Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 17. Nr. |
Februar 2010 |
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Sektion 7.2. |
Zeit, Verlauf und Bestimmung Sektionsleiter | Section Chair: Arnold Groh (TU Berlin, Deutschland) |
Zeit in althebräischer Sprache und Denkweise
Hans-Friedemann Richter (Freie Universität Berlin, Deutschland)
Email: Hans-Friedemann.Richter@web.de
1. Die linguistischen Aspekte
Die Abweichung des althebräischen Sprachgebrauchs von unserem veranschaulicht eine Bibelstelle, die innerhalb der christlichen Kirche große Bedeutung erlangt hat: Jesaja 7,14. In der Septuaginta, der vor-christlichen Übersetzung des Alten Testaments ins Griechische, lautet sie übersetzt folgendermaßen:
"Deswegen wird der Herr selbst euch ein Zeichen geben: Siehe, die Jungfrau wird
schwanger sein und einen Sohn gebären, und du sollst ihm seinen Namen geben:
Emmanuel."
(Weshalb die Septuaginta das hebräische Wort alma, das sowohl "junge Frau" wie auch "Jungfrau" heißen kann, mit parthenos (= Jungfrau), wiedergibt, und wer im Jesaja-Text gemeint war, sind kontrovers diskutierte exegetische Probleme; diese hier zu erörtern, würde von dem ablenken, das hier Thema ist. Nur soviel sei gesagt: Jesaja 7,14 wurde von den griechisch sprechenden Juden – wie später von der Kirche – auf den künftigen Messias bezogen. Nach diesem Text galt er zumindest für einen Teil von ihnen als Sohn einer Jungfrau. Doch hier geht es uns nur um den Zeitbegriff in den Verbformen.)
Die Luther-Bibel und die (kath.-ev.) "Einheitsübersetzung" geben die Schriftstelle im Verständnis der Septuaginta wieder, zumal auch das Neue Testament diesem folgt (vgl. Lukas 1,27).
(Einheitsübersetzung): "... Seht, die Jungfrau w i r d ein Kind empfangen, sie w i r d einen Sohn gebären, und sie (1) wird ihm den Namen Immanuel geben."
In der Zürcher Bibel dagegen lautet dieser Text:
"... Siehe, das junge Weib i s t schwanger und gebiert einen Sohn, und sie (1) gibt ihm den Namen Immanuel."
Das hebräische Verb drückt mit dem Perfekt einen Tatbestand aus, der in der Vergangenheit erfolgt ist, in der Gegenwart stattfindet oder auch erst in der Zukunft geschehen wird. Aus diesem Grund könnte die Zürcher Übersetzung allein, d.h. ohne eine exegetische Hinterfragung dessen, was die hebräische Bibel wohl ursprünglich gemeint hat, nicht zu einer Bestreitung des katholischen Dogmas von der Jungfrauengeburt Jesu herangezogen werden. Wenn Gott etwas verheißt, kann dafür das Perfekt verwendet werden (ein sog. perfectum prophecum), weil dieses feststeht, auch wenn es erst in der Zukunft eintritt. Dies zeigt auch das unterschiedliche Verständnis von Psalm 126, in der Luther-Bibel als Weissagung gedeutet, in der Zürcher Übersetzung als Dankeslied für etwas, das bereits eingetreten ist.
Sprachen entwickeln sich. Neuhebräisch weist wie bereits das biblische Aramäisch (2) die uns vertraute Dreiteilung Vergangenheit/ Gegenwart/Zukunft auf. Dennoch ist Aramäisch eine semitische Sprache. Umgekehrt lassen indogermanische Sprachen darauf schließen, dass ihre ursprüngliche Strukturierung nicht ohne weiteres mit der ihrer heutigen "Töchter" gleichzusetzen ist.
