TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr. Februar 2010

Sektion 6.4. Internationale Fachkommunikation in Wirtschaft und Recht
Sektionsleiter | Section Chair: Bernd Spillner (Duisburg)

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Die stilistische Realisierung der Sprechakte Auffordern, Danken und Ankündigen negativer Konsequenzen in Geschäftsbriefen

Ein interlingualer Vergleich des Deutschen und des Französischen

Nadine Rentel (Université Paris-Sorbonne – Paris IV) [BIO]

Email: rentel@hotmail.com

 

Einleitung

Die erfolgreiche Teilnahme an der geschäftlichen Kommunikation in einem interkulturell geprägten Umfeld erfordert profunde Kenntnisse des sprachlichen und kulturellen Hintergrunds der am Kommunikationsprozess beteiligten Personen. Diese Kompetenz bezieht sich nicht allein auf das Beherrschen einer Fremdsprache in ihren lexikalischen oder grammatikalischen Strukturen (vgl. Heusinger 1995, 17), sondern umfasst auch und insbesondere die Textstruktur, die Anordnung von argumentativen Schritten innerhalb einer Textsorte, feststehende sprachliche Wendungen/geschäftsbriefliche Phraseologismen, sprachliche Manifestationen von Direktheit oder Indirektheit, die Adressatenspezifik etc. (vgl. Schröder 1993, 536 f.) Aber auch die Typographie spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle, da bereits die formale Gestaltung einer Textsorte (für den Bereich der schriftlich realisierten Kommunikation) Aufschluss über ihre Funktion und dem Rezipienten wertvolle Hinweise zur Dekodierung geben kann.

Die Existenz kulturspezifischer Textsorten bzw. die kulturelle Geprägtheit von Textsorten hat historische Gründe. Aufgrund von rhetorisch unterschiedlichen Traditionen oder bestimmten Bildungskanons, auf deren Basis Vertextungskonventionen unterschiedlich gelehrt und gelernt werden (vgl. Spillner 1981, 243) kann eine Kultur über Textsorten verfügen, die kein direktes Äquivalent in der zu vergleichenden Sprache haben (vgl. den Zwischenbescheid im deutschsprachigen Kulturraum); doch auch in den Fällen, in denen eine funktionale Entsprechung vorliegt (im Bereich der Geschäftskommunikation im deutschen und französischen Raum ist das etwa bei Anfragen bzw. appels d’offre der Fall), können diese Textsorten strukturell und stilistisch völlig anders gestaltet sein. In der interkulturellen Kommunikation genügt es somit nicht, die Strukturen des eigenen Textmusters auf die Zielsprache zu übertragen; dies kann im Gegenteil zu tief greifenden Missverständnissen führen und unter Umständen nachhaltiger sanktioniert werden als ein Verstoß gegen die grammatischen Regeln einer Sprache:

Kulturbedingtes Missverstehen kann für zwischenmenschliche Kontakte und Beziehungen negativere Auswirkungen habe als rein sprachliches, denn […] Kulturell-Mentalitätsbezogenes berührt die Persönlichkeit des Handelnden direkt, im Gegensatz zum Sprachlichen. (Müller 1991, 31)

Spillner unterstreicht die enge Verflechtung von Sprache und Wirtschaft/Handel:

Wirtschaft und Handel sind ohne sprachliche Interaktion undenkbar; ein reibungsloser Ablauf setzt sprachlich-kommunikative Handlung auf hohem Kompetenzniveau aller Beteiligten und Fähigkeit zur Differenzierung und Spezialisierung der kommunikativen Anforderungen voraus. (Spillner 1992, 11)

