Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 17. Nr. | Februar 2010 | |
Sektion 4.3. | Die Zukunft der Hochschule Sektionsleiter | Section Chair: Thomas Rothschild (Universität Stuttgart) |
Paradigmenwechsel in der Lehre?
Eine wissenssoziologische Auseinandersetzung mit dem
Europäischen Qualifikationsrahmen für Hochschulabschlüsse
Alexandra Hausstein (University of Toronto, Kanada) [BIO]
Email: alexhausstein@web.de
Der Paradigmenwechsel als Argumentationsfigur im Bologna-Prozess
Nimmt man den Begriff des Paradigmenwechsels Kuhnscher Prägung ernst, so ist der gewünschte Paradigmenwechsel an deutschen Hochschulen wohl eher noch eine Utopie, vor allem eine wissenschaftspolitische Utopie. Weder kann man von einer Inkommensurabilität des traditionellen und neuen Paradigmas sprechen – wohl eher an eine Anknüpfung -, noch ist davon auszugehen, dass die Verfechter des neuen Paradigmas sich komplett außerhalb der Hochschulhegemonie befinden würden. Der erwünschte und vielleicht auch notwendige (?) Paradigmenwechsel erscheint den meisten Interessengruppen in der Hochschullandschaft als eine von der Politik verordnete Sache, deren Risiken und Nebenwirkungen noch nicht abschätzbar sind. Mittlerweile ist die Bologna-Reform aber bereits soweit diskutiert und in die universitären Alltagswelt kommuniziert worden, dass Trendberichte davon ausgehen, dass Kritik sich „kaum mehr auf den Zweck der Reformen […] sondern vielmehr auf die bereitgestellte bzw. ausbleibende Unterstützung für die Reformen“ bezieht. (EUA 2005). Besteht bereits ein Konsens dahingehend? Selbst über die Semantik des Wortes Paradigmenwechsel ist man sich nicht ganz einig. Im Allgemeinen wird damit der Perspektivenwechsel vom „Input“ zum „Output“ bezeichnet. Für den Bereich der Hochschulsteuerung heißt das kennzahlenorientiertes Hochschulmanagement. Für den Bereich der Lehre heißt das eine Umorientierung vom Fokus auf Lehre zum Fokus auf Lernen. Dieses sei so zu gestalten, dass nicht nur Wissensinput von Seiten der Lehrenden geleistet und dieses dann in traditionellen Prüfungsformen abgeprüft wird, sondern dass jetzt verstärkt die zu erwerbenden Kompetenzen auf Seiten der Studierenden, das so genannte „Output“, in das Zentrum von Curricularüberlegungen rücken. Der zu lernende Inhalt tritt in Zeiten unsicherer Kanons, einer kürzeren Halbwertzeit von Wissen und einer zunehmend problematischeren Legitimität sicheren Wissens und sicherer Information in den Hintergrund – was übrig bleibt ist das, was im Lernprozess angestrebt werden sollte – eine Qualifikation, die sich den aktuellen Bedingungen der Wissensgesellschaft anpasst und zum Zwecke der nationalen und internationalen Vergleichbarkeit in Qualifikationsrahmen differenziert und inhaltsoffen benannt wird.
Dabei ist der Paradigmenwechsel im hochschulpolitischen Gespräch nur eines von vielen Elementen des Diskurses um den Bologna-Prozess, und auch nicht das sichtbarste. Das Reden über den Paradigmenwechsel als Perspektivenwechsel wird meist auf konzeptueller Ebene diskutiert, in den Anforderungen des Bologna-Alltags gerät er schnell aus dem Blick. Trotzdem könnte man ihn als die dem „Prozess“ unterliegende grundlegende Zieldefinition bezeichnen, die das öffentlich genannte Ziel der Integration des Europäischen Hochschulsektors weit übertrifft, weil es dieses eben auf konzeptueller Ebene begründet. Im öffentlichen Diskurs nimmt der sogenannte Paradigmenwechsel jedoch nur eine Randstellung ein und erscheint als einer von vielen politischen Schritten in Folge vorgängiger legitimatorischer Diskurse. Damit wird aber der bildungstheoretisch anschlussfähigste Teil des öffentlichen Gesprächs um die Hochschulreform auf einen Nebenschauplatz verlagert und das Potential, das dieser Diskurs in Bezug auf eine echte bildungs- und hochschulpolitische Debatte hat, die alle Interessengruppen einbeziehen könnte, verspielt. Es wäre nämlich der Begriff des Wissens und die Funktionen der Hochschulen als Institutionen der Wissensvermittlung diejenigen Themenfelder, die alle Interessengruppen der Hochschullandschaft in einem grundlegenden Gespräch über die Zukunft der Hochschule zusammen führen könnten.