Die Struktur des hebräischen Verbs:
In den semitischen Sprachen hat (fast) jedes Verb drei Radikale (Konsonanten). Beliebtes Paradigma ist im Hebräischen das Verb "töten", weil es regelmäßig ist: qatal (3). Es gibt zwei Aktionsarten: das Perfekt (die Vollendung des Tatbestandes insistierend) und das Imperfekt (die Nichtvollendung ausdrückend). Das letztere lautet jiktol (4), und es ist der Infinitiv qtol mit ji- als Präformativ, der im Imperfekt durch dieses erweitert wurde (5). Das Perfekt qatal scheint ursprünglich bedeutet zu haben "Töter".(6) Zeigte man auf jemanden und sagte qatal, so wird damit ausgesagt, dass dieser ein Mörder ist. (7) In der 2.Pers.sg.mask. wird im Perfekt ein Afformativ, und zwar -ta = "du" angehängt (qatalta heißt somit "Töter [bist] du"). Ob das Töten in der Vergangenheit oder Gegenwart erfolgt, wird damit nicht ohne weiteres gesagt; ja selbst in der Zukunft kann das Perfekt gebraucht werden, sofern etwas feststeht.
Ich habe als Hebräisch-Lehrer gern folgende Illustration gebraucht: Das Fußballspiel steht in der zweiten Halbzeit 0:6 für A. Ein ärgerlicher Fan von B geht nach Hause. Man fragt ihn, weshalb. Seine Antwort (auch im Dtsch. Perfekt!): "Das Spiel ist verloren." Zeitlich gesehen, ist es aber durchaus noch im Gange.) in der zweiten Halbzeit 0:6 für A.
Wenn beim Imperfekt das Präformativ vor den Infinitiv kommt, wird das tazu ti- geschwächt: tiqtol. (Der Sinn entspricht etwa dem, wie manche Deutsche mit Ausländern reden: "Du + Infinitiv", weil sie denken, diese würden den Sachverhalt so leichter verstehen.) Also hier: "Du töten". Ob der Betreffende nur töten will, töten wollte oder diese Tätigkeit (z.B. bei Fliegen) regelmäßig ausübt (etwa wann immer ihn die lästigen Insekten plagen), ist mit dem Imperfekt nicht ausgedrückt. Allerdings gibt es noch eine Besonderheit: Wenn die Silbe -wa vor das Imperfekt gesetzt wird, dann entspricht die Verbform voll und ganz dem lateinischen Perfectum historicum oder dem französischen Passé simple, und in diesem Falle ist auch das hebr. Verb zu einem echten Zeitwort geworden.
Beispiel für Wechsel von Perfekt und Imperfekt (Psalm 119,147):
(Der Psalmist betet:) Ich komme zuvor * der Morgendämmerung und rufe um Hilfe**. (Wende ich mich mit meiner Bitte an Gott, dann tritt folgender Tatbestand ein:) Durch dein Wort habe ich Hoffnung ***.
* hebr. Perfekt (Tatsache)
** hebr. Imperfekt - Diese Verbform wird auch für die Folgerung aus einem Geschehen verwendet. Man könnte auch übersetzen: "möchte, könnte um Hilfe rufen, pflege um Hilfe zu rufen", denn anders als ein imperfectum de conatu im Lateinischen gibt das Hebräische auch diesen Möglichkeiten Raum, und zwar in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
*** (Perfekt – Die Zuversicht ist fundiert, kein vages Wunschdenken).(8)
2. Zeit in der althebräischen Theologie
Raum und Zeit sind in der Sicht des Gottes Israels etwas anderes als das, was wir Menschen mit ihnen an Vorstellungen verbinden. Diese Einsicht kommt in biblischen Texten deutlich zur Sprache:
"Der Himmel und aller Himmel Himmel mögen dich (Gott) nicht fassen, wieviel weniger dieses Haus, das ich gebaut habe", sagt Salomo in 1 Könige 8,27.
"In der Höhe und als Heiliger throne ich und bei den Zerschlagenen und Demütigen" (Jesaja 58,15).