Es ist also notwendig, sprach- und kulturspezifisch geprägte Textnormen für die geschäftliche Kommunikation zu systematisieren, um diese auf der Grundlage empirisch abgesicherter Ergebnisse didaktisch aufbereiten und den Akteuren der interkulturell geprägten Geschäftskommunikation als Hilfestellung zur Vorbereitung und Pflege internationaler Geschäftskontakte an die Hand geben zu können. Einschlägige, kontrastiv angelegte Untersuchungen zu interlingualen Unterschieden in der deutschen und französischen Handelskorrespondenz basieren in den seltensten Fällen auf einem umfassenden Korpus authentischer Geschäftsbriefe, sondern auf konstruierten, die Norm repräsentierenden Beispielen aus der Ratgeberliteratur, den so genannten Briefstellern. Der vorliegende Beitrag möchte diese Lücke schließen, indem anhand eines Korpus von 128 deutschen und französischen Geschäftsbriefen aus den Jahren 1998 bis 2000 die sprachliche Realisierung dreier Sprechakte analysiert wird, die für diese Textsorte von zentraler Bedeutung sind, das Auffordern, das Ankündigen negativer Konsequenzen und das Danken. Im Vorfeld der Darstellung der Ergebnisse der empirischen Untersuchung wird die Textsorte „Geschäftsbrief“ näher bestimmt, ebenso erfolgt die Diskussion der Vergleichsgrundlage, des tertium comparationis, bevor kurz formale/typographische Spezifika der Textsorte im Deutschen und im Französischen dargelegt werden.

 

1. Eingrenzung des Gegenstandsbereichs und Funktion der Textsorte

Im vorliegenden Beitrag beschränkt sich die Materialauswahl auf den klassischen Handelsbrief, also auf die schriftlich realisierte geschäftliche Kommunikation. Die mündliche Form der Wirtschaftskommunikation zwischen Handelspartnern, wie sie beispielsweise in Verhandlungen und Besprechungen vorliegt, ist nicht Gegenstand der Untersuchung. Aus der Analyse ausgeklammert werden ebenfalls im Kontext des betrieblichen Alltags verfasste Privatbriefe (z.B. Glückwunschkarten, Geburts- und Todesanzeigen). Weiterhin lassen sich Geschäftsbriefe, im Gegensatz zu Gesprächsnotizen und Mitteilungen, der außerbetrieblichen Kommunikation zuordnen (vgl. Frenser 1991, 237).

Oberstes Ziel des Geschäftsbriefs ist das Anbahnen, Erhalten und Ausbauen von geschäftlichen Beziehungen sowie das Durchführen von Warengeschäften bzw. das Abwickeln des Güterverkehrs (vgl. Briese-Neumann 1996, 91). Der Klassifikation von Briefsorten können nach Ermert (1979, 69) vier dominierende Intentionen zugrunde gelegt werden, die zum Teil den drei bühlerschen Sprachfunktionen Ausdruck, Appell und Darstellung entsprechen. Die vier Grundfunktionen von Brieftextsorten nach Ermert sind: Die Kontaktintention, die Darstellungsintention, die Wertungsintention und die Aufforderungsintention. Während bei Geschäftsbriefen, bei denen die Kontaktintention dominiert, der soziale Kontakt zum Kommunikationspartner hergestellt, gepflegt, verbessert oder beendet werden soll (z.B. Anfrage und Angebot), steht im Zentrum darstellungsorientierter Briefe (z.B. Firmenpräsentation) die objektive Präsentation eines Sachverhalts, ganz im Gegensatz zu stark wertungsorientierten Briefen. Schließlich sollen in Geschäftsbriefen mit dem Schwerpunkt auf der Aufforderungsintention die Geschäftspartner zu einem bestimmten Verhalten veranlasst werden (z.B. Mängelrüge, Anfrage, Mahnung).

Diese kurze Darstellung der Funktionen von Brieftextsorten und die Zuordnung von Geschäftsbriefarten macht deutlich, dass es sich bei Geschäftsbriefen um Mischformen handelt: In einer Anfrage muss zunächst der soziale Kontakt zum Briefpartner hergestellt werden, zugleich präsentiert der Anfragende seine Firma und stellt seinen Bedarf an Waren dar, was schließlich in die Aufforderung an den Empfänger mündet, ein Angebot abzugeben.

