Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 17. Nr. | Juni 2010 | |
Sektion 4.2. | Different Ways of Thinking: Formation – effects – interactions | Verschiedene Denkweisen: Entstehung – Wirkungen – Zusammenwirken Sektionsleiter | Section Chair: Arne Haselbach (Wiener Denk-Werkstatt) and David Simo (University of Yaounde) |
Sektionsbericht 4.2.
Verschiedene Denkweisen: Entstehung – Wirkungen – Zusammenwirken
Arne Haselbach (Wiener Denk-Werkstatt / Vienna Think Tank, Wien, Österreich) [BIO]
Email: aon.913529103@aon.at
Im einleitenden Referat zur Thematik der Arbeitsgruppe präsentierte Arne Haselbach unter dem Titel Verschwinden Denkweisen, verschwinden Kulturen Antworten auf einige grundlegende Fragen über Denkweisen im Rahmen des allgemeinen Themas "Denken über das Denken". Er gab einige Beispiele von Kategorisierungen von Denkweisen und zeigte dabei auf, dass die den meisten philosophischen Ansätzen zugrunde gelegten Definitionen von "Denken" viel zu eng sind, um die komplexen Vorstellungen und Vorgänge erfassen zu können, welche die vielfältigen Phänomene menschlicher Auseinandersetzung mit der Welt und mit sich selbst ermöglichen. Mit Hilfe von Texten von Alfred North Whitehead und Ludwig Wittgenstein legte er dar, dass die Vorstellung von "Arten und Weisen" den tatsächlichen Gegebenheiten von Denken und Sprache wesentlich besser entspricht als die Vorstellung von "Begriffen". Eine Auseinandersetzung mit Ergebnissen empirischer Forschung der letzten zwei Jahrzehnte über Zusammenhänge von Sprache, Denken und Kultur, zeigte auf, dass gegenseitige Abhängigkeiten nicht nur zwischen Denken und Sprache, sondern auch zwischen Kulturen und Kognitionsweisen bestehen. Damit wurde belegt, dass die Vielfalt der Denkweisen der verschiedenen Kulturen und Sprachen sowie der einzelnen Menschen das kreative Potential dieser Welt ausmachen. Mit jedem Untergehen von Sprachen, von Kulturen und damit von Denkweisen verringert sich somit das kreative Potential, das für die Gestaltung der Zukunft der Menschheit zur Verfügung steht.
Neriman Eratalay von der Universität Hacettepe sprach über Haydarpaşa, ein Bahnhof mit Blick auf Europa. Dieser Bahnhof, in einer Stadt mit einer rund 2.700-jährigen Geschichte, während der sie die Namen Byzanz, Konstantinopel, Istanbul trug - in einer Stadt, die strategisch an der Meerenge des Bosporus gelegen ist, die Europa und Asien trennt und verbindet. Haydarpaşa, der große Bahnhof am asiatischen Ufer des Bosporus, ist ein bedeutendes Baudenkmal. Das den Bahnhof umgebende Stadtviertel ist baulich eines der schönsten der spätottomanischen und republikanischen Zeit. Gemeinsam mit dem Kopfbahnhof Sirkeci, Endstation aller Züge aus Europa, und den Schiffsverbindungen über den Bosporus, bildet Haydarpaşa die Drehscheibe für den Eisenbahnverkehr zwischen Europa und dem Mittleren Osten. Durch seinen Bau wurde das Innere der Türkei und, bald darauf, der Weg nach Bagdad für Reisende erschlossen. Auch der Gütertransport auf dem Landweg intensivierte sich. Durch seine historische Funktion bei der Intensivierung des Reise- und Güterverkehrs ist Haydarpaşa daher auch ein wichtiges Denkmal der Geschichte der modernen Zivilisation. Heute ist Haydarpaşa, der Bahnhof mit dem umliegenden Stadtviertel, durch große Stadtplanungsprojekte akut gefährdet. Der Beitrag war ein sehr interessantes Plädoyer für seine Erhaltung. - Im Kontext der Arbeitsgruppe stellte sich die Frage, wie man mit den konkreten Ausformungen (Denkmälern und historischen architektionischen Ensembles) umgehen soll, die Zeugnis von historischen architektonischen und symbolischen Denkweisen ablegen, sowie ob wichtige Aspekte der eigenen Geschichte nur in Büchern und Fotografien, oder doch auch in Form architektonischer Zeugnisse erhalten werden sollen; weiters auch die Frage wie sich Denkweisen, vorhandene Techniken und gelebte Kulturen aufeinander auswirken.
Dieter H. Sevin von der Vanderbilt University in Nashville, USA, setzte sich mit Literatur und gesellschaftlicher Wandel in der DDR auseinander. Seine Argumentation arbeitete die spezielle Rolle von fiktionalen Texten in der DDR heraus. Er betonte, dass fiktionale Texte sehr viel geeigneter als expositorische Darlegungen waren, den intellektuellen Diskurs in der DDR zu erweitern und so entscheidend zum gesellschaftlichen Wandel in der ehemaligen DDR beizutragen. Indem gerade das, was nicht direkt gesagt wurde – nicht gesagt werden durfte – in die Vorstellungswelt des Lesers projiziert werden konnte, war es möglich, die durch die Zensur vorgegebenen Grenzen zu durchbrechen und diese durch die Perspektivität der Texte zu umgehen. Diesen Überlegungen folgend, erscheint es legitim, gewissen Prosatexten, die in der DDR in weit verbreitete Vorstellungen und verhärtete Positionen einzudringen vermochten, eine Vorreiterstellung für die Meinungsbildung in der zweiten Hälfte der Achtziger Jahre zuzuschreiben.