Die konzeptuelle, ansatzweise wissenstheoretische Fundierung des Bologna-Prozesses findet sich in den Qualifikationsrahmen für Hochschulabschlüsse. Ein Qualifikationsrahmen ist “the single description, at national level or level of an education system, which is internationally understood, and through which all qualifications and other learning achievements in higher education may be described and related to each other in a coherent way and which defines the relationship between higher education qualifications.” (EQR: 31f.) Wissenssoziologisch betrachtet stellt der Europäische Qualifikationsrahmen, erst recht die nationalen Qualifikationsrahmen mit ihrem höheren Grad an Verbindlichkeit, eine fortgeschrittene Stufe der Professionalisierung und Institutionalisierung eines zuvor als konsistent dargestellten Konzeptes und Diskurses um die Notwendigkeit einer hochschulpolitischen Umorientierung in Europa dar.
Folgende Grafik stellt den Fokus einer wissenssoziologischen Betrachtung des Bologna-Prozesses dar (Abb 1):
Abb 1: Wissenssoziologische Betrachtung des Bologna-Prozesses
Die Elemente dieses Diskurses lassen sich unterteilen in
Zwei wesentliche Grundannahmen, die diesem Diskurs zugrunde liegen, sind einmal die Überzeugung, dass gegenwärtige Gesellschaften nicht so sehr Informationsgesellschaften, sondern Wissensgesellschaften sind und der Aufbau von sogenanntem Humankapital durch Investition in Bildung darüber bestimmt, ob Gesellschaften sozial stabil sind und nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg haben. Darüber hinaus wird davon ausgegangen, dass die transnationale Integration, die bereits auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet vollzogen ist, ein Erfolgmodell auch für andere weniger organisierte Bereiche der Gesellschaft sein kann. So verlagert sich die Integrationsabsicht mehr und mehr auf gesellschaftliche Ebenen, die bisher kaum formal institutionalisiert sind, wie z.B. Kultur. Bildung oder Wissenschaft, obwohl ein formal organisierter Bereich mit machtvollen Institutionen, ist doch als Prozess der Aneignung und Produktion von Wissen zwar institutionell gerahmt, aber zuvorderst ein individueller Prozess. Dass europäische Institutionen versuchen, diese Prozesse lenkend zu steuern ist dabei nur vordergründig die Reaktion auf einen gesellschaftlichen Bedarf der Problemlösung. Die Eigendynamik des Bologna-Prozesses wird nachholend rationalisiert und seine Absichtserklärungen gewinnen so den Status einer selffulfilling prophecy.
Die Formulierung der politischen Ziele der Integration weitet sich auf andere Bereiche als denen der Politik und Wirtschaft aus, weil eben diese vormaligen Randbereiche wie Bildung und Kultur als wesentliche Elemente der Bildung von dem für Wettbewerbsfähigkeit und Wachstums notwendigen Humankapital gesehen werden. Die einmal wahrgenommene Bedeutsamkeit dieser Bereiche führt zu einem Übergreifen von in den anderen Bereichen erfolgreichen Regulierungstechniken auf die Ebenen Kultur und Bildung. So diskutiert man die Übertragbarkeit der Qualitätssicherungskonzepte der Wirtschaft auf die der Hochschulen. Der zunehmenden Eventisierung von Politik entspricht die Eventisierung der Kulturpolitik mit ihrer hoch symbolischen Politik. Der Integrationswille greift über auf sogenannte „intangible areas“ (Figel auf der Eröffnung des KCTOS Kongresses) die zu den Arenen symbolischer Politik werden. Bildung ist wie Kultur und Identität eine „conceptual metaphor“ des europäischen Integrationsprozesses (Ján Figél).
Kultur, Identität und Bildung werden im Diskurs der europäischen Kultur- und Bildungspolitik als Katalysatoren von Entwicklung gesehen. Das definierte politische Feld, dessen Regulierung institutionellen Zwecken und Mythen wie Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit durch Integration zu dienen verspricht, erzeugt die ihm gemäße Autorisierung politischer Handlungen. Diese passiert durch Wissensproduktion und Monitoring unabhängiger Experten und die nachfolgende Regulierung durch politische Experten, die dieses Gebiet politischer Regulierung sowohl professionalisieren durch wissenschaftliche Begründung als auch institutionalisieren durch die Schaffung von Stellen, Funktionsbereichen und dem entsprechenden juristischen Rahmen.
