TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr.
Februar 2010

Sektion 7.4.

Kommunikation von Innovationen! Innovation von Kommunikation? | Communication of Innovation! Innovation of Communication?
Sektionsleiter | Section Chair: Klaus M. Bernsau (Wiesbaden)

Dokumentation | Documentation | Documentation


Keine Zeit für Nachhaltigkeit?

Die ausgedehnte Gegenwart des Journalismus als Widersacher
einer zukunftsorientierten Berichterstattung

Katrin Bosnjak (Universität Duisburg-Essen) [BIO]

Email: katrin.bosnjak@studenten-nachhaltigkeit.de

 

1. These: Nachhaltigkeit scheitert an den Selektionsprinzipien

Die Dringlichkeit in der Betrachtung des Problemfeldes Medien und Nachhaltigkeit ergibt sich aus einer handlungstheoretischen Perspektive auf Nachhaltigkeit, wo Sensibilisierung, Wissen (als sozial geteiltes Wissen) durch Kommunikation und Partizipation ausschlaggebend sind.

Globale Zusammenhänge müssen nicht zwingender Weise die Lebenswelt des Hier und Jetzt beeinflussen. Voraussetzung dafür sind Interesse, Kommunikation und „Verständnis“. Entgegen der üblichen Wirtschaftskommunikation, welche sich durch extrem kurze Taktung – wie die der Börsenkommunikation – auszeichnet, erfordert Nachhaltigkeit eine kontinuierliche Kommunikation einer regulativen Idee (zur Nachhaltigkeit als regulative Idee siehe Homann 1996; 33-47), die gleichsam erkenntnisleitend wirkt. Alles Langfristige, Gründliche und Komplizierte hat schlechte Chancen in der heutigen massenmedial vermittelten Kommunikation. Mit folgendem Zitat lässt sich das Aufgabenverständnis eines Journalisten verdeutlichen:

„Wir können immer nur über das berichten, was ist. Aber wir sind nicht dafür da, etwas zu fordern, was es noch nicht gibt. […] Wir sind keine Heilanstalten, wir sind Abbilder.“ (Lidschreiber 2005: 11)

In den Medien existiert kein Agenda-Setting „Nachhaltigkeit“ (vgl. Grimme Institut 2004: Vorwort), die möglichen Gründe dafür sollen im Weiteren erörtert werden. Allein mit der Nennung des Terminus „Nachhaltigkeit“ oder mit den Themen Abfall, Waldsterben oder Gewässerschutz ist dem Postulat nicht Rechnung getragen, da sie globale und komplexe Zusammenhänge ausklammern (vgl. ebd.). Es besteht daher Grund zu der Annahme, dass die Medien die neuen Anforderungen noch nicht erkannt haben.

„Aufgegriffen werden die Ressourcenprobleme meist nur punktuell, wenn die Hurrikane blasen oder in Spanien die Ländereien brennen, auf denen unsere Orangen wachsen.“ (Grefe 2005: 5)

Technologien und Lebensweisen der Industrienationen müssen kritisch beleuchtet, aber auch mögliche Barrieren der Etablierung von „Nachhaltigkeit“ als positives Leitbild und seinen Lösungen, erörtert werden (vgl. ebd.). Denn allein die Kommunikation von Gefahren bewirkt keine Verhaltensänderung.

Warum werden Probleme augenscheinlich, wenn Kommunikation von Nachhaltigkeit durch Publikationsmedien thematisiert wird? Der Journalismus ist durch die Wirklichkeit konstruierende Konstituente des Aktualitätsbegriffs geprägt und lehnt sich an die Zeitlichkeit der Börsenkurse und an die Flut von Ereignissen in der Umwelt an (vgl. Nowotny 1994: 14). Folge dessen ist die Reversibilität der Ereignisse. Alles gilt als wiederholbar, daher werden Verluste nicht als unwiederbringlich beklagt (vgl. ebd.: 21).

Der Aktualitätsbegriff kann in Form von Live-Berichten bis zur Gleichzeitigkeit zugespitzt werden. Ereignisse, die den selektiven Filter passiert haben, müssen innerhalb der nächsten 24 Stunden aktualisiert werden, ansonsten fallen sie aus der Auswahl heraus (vgl. Großklaus 1994: 45). Berichtet wird also zum einen über das Gewesene, das Ereignis, welches als gegenwärtig aktualisiert und auf die schmale Zeitstelle des Jetzt verdichtet wird. Als Konsequenz ist eine Absorption der Vergangenheit zu verzeichnen. Diese schmale Zeitstelle erfährt zum anderen durch die Vorverlagerung von Problemen eine Erweiterung auf die ausgedehnte Gegenwart, welcher Zeitknappheit immanent ist. Im Prinzip steht diese ausgedehnte Gegenwart nicht gegen zukunftorientiertes Handeln, denn Handlungsanweisungen im Sinne der Nachhaltigkeit implizieren immer auch die Kategorie Zukunft als „zu Gestaltendes“ – also eine Vorverlagerung von Problemen. Problematisch jedoch wird die Kategorie Zeit in dieser ausgedehnten Gegenwart und gleichsam die Zeitknappheit im Journalismus. Vielleicht stellen sich Ereignisbezogenheit und Zeitknappheit einer Nachhaltigkeitskommunikation entgegen, bei der es um etwas noch zu Realisierendes, einen Prozess, geht, welcher im Prinzip endlos ist. Nachhaltigkeit ist kein Ereignis, keine abgeschlossene Tätigkeit, sondern eine ethische Grundeinstellung, auf Grundlage derer Prozesse initiiert werden können.

Die Frage lautet also: Sind Medien in der Lage eine regulative Idee (im Sinne Kants), „also eine Vorstellung des zu erreichenden Ganzen, die den entsprechenden Such- und Erkenntnisprozess der Akteure anleitet“ (Lass/Reusswig 2001: 152) zu kommunizieren? Oder vollziehen sie Routinen der Wirklichkeitsverdrängung (vgl. Grefe 2005: 7, in Anlehnung an Ulrich Beck)?

Es geht also darum, spezifische Bedingungen von journalistischer Kommunikation, der Zuwendung (von Aufmerksamkeit) und des Wissenserwerbs herauszuarbeiten. Nach dem Essener Kommunikationsverständnis wird dabei von der ursprünglichen Face-to-face-Situation ausgegangen, wobei deren Konstanten auf die Selektionstätigkeit der Journalisten übertragen werden. Es ist anzunehmen, dass der Blickwinkel der Essener Kommunikationswissenschaft gegenüber konventionellen Medientheorien lohnender ist. Vorab ist festzuhalten, dass das Medienhandeln der Kommunikatoren einseitiges Handeln darstellt. Eine Betrachtung dessen ist damit gerechtfertigt, dass Medienhandeln Zeitbewusstseine der Rezipienten beeinflussen kann und daher soziale Zeit vermittelt. Medienhandeln ist soziales Handeln, wohl aber kein kommunikatives: zwar motiviert subjektiv gemeinter Sinn das Medienhandeln, jedoch kann nicht von einer dialogischen Kommunikationssituation ausgegangen werden. Denn: es besteht kein „situativer oder sozialer Zwang zur Beachtung und Decodierung“ (Sowinski 1979: 44). Dieser monologische Charakter des Medienhandelns kann auch als „öffentlich[e] indirekte Kommunikation“ (Sowinski 1998: 22) über die Vermittlung durch Massenmedien bezeichnet werden.

Wie aber kann vor diesem Hintergrund noch von sozialem Handeln die Rede sein? Auch wenn die Möglichkeit einer direkten Rückkopplung ausgeschlossen ist, so erfolgt trotzdem auf Rezipientenseite ein Interpretationsprozess. Letzterer ist dem Kommunikationsprozess vorgelagert. Mit anderen Worten: Kommunikator (Journalist) sowie Rezipient interpretieren ohne wechselseitigen Kontakt.