 

2. Diskussion des tertium comparationis

Das Fehlen einer Vergleichs- oder Bezugsgröße, die von den zu vergleichenden sprachlichen Phänomenen unabhängig ist (das tertium comparationis), zieht linguistische „Vergleichsstudien“ nach sich, in denen zwei Strukturen in zwei oder mehreren Sprachen kontrastiv betrachtet werden, die hinsichtlich ihrer Funktion überhaupt nicht miteinander vergleichbar sind (Spillner 2005, 270). Trotz der Notwendigkeit einer solchen objektiven Vergleichskategorie verzichten viele kontrastiv angelegten Studien auf die exakte Definition von Kriterien, anhand derer Sprachen verglichen werden sollen (Spillner 2005, 270); manche Arbeiten gehen sogar von zwei rein formalen Strukturen aus, ohne in irgendeiner Weise deren pragmatische Funktion zu berücksichtigen, die in zwei Sprachen erheblich divergieren kann (siehe dazu der gerne durchgeführte Vergleich des deutschen Konjunktiv I mit dem französischen subjonctif).

Bevor man sich also an den konkreten Vergleich von sprachlichen Strukturen begibt (und dies betrifft alle Ebenen sprachlicher Realisierungen, von den Morphemen über die Lexeme bis hin zur Textsortenbeschreibung), müssen verbindliche Kriterien festgelegt werden, die über die rein formale Ebene hinausgehen und die es uns erlauben, Geschäftsbriefe aus dem deutschen und dem französischen Sprachraum miteinander zu vergleichen. Um ein solches tertium comparationis zu bestimmen, schlägt Spillner eine semantisch-funktionale oder pragmatische Kategorie vor, die einzelsprachenunabhängig gültig ist:

‚Tertium comparationis’ kann weder eine gemeinsame Bezeichnung noch eine funktionale Ähnlichkeit sein, sondern nur eine semantisch-funktionale Kategorie, die von den beiden zu vergleichenden Sprachen/ Kulturen unabhängig sind. Es lässt sich als ‚tertium comparationis’ eine einzelsprachenunabhängige Metalingua bzw. eine transkulturelle Tiefenstruktur ansetzen und dann nach den Realisierungsmöglichkeiten bzw. Realisierungen in den jeweiligen Ländern/ Kulturen/ Sprachen fragen. (Spillner 1997, 110)

Nach Spillners Definition ist es somit möglich, die sprachliche Realisierung bestimmter Sprechakte oder Sprachhandlungstypen wie z.B. Aufforderungs- oder Verbotshandlungen, Entschuldigungen, Gratulationen, Dank etc. in zwei Sprachen zu untersuchen. Ausgehend von diesen Überlegungen (vgl. auch die detaillierten Ausführungen zum tertium comparationis von Spillner 2005, 269 ff.) werden in diesem Beitrag pragmatische Funktionen bestimmter Teiltexte bzw. ausgewählter Sprachhandlungen/Sprechakte in deutschen und französischen Geschäftsbriefen zugrunde gelegt und nach deren sprachlich-stilistischer Realisierung gefragt. Wegen ihrer zentralen Bedeutung für den kommunikativen Erfolg in dieser Textsorte erfolgt der Vergleich exemplarisch für die Sprachhandlungen des Aufforderns, des Dankens sowie des Ankündigens negativer Konsequenzen. Diesem Ansatz liegt die Hypothese zugrunde, dass die Textfunktion von Geschäftsbriefen im Deutschen und im Französischen dieselbe ist; sie besteht grundsätzlich darin, den Geschäftskontakt anzubahnen, aufzubauen und zu erhalten und dabei die betrieblichen Ziele mit einem möglichst minimalen Einsatz von Ressourcen zu erreichen.