Institutionalisierung und Professionalisierung des Kompetenzdiskurses
Dieser Prozess der Professionalisierung und Institutionalisierung von Wissen für Politikbereiche wird in Bezug auf unser Thema deutlich in der politischen Implementierung des Qualifikationsrahmens. Der Europäische Qualifikationsrahmen für Hochschulabschlüsse ist ein Instrument zur Unterstützung des Paradigmenwechsels von Input zu Output und stellt in besonderer Weise dar, wie in neuen Überlegungen zu Curricula und zum Ziel der Hochschulbildung überhaupt, der Kompetenzbegriff als eher output-orientierter Begriff den kumulativ-inputorientierten Wissensbegriff zunehmend ablöst. Zu der Frage, welcher Wissensbegriff dahinter steckt möchte ich später kommen. Zuerst gilt unsere Aufmerksamkeit der Frage der Institutionalisierung und Professionalisierung des Kompetenzdiskurses und der Annahme, Wissenstransfer und Kompetenzausbildung seien über generische Deskriptoren beschreibbar.
Überlegungen zur Erstellung fachspezifischer und allgemeiner Deskriptoren für zu erwerbende Kompetenzen in der Hochschulbildung werden schon seit den 80er Jahren auf nationaler Ebene und im Rahmen einiger transnationaler Projekte diskutiert (Joint Quality Initiative, Dublin Descriptors, Tuning Project). Auf Ebene der Europäischen Kommission wurde 2005 der Europäische Qualifikationsrahmen(1) Teil der Strategie des Berlin Kommuniqués (2003). Der Qualifikationsrahmen für Hochschulabschlüsse im Europäischen Hochschulraum gibt einen Rahmen vergleichbarer und kompatibler Abschlüsse für HEI, der das Curriculum hinsichtlich der zu erreichenden Qualifikationen auf Niveaustufen in Bezug auf Arbeitsbelastung, Niveau, Lernergebnisse, Kompetenzen und Profile der jeweiligen Abschlüsse (Bachelor, Master, Promotion) differenziert. Der Qualifikationsrahmen diente als Orientierung zur Entwicklung des deutschen Qualifikationsrahmens (von HRK, KMK und BMBF entwickelt), der am 21.4.2005 von der KMK beschlossen wurde.
Abb 2: Professionalisierung und Institutionalisierung des Kompetenzdiskurses
Die zu erwerbenden Wissensniveaus und Kompetenzen wurden im Europäischen Qualifikationsrahmen kategorisiert und auf Länderebene wie bspw. im Nationalen Qualifikationsrahmen für Deutschland weiter konkretisiert. Sie erreichen gemäß dem Subsidiaritätsprinzip erst auf nationaler Ebene formale Verbindlichkeit, in Deutschland z.B. durch die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz und die Landeshochschulgesetzgebungen. Auf der regionalen Ebene der Hochschulverbünde und einzelnen Universitäten werden diese Vorgaben und Richtlinien umgesetzt in Beratungsaktivitäten von Dienstleistungszentren zur Qualitätssicherung, Hochschuldidaktik oder Curriculumsentwicklung, auf der präsidialen Ebene durch Leitbilder, Zielvereinbarungen und mission statements und auf der Ebene der Fakultäten und Departments in der letztlichen Ausarbeitung der Curricula und Modulbeschreibungen, Überlegungen zu neuen Lehr- und Lernkonzepten und den Zielen der universitären Bildung. (vgl. Abb. 2)
Gemäß dem Subsidiaritätsprinzip, das für die Kultur- und Bildungspolitik gilt, hat der Europäische Qualifikationsrahmen eher den Status einer „Aktion“ und „Empfehlung“, bzw. einer Absichtserklärung, und nicht den Verbindlichkeitsgrad eines Gesetzes oder einer Richtlinie. Diese Empfehlungen wurden sowohl auf den Treffen in Berlin (September 2003, Empfehlung „to elaborate an overarching framework of qualifications for the European Higher Education Area“)(2) als auch Bergen (2005) und in den jeweils daraus resultierenden Communiqués ausgesprochen. Der Berlin Konferenz der Bildungsminister ging eine Bologna-Konferenz in Kopenhagen im März 2003 voraus, deren Thema „Qualifications Structures“ im Zusammenhang mit Qualitätssicherung und der europaweiten Strukturierung der Ausbildungszyklen stand und auf der bereits existierende Qualifikationsrahmen als mögliches Instrument einer Integration im Hochschulsektor und Instrument der Qualitätssicherung vorgestellt wurden. Die Teilnehmer dieser von der dänischen Regierung organisierten Konferenz erarbeiteten eine Empfehlung für das Ministertreffen in Berlin, in dem die Minister aufgerufen wurden, nationale Qualifikationsrahmen zu entwickeln und die Entwicklung eines europäischen Qualifikationsrahmens zu unterstützen.(3)