Zusätzlich zu der Begriffs- und Strukturproblematik im Journalismus ergibt sich die Tücke einer fehlenden Verbindung von „objektiver“ Problemlage und gesellschaftlicher Wahrnehmung, deren Relevanz und einer Ableitung von Konsequenzen (vgl. Lass/Reusswig 2001: 151). Komplex ist die Kommunikation über Nachhaltigkeit auch aus dem Grund, dass sie sich in einen öffentlichen Diskurs einfinden muss.

An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass nach Essener Verständnis Kommunikation ein nicht weiter zerlegbarer Konstitutionszusammenhang einer Wechselwirkung zwischen mindestens zwei Personen ist. Des Weiteren wird eine Intention vorausgesetzt, aufgrund derer kommuniziert wird. Der Zweck von Kommunikation ist es, Verständigung (nicht die Utopie „Verstehen“) zu erreichen mit dem Ziel der Steuerung des Anderen. Dieser Prozess kann aber nicht losgelöst von kulturellen, gesellschaftlichen und historischen Rahmenbedingungen betrachtet werden. In einem Diskurs, der besonders in Bezug auf Nachhaltigkeit möglichst viele gesellschaftliche Gruppen einbinden soll, stellt sich das Vermittlungsproblem (von Teilsystemen).

„Es gehört inzwischen zu dem weitgehenden Konsens in der deutschen Nachhaltigkeitsdebatte, dass die Ziele der Nachhaltigkeit in einem breiten gesellschaftlichen Diskurs ermittelt werden sollen, an dem alle gesellschaftliche Gruppen zu beteiligen sind. Aus diskursanalytischer Sicht stellen sich hiermit zahlreiche Positionierungs- und Vermittlungsprobleme, die der fachlichen Unterstützung durch Medien und Marketingexperten bedürfen.“ (Lucas/Wilts 2004: 41)     

Derzeit verstehen Medienunternehmen Nachhaltigkeit jedoch nicht als Handlungsfeld. Mit der Zukunft haben sie nur wenig im Sinn, es sei denn sie wollen Einfluss nehmen. Mögliche Gründe dafür sollen im Weiteren erörtert werden.

Problematisch sind divergierende Relevanzzuschreibungen bezüglich der Thematisierung von Nachhaltigkeit, welche in auseinander laufenden Auffassungen von Zeit und Aktualität begründet sind.

 

2. Nachhaltigkeit

Die heute allgemein anerkannte Vision einer nachhaltigen Entwicklung hat, rein etymologisch, ihren Anfang in der Forstwirtschaft (Carlowitz 1713: Sylvicultura Oeconomica) und im Bergbau, dabei aber überwog  bis Mitte des 20. Jahrhunderts der soziale Aspekt (Regelung von Arbeitsbedingungen). Anfang des 20. Jahrhunderts erhielt Nachhaltigkeit auch Einzug in die Fischereiwirtschaft (vgl. Kopfmüller et al. 2001: 19-21) sowie in den 40er Jahren in die Wirtschaftswissenschaft mit dem Einkommensbegriff von J. R. Hicks (vgl. z.B. Klauer 1998).

„The purpose of income calculations in practical affairs is to give people an indication of the amount which they can consume without impoverishing themselves. Following out this idea, it would seem that we ought to define a man’s income as the maximum value which he can consume during a week, and still expect to be as well off at the end of the week as he was at the beginning.” (Hicks 1946: 172)

Alle Übertragungen der Idee haben gemeinsam, dass nur soviel Ressourcen verbraucht werden dürfen, wie eine Sicherstellung der zukünftigen Bedürfnisbefriedigung es zulässt. Diesen Aspekt veröffentlichte die Brundtland-Kommission 1987 (vgl. dazu Hauff 1987 als deutsche Version) mit ihrem Bericht und trug ihn so in Wissenschaft und Politik hinein.

In den siebziger Jahren wurde erstmals das grenzenlose wirtschaftliche Wachstum vom Club of Rome in Frage gestellt (siehe Meadows 1972). Trotz aller konzeptionellen und methodischen Mängel (vgl. dazu Beckerman 1974) kann dem Bericht an den Club of Rome zu Gute gehalten werden, dass er die Zusammenhänge zwischen Produktion, Lebensstil, Wirtschaftswachstum und Ressourcenknappheit beleuchtet hat (vgl. Kopfmüller et al. 2001: 21f.).(1)

International tritt also der Begriff erstmals im Zuge des Berichts der  Brundtland-Kommission zu Tage, die das Hauptaugenmerk auf nachhaltige Entwicklung legte und die drei Dimensionen Ökologie, Ökonomie und des Sozialen vereinte, wobei ersterer dominierte. Der Bericht gilt als international anerkannte Definitionsgrundlage für den Begriff „Nachhaltigkeit“.

„Dauerhafte Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, daß zukünftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“ (Hauff 1987: 46)

Bedürfnisse sind dabei die Grundbedürfnisse der Ärmsten dieser Welt, die primär angegangen werden müssen, wobei Armut als Hauptursache für Umweltzerstörung und andere negative Entwicklungen angesehen wird. Wenn ein Lebensstandard über das Maß der Grundbedürfnisse hinausgeht, ist er nur zu rechtfertigen, wenn er nicht übermäßig Ressourcen verbraucht und somit die Existenz des Planeten langfristig nicht bedroht. Ziel der Brundtland-Kommission war es, mittels Konsens konkrete Handlungsempfehlungen für einen Prozess zu liefern, der dauerhaft praktikabel bleibt. Sie verband dabei drei Grundprinzipien: die globale Perspektive (Problemanalyse und Strategien), die Verknüpfung zwischen Umwelt- und Entwicklungsaspekten (gezieltes/gemindertes Wachsen, qualitatives Wachstum) und die Realisierung von inter- und intragenerativer Gerechtigkeit (Nord-Süd-Gefälle und Zukunftsausgerichtetheit, Sicherheit). Dementsprechend schließt die Definition der Brundtland-Kommission soziale Gerechtigkeit und politische Partizipation ein (vgl. Kopfmüller et al. 2001: 25). Mit dem Sichtbarmachen der Missstände wurde erstmals ein normativ-moralischer Standpunkt eingenommen. Die breite internationale Zustimmung zur Arbeit der Brundtland-Kommission lässt sich mit der allgemein gehaltenen Definition begründen (siehe oben). Zum einen garantiert dies Anschlussfähigkeit, zum anderen einen großen Spielraum für eigene Interpretationen, wozu sich die Kommission aber genötigt sah, da sie zwischen stark polarisierten Standpunkten – die jeweils den ökologischen, ökonomischen oder sozialen Fokus haben –  vermitteln musste (vgl. Kopfmüller et al. 2001: 25). Es musste auch zwischen Dependenztheorie – also der Ansicht, dass infolge der Kolonialisierung bestimmte Länder die Macht erhielten, auch heute noch andere arm zu halten – und Modernisierungstheorie – also der Ansicht, dass Entwicklungshemmnisse durch Eigenarten und Wertvorstellungen traditionaler Gesellschaften entspringen – vermittelt werden und somit exogene und endogene Ursachen der Benachteiligung abgewägt werden (vgl. ebd.). Zudem kamen unterschiedliche wirtschaftliche Sichtweisen zum Tragen – die subsistenzwirtschaftliche Binnenorientierung und die umfassende Weltmarktintegration (vgl. ebd.). So prallen Selbstversorgung und Bedarfsdeckung auf weltweiten Handel. Die Kommission machte die Entwicklung der benachteiligten Länder an den Importen in Industrieländer fest, was auch das Wachstum beider impliziert (vgl. ebd.). Daraufhin aber folgte eine mit ökologischen Argumenten festgemachte Wachstumskritik, worauf die Kommission lediglich optimistische Annahmen über Bevölkerungsentwicklung, Ressourcenvorräte und Effizienz steigernde Technik entgegnete (vgl. dazu Harborth 1991).

Insgesamt wird zwar der Funktion des Brundtland-Berichtes keine Wirkung abgesprochen, dem Bericht entgegen steht jedoch der Vorwurf einer Sicht, die sich konventionell ökonomisch und technisch-optimistisch darstellt (vgl. Kopfmüller et al. 2001: 26).

