Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 17. Nr. |
Februar 2010 |
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Sektion 3.9. | Gibt es ein Politisches Theater des 21. Jahrhunderts? SektionsleiterInnen | Section Chairs: Tobias Sosinka (Berlin) und Birgit Fritz (Universität Wien) |
Zdravko Haderlap (Eisenkappel / Zelezna Kapla, Österreich) [BIO]
Email: a-zone@aon.at
Lernphase I – Am Puls der Zeit in den 90ger Jahren
Ein Tal in Südkärnten, in den Karawanken, dort, wo Österreich an Slowenien grenzt. Ansteigende Wiesen, Ackerland nicht mehr am Hang, Wald, viel Wald und nackter Fels, darüber ein Streifen Himmel. Ein Fahrweg an einem Bach. Ab und an ein Gehöft, einige davon verlassen;
Das Tal heißt Lepena, abgeleitet von lepuh, auf deutsch Huflattich, somit gemeint das Tal, dort wo der Huflattich wächst. Wo der Graben sich teilt, weit oben im Winkel, liegt mein - sein Bergbauernhof.
Seine Schwester Maja schrieb:
«es könnte ein dorf sein
mit hacken und spaten, mir wohlbekannt.
aber des nachts kommt meine mutter.
sie weist ins tal.
das alles gehört uns nicht,
sagt sie.»
Zwei Gegebenheiten bestimmten seine kindlich/jugendliche Befindlichkeit. Zum einem die geographische Enge des Tales, die das Handeln und Denken der dort ansässigen Menschen bestimmte. Er wusste nur, dass sich hinter dem Berghorizont weiteres Land verbirgt und er es anfänglich in jugendlicher Revolte nicht vermag, so weit abzuheben, um darüber zu sehen. Zum anderen war seine Prägung, die mitgebrachten, von der Hoffnung auf Gerechtigkeit nicht eingelösten Erfahrungen seiner Nächsten, die der Großmutter im KZ, die mit 32 kg von den Russen in Ravensbrück befreit wurde, der Maria, die in Lublin für immer verblieb, die des Großvaters als Deserteur, die des Vaters als Kind, des Onkels, die der Großtante - alle vereinigt im Widerstand bei den Partisanen, neben Freiheitskämpfer auch als Banditen bekannt. Ihre Erinnerungen und Traumen, die sie kennzeichneten, prägten auch seine Kindheit, oft bestimmt von Gewalt in der Unmöglichkeit Liebe zu verspüren im teilen. So blieb ihm die Sprachlosigkeit, aus der er nach Jahren endlich ausbrach, um die Kulturlandschaft hinter dem Brandberg, der Gorelca, der Topiza, der Ojstra, der Petzen und des Obirs – wie die umliegenden Berge benannt wurden - zu ergründen. Als Instrument der lokalen und regionalen Politik, der Kulturpolitik innerhalb der slowenischen Volksgruppe, spielte er Knopfharmonika und Volkstheater, rief er zum Streik auf, blockierte Straßen, erstürmte Häuser, besetzte sie und ließ im Sitzen sowie im Hunger streiken, bis dass der letzte Betrieb, existenziell überlebenswichtig für die gesamte Region, trotzdem auf Druck der Politik sperren musste. Auf die Straße gesetzt, schwor er nie mehr für andere den Zuträger oder den Handlanger zu spielen und ließ tanzen im vom ihn gegründeten Tanztheater Ikarus. Denn Sprache wurde ihn verwehrt und wenn er sprach, waren die Antworten demütigend und verletzend. Allein schon, wenn einer nach seiner Herkunft fragte, war das, als stünde er plötzlich vor einer Wand. Das überlieferte und immer aufs neue hinein projizierte Slowenenbild weckte in ihn nur Hohn. Die Beleidigten und Erniedrigten, ja? Die slowenische Volksgruppe, die sich im Dreck wälzt…ja? Noch bevor er es ihm gelang, sich gänzlich zu verleugnen, wurde ihm nachgesagt, er mache Kunst. Was das bedeute, auf das hat er noch heute, zwei Jahrzehnte danach, keine Antwort. Und wenn eine Antwort, dann: „Keine Ahnung.“.
