TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr. März 2010

Sektion 5.6. Vom kreativen Denken zum kreativen Handeln - Kreativitätsprobleme in der Sprache, Ausbildung und Erziehungionstitel
Sektionsleiterin | Section Chair: Tamara Janssen-Fesenko (Bad Zwischenahn, Deutschland)

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Kreative Funktion und Übersetzung der Metapher

Ekaterina Ryabykh | Wladimir Ryabykh (Universität Tambov, Russland)

Email: profkom@tsu.tmb.ru

 

In dem vorliegenden Vortrag möchten wir über kreative Funktion und Übersetzungsvarianten der Metapher diskutieren.

Überwiegend heben sich bei der Untersuchung der Metapher in der Linguistik zwei Standpunkte ab: ein semantischer, der auch als ein traditioneller bezeichnet wird und mit der Konzeption von Bedeutung eng verbunden ist, und ein kognitiver, der sich auf eine dominierende Rolle von Kenntnissen stützt. Die Gemeinsamkeit der semantischen und kognitiven Standpunkte besteht in der Entwicklung der These über die kreative Funktion der Metapher, die sich darin offenbart, dass Metaphern unsere Weltanschauung organisieren und regulieren, einige Einzelheiten dabei „beleuchtend“ und andere «verdunkelnd».

Grundlegend für unsere Problemstellung ist auch das „klassische“ Problem der „Beziehung zwischen Denken, Bewusstseins und Sprache. Das Denken als ein dynamischer Prozess, als Quelle der Wissensspeicherung und Systematisierung wird es also im Bewusstsein als ein «wissensgespeichertes Produkt» realisiert. Das Bewusstsein ist diejenige «kognitive Ebene», die alles Umweltwissen des Menschen akkumuliert und zeigt, wie, und auf welche Art und Weise, der Mensch dieses Umfeld sieht und erfasst, wie er das Weltbild / auch das sprachliche Weltbild in seinem Bewusstsein fixiert. Die im Denkprozess widergespiegelte Umwelt wird in verschiedenen mentalen Formen kodiert und repräsentiert, und eine der Repräsentationsmöglichkeiten ist die Sprache“ [Janssen-Fesenko 2007: 588-589].

Die Grundlage der Metaphorisierung ist die Analogie, weil sie eng mit dem kreativen Denken verbunden ist. Im Rahmen der durchgeführten Untersuchung interpretieren wir die Metapher als einen verbal-mentalen Mechanismus, der die Klasse der Phänomene für Charakteristik und Benennung des Gegenstandes, der in die andere Klasse hineingeht, bezeichnet und der die Gegenüberstellung zweier Gegenstände auf Grundlage der Analogie und Ähnlichkeit verursacht.

Die Untersuchung der Metapher nicht nur als mentale, sondern auch als verbale Konstruktion führt zur komplexen Untersuchung der konzeptuellen Metapher. Darunter versteht man auf Grund der bestehenden Konzeptionen ein abstraktes Modell (eine Invariante), das jedesmal aufs neue als Ergebnis seiner Auffüllung von bestimmten metaphorischen Redewendungen realisiert wird. Solche Begriffe wie «Invariante»/ «Variante» sind im Rahmen unserer Arbeit relevant, weil jede metaphorische Redewendung nur die individuellen Vorstellungen des einzelnen Sprachträgers widerspiegelt. Doch die Analyse der Vielfalt von solchen Redewendungen ermöglicht es uns, typische kollektive konzeptuelle Metaphern und auf solche Weise die Besonderheiten von verschiedenen Sprachkulturen, wiederzugeben.

Ein Fragment des Sprachweltbildes, das durch solche komplizierten mentalen Strukturen wie Konzepte der Naturerscheinungen, die im Rahmen unserer Arbeit untersucht werden, repräsentiert wird, ist ein Ergebnis der Synthese von verschiedenen Typen der Kenntnisse individueller und kollektiver Herkunft. Insofern die konzeptuelle Metapher Erkenntnisprozess und Sprachkompetenz, empirische Erfahrung  und Kulturerbe nicht nur des Individuums sondern auch der ganzen sprachkulturellen Gemeinschaft synthesiert, interpretieren wir  Metapher als kognitive und sprachkulturelle Bildung, die Verbindung von mentalen, verbalen und kulturellen Charakteristiken des Individuums oder der Gesellschaft.