Insofern wird der Fokus auf Schadensminderung nicht-nachhaltiger Lebensweisen propagiert, anstatt eines radikalen Umdenkens in Bezug auf den Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen. Als Beispiel dient hier die Erfindung von Katalysatoren von Filtern bei Kraftfahrzeugen anstelle der Forcierung alternativer Antriebsmöglichkeit. Es werden lediglich Symptome anstatt Ursachen bekämpft.

Mit der Zunahme von ökologischen Problemen bei gleichzeitig steigendem Umweltbewusstsein, erlebte die Dimension(2) „Ökologie“ in der entwicklungspolitischen Debatte eine Renaissance. Unter anderen haben UNEP (United Nations Education Programme) und UNESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization) die „World Conservation Strategy“ geprägt, mit der der Begriff „Sustainable Development“ größere, aber dennoch meist wissenschaftliche Verbreitung erfuhr (vgl. ebd.: 22). Kritiker der ökologie-basierten Sicht mahnen zur Beachtung politischer und sozioökonomischer Ursachen an (vgl. dazu exemplarisch Lélé 1991).

Das von den Medien heute gern und oft angewandte Krisenszenario(3) fand in den 80er Jahren Eingang in die öffentliche Debatte. Der an den ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter gerichtete Bericht „Global 2000“ (siehe Haller 1980) führte die Konsequenzen einer Weiterführung der bisherigen Politik vor und fand damit breite Beachtung.(4) Der Blick richtete sich nun auf die Belastbarkeit der Ökosysteme anstatt auf die Ressourcenknappheit, was mitunter mit den ressourcenschonenden neuen Technologien in Verbindung gebracht werden kann (vgl. Kopfmüller et al 2001: 26). Den überentwickelten Staaten wurde dabei die Hauptschuld und damit auch die Bringschuld einer Lösung für die extreme Belastung der Ökosysteme zugewiesen, die diese aber auf die Entwicklungsländer zurückschieben (vgl. Kopfmüller et al 2001: 31f.). Derzeit wird kontrovers diskutiert, ob auch aufstrebende Länder ein „Recht auf Emissionen“ haben und dies nun nachträglich – größtenteils mit alten, emissionsstarken Technologien –  einlösen wollen. So wird in diesem Zusammenhang auch das Thema des Emissionshandels kontrovers diskutiert (siehe dazu Vorholz 2000). Dies ist der verschiedenartigen Gewichtung der Dimensionen zuzuschreiben: Entwicklungsländer gewichten ökonomische und soziale Belange stärker als ökologische (vgl. Kopfmüller et al. 2001: 31). Der Brundtland-Bericht führte schließlich zur  „UN Conference on Environment and Development“ in Rio de Janeiro von 1992, wo sich die internationale Staatengemeinschaft fast einstimmig mit 173 Unterzeichungen darauf einigte, das Leitbild Nachhaltigkeit auf nationaler und internationaler Ebene in konkrete politische Handlungen umzusetzen. Die Agenda 21 umfasst ein breites Spektrum von sozioökonomischen, ökologischen, zielgruppenspezifischen und operationalisierungstechnischen Belangen auf lokaler Ebene. Ebenso sind aber andere verbindliche internationale Dokumente, wie die „United Nations Convention to Combat Desertification“ (1994), „United Nations Framework Convention on Climate Change“ (1992, New York) und die „Convention on Biological Diversity“ (1992, Rio) zu benennen.

Im Zuge der Rio-Konferenz konnte mit der „Commission on Sustainable Development“ (CSD) erstmals eine Institution auf UN-Ebene geschaffen werden, die die Initiierung und Umsetzung nachhaltiger Entwicklung beobachten, fördern und evaluieren soll (vgl. Kopfmüller et al. 2001: 27). Gemeinsam mit  Forschungsinstitutionen, Regierungen sowie Nichtregierungsorganisationen und Wirtschaft erarbeitet sie fortwährend Strategien für konkrete Umsetzungen in verschiedenen Themenbereichen und in den jeweiligen Ebenen (lokal, regional, national, global)  (vgl. ebd. 2001: 28). Basis ihrer Arbeit sind allgemein der Brundtland-Bericht und die Rio-Dokumente (vgl. ebd.). Einigkeit besteht zum einen darüber, dass Uneinigkeit in vielen Punkten besteht. Zum anderen besteht aber auch Konsens über die Notwendigkeit eines wissenschaftsgestützten Lernprozesses, an dem alle gesellschaftlichen Gruppen partizipieren und der eine sich stetig neu entwickelnde Definitionsbestimmung infolge sich wandelnder und aufeinander treffender  Interpretationen mit einschließt (vgl. ebd.). Dennoch ist es möglich –  auch nach Meinung Kopfmüllers et al.  – davon auszugehen, dass, entgegen der Vorstellung einer regulativen Idee (der lediglich das Charakteristikum der Vorläufigkeit immanent ist), konkrete Zielbestimmungen und Regelungen zumindest auf nationaler Ebene durch gesellschaftlichen Diskurs zu erlangen sind.(5) Beispiele dafür sind Freiheit und Gerechtigkeit als gesetzmäßig bestimmte Vorstellungen.

Doch Relevanzen variieren bereits bei einer Begriffsbestimmung von Nachhaltigkeit. Dieses Problem weitet sich dann auf der Ebene der Operationalisierung aus. Konkrete Ziele, Strategien und Handlungsprioritäten wurden bisher nicht klargestellt. Da aber alle gesellschaftlichen Gruppen partizipieren sollen, bestehen auch unterschiedliche Wert- und Nutzenvorstellungen. Der Begriff „Nachhaltigkeit“ ist zwar vielen Bundesbürgern geläufig, wobei viele keine näheren Bestimmungen erbringen können (vgl. exemplarisch Schulz 2006: 2). Lediglich die Verbindung mit „Langfristigkeit“  ist einigen klar (vgl. ebd.). Insgesamt sind die Bürger dem Umweltschutz positiv gegenüber eingestimmt (vgl. BMU 2006: 16f.). Auffällig ist, dass, im Vergleich mit der Vorgängerstudie, der Blick der Befragten sich mehr auf das Allgemeinwohl und auf die kommenden Generationen richtet als im Jahr 2002 (vgl. ebd.: 23).

Es ist demnach die Aufgabe gestellt, die Worthülse „Nachhaltigkeit“ für die Allgemeinheit zu füllen, denn die Bürger gehen mit den Grundprinzipien der Nachhaltigkeit d'accord (siehe zu letzerem BMU 2006: 17). Dabei sei vorangestellt, dass eine endgültige Definition mit der Vorstellung einer regulativen Idee kollidiert, welche einen kontinuierlichen Diskurs impliziert.  An eine Nachhaltigkeitskommunikation ist aber nicht nur der Anspruch gestellt, Nachhaltigkeit zum Thema zu machen, sondern selbst nachhaltig zu sein (vgl. Lass/Reusswig 2001: 151f).

Die Dimension Ökologie als lebenserhaltende Basis erhält im heutigen Diskurs populärwissenschaftlich – in Beziehung auf mediale Vermittlung und Publikumsinteresse – sowie wissenschaftlich den Vorrang (auch als „Ein-Säulen-Modell“ benannt). Im Ein-Säulen-Modell wird ökologischen Fragen Vorrang eingeräumt. Ökonomische und soziale Belange sind nach dieser Sicht Ursache oder Folgen von Umweltproblemen und sind somit keine eigenständigen Zielkategorien (vgl. Kopfmüller et al. 2001: 48).