In seinem Tanztheater erwuchsen jedoch Geschichten von seinen vorm Verschwinden drohenden Kindheitserinnerungen, Biographien der Winkelhof-Bewohner und die der Nachbarn sowie die lokale Literatur boten anfänglich reichlich Stoff für aufwühlende Inszenierungen, wie es manche behaupteten. Im Nachruf hieß so sogar: „Das Tanztheater / Plesni teater IKARUS war politisches, revolutionäres, molekulares Theater: anti-staatlich, zwischenstaatlich, eigenständig, nomadisierend in vielerlei Hinsicht. Slowenisch und Deutsch standen dabei wie selbstverständlich gleichberechtigt nebeneinander. Die sprachlichen Unterschiede auf der Bühne wurden durch Bilder, Ausdruck, Theater und Tanz aufgehoben und in der Folge ad absurdum geführt.“
Seine Angst jedoch überwand der junge, ergeizig-aufstrebsame Direktor der vogelfreien Theatergruppe endgültig bei einem Aufmarsch der selbsterkorenen Heimatverteidiger, als er sich mit Gänsehaut durch deren stumpfes Brummen tausender Stimmen hindurch bewegte und ihn dabei niemand erkannte. Und doch kannten ihn alle, dem Namen nach. In Brückenfunktion zog er mit Ikarus konzentrische Kreise, die mit der Zeit weit über die Demarkationslinie des Kärntner Jahrbuches hinaus reichten. Widerstand formierte sich im eigenen Land. Sehr bald schon erhob Diözesanbischof Egon Kapellarie die Stimme über die blasphemischen Darstellungen auf der Bühne und rief die Christen zur Wehr gegen die betriebene Verhöhnung religiöser Werte auf. Trotz der Verleihung des Frauenkulturpreises an das Tanztheater Ikarus sah im selben Atemzug Klagenfurts Bürgermeister Guggenberger das verfassungsmäßige Gleichheitsgebot für Frauen in der auch vom Bund prämierten Produktion als gefährdet an. Die einen jubelten, die anderen fluchten und kamen aus Neugierde trotzdem immer wieder. Die einen weinten aus Betroffenheit und die anderen lachten tränen, meistens im Ausland über die Österreicher. Wiederum andere beschossen aus Wut die Darsteller auf der Bühne, verließen verstört das Theater. Interessierte blieben zurück mit der Bitte, über das Gesehene zu sprechen. Namhafte Kritiker von angesehenen österreichischen Tageszeitungen verweigerten Kritiken, die Wiener die Gastfreundschaft. Karl Heinz Grasser, schlichtete mit ausfallenden Bemerkungen über Ikarus seinen persönlichen Zwist mit Haider und wurde daraufhin Finanzminister. So mancher österreichische Veranstalter wollte kein Gastspiel mit dem Argument, dass „der Choreograph, Regisseur und Autor froh sein müsse, nicht eingesperrt worden zu sein.“ Lebende Bilder, die sich aneinander reihten, lösten und wieder zusammensetzen, eine theatrale Sprache, die ihren Ursprung in der bildenden Kunst zu haben schien, irritierten die Kärntner Machthaber. Die unliebsame kulturelle Programmatik von Ikarus wurde somit einfach »politisch benützt« von jenen, die vorgeben, welche Freiheit allgemein gemeint werden darf. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Ikarus einen Skandal nach dem Anderen verursachte, zB. als ausgerechnet am 10. Oktober die Premiere eines neuen Stücks im Klagenfurter Stadttheater angesetzt war. Für die sesshaften und "heimatbewussten" Kärntner eine Provokation sondergleichen. Die Premiere musste nach extremem politischem Druck auf einen späteren Zeitpunkt mit der Folge eines Polizeieinsatzes verschoben werden.