Im Anschluss an die Berlin Konferenz der Bildungsminister, wurde eine Bologna Follow Up Gruppe gebildet, mit dem Auftrag, eine Arbeitsgruppe zu berufen, die einen Qualifikationsrahmen für den Europäischen Hochschulraum (European Higher Education Area – EHEA) erarbeitet. Die international zusammengesetzte Arbeitsgruppe(4) traf sich seit März 2004 insgesamt 6 Mal. Der während dieser Zeit erarbeitete Qualifikationsrahmen orientiert sich stark an den bereits formulierten „Dublin Descriptors“(5) und anderen bestehenden Rahmenwerken in anderen Ländern, die in Folge nationaler und internationaler Netzwerke, Projekte und Initiativen entstanden sind, namentlich Dänemark, Irland und Groß-Britannien. Das begründet auch die sehr UK-, Dänemark- und Irland-lastige Zusammensetzung der Arbeitsgruppe. Es kann davon ausgegangen werden, dass bei der Politisierung des zu regulierenden Feldes Europäischer Hochschulraum, auf bereits bestehende nationale und transnationale Regulierungen, deren Funktionalität und Konsistenz nachgewiesen werden konnte, zurückgegriffen wurde und die Experten, die über die entsprechende Erfahrung mit diesen Rahmenwerken verfügen, in eine Arbeitsgruppe berufen wurden. Damit reproduziert sich nicht nur ein bestimmter regionaler Diskurs und Expertennetzwerke, sondern die Rahmenwerke, die im Kontext einer bestimmten Wissenschaftskultur und Tradition der Wissenschaftspolitik entstanden sind, werden im Zuge der Europäischen Integration des Hochschulsektors auf eine höhere Ebene der Regulierung gehoben, indem sie als Beispiele von good oder best practice dargestellt werden. Die Länder, die über eine entsprechende Regulierung noch nicht verfügen, geraten zwangsläufig unter Anpassungsdruck, auch wenn der Qualifikationsrahmen nicht den Charakter einer Vorschrift hat. Wie Bergan es ausdrückt, eine Verweigerung würde unweigerlich zur Nicht-Akzeptanz durch die „Bologna-Familie“ führen.(6) Deutschland war hier, neben Ungarn und Finnland, noch am schnellsten in der nachziehenden Erarbeitung eines eigenen Qualifikationsrahmens. Mit Blick auf die Akteure in Deutschland wird aber klar, dass es sich hier um Experten handelt, die bestens mit den britischen und irischen Strukturen vertraut sind, längere Zeit dort gelehrt und gelebt haben und daher einen raschen Anschluss an den Diskurs bieten konnten.(7)
Sjur Bergan, Berichterstatter der Kopenhagener Bologna-Konferenz 2005, fasst schließlich zusammen, welche Funktion der Qualifikationsrahmen über die pragmatische Funktion der Erleichterung der Mobilität und Vergleichbarkeit der nationalen Systeme hinaus hat, nämlich der Bologna-Qualifikation, dem Europäischen Bachelor, Master und PhD ein „Gesicht“ zu geben: „the overarching framework for qualifications of the European Higher Education Area is likely to be the ‚face’ of ‚Bologna-Qualifications’ to the rest of the world.“(8)
Der EQF wurde im Januar auf dem Bologna-Seminar in Kopenhagen(9) vorgestellt und überarbeitet und auf dem Treffen der Europäischen Bildungsminister in Bergen im Mai 2005 vorgelegt und angenommen. Im Bergen-Kommuniqué (2005) verpflichten sich die Mitgliedsländer „bis 2010 nationale Qualifikationsrahmen zu erarbeiten, die mit dem übergreifenden Qualifikationsrahmen im EHR kompatibel sind, und bis 2007 mit der Arbeit daran zu beginnen.