Bei einer Betrachtung von Nachhaltigkeit mit der Grundlage der Ökologie sind keinesfalls die anderen Dimensionen ausgeschlossen, sondern untergeordnet. „Gleichwohl ist es eine Tatsache, dass die ökologische Bedrohung der Erde dem menschlichen Handeln Grenzen setzt. Der Dimension 'Umwelt' kommt deshalb die Rolle der Antriebskraft zu“ (Rat für Nachhaltige Entwicklung 2006: 6). Politisch ist in Europa das Drei-Säulen-Modell (Verbindung von Ökologie, Ökonomie, Soziales) allgemein anerkannt (vgl. IFOK 2002: 34), welches auf den Bericht der Brundtland-Kommission zurückzuführen und in der Enquête-Kommission des Bundestages manifestiert ist. Kopfmüller et al. (2001) setzen bei der inter- und intragenerativen Gerechtigkeit an, welche aber alle drei Ebenen gleichsam einschließt. Neben der Eindimensionalität und dem Drei-Säulen-Modell (Ökologie, Ökonomie, Soziales) existieren weitere Überlegungen, so auch die Vier-Dimensionalität in Form eines Tetraeders mit der Spitze der institutionellen Dimension als Operationalisierungsinstanz, oder des Zusatzes einer kulturellen Dimension/Säule (vgl. ebd.: 48). Doch ergibt sich nicht nur die Frage nach der Anzahl der Dimensionen, sondern auch nach der Beziehung und der Rangfolge dieser untereinander (vgl. ebd.: 50). Mit der Anerkennung der drei Dimensionen geht zumindest das Verständnis einher, dass Nachhaltigkeit zwischen den gesellschaftlichen Akteuren auszuhandeln und in Entscheidungen festzumachen sei.

Es wird in der vorliegenden Arbeit von einem Nachhaltigkeitsverständnis ausgegangen, welches vermutlicherweise –  in der Beachtung aller drei Dimensionen im komplexen Wechselverhältnis –  gegen die Arbeitweisen im Journalismus spricht. Eine theoretische Diskussion der Dimensionenanzahl und -beziehungen ist aber in dieser Arbeit nicht angelegt, was an anderer Stelle gewiss weiterhin noch zu erledigen sein wird. Einen Überblick über die Vielfältigkeit der Bestimmungsversuche geben Kreibich (1995) und Renn/Kastenholz (1996). Strittig ist nicht nur, welche Ebenen der Terminus „Nachhaltigkeit“ umfasst sondern auch, was seine Ziele bzw. Wirkungen sind.

Der wissenschaftliche Nachhaltigkeitsdiskurs spannt sich zwischen der Position, dass Handlungsanleitungen aus allgemeinen normativen Prinzipien abgeleitet werden und der Position, dass durch Partizipation ein Lernprozess vonstatten geht, indem Kompromisse ein Hauptelement sind (vgl. Kopfmüller et al. 2001: 29). Des Weiteren wird diskutiert, ob allein quantitative Zielvorgaben zur nachhaltigen Entwicklung beitragen oder ob nicht vielmehr der Weg das Ziel ist, dass Akteure die Einsicht der Relevanz des Nachhaltigkeitsleitbildes gewinnen (vgl. dazu Kopfmüller et al. 2001: 30). Im Zusammenhang damit kommen auch Fragen der Steuerung von gesellschaftlichen Handeln auf; oder aber, ob dem Suffizienzprinzip  (d.h. einem bewussten Umgang mit Konsum und Luxus) oder dem Effizienz- bzw. Konsistenzprinzip Rechnung getragen werden sollte.

Das in dieser Arbeit vertretene Verständnis von „Nachhaltigkeit“ geht davon aus, dass zur Vision der Nachhaltigkeit zwingend ein Wissensmanagement gehört, das über die formale Schulbildung und Expertenwissen hinausgeht. Es geht um die Partizipation des Einzelnen, die das Verständnis von Nachhaltigkeit und Konsens bezüglich des verbindlich zu Erreichenden zum Ziel hat.

„Ein Umweltbewusstsein im Sinne des Nachhaltigkeitskonzepts ist nicht bloß ein Bewusstsein drohender Katastrophen und der Kritik an Technologie, sondern eines, das die Zukunft aktiv und konstruktiv mitgestalten möchte.“ (BMU 2006: 22)

Bildungsangebote sowie vor allem Alltagserfahrungen, Vorbilder, Konsum- und Verhaltensmuster fördern eigenverantwortliches Lernen und in der Konsequenz Handeln im Sinne der Nachhaltigkeit. Wobei angemerkt sein muss, dass Nachhaltigkeit bisher kein präzises Handlungskonzept darstellt, was wiederum ihre Kommunikation erschwert. Sie verlangt eine andere Form des Lernens, die nicht zwingend aus Lehrbüchern besteht – denn Wissen über Nachhaltigkeitsprobleme zieht noch lange keine Handlungsmuster der Nachhaltigkeit nach sich. Sie wächst aus sozialem Lernen partizipierender Einzelner, die verstehen möchten.Schlagworte sind daher Sensibilisierung, Befähigung, Partizipation, Vernetzung, Innovation, Wertschöpfung, aber auch Reflexion im Sinne des „anhalten und nachdenken“ (Schütz 1971a: 185).

Es besteht Grund zu der Annahme, dass eine Verfolgung des Nachhaltigkeitsleitbildes eine Neuorientierung im lebensweltlichen Sinne verlangt. Die ökologische, ökonomische und soziale Grundlage, auf welcher Menschen ihr Leben planen und entscheiden hat sich gewandelt, und dementsprechend müssen sich auch Planungs- und Entscheidungsgewohnheiten ändern. Dies trifft in besonderem Maße auf den Journalismus als „wissensvermittelnde Instanz“ zu. Ihm kommt die Aufgabe zu, globale Probleme, ihre Ursachen sowie den Umgang mit ihnen und mögliche Problemlösungen in die breite Öffentlichkeit zu tragen, da nicht jeder Einzelne am wissenschaftlichen Diskurs – welcher vielleicht an mangelnder Wahrnehmung von „Lebenswelt“ und ihren Potenzialen krankt – beteiligt werden kann. Es geht grundlegend um breite Partizipation, und an diesem Punkt sind u.a. „die Medien“ gefragt(6), neben klassischen Bildungsangeboten im Sinne einer „Bildung für nachhaltige Entwicklung“(7). So ist es augenscheinlich geworden, warum diese Arbeit sich mit Nachhaltigkeit und Journalismus befasst –  denn Handeln im Sinne der Nachhaltigkeit setzt Wissen voraus.

 

3. Medien vs. Nachhaltigkeit

Es ist unumstößlich, dass den Medien in der öffentlichen Meinungsbildung eine sehr bedeutende Rolle zukommt, da sie es sind, die Informationen selektieren, aufbereiten und verbreiten.

In diesem Kapitel sollen Eigenlogik, Selektionskriterien und Themenaffinitäten der Medien beleuchtet werden, um eine Vermutung aussprechen zu können, ob  Nachhaltigkeitsthemen per se durch das Selektionsmuster der Medien und deren Instanzen durchfallen, da ihre komplexe Zeitdimension schwer kommunizierbar ist.

Es soll also dem Mangel an kommunikatororientierter Forschung Rechnung getragen werden. Jene, die sich nicht auf Wirkungen konzentriert sondern die präkommunikative Phase der Zuwendung fokussiert. Eine integrative Betrachtung von Selektion, Kommunikation und Wirkung wird dabei unter Inkaufnahme einer unvollständigen Betrachtung ausgespart.

Im Medienalltag sind im Besonderen die Reichweite, Auflage und das Interesse der Zielgruppen wichtige Einflussgrößen. Themen müssen fesseln, aktuell, leicht verständlich sein und „einfach  passen“. Wie die Anforderungen an entsprechende Themen gestaltet sind, soll eingehend betrachtet werden. Vorangestellt sei nochmals, dass die Vermutung besteht, Nachhaltigkeitsthemen passen nicht in die vorgefertigten Muster, die den Arbeitsalltag der Journalisten erleichtern und bestimmen.