Die kreative Funktion der Metapher  untersuchen wir im Rahmen des poetischen Diskurses. Darunter verstehen wir einen in der Kultur „versenkten“ poetischen Text, dessen Auffassung und Wahrnehmung sich auf Grund  der Mitwirkung von verschiedenen extralinguistischen Faktoren verwirklicht. Unser Untersuchungsmaterial bestätigt, dass im poetischen Diskurs verschiedene und sogar gegensätzliche Szenarien der Metapher in Bezug auf den Bewertungssinn realisiert werden, weil sich sehr oft neue Charakteristiken der metaphorischen Verarbeitung des Konzeptes oder „neue Projektionen“ der Konventionscharakteristiken offenbaren. Das verweist auf die Notwendigkeit, solche gegenseitig ergänzenden Faktoren wie konzeptuelle „Biegsamkeit“ und Experimentalgrundlage (Tradition) zu berücksichtigen [Tschudinow, Budajew 2005].

Verbreitet ist auch die gemeinsame Kombinierbarkeit der metaphorischen Modelle. Im Rahmen des poetischen Diskurses untersuchen wir monometaphorische so auch polymetaphorische Modelle der Naturerscheinungen, die man als auf besondere Art und Weise vereinigte monometaphorische Modelle betrachtet kann. Monometaphorische Modelle schließen miteinander unzusammenhängende metaphorisch verständige Konzepte der Naturerscheinungen ein. In diesem Zusammenhang ist an den Begriff dss „metaphorische Modells“ zu erinnern. Unter dem metaphorischen Modell verstehen wir nach A.P. Tschudinow ein im Bewusstsein des Sprachträgers bestehendes und/oder entstehendes Schema der Verbindung zwischen Begriffsbereichen, die man in eine bestimmte Formel fassen kann: X ist Y. Dabei versteht man die Verhältnisse zwischen den Komponenten der Formel nicht als eine direkte Identifizierung, sondern wie eine Ähnlichkeit: „X ist Y ähnlich“.

Die Untersuchung der Metaphorisierung von Konzepten der Naturerscheinungen auf Grund des poetischen Diskurses im Rahmen des monometaphorischen Modells hat folgendes gezeigt: Wenn wir als Grundlage eine Begriffsdifferenzierung des Zielgebietes nehmen, dann kann man fünf Grundtypen von Modellen herausarbeiten, und zwar einen anthropomorphischen, einen zoomorphischen, einen fitomorphischen, einen naturomorphischen und einen gegenständlichen Grundtyp, die im Rahmen unserer Forschung aktualisiert wurden.  Die produktivsten metaphorischen Modelle, die zusätzlich den Informationsgehalt von Konzepten der Naturerscheinungen strukturieren, sind anthropomorphische und gegenständliche konzeptuale Metaphern. Diese Modelle gehören zu den konzeptuellen Strukturen höherer Reihenfolge und werden in konkreten metaphorischen Redewendungen detalisiert.

Polimetaphorische Modelle sind von uns in die metaphorischen Inkorporations- und Korrelationsmodelle zerlegt worden, weil konzeptuelle Metaphern der Vertreter von verschiedenen Sprachkulturen sehr oft miteinander verbunden sind und komplizierte Systeme schaffen, die einander gegenseitig ergänzen.

Unter dem Begriff „das Inkorporationsmodell“ (Schema № 1) verstehen wir ein im Bewustsein des Vertreters von Sprachkulturen bestehendes und/oder entstehendes kompliziertes Schema der Verbindung zwischen Begriffsbereichen, das man auch in eine bestimmte Formel fassen kann: X ist Y + Y1 + Y2... + Yn.

Z.B.: Der Mond ist mein Begleiter, / Er leuchtet mir freundlich vor; / Da bin ich an ihrem Hause, / Und freundig ruf ich empor; / «Ich danke dir, alter Vertrauter,…» (Heine. Wie dunkle Träume stehen...).

Schema Nr. 1Schema Nr. 1

 

Dabei ist es zu betonen, dass unter dem Begriff „das Korrelationsmodells“ wir ein im Bewustsein des Sprachträgers bestehendes und/oder entstehendes Schema der Verbindung zwischen mindestens zwei Gruppen der Begriffsbereiche verstehen, die eine verbundene Gestalt von mindestens zwei Naturerscheinungen illustrieren, so dass (X ist Y) + (X1 ist Y1) ... + (Xn ist Yn) (Schema № 2).

 Schema Nr. 2  Schema Nr. 2

 Z.B.: (1) Die Welt ist rings entschlafen, / Es singt den Wolkenschafen / Der Mond ein Lied (Brentano. Nun, gute Nacht! mein Leben);

  1. (2) Hoch führet durch die stille Nacht / Der Mond die goldnen Schafe (Eichendorff. Der wandernde Musikant);
  2. (3) Auf einer großen Weide gehen / Viel tausend Schafe silberweiß, / Wie wir sie heute wandeln sehen, / Sah sie der allerälteste Greis. // Sie altern nie und trinken Leben /  Aus einem unerschöpften Born, / Ein Hirt ist ihnen zugegeben / Mit schön gebognem Silberhorn. // Er treibt sie aus zu goldnen Toren, / Er  überzählt sie jede Nacht, / Und hat der Lämmer keins verloren,  /  Sooft er auch den Weg vollbracht (Schiller. Auf einer großen Weide gehen ).
  3. (4) Jetzt sitzt die Königin (die Sonne) auf ihrem Throne, / Die Silberwolke Teppich ihrem Fuß, ...(Droste-Hülshoff. Die Lerche) u.s.w.