 

3. Die formale Gestaltung deutscher und französischer Geschäftsbriefe

Wie bereits in der Einleitung erwähnt, kann die formale Gestaltung einer Textsorte bereits vor der Dekodierung des sprachlichen Inhalts Hinweise auf ihre kommunikative Funktion geben und die Rezeption durch den Leser lenken. Bereits ein flüchtiger Blick auf den Briefbogen genügt, um festzustellen, ob er aus dem deutschen oder französischen Sprach- und Kulturraum stammt. Festgelegt werden die Normen zur Briefbogengestaltung in Deutschland durch die DIN-Norm 5008, in Frankreich durch die AFNOR-Norm. Die Briefbogengestaltung deutscher und französischer Geschäftsbriefe unterscheidet sich in einigen Punkten erheblich voneinander; in der interkulturellen Kommunikation gilt es solche formalen Textsortenkonventionen zu beachten, damit der Kommunikationspartner nicht mit Befremden reagiert.

Die im Folgenden kurz skizzierten Hauptunterschiede zwischen dem Deutschen und dem Französischen betreffen die Position der Empfängeradresse und der Unterschrift auf dem Briefbogen, die Anordnung der einzelnen Abschnitte sowie die formale Gestaltung des Datums. Die Empfängeradresse befindet sich in deutschen Geschäftsbriefen in der Regel auf der linken Seite des Briefbogens, während sie im Französischen rechts platziert ist. Gleiches gilt für die Unterschrift des Verfassers nach der Grußformel, die sich im deutschen Brief links, im französischen Pendant rechts befindet. Besonders deutlich wird die Geprägtheit durch Textsortenkonventionen bei der Anordnung der einzelnen Paragraphen eines Geschäftsbriefs: während die im Korpus untersuchten deutschen Briefe in keinem Fall die erste Zeile eines neuen Abschnitts einrücken, erfolgt dies in ca. der Hälfte der analysierten französischen Briefe. Bei der Gestaltung des Datums fallen im Korpus zwei Unterschiede auf. Zum Einen wird in den französischen Briefen häufiger als in den deutschen der Ort dem Datum vorangestellt; weiterhin scheint es im französischen Briefstil die Tendenz zu geben, den Monat auszuschreiben, während er im Deutschen bevorzugt numerisch realisiert wird (siehe als Illustration die beiden ausgewählten Beispielbriefe).

Diese kurzen Ausführungen sollen die Bedeutung formaler Unterschiede in der Textsortengestaltung verdeutlichen, die im Kontext der interkulturellen Unternehmenskommunikation, aber auch in der Fremdsprachendidaktik nicht vernachlässigt werden sollten.

Beispiel für einen französischen Geschäftsbrief

Beispiel für einen französischen Geschäftsbrief

Beispiel für einen deutschen Geschäftsbrief.

Beispiel für einen deutschen Geschäftsbrief.

4. Stilanalyse

Im Rahmen der Stilanalyse soll der Frage nachgegangen werden, mit welchen sprachlichen Mitteln die ausgewählten Sprachhandlungstypen Auffordern, Danken und Ankündigen negativer Konsequenzen in deutschen und französischen Geschäftsbriefen realisiert werden. Mit welchen sprachlichen Strategien sollen kommunikative und damit letztendlich geschäftliche Ziele erreicht werden? Kann man von der Frequenz der eingesetzten sprachlichen Mittel Rückschlüsse auf den Grad der Direktheit oder Höflichkeit der geschäftlichen Korrespondenz ziehen?

Auffordern

Handlungsaufforderungen fallen nach der Sprechakttheorie nach Searle unter die direktiven Sprechakte. Die Sprachhandlung des Aufforderns ist eine der zentralsten in der Geschäftskommunikation. Die quantitative Auswertung der beiden Korpora ergibt, dass diese für beide Sprachen etwa die Hälfte aller untersuchten Sprachhandlungstypen ausmacht (vgl. dazu auch die Ergebnisse von Hansen 1991, 379). Diese Häufigkeit lässt sich aus der grundlegenden Intention von Geschäftsbriefen erklären, den Kommunikations- bzw. Geschäftspartner zum Ausführen einer bestimmten Handlung zu bewegen, zum Beispiel zum Abgeben eines Angebots, zum Begleichen einer ausstehenden Rechnung, zum Beheben eines Mangels etc. Hansen definiert in ihrer Studie Aufforderungshandlungen folgendermaßen:

Der Sender beabsichtigt durch die Wahl eines sprachlichen Ausdrucks zu erreichen, dass der Empfänger eine bestimmte Handlung ausführt. Die Handlung liegt in der Zukunft, d.h. sie ist noch nicht vollzogen; der Sender geht davon aus, dass der Empfänger in der Lage ist, die betreffende Handlung auszuführen. (Hansen 1991, 385)

Die Wahl der sprachlichen Mittel hängt hierbei, wie in allen kommunikativen Kontexten auch, von Faktoren wie der Intention des Briefproduzenten, der kommunikativen Situation, der Beziehung zwischen den Kommunikations-/Geschäftspartnern, dem Grad an Rechtsverbindlichkeit etc. ab. Für den Bereich der Handelskorrespondenz bedeutet das, dass der Stil, abhängig von den Brieftextsorten, erheblich variieren kann.

Im Kontext der geschäftlichen Kommunikation ist es also unabdingbar, der Situation angemessene sprachliche Strategien zu wählen, damit der Geschäftskontakt nicht durch so genannte face-threatening acts gefährdet wird. Jedoch besteht für diesen Bereich der Kommunikation der Gegensatz zwischen mitunter schwer miteinander zu vereinbarenden Anforderungen: Einerseits muss man darauf achten, einen Gesichtsverlust des Partners durch zu direkte sprachliche Strategien zu vermeiden; auf der anderen Seite muss man jedoch gerade im geschäftlichen Kontext seine Ziele, Absichten und Standpunkte besonders deutlich machen, um möglichst Ressourcen schonend zum Ziel zu gelangen. Die Kunst besteht somit in der interaktionalen Balance zwischen dem Bedürfnis nach einer deutlichen Kommunikation einerseits und dem Vermeiden von face-threatening acts andererseits:

Wenn der Sender beim Empfänger die gewünschte Reaktion hervorrufen möchte, ist es wichtig, dass er die Aufforderungshandlung in einer situationsadäquaten sprachlichen Form äußert, besonders natürlich im Hinblick auf den Grad der Höflichkeit. Das ist besonders bei schriftlich geäußerten Aufforderungen von ausschlaggebender Bedeutung, denn der Sender kann die Äußerung nicht zurücknehmen oder korrigieren […]. (Hansen 1991, 379)

Aufforderungshandlungen können unterschieden werden in explizite und implizite Aufforderungen. Unter expliziten Aufforderungen sollen hier Imperative mit oder ohne Modalpartikel, performative Verben und die Konstruktion (im Deutschen) sein/haben + zu + Infinitiv verstanden werden, während Fragesätze, Aussagesätze im Präsens mit oder ohne Modalverb und Konditionalsätze als implizite Aufforderungshandlungen klassifiziert werden.

4.1.1. Explizite Aufforderungshandlungen

Sowohl im deutschen als auch im französischen Korpus werden in ca. zwei Dritteln aller Aufforderungshandlungen explizite Strategien verwendet. Charakteristisch für das Deutsche sind Imperative, performative Verben sowie die Konstruktion sein + zu + Infinitiv.

Bezogen auf sämtliche Aufforderungshandlungen beträgt der Anteil performativer Verben im deutschen Korpus 26,5%, gegenüber lediglich 11,6% im französischen Korpus:

  1. Wir erbitten Ihr Angebot bis zum 30.11.1999.

  2. Ich fordere Sie hiermit auf, Ihren Standpunkt diesbezüglich zu überdenken und fordere Sie auf, den Mangel zu beseitigen.