Obwohl die Thematik latent in vielen Ressorts präsent ist, gibt es in den Redaktionen keine Ressorts, die sich explizit mit Nachhaltigkeit beschäftigen. Auch das Ressort Umwelt ist nicht originär für diese Thematik zuständig, obwohl der wissenschaftliche Nachhaltigkeitsdiskurs in Deutschland seinen Ursprung in ökologischen Fragen hat (siehe voriges Kapitel). Einen Blick auf die Meldungen der Tageszeitungen werfend ist zwar die Berichterstattung über den Klimawandel und Generationengerechtigkeit allgegenwärtig, jedoch ist dies eine eindimensionale Betrachtung. Es darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass „Nachhaltigkeit“, wie in Kapitel 2 bereits eingehend geschildert wurde, eine Leitidee, gleichsam eine Vision darstellt, welche ökonomische, ökologische und soziale Aspekte vereint. Zum einen geht es dieser Arbeit also um inhaltliche Barrieren des Themas beim journalistischen Selektionsvorgang, sowie um arbeitsorganisatorische Maßgaben wie Zeitdruck und Aktualität.

Idealtypisch können hier Aspekte der Wirtschaftskommunikation benannt werden, die im Minutentakt neue Informationen bereitstellt. Betrachtet man die Börsenkurse, die mittlerweile auch im Untertext der Nachrichten vorbeilaufen, so ist die heutige Funktionsweise der Medien bereits plakativ dargestellt. Im Gegensatz dazu ist Nachhaltigkeit ein Prozess, eine Idee, die nie vollendet werden kann, die zwar Zielkennzahlen bereitstellen kann, deren Einhaltung sich bisher als schwierig erweist. Das Wirtschaftssystem dahingegen ist selbsttragend und hat klare Regeln der Gewinnmaximierung. Eine Orientierung an dem Leitbild der Nachhaltigkeit würde aber dem jetzigen globalen Wirtschaftssystem und seinen Auswirkungen widersprechen, da es ganz andere Maximen fordert, nämlich gemindertes oder gezieltes Wachsen zugunsten einer gerechten Welt. Es kann daher angenommen werden, dass die hier zu diskutierende Problematik der Themensetzung durch die „Massenmedien“ weltgesellschaftlich-ideologische Gründe in sich birgt. Dies soll in dieser Arbeit aber nicht thematisiert werden sondern auf die Arbeitsweise der Medienakteure herunter gebrochen werden, die natürlich in systemspezifischen Einflussgrößen verflochten sind.

„Wir berichten über Katastrophen, Krieg und Krisen – live und in Echtzeit. In Zeiten der Globalisierung hat es die Diskussion um die „nachhaltige Entwicklung“ unserer sozialen, ökologischen und ökonomischen Lebensgrundlagen daher nicht leicht, sich Gehör zu verschaffen. Diese Entwicklung stellt die Medien in der modernen Informationsgesellschaft vor neue große Herausforderungen.“
(Rat für Nachhaltige Entwicklung 2004: 106)

Kommunikation über Nachhaltigkeit erfordert eingehende Recherche, Zusammenhänge Erörterung und Darstellung von Zusammenhängen, Vertiefung von Informationen und eine Kontinuität dieses Prozesses. Dem entgegen steht im Printbereich der mediengeschichtlich nachweisbare Trend zu vereinfachtem Schreiben und Lesen, was eine Informationsreduktion zur Folge hat (vgl. Beck 1994: 211).

Markus Schächter weist indes darauf hin, dass sich die tagesaktuellen Sendungen nach dem Rhythmus der Ereignisse richten müssen (was an späterer Stelle noch zu diskutieren ist) und Themen von Akteuren, mitunter politischen, auf die Agenda gesetzt werden müssen. Er sieht aber darin gleichzeitig ein Defizit, dass kaum durch reflektierende Berichterstattung ausgeglichen werden kann (vgl. Rat für Nachhaltige Entwicklung 2004: 106).

Zu beachten ist natürlich auch das Format, indem Nachrichten publiziert werden. Nachrichtensendungen und Artikel sind in ihrer Kürze möglicherweise weniger geeignet, Nachhaltigkeit zu thematisieren, während längere Formate, wie Magazine oder Dokumentationen, insbesondere auch im Kinderprogramm, eine bessere Plattform bieten könnten. Lokalteile in Tageszeitungen scheinen ebenfalls geeignet, da dort das Interesse der Leser aufgrund des Faktors  „Nähe“ eher gegeben sein kann. Eine Untersuchung aller Publikationsformen würde jedoch  den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Deshalb soll der Fokus explizit auf die Nachrichtenform ohne Spezifizierung auf bestimmte Sparten und ohne inhaltsanalytische Vorgehensweise – gelegt werden.

Hier gilt es zu untersuchen, inwiefern Nachhaltigkeitsthemen einen Nachrichtenwert haben.

 

4. Widersacher der Nachhaltigkeit

Wie bereits mit einem Zitat im einleitenden Kapitel deutlich gemacht, steht der Nachhaltigkeit u.a. das Selbstbild des Journalisten im Wege. Wovon ist aber journalistische Selektion zudem abhängig? Er ist vielfältigen Einflüssen ausgesetzt und kann auf bestimmte Orientierungshilfen zurückgreifen.

Da sind zum einen die Leitmedien anzuführen. Sie stellen die rekursive Schließung im sozialen System der Medien dar. Darunter sind solche Medien zu fassen, denen von anderen Medien eine hohe Kompetenz zugewiesen wird, die bundesweit erscheinen, Aufmerksamkeit im politischen System genießen, eine hohe Auflage besitzen und somit häufig zitiert werden.  Beispielsweise: ARD-aktuell, ZDF heute, RTL-aktuell, Stern, Der Spiegel, Focus, Süddeutsche Zeitung, Bild und dpa.

Ein Thema bleibt dabei umso länger am Leben, je eher es sich ‚weiterdrehen’ lässt, möglichst viele Facetten für die weitere Berichterstattung bietet, zugleich aber leicht verständlich bleibt. Leitmedien bieten die Möglichkeit, Zeit und Geld einzusparen, da sie schnell verfügbar sind. Zudem genießen sie hohe Glaubwürdigkeit. Was ist die Konsequenz der rekursiven Schließung im System? Die Übernahme Urteile der Leitmedien führen zu einer Verstärkung des Aktualitätsdrucks. Leitmedien setzen aber unterschiedliche Prioritäten bei den Nachrichtenwerten (Bsp.: Spiegel vs. Bild).

Bei der journalistischen Selektion spielt das Bild vom Rezipienten eine wichtige Rolle. Dieses Bild ist meist ein vereinfachtes und in keinerlei Weise durch empirische Studien abgesichert.

„Jeder Blattmacher weiß, und die Kommunikationswissenschaft hat dies später bestätigt: Wenn Du die Menschen mit Neuheiten beeindrucken willst, darfst Du sie nicht überfordern, mußt Du ihnen Denkvorgänge im Rahmen des Nachvollziehbaren ermöglichen.“ (Manz 1999: 151)

Ein Journalist ist den organisatorischen Vorgaben der Redaktion, näher der redaktionellen Linie, verpflichtet. Damit ist eine vorgegebene Denkweise (u.a. politisch) gemeint. Die redaktionelle Linie, vertreten vom Chefredakteur, gilt als Aushängeschild und beeinflusst maßgeblich die Selektion. Nicht fixierte, aber zu erlernende, nicht unbedingt bewusst angewandte) Programme, die die Hausordnung widerspiegeln.

Hierarchische Strukturen der Redaktion selektieren die Themenauswahl vor. Der einzelne Journalist hat wenig Spielraum, Nachhaltigkeitsthemen auf die redaktionelle Agenda zu setzen. Weischenberg formuliert Hierarchie, neben Produktionszwang, Zeitdruck und Platzmangel als institutionellen Zwang (vgl. Weischenberg 1998: 298), welcher auf jeden einzelnen Akteur einwirkt.

Wie auch die Leitmedien, vereinfachen auch Nachrichtenagenturen die Arbeit des Journalisten: sie ermöglichen rasches Kürzen von Meldungen. Es besteht keine rechtliche Verpflichtung zur Nachprüfung von Agenturmeldungen, da sie als zuverlässig und umfassend gelten (vgl. Zschunke 2000: 114). Auch nur geringfügig geänderter „Stoff“, der von den Nachrichtenagenturen übermittelt wurde, wird als Eigenarbeit der Zeitung ausgewiesen (vgl. ebd.: 58).