“ Der Europäische Qualifikationsrahmen gilt somit als gemeinsamer Referenzpunkt zur Strukturierung der Hochschulbildung in allen Unterzeichnerstaaten des Bologna-Prozesses. Der EQF umfasst eine Definition der Qualitätskontrolle und der Zertifizierung und einen Kompetenzenkatalog. Der EQF ersetzt nicht ein nationales Qualifikationssystem, er hilft nur, dieses zu übersetzen und zu interpretieren. Die unterzeichnenden nationalen Ministerien haben sich zur Umsetzung dieser Richtlinien bereit erklärt, d.h. zur Entwicklung eigener Qualifikationsrahmen in Anlehnung an das Europäische Beispiel. Der Qualifikationsrahmen wurde u.a. vorbereitet von Pilotprojekten, wie dem Tuning Project und der Joint Quality Initiative, die allgemeine und fächerspezifische Referenzpunkte für Studienabschlüsse entwickelt haben. Die Dublin Descriptors (December 2004), die von der EU als Niveaubeschreibungen für die höhere Bildung auf europäischer Ebene übernommen wurden (European Qualification framework), unterschieden als Elemente von Hochschulbildung:
Der Qualifikationsrahmen ist Teil der Qualitätssicherung, da er sowohl die Transparenz und Vergleichbarkeit von Ausbildungsgängen erhöhen soll, als auch als Referenz für Evaluation und Akkreditierung gilt.
Wissenbegriffe des Paradigmenwechsels
Dem Kompetenzdiskurs unterliegen bestimmte Annahmen bezüglich Lernen; Kompetenz und Qualifikation, die im Folgenden kurz referiert werden sollen.
Der Europäische Qualifikationsrahmen definiert Lernen als einen "cumulative process where individuals gradually assimilate increasingly complex and abstract entities (concepts, categories, and patterns of behaviour or models) and/or acquire skills and wider competences. This process takes place informally, for example through leisure activities, and in formal learning settings which include the workplace.”(10)
Lernergebnisse werden definiert als “statements of what a learner is expected to know, understand and/or be able to do at the end of a period of learning.”(11)
Kompetenz schließlich umfasst: 1) cognitive competence involving the use of theory and concepts, as well as informal tacit knowledge gained experientially; 2) functional competence (skills or know-how), those things that a person should be able to do when they are functioning in a given area of work, learning or social activity; 3) personal competence involving knowing how to conduct oneself in a specific situation; and 4) ethical competence involving the possession of certain personal and professional values. (12)
Während Kompetenzen das Wissen, die Fähigkeiten und Fertigkeiten bezeichnet, die in einer bestimmten Arbeitssituation zur Anwendung kommen können, sind Qualifikationen der formale Ausdruck (im Sinne von Abschluss, Zeugnis oder Zertifikat) und Nachweis, dass die Lernergebnisse und Kompetenzstufe erreicht wurden: „any degree, diploma or other certificate issued by a competent authority attesting that particular learning outcomes have been achieved, normally following the successful completion of a recognised higher education programme of study.“
Die zu erreichenden Kompetenzen und Qualifikationen einer Niveaustufe werden im Qualifikationsrahmen beschrieben und expliziert. Ein Qualifikationsrahmen (13) ist ein Instrument zur Entwicklung und Klassifizierung von Qualifikationen entsprechend einem Satz von Kriterien zur Bestimmung des jeweiligen Lernniveaus. Die einzelnen Kompetenzen werden unterschieden in kognitive Kompetenzen, die den Gebrauch von Theorien und Konzepten bestimmen, funktionale Kompetenz, die eine bestimmte Fertigkeit zur Ausübung einer Tätigkeit definiert, Ethische Kompetenz, die Ausbildung auf die Ebene der persönlichen und sozialen Wertebildung hebt und Personale Kompetenz, die den Umgang mit einer Menschen in einer gegebenen Situation beschreibt.
Abb. 3 Wissensbegriffe des Paradigmenwechsels
Der deutsche Qualifikationsrahmen(14) wiederum unterscheidet in Wissen, Verstehen und Können. (Qualifikationsrahmen für deutsche Hochschulabschlüsse, Mischung aus Dublin Descriptors und Tuning-Kategorien). „Die Kategorie Wissen und Verstehen beschreibt die erworbenen Kompetenzen mit Blick auf den fachspezifischen Wissenserwerb (Fachkompetenz). Die Kategorie Können umfasst die Kompetenzen, die einen Absolventen dazu befähigen, Wissen anzuwenden (Methodenkompetenz), und einen Wissenstransfer zu leisten.“ (QRD: 5) Außerdem sind hier die kommunikativen und sozialen Kompetenzen eingeordnet.
