TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr. Mai 2010

Sektion 3.11. Das Künstlerbild und das Künstlerproblem in der Ost-West-Literatur / The Idea of the Artist and the Problem of the Artist in Literature, East and West
Sektionsleiterin | Section Chair: Pornsan Watanangura (Chulalongkorn Universität, Bangkok, Thailand)

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Sektionsbericht 3.11.

Das Künstlerbild und das Künstlerproblem in der Ost-West-Literatur

Pornsan Watanangura (Chulalongkorn Universität, Bangkok, Thailand) [BIO]

Email: wpornsan@chula.ac.th | ces@chula.ac.th

 

In der Sektion haben sich 7 Referenten gemeldet: Pornsan Watanangura  (Bangkok, Thailand), Niteen Gupte (Pune, Indien), Lászlo V. Szabó (Veszprém, Ungarn) Branko Andric und Michael Pand (freie Künstler, Wien, Österreich) und Ken Nintzel (freier Künstler, New York, USA). Ken Nintzel konnte jedoch nicht an dem Symposium teilnehmen.  

Die Anzahl der Referenten in der Gruppe war für die Diskussion optimal.

Die sechs Beiträge stellen verschiedene Aspekte des Künstlerproblems in der Literatur und anderen Künsten aus unterschiedlichen Kulturkreisen dar. In allen Beitragen lässt sich feststellen, dass die Literatur bzw. die Kunst sehr unter dem Einfluss der sozial-politischen Faktoren im jeweiligen Land steht, andererseits spielt  die Interaktion zwischen der eigenen Kultur und fremden Kulturen fast überall eine wichtige Rolle.

Aus dem Vergleich des Versepos aus dem asiatischen Kulturkreis, aus Thailand, Zur Lebensgeschichte des Pra-Apaimanie von Sunthorn Phuu – Der Künstler an der Schwelle der Moderne mit dem deutschen Bildungsroman Goethes Wilhelm Meister ergibt sich, dass die Struktur des europäischen „Bildungsromans“ geradewegs auf den Kopf gestellt ist. Während Goethe im bewussten Umgang mit den Figuren in Wilhelm Meisters Lehrjahre die Bildungskonzeption in Episoden und Lebenserkennnissen des Protagonisten explizit darlegt, wird die thailändische „Bildungsgeschichte“ aber kommentarlos und in einer linear-lockeren Erzählstruktur abenteuerlicher Ereignisse aneinanderreiht. Die eigentlichen Lehrjahrevon Pra-Apaimanie vollziehen sich in der Umsetzung der in der Bildungsphase erworbenen Kenntnisse in der Praxis des realen Lebens, d.h. in den abenteuerlichen Episoden seiner Reise durch die Welt. Zahlreiche Augenblickserfahrungen werden durch buddhistischen Lehren und Lebensklugheiten reflektiert und pointiert.

Die beiden literarischen Werke weisen nicht nur zahlreiche interessante Elemente aus unterschiedlichen Kulturkreisen auf; der Protagonist Pra-Apaimanie stellt mit seiner Lebensgeschichte das „moderne“ Künstlerbild der thailändischen Literatur   zu Anfang der europäischen Kolonialpolitik im 19. Jahrhundert dar. Sunthorn-Phus Bild eines „modernen Künstlers“ hatte beim Publikum einen ungewöhnlichen Erfolg. Er wurde noch dadurch erhöht, dass der damals neu eingeführte  Buchdruck neben dem traditionellen Vorlesen auch die private Lektüre erlaubte. So steht die Berühmtheit dieses Buches in engem Zusammenhang mit den veränderten Formen der literarischen Rezeption an Thailands „Schwelle der Moderne“.

Die Diskussion konzentrierte sich auf die  Situation in Thailand zur Entstehungszeit des Versepos und den Buddhismus in Zusammenhang mit  dem Königreich Siam.