Das publizierende System ist ebenso Einflüssen aus anderen gesellschaftlichen Systemen ausgesetzt.  Das kann in der Weise zugespitzt werden, dass der Journalismus sich hin zu einem gesponserten Sprachrohr verschiedener wirtschaftlicher Sektoren entwickelt, sodass er eher Lobbyarbeit gleicht. PR ist auf Publikation und der Journalismus auf Information angewiesen, es besteht also ein Wechselverhältnis. PR-Abteilungen spielen dem Journalismus zu, indem zeitungsgerechte Berichte verfasst werden. Die Regeln des Journalismus werden also übernommen. Daraufhin übernehmen die Journalisten ohne weitere Recherche die Berichte. 

Als Handwerkszeug und Orientierungshilfe der Journalisten gelten die Nachrichtenfaktoren, die erstmals 1922 von Walter Lippmann „news values“ benannt wurden. An diesem Punkt wurde die Einstellung vertreten, dass Charakteristika (u.a. Nähe, Status, Dynamik) den Ereignissen inhärent sind und daher einen Nachrichtenwert haben. Winfried Schulz lenkte 1976 den konstruktivistischen Blickwinkel auf die Nachrichtenfaktoren und sah die Nachrichtenfaktoren nicht als Merkmale von Ereignissen, sondern als journalistische Hypothesen von Realität (vgl. Schulz 1976: 29). Nachrichtenfaktoren sind also weniger Merkmale von Ereignissen als vielmehr journalistische Hypothesen von Wirklichkeit (d. h. Annahmen der Journalisten über Inhalt und Struktur von Ereignissen, als sinnvoll angenommene Interpretation von Realität). Die daraus folgende Konsequenz: Journalisten liefern nur Konstrukte von Wirklichkeit.

Schulz identifizierte sechs Nachrichtenfaktoren: Zeit (Dauer, Thematisierung: Kontinuität, Thematisierbarkeit in Form von Fotogenität, klarer Kulminationspunkt), Nähe  (räumlich, politisch, kulturelle Nähe, Relevanz, emotional), Status (regionale/nationale Zentralität, persönlicher Einfluss, Prominenz), Dynamik  (Überraschung, Struktur), Valenz  (Überraschung, Struktur) und Identifikation (Personalisierung, Ethnozentrismus, Erwartung bzw. Wünschbarkeit von Ereignissen).

Gemäß diesen Faktoren läuft Nachhaltigkeit Gefahr, durch das Selektionsraster des Journalismus zu fallen, da sie Zeit braucht und keinen klaren Kulminationspunkt aufweisen kann. Nachhaltigkeit besitzt oftmals das Manko der Ferne, denn der Nähe, da sie eine langfristige Perspektive erfordert. Es ist anzumerken, dass die politische Bedeutung von Nachhaltigkeit sich nicht in der medialen Berichterstattung niederschlägt (siehe dazu Grimme Institut 2004), also der Status des Leitbildes nicht zu Berücksichtigung als Thema führt. Die Dynamik des Leitbildes wird häufig verkannt, aber es lebt vom Diskurs. Gleichwohl kann es nicht auf die Kriterien der Valenz verkürzt werden, sodass auch – aufgrund der Komplexität – Identifikation mit ihr schwer fällt.

Insgesamt stellt es sich also die Betrachtung journalistische Selektion als Wechselspiel zwischen Subjekt, Profession, Institution (indogene Faktoren) und Gesellschaft (exogener Faktor) dar (Sphären nach Donsbach 1987). Werte und Einstellungen – auch politisch, Aufgabenverständnis, Position, Berufsmotive sowie Publikumsbild beeinflussen ebenso die Selektion, wie Nachrichtenfaktoren, Kollegenorientierung, Berufsethik, Standards der Informationsbeschaffung und insgesamt die Ausbildung. Hinzu kommen in der Institutionssphäre die redaktionelle Linie, institutionelle Zwecke; (am Rande auch technische Strukturen bzw. materielle Bedingungen) innere Pressefreiheit und die Arbeitszufriedenheit, wie auch die öffentliche Meinung, der Grad an Pressefreiheit, Zeitgeist, Soziale Bindungen und Netzwerke, Kommunikationspolitik und  politische Kultur in der Gesellschaftssphäre.

Funktionelle Aufgaben des publizierenden Systems sind die Selektion (als Kernoperation des Systems) und die Vermittlung von Informationen zur öffentlichen Kommunikation. Dieser Funktionsbeschreibung sind drei Dimensionen immanent, die Zeitdimension (Aktualität), Sachdimension (Information) und die Sozialdimension (Kommunikation) (vgl. Blöbaum 1994: 261). Der Journalismus organisiert die Vermittlung von Informationen, entlastet damit andere Systeme (Wirtschaft, Politik) und garantiert ihnen Anschluss an ihre jeweilige Umwelt. Durch die Herstellung eines gemeinsamen Horizontes von Gleichzeitigkeit – als Konstruktion –  hilft das System die Weltgesellschaft zu synchronisieren

An diesem Punkt ist anzumerken, dass bezüglich der Sachdimension nicht Inhalte transportiert werden, sondern soziale Prozesse ausgelöst werden, was die Reflexivität in der Sachdimension kennzeichnet (vgl. Merten 1977: 147-151). So geht auch die Essener Kommunikationswissenschaft nicht von einer Gültigkeit der Transportmetapher aus.

Ein Journalist ist einem Filter gleichzusetzen, der die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf bestimmte Informationen richtet. Dabei können journalistische, ökonomische oder ideologische Maßstäbe zum Greifen kommen. Im Hinblick darauf ist der Selektionsprozess ein Abwägen von Grenzkosten gegenüber Grenznutzen. Journalistisches Hauptmerkmal stellt das Vermittlerdasein (nicht im Sinne eines Transports!) zwischen Informationsanbietern bzw. Quellen und Rezipienten dar.

Im Zuge der Selektion bzw. der journalistischen Konstruktion von Wirklichkeit wird dem ausgewählten Ereignis Bedeutung zugewiesen und dem Publikum (als eine nicht beachtete Komponente in dieser Arbeit) ebenso Bedeutung unterstellt.

Der Aktualität als Pendant der Sachdimension und als zentralen Nachrichtenwert wird im Selektionsprozess besondere Bedeutung zugewiesen. Dies gilt bereits seit dem 17. Jahrhundert (vgl. Wilke 1984: 74).

Aktualität ist seit 1903 Grundbegriff der periodischen Presse (vgl. Löbl 1903: 248-249) und ist als Kerngebiet der so genannten Zeitungswissenschaft zu bezeichnen. Die Präferenz dieses Anspruches liegt in den modernen Temporalstrukturen unserer Gesellschaft begründet (vgl. Luhmann 1981: 313), woraus sich ableiten lässt, dass sich Aktualitätskriterien durch gesellschaftlichen Wandel ebenso verändern können.

Zunächst ist anzumerken, dass Aktualität einem Ereignis/einer Information nicht per se zukommt, sondern durch den Journalisten – unter mannigfaltigen Einflüssen –  konstruiert wird. Sie beinhaltet also eine relationale Qualität (vgl. Lorenz 2002: 7; Beck 1994: 233). Versucht man, Aktualität ontologisch als Charakteristikum einer Nachricht zu bestimmen, geht dies einher mit einer objektivistisch-chronometrischen Zeitauffassung. Aktualität bestimmt sich dann durch Gleichzeitigkeit bzw. annähernde Gleichzeitigkeit von Ereignis und Rezeption (vgl. Beck 1994: 233). Ein ebenso traditionell geprägtes Bild von Aktualität vertraten Dovifat (1962: 8) und ansatzweise auch noch Groth (1960: 171), die diese als reines Zeitverhältnis begriffen.
Aktualität zeichnet sich jedoch durch Ambivalenz aus. Sie ist durch die Gegenwart charakterisiert, die immer die Gegenwart eines Menschen ist und somit subjektiv wird. Ihr wird das Attribut des Neuen zugeschrieben, was zugleich auf vermeintliche Richtigkeit deutet.