Unter dem Titel Rollenspiele. Gesellschaftliche und ästhetische Strategien im Werk von Christoph Hein analysierte Klaus Hammer, zur Zeit an der TU Koszalin und der Akademie Slupsk in Polen, einige von Heins Werken. Dabei arbeitete er sowohl die wiederkehrenden Herangehens- und Darstellungsweisen als auch die den einzelnen Werken spezifischen Szenarien heraus. Demnach sind zum Beispiel Ideale desavouiert, Botschaften verschlissen, das Leben scheint eine falsches, leeres, sinnloses und auswegloses – Hein unternimmt die Bestandsaufnahme eines Zustandes, nicht die Schilderung eines Entwicklungsprozesses. Paradoxes Figurenverhalten hat paradoxe Wirkungen, die einen bestimmten Entwicklungszustand objektiver Verhältnisse ironisch-satirisch verfremden. Während in seiner Prosa gesellschaftliche Realität und Psychologie der Figuren gleichermaßen minutiös aufgezeichnet und verzahnt erscheinen (und die Notation geringfügiger Verhaltensänderungen hier das Aufregende und „Unerhörte“ der Begebenheit ausmacht), bleibt Hein in seinen konventionell gebauten Stücken vornehmlich registrierender Chronist, der allerdings mehr an den Folgen als an den Fakten interessiert ist. Es sind Spiele um Kunstfiguren, Schau- und Denk-Spiele, in denen sich überall komisch abgründige Fallen auftun. Sie heben sich in ihrer Abfolge direkt und indirekt auf, führen weiter oder setzen dagegen.
Im Referat von Josef Bordat (Berlin) Der Internationale Strafgerichtshof als Instrument einer gerechten Nachkriegsordnung ging es um die Weiterentwicklung internationalen Rechts aus gesamtzivilisatorischer Perspektive und speziell um die Justitiabilität von „crimes against humanity“ („Verbrechen gegen die Menschlichkeit“). Dieser Terminus wurde vom Nürnberger Kriegsverbrechertribunal geprägt, um das verbrecherische nationalsozialistische Regime in seiner Gesamtheit anklagen zu können, obgleich nur Einzelpersonen zu verurteilen waren. Das Nürnberger Tribunal war der erste Schritt auf dem langen Weg zu einem ius post bellum als Ergänzung des klassischen bellum iustum-Konzepts. In der Debatte um humanitäre Interventionen als moderne Formen des klassischen bellum iustum werden neben der Frage einer Rechtfertigung militärischer Gewalt auch zwei Perspektiven zur Weiterentwicklung des Begriffs vom gerechten Krieg eingenommen. Die eine bezieht sich auf die Prävention von 'interventionsreifen' Zuständen, die andere auf die Nachsorge. Die Verantwortung der Weltgemeinschaft zeigt sich hierzu im Wiederaufbau nach Kriegen (insbesondere der zerstörten Infrastruktur und/oder des zerstörten Vertrauens). Um das Vertrauen der Menschen in das Nachkriegssystem entwickeln zu können, muss ein System, das interventionsreife Verhältnisse hervorgebracht hat, einem gerechten Urteil zugeführt werden. Mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Nürnberger Tribunal wurde mit dem Römischen Statut (1998) und der Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) ein wichtiger weiterer Schritt gesetzt. Die rechtlichen Grundlagen der Aufgaben und Verfahrensweise des IStGH (u. a. die formale und inhaltliche Zuständigkeit, Verfahrenseinleitung und Verfahrensgang, Strafen) wurden vorgestellt. Das damit angestrebte zivilisatorische Ziel ist jedoch keineswegs voll erreicht, da insbesondere die USA, China und Indien nicht beigetreten sind. Anhand der Argumente, mit denen die USA den IStGH ablehnen, wurden abschließend die Schwierigkeiten der Entwicklung weltweit gemeinsamer Denk- und Normsetzungsweisen aufgezeigt.
Dirk Bissbort vom Zentrum für empirische pädagogische Forschung der Universität Koblenz-Landau in Deutschland ging bei der Behandlung des Themas Facilitating original and critical thinking by differential approaches to self-direction in learning davon aus, dass selbstgesteuertes Lernen verschiedene Modi akademischen Lernens herbeiführen kann. Als Folge dieses Ansatzes forderte er, dass für Prozesse und Ergebnisse, die auf die Förderung originellen und kritischen Denkens abzielen, Selbststeuerung als zentral eingestuft werden sollte. Im Rahmen seiner Präsentation wurden einerseits Ergebnisse, die auf eine Synopsis vorliegender Instrumente zur Findung von unterschiedlichen Lernansätzen innerhalb des selbstgesteuerten Lernens abzielen, und andererseits vorläufige Ergebnisse aus laufenden phänomenologischen und empirischen Forschungen über mögliche Strukturen eines Konstruktes "differenzierte Ansätze für selbstgesteuertes Lernen" präsentiert. Die Grundfragestellung ist im Rahmen von Überlegungen zu Arbeitsfeld 'Denkweisen' wichtig, da gerade die verschiedenen Denkweisen Einzelner wohl am wenigsten untersucht worden sind.4.2. Verschiedene Denkweisen: Entstehung – Wirkungen – Zusammenwirken
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Webmeister: Gerald Mach last change: 2010-06-08