Unser Untersuchungsmaterial weist darauf hin, dass die verbundene Struktur der konzeptuellen Metapher, wo als Zielgebiete Konzepte der Naturerscheinungen betrachtet werden, sehr oft im russischen / deutschen poetischen Diskurs benutzt wird. Dabei werden verschiedene Kombinationen von begrifflicher Differenzierung der Quellgebiete  der metaphorischen Modellierung herangezogen. Das kann wie typengleiche zoomorphisch-zoomorphische, anthropomorphisch-anthropomorphische, so auch nicht typengleiche metaphorische Modelle, z.B. zoomorphisch-anthropomorphische etc., sein. Die Zusammensetzung und die Menge der verbundenen konzeptuellen Metaphern hängt vor allem von den individuellen Vorzügen des konkreten Autors und vom Thema des Gedichtes ab. Das Inkorporationsmodell  kann sich der Struktur des polymetaphorischen Korrelationsmodells anschließen.

Es ist bekannt, dass die Translation der Metapher ganz besondere kognitive und verbale Anstrengungen verlangt. “Der Übersetzer steht immer vor dem Problem der Wahrnehmung und Überarbeitung des fremden «mentalen Inhaltes», weil er im Zieltext  nicht seine eigenen Ideen vorbringt, sondern   die vom Autor des Originaltextes verbalisierten und formulierten Ideen. Es ist nicht ausgenommen, dass der Übersetzer, der den Ausgangstext in seinen eigenen Mentalraum projiziert, Unidentität der eigenen Struktur mit den Parametern, die von dem Ausgangstext vorgegeben sind, auffindet. Für die erfolgreiche Verwirklichung der Übersetzung ist es nötig, dass der Autor des Originaltextes und  der Übersetzer über die Gemeinsamkeit der Kenntnisse, über die Ausgangssprache  und über die Welt in Form der Gestalten des Bewusstseins  verfügen“ [Janssen-Fesenko 2002].

Unser Untersuchungsmaterial bestätigt, dass bei der Translation der Metapher die konzeptuelle Übersetzung eine große Rolle spielt. Der Grundgedanke der konzeptuellen Übersetzung besteht darin, dass man der Übersetzung nicht verbale Einheiten, sondern Konzepte unterzieht. Auf diese Weise präzisiert man den Bereich der Anwendung der konzeptuellen Übersetzung. Praktisch wird die konzeptuelle Übersetzung in folgendem Regime realisiert: Der Übersetzer ruft zur gegebenen Verbaleinheit der Ausgangssprache des Ausgangstextes die entsprechende Mentalgestalt hervor, die seinerseits durch die verbale Einheit der  Übersetzungssprache repräsentiert wird [Janssen-Fesenko 2002]. Die Optimalübersetzung der Metapher kann nur in dem Fall realisiert sein, wenn der Inhalt, der vom Autor des Ausgangstextes hineingelegt wird, im Einklang mit der von dem  Übersetzer herausgezogenen Information steht. Das erreicht man ohne Schwierigkeiten, wenn gleiche konzeptuelle Metaphern in dem Alltagsbewusstsein der Vertreter der verschiedenen Sprachkulturen vorhanden sind und gleiche Nominationen haben, z.B. konzeptuelle Metapher  der Hirt → der Mond.

Betreffend die Standfestigkeit des konzeptuellen Inhaltes ist es erwünscht festzuhalten, dass sie voll oder partiell sein kann. Außerdem kann «die Füllung» des konzeptuellen Inhaltes der Spenderkultur und der Rezipientenkultur überhaupt nicht zusammenfallen. Von dem Standpunkt der Strukturstandfestigkeit aus können die Metapher der Ausgangssprache mit Hilfe der gleichwertigen oder verschiedenen Konstruktionen der Übersetzungssprache (wie z.B. mit Hilfe des Vergleiches oder der Periphrase, auch  mit Hilfe der neutralen Spracheinheiten) übersetzt werden.

 

Literatur:


5.6. Vom kreativen Denken zum kreativen Handeln - Kreativitätsprobleme in der Sprache, Ausbildung und Erziehung

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For quotation purposes:
Ekaterina Ryabykh | Wladimir Ryabykh: Kreative Funktion und Übersetzung der Metapher - In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/5-6/5-6_ryabykh17.htm

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