„Aktualität besitzt das, was Kontinuität zur Gegenwart des Subjekts besitzt. Diese Gegenwart kann allerdings sehr ausgedehnt sein und ist nicht chronometrisch a priori fixierbar […].“
(Groth 1960: 183)

Demnach ist die Aktualitätsschwelle für jeden verschieden und kann auch für den Einzelnen in bestimmten Situationen verschieden liegen. Aktualität setzt also einen Rezipienten voraus, da sie nur in einem Bewusstsein bestehen kann (Aktualität ist nicht dinghaft oder a priori gegeben). Dieses ist aber, nach sozialpsychologischem Verständnis, im Konstruktionsprozess nicht unbeeinflusst, sondern durch Hintergrundwissen, Relevanzstrukturen, medialem Angebot und Interaktionsorientierung medial sozial geprägt (vgl. Beck 1994: 235). Mit dem Fokus auf sozialer Gleichzeitigkeit in Folge der Annahme eines Medienangebots treten Aspekte, wie Sinnhaftigkeit, Relevanz, soziale Nähe bzw. Betroffenheit hervor, die im Verlauf der weiteren Analyse sicherlich von Bedeutung sein werden.

Der Aktualität können drei Dimensionen zugeschrieben werden, die sich in „Zeitgröße, Wirkungsgröße und Wirklichkeitsmaß“ (Weischenberg 1998: 42) äußern. Nach Merten (vgl. ders. 1973: 219f.) entsprechen diesen Dimensionen: a) eine zeitliche Dimension (Abstand zwischen Ereignis und Bericht), b) eine sachliche Dimension (Attribute neu und unerwartet) sowie c) eine soziale Dimension (Relevanzzuweisung seitens der Rezipienten), wobei Information und Relevanz nur zusammen Aktualität begründen.

Dem Erkenntnisziel dieser Arbeit entsprechend gilt es, im Hinblick auf den journalistischen Selektionsprozess die Dimensionen von Aktualität gegeneinander abzuwiegen und dabei mögliche Hürden für den Einzug von „Nachhaltigkeit“ im journalistischen Tagesgeschäft aufzudecken. Es sind manifeste und latente Aktualität zu differenzieren. Ein wichtiges Thema der unmittelbaren Gegenwart (Katastrophen, Wahlergebnisse) kann Ersterer zugeordnet werden. Latente Aktualität hingegen lässt sich durch neue Forschungsergebnisse oder politische Konflikte beleben (Umweltfragen, EU, Staatshaushalt; vgl. Haas 1999: 321f.).

Neben der chronometrischen Aktualität (dem primär publizistischen Aktualitätsbegriff der Gleichzeitigkeit, also dem möglichst minimalen Abstand zwischen Ereignis und Bericht) sieht Hagemann die sekundäre Aktualität zeitlos gültiger Bewusstseinsinhalte – das In-Beziehung-Setzen von Vergangenem/Zukünftigen zur Gegenwart(8)  –  die ideelle Aktualität als positive subjektive Leistung („[durch die] ein Gedanke, Appell, ein Schlagwort zum öffentlichen Ereignis wird“ Hagemann 1966: 284) und die künstliche Aktualität (durch Übertreibung, Verzerrung, Erfindung) als negative subjektive Leistung der Vergegenwärtigung (vgl. ebd.: 284-285).

Der primäre Aktualitätsbegriff impliziert eine Auffassung von Ereignissen als punktartige Phänomene. Diese Zeitkonzeption wird kommuniziert, trägt zur Konstruktion einer Zeitvorstellung bei (vgl. Beck 1994: 236) und macht es einem Leitbild wie dem der Nachhaltigkeit schwer. Insofern wird dem sekundären Aktualitätsbegriff hier besondere Bedeutung beigemessen.

Es wird in der Informationsgesellschaft über klare Kulminationspunkte berichtet, anstatt über Prozesse. „Das führt dazu, daß Geschehnisse mit kurzen Ablaufzeiten langwierigen, gleichwohl aber vielleicht bedeutenderen Abläufen in der Berichterstattung vorgezogen werden“ (Emmerich 1984: 24).

Diese Arbeitweise birgt jedoch Gefahren in sich, wie eine erhöhte Fehleranfälligkeit, die vor allem in Kriegsberichterstattungen Fuß fasst. Des Weiteren beeinflussen Pseudo-Ereignisse (z.B. Pressekonferenzen) das Aktualitätsprinzip des journalistischen Handelns, indem die PR-Akteure die aktualitätsorientierten Selektionsstrategien berücksichtigen. In einem solchen Prozess journalistischen Handelns, welcher von Aktualitätsdruck geprägt ist, nehmen Leitmedien eine besondere Stellung ein.

An dieser Stelle muss die Perspektive festgelegt werden, mit Hilfe derer man Aktualität betrachtet. Ihr wohnt ein Doppelcharakter inne, indem sie zum einen eine Konstruktion des journalistischen Systems (Aktualität durch Veröffentlichung) oder ein vom Journalisten zugewiesenes Merkmal im Zuge eines Selektionsprozesses (aktuell als zeitliches Äquivalent zur Sachdimension neu) sein  kann (vgl. Blöbaum 1994: 266). Letzteres bestimmt hier den Blick auf den Untersuchungsgegenstand.

Jedoch sind der Konstruktion von Aktualität in einer komplexen Welt, trotz der Leistung medialer Techniken, Grenzen gesetzt. Die verschiedenen Zeitbeziehungen, das Gegenwärtige, das Vergangene und das Zukünftige müssen Re-Aktionsweisen offen lassen, damit sie aktuell sein können (vgl. Beck 1994: 235). Durch eine Verwendung eines solch gearteten Aktualitätsbegriffs nutzen sich Themen äußerst schnell ab und sind daher nicht mehr auf die mediale Agenda zu setzen.

Der Aktualitätsdruck ist nicht, wie es auf den ersten Blick scheint, eine Belastung, sondern Reduktion von Komplexität, da Unbekanntes in bekannte Schemata eingeordnet wird. Bedrohlichen Themen wird ihre Bedrohlichkeit durch routinemäßige Abläufe und Darstellungsformen, kurzum Kontinuität, genommen (vgl. ebd.: 237). So kann es dazu kommen, dass nicht nur zeitlich, sondern auch sachlich oder sozial weiter entfernte Ereignisse von den Kommunikatoren ausgeklammert werden (vgl. ebd.).

Aktualität ist zwar nicht das einzige Selektionskriterium, wie im weiteren Verlauf noch ersichtlich wird, aber das entscheidende (vgl. ebd.). Neben dem räumlichen und lebensweltlichen Bezug gelten für das Nachrichtenwesen auch die temporalen Charakteristika der Aktualität (des Unerwarteten) und der geringen Dauer (Kurzfristigkeit und periodische Aktualisierung; zur Kurzfristigkeit siehe auch Thorbrietz 1986: 151). Dabei werden Themen gleich große Zeiteinheiten zugesprochen, obwohl ihre Komplexität bzw. Relevanz variiert (vgl. Beck 1994: 238). Ausbleibende Aktualisierung von Nachrichten lässt diese im Sog des Vergessens verschwinden. So ist es erforderlich, Themen ständig neu aufzubereiten und zu publizieren, damit sie überhaupt öffentlich zugänglich sind. Aktualität hat ein höheres Gewicht als vor zehn Jahren, was mitunter den sich verändernden Kommunikationsgewohnheiten durch neue technische Möglichkeiten zugeschrieben werden kann. Die zeitlichen Ressourcen von Journalisten sind eng an die Erwartungshaltungen des Publikums gebunden und schränken somit Recherchen ein (vgl. Brender 2005: 6).

Es stehen folgende Routinen und deren Konsequenzen einer Berichterstattung von Nachhaltigkeit prinzipielle im Wege.