  3. Ich fordere Sie hiermit auf, den noch offenen Betrag zu begleichen.

  4. Nous vous invitons à régulariser votre compte dans nos livres sur huitaine.

  5. Nous vous prions de bien vouloir régler ce montant dans les plus brefs délais.

Sowohl im Deutschen als auch im Französischen steht den Kommunikationspartnern ein begrenztes Inventar an performativen Verben zur Verfügung, mit denen sie sehr direkt und unmissverständlich ihr Anliegen deutlich machen können. In Beispiel (2) aus dem deutschen Korpus wird der performative Charakter, d.h. die gleichzeitige Realisierung der Handlung durch ihre Versprachlichung, durch die Verwendung von hiermit noch unterstrichen.

Der Imperativ, im Deutschen in seiner auffordernden Funktion häufig abgeschwächt durch die Modalpartikel bitte, steht dem französischen Imperativ ohne Begleitpartikel gegenüber. Statt der imperativischen Form bestimmter Hauptverben wird im Französischen in funktionaler Äquivalenz die Form veuillez, gefolgt vom Hauptverb im Infinitiv, verwendet. Im Deutschen bestehen im Paradigma des Modalverbs wollen keine imperativischen Formen, so dass es sich hier nicht um eine bewusste Auswahl aus mehreren stilistischen Alternativen handelt. Die interlingualen Unterschiede sind durch die vom System vorgegebenen Möglichkeiten bedingt.

  1. Bitte unterbreiten Sie uns zu unseren umseitigen Bedingungen ein Angebot.

  2. Veuillez assurer que l’emplacement prévu pour le matériel est disponible.

  3. Veuillez adresser votre règlement à [...].

4.1.2. Implizite Aufforderungshandlungen

Charakteristisch bei den impliziten Aufforderungshandlungen im deutschen Korpus sind Modalverbkonstruktionen (im Indikativ Präsens, aber auch im Konjunktiv), die als höflich gelten können, da sie dem Rezipienten einen gewissen Handlungsspielraum einräumen. Der Gebrauch von Modalverben kann im französischen Korpus mit zwei Belegen als Ausnahmefall gelten; hier dominieren feststehende, stark konventionalisierte Präpositionalgefüge.

4.2. Danken

In der Mehrzahl der untersuchten deutschen Geschäftsbriefe wird Dank sehr explizit durch performative Verben ausgedrückt, in der Regel durch die beiden Verben danken/bedanken (68,3% aller Sprachhandlungen des Dankens im deutschen Korpus). Ebenfalls häufig wird die stark standardisierte Routineformel Vielen Dank (24,4% aller Sprechakte des Dankens) verwendet. Im französischen Teilkorpus sind ebenfalls vorwiegend explizite Strategien des Dankens mit Hilfe des performativen Verbs remercier belegt, Standardformeln der Art Merci beaucoup pour […] sind nicht nachgewiesen:

  1. Wir bedanken uns für Ihre Anfrage […].

  2. Ich danke Ihnen recht herzlich für das freundliche Gespräch […].

  3. Wir bedanken uns für Ihre Preisanfrage.

  4. Nous vous remercions de la demande citée en référence.

Ein Charakteristikum des Deutschen scheint es zu sein, dem performativen Verb bedanken das Modalverb möchten voranzustellen, wodurch der Ausdruck des Danks noch höflicher kommuniziert werden kann und zugleich der performative Charakter abgeschwächt wird.

  1. Für die freundliche Nachfrage möchten wir uns bedanken […].

  2. Wir möchten uns für Ihr Anschreiben und das geführte Telefongespräch recht herzlich bedanken.

Im französischen Korpus ist die Kombination von remercier + Modalverb nicht belegt. Hier wird jedoch in einigen Fällen das gérondif verwendet, eine grammatische Form, die es im Deutschen nicht gibt (in Übersetzungen führt diese fehlende formale Äquivalenz häufig zu Schwierigkeiten; funktionale Entsprechungen sind beispielsweise die Konjunktionen indem, und etc.). Auch in diesem Fall beruht der interlinguale Unterschied also nicht auf einer bewussten stilistischen Wahl, sondern resultiert aus den Gegebenheiten des Sprachsystems. Weiterhin lässt sich der Gebrauch des gérondif aus der französischen Briefkonvention erklären, den Dank, insbesondere den Dank im Voraus, syntaktisch in die Grußformel am Ende des Briefes zu integrieren:

  1. En vous remerciant de l’intérêt que vous porterez à cette initiative, je vous prie d’agréer, Madame, Monsieur, l’expression des mes sentiments les meilleurs.