Solche Worte zeigen, dass diejenigen es sich zu leicht machen, die meinen, mit dem Aufzeigen des berühmten dreistufigen Weltbild (Himmel,Erde,Unterwelt), das für den modernen Menschen nicht mehr nachvollziehbar ist, sei das, was in der Bibel steht, nicht mehr sonderlich ernst zu nehmen.
In Psalm 90,4 steht: Vor Gott sind 1000 Jahre wie ein Tag. Und dieses Wort zitiert auch das Neue Testament (2 Petrus 3,8).
Selbstverständlich war Einsteins Relativitätstheorie in biblischer Zeit unbekannt. Gerade deshalb ist jene Unterscheidung zwischen dem, was wir im Alltagsdenken wahrnehmen, von dem, was wirklich vor sich geht, erstaunlich. Raum ist mehr als das, was von uns als solcher wahrgenommen wird, und Zeit ist nicht gleich Zeit. Dabei konnte im Altertum kaum jemand auch nur ahnen, dass Gestirne am Himmel gesehen werden, die längst nicht mehr existierten, ja lange bevor es überhaupt Menschen gab, schon erloschen waren.
Zu einer Erkenntnis, dass Raum und Zeit relativ sind, gelangen wir Menschen der Neuzeit durch den "Logos". Bereits Kants Kritik der reinen Vernunft hatte uns gelehrt, dass wir nicht einfach vom "Ding als Erscheinung" auf das "Ding an sich" schließen dürfen; Raum und Zeit sind transzendentale Gegebenheiten. Erkenntnisse a posteriori führten über Kant hinaus zu weiteren Konsequenzen, und Relativitätstheorie und Quantenphysik haben ein neues Licht auf die Raum-Zeit-Problematik geworfen.
Mit dem Wort "Logos" - griechischen Ursprungs - unterscheiden wir trefflich die rationalen Einsichten von denen des "Mythos". Wir stoßen mit den Fragen nach einem Sinn und Ziel unseres Lebens, nach Werten und Verantwortung, wieder auf Grenzen unserer Vernunft. Unter Zuhilfenahme der symbolreichen Sprache des Mythos ringen wir um Antworten.(9) Bei vielen Denkern der Aufklärungszeit sah man in diesem nichts als irrige und veraltete Vorstellungen, wobei natürlich auch der Mythos eine ihm eigene Entwicklungsgeschichte hat. Innerhalb dieser stellt sich von Fall zu Fall die Frage: Vorurteil oder Wahrheit? (10)
Von den Mythen seiner Umwelt unterscheidet sich das alttestamentliche Weltbild dadurch, dass es einen "Anfang" der Weltschöpfung und – vor allem in apokalyptischen Texten (z.B. im Buch Daniel) – ein Ziel des Weltgeschehens (das Gericht Gottes) kennt. Diese Sicht wurde von größter Bedeutung für das abendländische Denken. In ihrem Gefolge ist die Philosophie stark von solcher Geschichtsbetrachtung geprägt worden, bei Hegel z.B. dominierte, sie, aber auch Marx partizipiert an dieser: die Geschichte hat ein Ziel.
In Israels Umwelt war dagegen ein "zyklisches Weltbild" vorherrschend. Allein bei dem Philosophen Kohelet finden wir im Alten Testament Zeichen eines solchen im Mittelpunkt seines Denkens: "Ein Geschlecht geht dahin, und ein anderes kommt, aber die Erde bleibt ewig stehen. Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter... Was gewesen ist, wird wieder sein, und was geschehen ist, wird wieder geschehen: es gibt nichts Neues unter der Sonne." (Koh 1,5-9).(11) Die Schöpfung als Anfang ist bei ihm unbestritten, aber die Frage nach ihrem Ziel bleibt offen.
Anmerkungen:
7.2. Zeit, Verlauf und Bestimmung
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