Abb. 4: Qualifikationsrahmen für Deutsche Hochschulabschlüsse
Durch den Qualifikationsrahmen erhofft man sich höhere Transparenz in Bezug auf Qualifikationsstufen. Transparenz bedeutet, vormals implizites Wissen sichtbar nach außen darzustellen und somit in seiner Produktion und seiner Anwendung nachvollziehbar und auch kontrollierbar zu machen: „Competences, such as those of critical evaluation, were and are embedded or implicit in the assessment values and practices. It is becoming increasingly widespread practice that as wide a range of the outcomes as possible are specified. Such explicit specification facilitates the comparison on qualifications.”(15) So werden die impliziten Annahmen, was gute und richtige Bildung ist, abgelöst von einer Weitergabe, die bisher auf Status und Rang reduziert war und auf dem kulturellen und sozialem Kapital desjenigen vertraute, der Wissen vermittelte. Der Bericht der Arbeitsgruppe sagt diesbezüglich ganz klar, dass „outcome-based approaches“ Wissen und Bildung in völlig neuer Weise kommunizieren: „The very nature and role of education is being questioned, now more than ever before, and the learning outcomes are important tools in clarifying the results of learning for the student, citizen, employer and educator.”(16) Lässt sich aber Kapital so weit entkräften durch formale Beschreibungen? Wird Kapital so kontrollierbarer? Dass die Transparenz der Bildung auch einer Demokratisierung von Bildung oder einer Öffnung des Zugangs zu Bildung und Arbeitsmarktchancen entspricht ist zweifelhaft.(17) Bei wissenssoziologischer Betrachtung des Phänomens kann festgestellt werden, dass eine Zunahme der Vergleichbarkeit auch einen erhöhten Vergleich und damit einer Hierarchisierung in der Wertigkeit im Nachgang von öffentlichen Abgrenzungen bewirkt. Der Vergleich allerdings findet auf einer anderen Ebene als der der formalen Qualifikation statt, sondern geht auf die Ebene des akkumulierten Kapitals in Form von sozialen und kulturellen Kapital. Insofern sind Begründungen der Outputorientierung von Bildung, wie z.B. es sei nur entscheidend, was gelernt wurde, ohne Ansehen der Institution und des Betreuers, eine nachholende Rationalisierung einer institutionell bedingten Ausweitung des Diskurses und reine Erklärung guter Absichten. Es stellt sich mithin die Frage, ob die Geltung und Wirkung von sozialem und kulturellem Kapital tatsächlich so entkräftet werden kann, dass allein die formale Qualifikation über Karrierechancen entscheidet. Statistiken müssen das erst beweisen. Die gegenläufige Tendenz zeigt die Zunahme an Rankings und die Akkumulierung und Zentralisierung von Kapital auf dem Bildungssektor. Dass der Mattheus-Effekt in den Wissenschaften nach wie vor gilt, vor allem auch auf institutioneller Ebene, zeigt u.a. die Exzellenzinitiative.
Hochschulreform als gesellschaftliches Spannungsfeld – konfligierende Logiken und Interessen
Der Qualifikationsrahmen wird im öffentlichen Diskurs als logische Konsequenz aus verschiedenen Entwicklungen und gesellschaftlichen Tendenzen dargestellt. Dazu gehören die Demokratisierung von Bildung, die Ausweitung von Bildung auf alle gesellschaftlichen Schichten, die schnelle Generierung von Wissen und damit auch die Verkürzung der Halbwertszeit von Wissen, damit im Zusammenhang das lebenslange Lernen, Globalisierung – im Allgemeinen die Anforderungen moderner Wissensgesellschaften. Die Notwendigkeit lebenslanger Qualifizierung und die Anforderungen an Transparenz dieser Qualifikationen in Zeiten der Globalisierung der Kontakte und Mobilität auf den Arbeitsmärkten, ergeben den gesellschaftlichen und politischen Begründungskontext für die Etablierung nationaler und internationaler Qualifikationsrahmen. Diese Begründungsmatrix ist aber nur ein Element der den sich verselbständigenden Bologna-Prozess begleitenden und rationalisierenden Logik. Sie stehen im Spannungsfeld mit den Erwartungen und Rationalitätsvorstellungen der Studierenden, der Lehrenden und der Hochschulverwaltung.