Themen und die Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Umfeld der Kärntner und österreichischen Geschichte, Ausbruch aus der Unterordnung sowie mit Führer- und Erlöserfiguren, Geschichtsverdrängung, Nationalismus und Ausgrenzung, Identitätsverlust und Assimilation, Agonie, Verdrängung sowie Auslöschung waren Mittelpunkt des Chroeographischen Theaters, welches weder mit Tanztheater noch mit Sprechtheater im herkömmlichen Sinn zu vergleichen war. Ikarus war niemals versöhnlich-ästhetisierend genug, um im allgemeinen Lob entsorgt zu werden. Ein Stück entstand immer aus der besonderen Chemie der Beteiligten, aus einer wahnwitzigen Verflechtung von Theater, Tanz, Gesang und jeglichen anderen Disziplinen, die sich für ein kompaktes, bewegendes wie bewegtes Bühnenereignis anboten. „Das Zeitgenössische überzeichnen, bevor nichts mehr drin ist, was bewegt“, war das leitende Motiv. Und oft gelang dabei das äußerst rare Kunststück, die Bühne zum Forum expliziter politischer Aussagen zu machen, die sich nicht in larmoyanten Plattheiten erübrigen. Die politische Aufmüpfigkeit und der schnelle überregionale Erfolg wurden schließlich zum Verhängnis. Die politisch brisanten und provozierenden Themen auf der Bühne kennzeichnen einen künstlerischen Werdegang, der sich nie auf die Vereinnahmungsversuche des Staates sowie des Landes einließ. Diese Kompromisslosigkeit im Umgang mit den Autoritäten führte dazu, dass in letzter Konsequenz nur eine Möglichkeit übrig blieb, wie sich das Tanztheater IKARUS dem Zugriff der Mächtigen entziehen konnte: nämlich durch die Auflösung.
Lernphase II – Die Kunst des Gewährleistens
Es folgte die Emigration in ein anderes Bundesland als freischaffender Theatermacher, die in der Erkenntnis der repräsentativen Reproduktion in der Daseinsberechtigung der großen Festivals, Schauspiel- und Opernhäuser mündete. Die Folge war der Fall in eine tiefe Depression, bis auf das Moment, die Möglichkeit eingeräumt zu bekommen, die Kunst nicht nach existenziellen Maßstäben zu produzieren, sondern sie einfach nur zu gewährleisten. So wurde Berlin zum nächsten Lebensmittelpunkt, da wo er namhaften Künstlern den Boden ebnete, damit sie ihre unverkennbare Sprache manifestieren konnten, wäre da nicht das Totenbett seines Vaters in die Quere gekommen. Der Bergbauernhof in den Karawanken braucht einen Nachfolger, hieß es. Die Angst vor der Rückkehr des „verlorenen Sohnes“ auf sein seit Jahren verdrängtes Heim, inmitten des Gedankenguts des 19ten Jahrhunderts, wurde vom Heimweh überschattet. So kehrte er in der Rolle des Narren zurück in das fast zur Gänze von der Natur zurückeroberte Leppener Tal, bahrte seinen Vater in der Bauernstube auf, ließ ihn zu Grabe tragen, während er sich gleichzeitig mit seiner letzten Inszenierung im Stadttheater Klagenfurt vom Lebenselixier Bühne vorläufig verabschiedete. Die Zeit der a-Zone war angebrochen.