Der Beitrag aus Indien von Niteen Gupte (Universität Pune) befasst sich mit dem Begriff des Künstlers und Dichters in der modernen Marathi-Literatur. Wie im Versroman aus Thailand, dessen Inhalt viele Momente aus der Begegnung mit den Europäer in Siam, dem damaligen Thailand, aufweist, spielt der Einfluss aus dem Westen für die Marathi-Literatur und auch für die Künstler eine bedeutende Rolle. Prof. Gupte zeigte, wie der Begriff des Literarischen und Künstlerischen sowie das Selbstverständnis des Künstlers und Dichters in der Marathi Literatur unter dem Einfluss des Kolonialismus und der Einführung des Buchdrucks sich verändert hat. Der Referent gab einen chronologischen Überblick über die allmähliche Transformation des Künstler- und Dichterbildes in der Marathi-Literatur, wie es sich – ausgehend von der Stellung der Marati-Sprache in der literarischen Tradition Indiens – seit den Anfängen über das 13. und 14. Jahrhundert, in denen Indien islamisiert wurde, bis zur „Modernisierung der Marathi-Literatur im Laufe des 19. Jahrhunderts, wandelte.

Mit dem Kunstverständnis in der Literatur am Beispiel Hermann Hesses setzt sich László V. Szabó aus Veszprém, Ungarn, in seinem Beitrag Hermann Hesses Kunst zwischen Ost und West auseinander. Er zeigte, wie Hesses frühe Auffassung von Kunst als einer „Kompensation des Lebens“ im Sinne Nietzsches sich zunehmend in eine „Verteidigung des Individuums“ verwandelte, wobei sein Begriff „Individuum“ bei ihm eine Sonderstellung hat: Hesses Begriff des Individuums wird mit dem „Egoismus des Individualismus“ kontrastiert und in die Idee einer Transkulturalität auf religiöser Basis überführt. Die besondere Bedeutung eines Individuums definiert Hesse einerseits am Kreuzungspunkt zwischen Selbstsuche / Selbstwerdung und einer universellen Religiosität. Andererseits lässt sich Hesses Kunst im Sinne von Rudolf Pannwitz, der selbst eine Kulturphilosophie entwickelte, als eine Synthese von Kulturen deuten. Trotz unterschiedlicher Meinungen über Hesses Buddhismus in Siddhartha, der nach einigen Stimmen eigentlich keinen ‚Taoismus’, sondern eher einen ‚Brahmismus’ darstelle, sind die Germanisten aus Asien (Thailand und Indien) und Europa (Ungarn) sich über die Bedeutung und die Rolle der Religiosität als Kreuzungspunkt der Transkulturalität zwischen Ost und West in den Werken Hesses einig.

Wie sehr die Kunst in engem Verhältnis mit der neuen Technologie steht, hat uns Theo Vurdubakis (Centre for the Study of Technology & Organisation - CSTO, Lancaster University, England) mit seinem Thema The Work of Art in ‚Age of the Smart Machine‘, deutlich gemacht. Ausgehend von den theoretischen Überlegungen zahlreicher Dichter, Philosophen und Wissenschaftler wie z.B. Plato in The Republic; Wittgenstein; Walter Benjamin 1979a; Woolgar 1987; Boomfield & Vurdubakis 1997, diskutierte der Referent kurz die Auseinandersetzung der Philosophie über „originals“ und  „copies“. Laut Walter Benjamin war der Kampf zwischen „Original und Kopie“ offenbar der Kampf zwischen „Menschen und Maschine“. Dies wurde nicht nur als ein technisches, sondern auch als ein moralisches Problem betrachtet. Während die Reproduktion von Kunst durch Maschine oder Computer, wie es oft in der Musik und bildenden Kunst geschah, die Identität und Originalität der Kunstobjekte in Frage stellen kann, gilt der Versuch der neuen Technologie und deren Leistung als die neue Möglichkeit, Kunststücke zu gestalten. Der Beitrag stellt angesichts dieser neuen Möglichkeiten der Kunstdarstellung die Frage, wie Kunst und ihre Beziehung zum Menschensubjekt reproduziert werden. Theo Vurdubakis hat sein Thema vor allem am Beispiel von Malerei erläutert und demonstriert.