Die Definition und Standardisierung von zu erreichenden Kompetenzen ist dabei nur verstehbar vor dem Hintergrund der Annahme, das Studium könnte so gestaltet werden, dass es einem Bedarf auf dem Arbeitsmarkt gerecht wird. Das Stichwort des Bologna-Prozesses dafür ist die employability. Während dieser Begriff in den ersten Jahren noch mit Berufsqualifizierung übersetzt wurde, später dann mit Berufsbefähigung, spricht man heute nur noch mehr von Beschäftigungsbefähigung, d.h. der Möglichkeit, sich überhaupt irgendwie in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Die Annahme, man würde im Studium für bestimmte Berufe ausbilden ist schon längst keine erstzunehmende Voraussetzung mehr. Letztlich geht es darum, den Studierenden nicht nur zu vermitteln, was sie lernen sollen oder können sollten am Ende ihres Studiums, sondern ihnen auch bewusst zu machen, mit welchen dieser erworbenen Kompetenzen, sie später in welchen Arbeitsmarkt einsteigen können.
Hier wird versucht, über den Begriff der Beschäftigungsorientierung, zwischen der Logik von zwei Praxisfeldern zu vermitteln. Da die Arbeitsmarktpraxis der Abnehmer ist, birgt diese Seite auch die zwingendere Logik in sich, die Logik der Praxisorientierung und Verwertbarkeit von Wissen und Kompetenzen und ihr Tauschwert. Führt die versuchte Vermittlung dieser Logiken – Hochschule, Wissenschaft und Theorie einerseits, und Berufspraxis andererseits – nun dazu, dass Hochschulen praxisorientierter ausbilden müssen, oder dass eventuell auch die Berufspraxis glaubt, der Transfer neuen Wissens könne zum Unternehmenserfolg beitragen? Diese Fragen müssen hier offen bleiben. Es kann nur vermutet werden, dass Vertreter der Unternehmen einer anderen Logik bei der Bewertung von Hochschulbildung folgen werden, als Studierende, Wissenschaftler oder die Hochschulverwaltung. Wie auch schon im Bericht zum Kopenhagener Bologna-Seminar anklingt, ist selbst der outputorientierte Qualifikationsrahmen den Arbeitgebern noch zu wenig praxisorientiert: „Christoph Anz of UNICE, speaking on behalf of European Employers, still found that the report focuses too much on the type of institution at which qualifications are earned and too little on the competences of the learners. He also felt, that there was insufficient emphasis on the practice-oriented parts of higher education.” (Bergan 2005) Man kann sich die Frage stellen, ob dieser Spagat zwischen den verschiedenen Rationalitäten und Logiken je für jede Seite zufriedenstellend vollzogen werden kann.
Trotzdem sollen Professoren, die den Arbeitsmarkt außerhalb der Universität und Wissenschaft nicht kennen und nur sporadischen Kontakt zu ihren Absolventen haben, das Studium so konzipieren, dass es beschäftigungsbefähigend ist, mögliche Berufszweige und Arbeitsfelder aufzeigen. Hier verbirgt sich ebenfalls ein systemisches Problem der Unvermittelbarkeit bestimmter Logiken und Rationalitätsvorstellungen.
Der Bologna-Prozess kann unter anderem als Versuch aufgefasst werden, diese Sichtweisen und Erwartungshaltungen bewusst zu machen und zu kommunizieren und zwischen ihnen zu vermitteln. „qualifications frameworks, then, should be elaborated in cooperation between at least the most important groups of stakeholders, and this seems to be a lesson from all different national frameworks that have been developed so far. This requires a measure of consensus building as well as a balance between a top down approach and a bottom up approach.” (Bergan 2005)
Abb. 5: Erwartungshaltungen der Akteure und Interessenkonflikte
Darüber hinaus werden die Institutionen deutlicher in ihre staatsbürgerliche Pflicht genommen. Was bisher als hidden curriculum nur wenigen bewusst war – die staatsbürgerliche und gesellschaftliche Disziplinierung durch Bildungsanstalten und deren Beitrag zur gesellschaftlichen Kohäsion – wird nun im Europäischen Qualifikationsrahmen deutlich gemacht: die Ausbildung der Persönlichkeit, Erziehung zur aktiven Teilnahme in der Demokratie, Befähigung zum eigenständigen Lernen, zur Selbstfortbildung.
