureller Ereignisse und Tatsachen in der tschechischen und slowakischen Kultur. Die einzelnen Mythen in den Lehrbüchern wurden aus fünf politischen Perioden genommen.  Die Autorin selber interessiert sich seit mehreren Jahren für das Thema Lehrbücher und Mythen.

 

Komparatistische Imagologie, literaturwissenschaftliche Komparatistik

Róbert Gáfrik hat einen Vortrag unter dem Titel: Kulturelle Imagologie: hermeneutische und ästhetische Anmerkungen gehalten. In seinem interessanten Beitrag hat er eine andere Dimension des Zugangs zu Texten mit fremdkulturellen Darstellungen besprochen, nämlich die Frage nach der Authentizität der Beschreibungen fremder Kulturen in literarischen Texten. Obwohl Literatur Wirklichkeit nicht abbildet, wirkt das literarische Bild auf die Leser. In Anlehnung auf die komparatistische Imagologie hat er sich auch mit einigen hermeneutischen und ästhetischen Fragen befasst. Roman Mikuláš hat versucht, die Rolle des Konstruktivismus in der Komparatistik zu erläutern: Welchen Beitrag kann der Konstruktivismus zur Hebung der literarischen Komparatistik leisten?  Er wollte aufzeigen, welche Möglichkeiten sich aus der konstruktivistischen Theorie der Autopoiese, der Kommunikation, dem konstruktivistischem Konzept des Verstehens und dem Konzept des Beobachters für die literaturwissenschaftliche Komparatistik ergeben können.

 

Interkulturalität – kulturelle Vielfalt in Europa

Uli Rothfuss hat sich mit der Aufgabe des Schriftstellers in dieser Epoche der Globalisierung befasst. In seinem Beitrag Der Schriftsteller als Arbeiter für eine funktionierende Welt. Kulturelle Identität und die Aufgabe der Schriftsteller betonte er die Stellung der Schriftsteller – sie können zu Chronisten ihrer Zeit werden und Einsichten über ihre Zeit vermitteln. Der Schriftsteller arbeitet die verbindenden Elemente zwischen den Kulturen heraus, er ist ein Kämpfer für Pluralismus und Toleranz. Er könnte sogar die Zukunft beschreiben, vor allem aber Richtung und Orientierung geben.

Bisera Dakova befasst sich mit der Lyrik von Teodor Trajanov. Ihr Beitrag behandelte das Thema: Wie die sprachliche Spezifik zur lyrischen Begrifflichkeit wird (die problematische Poetik Teodor Trajanovs). Sie hat versucht, ohne die Einflüsse von Hugo von Hofmannsthal, Stefan George, R.M. Rilke u.a. auf Trajanovs Poetik zu verleugnen, den Blickwinkel zu ändern. Sie behandelte die Neologismen in der dichterischen Sprache (Deutsch), also diejenigen Wortbildungen, die vermutlich durch die Spezifik der deutschen Sprache hervorgebracht worden sind, fremde Elemente durch eine fremde Kultur entstanden.

Die Arbeit in der Sektion Weltliteratur und Komparatistik in der Epoche der Globalisierung hat viele neue Informationen gebracht und die TeilnehmerInnen bereichert. Dabei kann man betonen, dass Literaturkenntnisse zur Kenntnis anderer, fremder Kulturen und Menschen führen und die Grenzüberschreitung zwischen Eigen und Fremd vermitteln können.


3.10. Komparatistik und Weltliteratur in der Epoche der Globalisierung

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For quotation purposes:
Mária Bieliková: Sektionsbericht 3.10.: Komparatistik und Weltliteratur in der Epoche der Globalisierung - In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/3-10/3-10_sektionsbericht17.htm

Webmeister: Gerald Mach     last change: 2010-06-05