Die Berichterstattung erfolgt  über klare Kulminationspunkte, anstatt über Prozesse, da Geschehnisse mit kurzen Ablaufzeiten bevorzugt werden. Durch das Aktualitätsgebot nutzen sich Themen schnell ab und die Ereignisse werden austauschbar. Der nachweisbare Trend zum Vereinfachten Schreiben und Lesen macht es dem Leitbild der Nachhaltigkeit zudem schwer. Egal, wie komplex Themen sind, es werden ihnen gleich große Zeiteinheiten zugesprochen. Nach den Nachrichtenfaktoren erfolgt ein Ausklammern von zeitlich, sachlich oder sozial weiter entfernten Ereignissen. Ist ein Ereignis ausgewählt, muss es nach dem Aktualitätsgebot innerhalb der nächsten 24 Stunden aktualisiert werden, ansonsten fällt es durch das Selektionsraster.

Wenn Medien und Nachhaltigkeit in den Fokus geraten, stellt sich die Formatfrage, da Nachhaltigkeit Zeit braucht. Zukunftsweisend sind daher seriale Modelle, die nah an der Lebenswelt sind. Dort könnte Nachhaltigkeit unterschwellig, aber auch direkt kommuniziert werden. Das derzeitige Problem besteht darin, dass viele Diskurse nebeneinander geführt werden, obwohl sie zusammen gehören. Denken Sie z.B. an Wasserknappheit und landwirtschaftliche Übernutzung.  

Insgesamt stehen das Aktualitätsprinzip und die Zeitnot dem Nachhaltigkeitsbild entgegen. Dabei muss beachtet werden, dass Aktualität gleichzeitig Zwang und Entlastung darstellt, da sie von Komplexität befreit – eine Funktionsweise der Medien die sonst praktikabel ist, aber bei so schweren Themen wie Nachhaltigkeit zeigen sich die Grenzen eines solchen Programms,  die Grenzen der Selektion.

Zudem soll der  Rezipient nicht überfordert werden, was eine vereinfachte Darstellung von „Welt“ zur Folge hat – sie gilt als Vermarktungsprinzip für die breite Masse. Aber  besteht die Aufgabe der Publikationsmedien nicht darin, auch für komplizierte Dinge Interesse zu wecken und diejenigen Prozesse und Instanzen hinterfragen, die die globalen Probleme herbeiführen und möglicherweise Lösungen aufzuzeigen? Aber an diesem Punkt möchte ich an das Selbstverständnis, was eingangs dargestellt wurde, erinnern.

Es kommt die Frage auf, was einer Transformation unterzogen werden muss, die Vision „Nachhaltigkeit“, der Journalismus oder die Informationskultur an sich. Es kann angenommen werden, dass die Programme des Journalismus geändert, modifiziert oder erweitert  werden können.

  1. Ob der Journalist tatsächlich in den Entscheidungen seiner Redaktion gefangen ist, ist hier nicht mit endgültiger Gewissheit zu beantworten. Aber dem Journalist werden potenziell gewisse Freiräume eingeräumt. Wenn aber Journalismus so verstanden wird, dass er lediglich Abbilder schafft, können keine kritischen Fragen oder möglichen Lösungsansätze Eingang in die „Berichterstattung“ finden. Abgesehen davon, dass ein genaues Abbild aufgrund von vielfachen Neuinterpretationen bis zur Veröffentlichung nicht möglich ist, kann es in der heutigen Welt nicht mehr allein die Aufgabe des Journalismus sein, „abzubilden“. Komplexe Zusammenhänge müssen in den Medien erörtert werden.
  2. Es stellt sich abschließend folgende Frage:  

Muss eine Nachhaltigkeitsstrategie den Begriff passend zu den Selektionskriterien des Journalismus kodieren und ist dies überhaupt möglich? Dies soll und kann aber in dieser Arbeit nicht mehr erörtert werden. Festgehalten werden kann aber zumindest:

Journalisten, scheinbar gefangen in ihrem routinierten und funktionalen Arbeitsablauf, sind ebenfalls Teil der Gesellschaft und der rotierenden Schleife oder der „Leerstelle“, die die ganzheitliche Vision der Nachhaltigkeit und ihre Problemlösungen anscheinend (noch) nicht zu fassen mag. Dem System ist dadurch nicht die Überlebensfähigkeit, sondern eine derzeitige Passungsfreundlichkeit mit „Nachhaltigkeit“ abgesprochen.  Ein kontinuierliches „Anhalten und Nachdenken“ seitens der Journalisten über ihr Handeln würde die selbstbezügliche Schleife bereits aufbrechen. Insofern besteht Grund zu der Annahme, dass die Möglichkeit einer Durchsetzung von Nachhaltigkeit als Thema im Journalismus besteht.

 

Literatur und Quellenverzeichnis:


Anmerkungen:

1 Die Problematik der Über- und Unterentwicklung wurde noch stärker mit der „Erklärung von Cocoyok“ (1974) – siehe UNEP 1974 –  und dem „Dag-Hammerskjöld-Report“ (1975) auf die politische Ebene gebracht.
2 Die Einteilung in Dimensionen oder Säulen entspringt keiner systematischen Reflexion, sondern ist historisch gewachsen. Die Dimensionen sind nicht einwandfrei zu trennen, da vielfältige Verflechtungen und Abhängigkeiten bestehen. Die Anzahl der Dimensionen variiert je nach Konzeption, gängig ist jedoch die Einteilung in Ökologie, Ökonomie und Soziales (vertiefend: Kopfmüller et al. 2001: 47-115).
3 siehe Kuckartz,; Rheingans-Heintze 2006: 71-74. Es ist eine pessimistische Zukunftssicht in Deutschland auszumachen und Katastrophenszenarien werden für wahrscheinlich gehalten.
4 Breite Beachtung fand auch  Al Gores filmische Umsetzung des Aufrufes zu Handlungen, „An Inconvenient Truth“ (USA 2006) erhielt einen „Oscar“ als bester Dokumentarfilm sowie einen „International Emmy Founders Award“ somit wurde die Klimaproblematik öffentlich gegenwärtig.
5 siehe: http://www.itas.fzk.de/zukunftsfaehigkeit/Nachhaltige_Energieversorgung.pdf (Letzter Zugriff: 16.2.2010).  Es wird bei dem Begriff der regulativen Idee auf „Freiheit“ und „Gerechtigkeit“ verwiesen, deren Bestimmungen gesetzmäßig geregelt sind.
6 siehe auch Michelsen, Gerd; Godemann, Jasmin (Hrsg.) 2005: Handbuch Nachhaltigkeitskommunikation. Grundlagen und Praxis. Oekom München
7 Forschung zu „Bildung für Nachhaltige Entwicklung“: ASKO Projekt. Modulentwicklung für Lehrbücher, die das Ziel haben, das Bewusstsein für Nachhaltigkeit zu fördern, zu informieren und zu sensibilisieren. Diese basieren auf der 12-teiligen Buchreihe im Rahmen der Bildungsinitiative „Mut zur Nachhaltigkeit", welche den Stand der Forschung und Handlungsoptionen bietet. Seminare und Lehrmaterialen werden derzeit erarbeitet. Diese Lehrbücher gibt es heute. Mehr Inbfos dazu: http://www.mut-zur-nachhaltigkeit.de/index.php?option=com_content&task=view&id=13&Itemid=26 (Letzter Zugriff: 16.2.2010)
8 Die sekundäre Aktualität kann als nachhaltigkeitsadäquat bewertet werden, da sie Vergangenes, Zukünftiges und Gegenwärtiges in Beziehung setzt.

7.4. Kommunikation von Innovationen! Innovation von Kommunikation? | Communication of Innovation! Innovation of Communication?

Sektionsgruppen | Section Groups | Groupes de sections


TRANS
INST

For quotation purposes:
Katrin Bosnjak: Keine Zeit für Nachhaltigkeit? Die ausgedehnte Gegenwart des Journalismus als Widersacher einer zukunftsorientierten Berichterstattung - In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/7-4/7-4_bosnjak.htm

Webmeister: Gerald Mach     last change: 2010-02-08