Die Outputorientierung neuer Curricula bringt noch ein weiteres Problem mit sich: die Forderung nicht den Zugang zu Bildung zu limitieren, sondern zu testen, mit welchem Wissen Menschen die Bildungsinstitutionen verlassen, entlässt nicht so sehr den Einzelnen sondern die Institution in die Verantwortung für den Erfolg der Bildung, erst recht, wenn der Kunde Student dafür bezahlt.
Da Institutionen dazu neigen werden, sich als erfolgreich darzustellen und Scheitern zu minimieren, kann es unter Umständen dazu führen, dass es zum Durchschleusen für das Studium nicht geeigneter Personen kommt. Nicht, dass das ein neues Phänomen wäre, aber Bildungserfolg geht mehr und mehr auf das Konto eines guten Managements, professionell ausgebildeter Didaktiker in der Lehre und charismatischer Edutainer. In dem Maße, wie sich eine Universität als Dienstleistungsunternehmen begreift und seine Studierenden als Kunden, desto mehr kommt es zu einer Divergenz der Erwartungsansprüche und desto mehr entfernt man sich von dem Ideal eines gemeinsamen Lernens von Studierenden und Lehrenden. Darüber hinaus stellt sich das Problem der Begründung von Lehrtechniken, die durchaus dazu dienen würden, den Studierenden Kompetenzen zu vermitteln, die aber nicht auf bequemem Weg zu erlangen sind, bspw. das Üben des Mitschreibens von Vorlesungen im Sinne einer strukturierten schriftlichen Informationsaufnahme würde konterkariert durch das dienstleisterische Entgegenkommen, den Studierenden alle Materialien und Informationen bereits zu Beginn des Seminars zu geben. So ließen sich einige Beispiele finden, die zeigen, dass ein Mehr an Dienstleistungsorientierung nicht immer auch ein Mehr an ausgebildeter Kompetenz nach sich zieht.
Eigentlich würde ein solches Verständnis der Bildungsinstitution als Dienstleistungsunternehmen auch dem widersprechen, was andernorts gefordert wird – die Ausbildung zu einem späteren erfolgreichen Selbstmanagement. Eine der zugrundeliegenden Annahmen des Paradigmenwechsels in den Bildungskonzepten ist es auch, dass moderne Wissensgesellschaften für ihr wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftlichen Zusammenhalt ein fähiges Humankapital benötigen, damit gemeint Menschen die in der Lage sind sich selbst zu managen und in gewisser Weise ihre eigenen Unternehmer sind, indem sie ihr Kapital an Wissen ständig aktualisieren, auf den Markt bringen und sozial einsetzen. Die Bildungsinstitutionen vermittelten nur die erforderlichen Kompetenzen zur Selbstfortbildung, zur erfolgreichen Genese dieses individuellen Unternehmertums. Eine Institution, die sich aber als Dienstleister begreift und ihre Studierenden als Kunden, d.h. ihren Servicebereich auf die effektive und bequeme Akkumulation von Wissen ausdehnt, vermittelt im Gegenteil keine Kompetenzen zur Selbstorganisation. Der Servicebegriff in Bildungsinstitutionen, die sich als Dienstleistungsunternehmen verstehen, muss demnach anders als in der Wirtschaft definiert werden. Das kann an dieser Stelle nicht geleistet werden. Es bleiben die Fragen offen:
Bilden wir die richtigen Kompetenzen für die New Economy aus? Was bewirkt eine Ökonomisierung der Bildung? Sollte Bildung auf eine Optimierung von Selbsttechnologien abzielen, auf ein „enhancement of human performance“, auf ein effizientes und erfolgreiches unternehmerisches Selbst? Ist die Steuerung des Lernens möglich? Sind Lernoutputs planbar und überprüfbar? Wie können Wissenstransfer und forschungsnahe Ausbildung gewährleistet werden? Wie wird der Interessenskonflikt zwischen akademischer (universitäre Professionalität und beschäftigungsbefähigender Bildung (andere arbeitsmarktrelevante Professionalität) gelöst?
Und schließlich muss man sich fragen, welche Struktureffekte diese politischen Entscheidungen und Standardisierungen haben können: Kommt es zu einem massiven Vertrauensverlust durch den manipulativen, taktischen und strategischen Umgang mit den als Vorgaben kommunizierten Richtlinien des Qualifikationsrahmens?
Literatur:
Anmerkungen:
4.3. Die Zukunft der Hochschule
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