Eine Schwierigkeit bei der Analyse der Sprachhandlung des Dankens besteht darin, ihre Funktion exakt festzulegen, da gerade in der Geschäftskorrespondenz der Dank im Voraus, der sich nicht auf eine bereits erfolgte und somit in der Vergangenheit liegende Handlung bezieht, auch als implizite Aufforderungshandlung gewertet werden kann, die den Empfänger höflich zu einer bestimmten Handlung veranlassen soll.

4.3. Ankündigen negativer Konsequenzen

Für diesen Sprechakt bestehen die deutlichsten Unterschiede aller analysierten Sprachhandlungstypen in deutschen und französischen Geschäftsbriefen. Bei dieser Sprachhandlung handelt es sich um einen besonders sensiblen Bereich der geschäftlichen Kommunikation, da zum Zeitpunkt ihrer Verwendung bereits Probleme in der Geschäftsbeziehung, z.B. in Form von unbezahlten Rechnungen oder bestehenden Mängeln an gelieferter Ware bestehen, die für den Geschäftspartner ein wirtschaftliches Risiko darstellen und die so schnell wie möglich behoben werden sollen. Dies muss dem Geschäftspartner deutlich gemacht werden, jedoch soll der Geschäftskontakt nicht durch zu unhöfliche sprachliche Strategien gefährdet werden.

In französischen Briefen werden zu diesem Zweck sehr häufig das Passiv (16,7%) und Aussagesätze im Futur verwendet (66%). Beide Stilvarianten sind im deutschen Korpus nicht nachzuweisen.

  1. Le paiement de votre facture est suspendu en l’attente de ce document.

  2. Vous recevrez à cet effet et courant semaine prochaine une facture de ce montant.

  3. Dès réception de leur facture nous vous facturerons ce litige.

Zur Funktion des Passivs schreibt Eisenberg:

Die Agenslosigkeit spielt für die Existenz des Passivs eine besondere Rolle. Diese entspricht dem kommunikativen Bedarf, eine Konstruktion verfügbar zu haben, in der das Agens fehlen kann. Der kommunikative Bedarf für solche Konstruktionen besteht in der Notwendigkeit, Handlungen als Ereignisse darzustellen. […] Den größten Anteil an den Vollverben haben dabei die Handlungsverben, welche zur Darstellung von Ereignissen dienen, wobei zum Ereignis immer auch ein Verursacher genannt wird. Eine Handlung ist ein Ereignis, das von einem Menschen verursacht wird. Aus bestimmten Gründen soll in bestimmten Fällen der Verursacher nicht genannt werden (Eisenberg 1986, 141).

Die Verfasser der deutschen Geschäftsbriefe wählen besonders häufig (57% aller Belege für diese Sprachhandlung) die höfliche Variante des Ankündigens eventueller Konsequenzen mittels Konditionalsätzen. Andererseits greifen sie in 28% der Fälle auch auf die als explizit zu klassifizierenden performativen Verben zurück, wodurch die Obligation noch deutlicher kommuniziert wird. Weder Konditionalsätze noch performative Verben sind im französischen Korpus belegt:

  1. Sollten Sie diese Frist nicht einhalten, werden wir den gerichtlichen Mahnbescheid beantragen.

  2. Sollten wir Ihren Zahlungseingang innerhalb der gesetzten Frist nicht feststellen können, sind wir bedauerlicherweise gezwungen, unverzüglich gerichtliche Schritte gegen Sie einzuleiten.