Lernphase III – das Vakuum danach
Die millionenschwere Eventwalze des Landes hat mittlerweile alle gesellschaftlichen Bereiche des Lebens in Kärnten erfasst. Alles, was sich nicht in das Erscheinungsbild der selbst ermächtigten Kulturwächter einordnete, wird mit Selbstpreisungsplakaten der Politiker überpinselt, Massenveranstaltungen, vorgegaukelten Visionen, Opportunismus und Populismus in Masse und Macht überfahren, verdrängt und in Just for Fun Mentalität an den Rand der Vergessenheit gedrängt, wenn es da nicht Menschen gebe, die sich gegen diesen Stumpfsinn aufbäumen, um nicht selbst der Verantwortungslosigkeit verdächtigt zu werden. Kunst und Kultur als Antwort auf das monopolistische Machtspiel der Mächtigen ist in Kärnten eine der wenigen übrig gebliebenen Möglichkeiten für die Überlebensstrategie geworden, auch in vorbereitender Funktion für die Zeit danach, wo das jetzige Machtspiel in den völligen Machtverlust, in die Bedeutungslosigkeit übergehen wird. So weit das Pendel bereits schon in die massiv repräsentativ-seichte Götterdämmerung ausgeschlagen hat und noch wird, so gibt es bereits in entgegengesetzter Richtung – neben einigen wenigen noch bestehenden Kulturinitiativen und Vereinen, die beharrlich ausharren und sich den verordneten Trends von oben mit intelligenter Kreativität entgegen stemmen - eine sich abzeichnende Solidarbewegung, die ohne der gegebenen politischen Realität, sich so gar nicht zusammen finden würde. Oft ist der Antrieb dazu die Angst des Einzelnen vor der Ohnmacht der Masse des herrschenden Systems, die bis dato fremde Menschen zusammenführt und die auf Basis der gewachsenen Kulturlandschaft neue nachhaltige Visionen diskutieren und neu kreieren lässt. Eine fällig neue Durchmischung der seit Generationen bestehenden Gesellschaftsstrukturen mit ihren traditionellen Leitbildern und Denkmustern ist die Folge und lässt hoffen. Dabei Herrscht nicht die Überzeugung, dass es gut ausgehen wird, sondern die Gewissheit, dass es jedenfalls Sinn macht, egal wie es ausgeht. Dabei nimmt die Jugend immer wieder eine zentrale Rolle ein.
Öffentliche Schulen rotten sich zusammen und entwickeln Projekte, die auf Spuren der Großväter basieren und aus deren ein neues Leitbild des Vertrauens unter den Jugendlichen wie auch den der Generationen für eine lebenswerte Zukunft sich eröffnet. Unter anderen ähnlichen Plattformen im Lande Kärnten / Koroska, steht auch die a-Zone als neu geschaffener Landschaftsraum, Lebensraum, Kunstraum der Entwicklung neuer Zukunftsbilder zur Verfügung. Das A steht für die Erneuerung, für die Autonomie und als erster Buchstabe des Alphabets auch für den Beginn einer neuen Sprachqualität. Dabei werden in gesamtsinnlicher Wahrnehmung und Sensibilisierung über naturkundliche und geschichtshistorische Fakten und den damit verbundenen Erfahrungen, künstlerische Profile entwickelt, die in erster Linie zur Stärkung des Selbstbewusstseins von Jugendlichen, aber auch von Erwachsenen führen. Dieser identitätsstiftende Prozess hat zum Ziel, nach der Abwahl der jetzigen Politik, das sich teilweise dadurch eröffnende Vakuum zu füllen. Dabei kommt es bei den Prozessen nicht auf die Kunstform an - sie ist je nach Bedarf austauschbar - sondern ausschließlich nach erarbeiteten Inhalten, für die dann die jeweilige Kunstform als Vermittlungselement, als Sprache gewählt wird.
Wir dürfen nicht glauben, dass unsere Erwachsenenwelt auch die Lebenswelt der nächsten Generation sein wird. Die Prioritäten ändern sich so rasch, dass wir manchmal selbst nicht registrieren und manchmal darauf vergessen, sie wahr zu nehmen und in unserer alten Welt gefangen bleiben. Als der Dokumentarfilm „Polariod Reise durch die Kärntner Ortstafelzone“ von Frederick Baker und meinem Beitrag bei der diesjährigen Diagonale in Graz uraufgeführt wurde, vertrat mich mein 15 jähriger Sohn am Podium, da ich selbst nicht teilnehmen konnte. Sein Resumee dazu: „So tragisch, schmerzhaft und irrational die Geschichte Kärntens auch sein mag, so wenig gibt sie mir Rückhalt für meine eigene Aufgeschlossenheit für die Zeit, die ich leben möchte.“
Meine Antwort darauf ist ein Satz von Georg Bernard Shaw: „Der Nachteil der Intelligenz besteht darin, dass man ununterbrochen gezwungen ist, dazuzulernen.“
Dazu gehört– so meine ich - auch die Lernfähigkeit der Kunst, der Prozess als Ergebnis, mit all seinen Ausdrucksformen.
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Webmeister: Branko Andric
last change: 2010-02-16