Michael Pand, ein freier Künstler aus Wien, ersetzte seinen im Programmentwurf vorgesehenen Beitrag zum Thema „Ein Königreich für einen Elefanten – Als österreichischer Künstler in Hollywood und Thailand“, durch einen Beitrag zur Frage der Kunst-und Künstlerexistenz am Beispiel einer Episode aus dem Lebens eines thailändischen Künstlers in der Provinz Chiengrai in Nordthailand. Der Referent bezog sich anhand eines von ihm im November 2007 in Thailand aufgenommenen Videoclips auf das Kunstverständnis in Niklas Luhmanns Systemtheorie, indem er die existenziellen Voraussetzungen von „Kunst“ und „Künstler“ in Frage stellte. Damit wurde Luhmanns Konzeption von Kunst als ein Sonderfall der Kommunikation am Beispiel des Lebens eines in Österreich ausgebildeten thailändischen Künstlers gezeigt und dargestellt, wie er sein Leben als ‚Glückspilz’ lebt und damit seine Existenz als Künstler auf den Bäumen pflegt.

In seinem Beitrag versuchte der junge Künstler Branco Andric jun. aus Wien,  die Eigenständigkeit des Künstlers Branko Andric (1942 - 2005) an dessen Werken auf den Gebieten der Musik, Literatur, Fine Art und des Films zu demonstrieren.. Der Referent zeigte, wie diese Kunstwerke über die Grenze der Kunst hinaus philosophische, politische oder andere Aussagen liefern wollen. Der Ausgangspunkt für diese Überlegung war die Planung einer paradigmatischen Ausstellung von Branco Andric im Jahr 2006, die in der ‚Kunstakademie Wien’ im Herbst 2007 gezeigt werden sollte. Dabei stellte sich heraus, wie sehr Andrics „Kunst“ bzw. „Konzeption von Kunst“ von unterschiedlichen Darstellungsmedien sowie von der räumlichen Entfernung zwischen seinem Geburtsort und seinem Wohnort bestimmt sind : einerseits von Novi Sad in Serbien, wo er geboren wurde, und andererseits von Wien, der Stadt, in die Branco Andric in den frühen 70er Jahren des 20. Jahrhunderts umgezogen war.

Der Autor Branco Andric jun. versuchte, eine Theorie der Kunst der Postmoderne am Beispiel der Werke seines Vaters zu erläutern und sie damit historisch einzugliedern.

Der letzte Beitrag von Ken Nintzel, der als freier Künstler in New York lebt, konnte leider nicht vorgetragen werden. Ken Nintzel untersucht das Theater als eine Sonderform der Kunst, wie Antonin Artaud sie in seinem Manifest The Theatre and its Double vorgestellt hat. Der Beitrag betont vor allem die inhärente und multidisziplinäre Natur des Theaters, das allenfalls zu einem Teil vom Text oder Dialog abhängig ist. Obwohl das Theater als „a mode of expression“, laut Antonin Artaud, nicht ohne „Sprache“ zustande kommen kann, weist es wegen seinem Drang zur multimedialen Komposition einen besonderen Charakter auf: Das Theater basiert auf der Komposition unterschiedlicher Kunstformen und ermöglicht grundsätzlich die Kommunikation auf unterschiedliche Ebenen. Dieses Sondermerkmal des Theaters wird als seine multi-sensorische Eigenschaft betrachtet, als eine Fähigkeit, alle Kunstformen zu kombinieren.


3.11. Das Künstlerbild und das Künstlerproblem in der Ost-West-Literatur / The Idea of the Artist and the Problem of the Artist in Literature, East and West

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Pornsan Watanangura: Sektionsbericht 3.11.Das Künstlerbild und das Künstlerproblem in der Ost-West-Literatur - In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/3-11/3-11_sektionsbericht17.htm

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