  3. Auf vertragsrechtliche Konsequenzen weisen wir Sie ausdrücklich hin.

  4. Die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen kündigen wir bereits hiermit an.

 

Zusammenfassung und Ausblick

Der stilistische Vergleich der Sprachhandlungen auffordern, danken, negative Konsequenzen ankündigen in deutschen und französischen Geschäftsbriefen macht einzelsprachenspezifische Unterschiede deutlich. So fällt insbesondere bei den Aufforderungshandlungen auf, dass diese im deutschen Geschäftsbrief überwiegend explizit, durch Imperative und performative Verben, realisiert werden, während das Verhältnis von Explizitheit und Implizitheit für diese Sprachhandlung im französischen Korpus ausgewogen ist. In diesem Zusammenhang muss man jedoch die Frage stellen, ob Rückschlüsse von der sprachlichen Form auf den Grad an Explizitheit überhaupt möglich sind, ohne dem Problem des Ethnozentrismus zu unterliegen.

Völlig unterschiedlich versprachlicht wird das Ankündigen negativer Konsequenzen in den untersuchten Sprach- und Kulturräumen. Während für das französische Korpus Passivkonstruktionen und Aussagesätze im Futur charakteristisch sind, dominieren in den deutschen Briefen Konditionalsätze und performative Verben.

Insgesamt scheint für die deutsche Geschäftskorrespondenz die Tendenz zu bestehen, sprachliche Intentionen direkter und expliziter zu kommunizieren; dies wird durch den mit insgesamt 25,7% doppelt so hohen Anteil wie im französischen Korpus (13,4%) an performativen Verben deutlich. Andererseits finden im deutschen Korpus doppelt so häufig wie in den französischen Briefen (insgesamt 7,3% gegenüber 3,5%) Konstruktionen Anwendung, die Modalverben enthalten und dem Rezipienten Handlungsspielräume bieten, z.B. wenn es darum geht, auf Aufforderungen zu reagieren.

Die beschriebenen Ergebnisse besitzen für unterschiedliche Anwendungsbereiche Relevanz. Zunächst einmal sollten die Personen, die innerhalb eines Unternehmens in interkulturelle Kommunikationsprozesse involviert sind, für die Bedeutung sprach- und kulturspezifischer Vertextungskonventionen sensibilisiert werden. Zu diesem Zweck sollten gezielte Fortbildungsmaßnahmen entwickelt werden. Im Idealfall sollte die Didaktisierung interkultureller Unterschiede in der deutschen und französischen Geschäftskommunikation jedoch bereits zu einem früheren Zeitpunkt erfolgen, beispielsweise in einschlägigen Studiengängen an deutschen und französischen Universitäten. Besondere Relevanz besitzt das Einüben interkulturell angemessener Kommunikationsstrategien im betrieblichen Bereich für französische Studierende des Studiengangs LEA (Angewandte Fremdsprachen), die Deutsch und eine weitere Fremdsprache in Kombination mit Betriebswirtschaft studieren. Da diese Studierenden nach Abschluss des Studiums in vielen Fällen in deutschen oder deutschsprachigen Unternehmen in Frankreich tätig werden, müssen sie frühzeitig an solche interkulturellen Unterschiede herangeführt werden, nicht allein im Bereich der schriftlichen Kommunikation, sondern auch mündliche Kommunikationsformen betreffend (z.B. Verhandlungs- und Bewerbungsgespräche). Die Aufgabe der Fremdsprachendidaktik/DaF besteht somit darin, basierend auf authentischen Sprachkorpora motivierende und effiziente Lehr- und Lernmaterialien zu erstellen.

 

Bibliographie

6.4. Internationale Fachkommunikation in Wirtschaft und Recht

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Nadine Rentel: Die stilistische Realisierung der Sprechakte Auffordern, Danken und Ankündigen negativer Konsequenzen in Geschäftsbriefen. Ein interlingualer Vergleich des Deutschen und des Französischen - In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/6-4/6-4_rentel.htm

Webmeister: Branko Andric     last change: 2010-03-12