Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 17. Nr. |
Februar 2010 |
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Sektion 7.4. | Kommunikation von Innovationen! Innovation von Kommunikation? | Communication of Innovation! Innovation of Communication? |
Duale Prozessualität von Innovation.
Das kommunikative und wahrnehmungsbezogene Zusammenspiel von
Erwartung und Erwartungsenttäuschung oder Innovations-Brause –
vom Werden und vom Machen: Anschlussprobleme der Innovation und die Begründung von Tradition.
Renè John (Universität Hohenheim) [BIO]
Email: renejohn@uni-hohenheim.de
Die sozialen Mechanismen auf der Basis von Erwartung, Entscheidung und Wertbezogenheit spielen eine kaum beachtete Rolle bei der Wahrnehmung von Innovation. Individuelle und soziale Bedeutungen, die in den Wahrnehmungs-, Interpretations- und Aneignungsprozessen zur Geltung kommen, schlagen sich auf den Bewertungs- und Konstruktionsebenen der Innovation nieder. Es geht im Folgenden nicht um die basale Erklärung dieser verschränkten Prozesse, sondern um einen phänomenale Beschreibung der Geschichte einer Innovation, die am Anfang höchst unwahrscheinlich erschien. Daraus kann man jenseits der üblichen Klischees sowohl etwas über den Prozess der Innovation als auch über den Begriff der Innovation lernen.
Schäumende Innovation – eine unwahrscheinliche Unternehmensgeschichte: gern erzählt, gern kopiert
Ging man in den letzten Jahren ins Kino, in eine Szene-Kneipe oder in den Bioladen oder -Markt stieß man unweigerlich auf ein Erfrischungsgetränk, dass zunächst wegen seines schlicht-schicken Äußeren auffiel. Und seit einiger Zeit bekommt man es auch in Supermärkten zu kaufen. Probiert man diese Brause, ist man immer wieder überrascht: erfrischend, nicht zu süß, schmeckt Erwachsenen wie auch Kindern, und es prickelt noch nach einer Zeit, da ist andere Brause schon längst zur faden Zuckerlösung geworden. Bionade ist als Getränk besonders. Aber inzwischen ist sie mehr als bloß Brause, heute ist Bionade ein Phänomen.
Hat anfangs niemand zu behaupten gewagt, dass dieses Getränkt am übervollen Getränke-Markt eine Chance hat, entwickelte sich Bionade zu einem Produkt, dass diesen Markt antreibt. Es ist nicht mehr nur dem hippen Szenetyp, dem Kinogänger oder notorischen Biokäufer bekannt, Bionade kennt beinahe jeder – und jeder will sie verkaufen oder besser noch, produzieren.
Alles begann als eine kleine Geschichte im großen Trauerspiel des deutschen Braugewerbes: Betriebe scheinen zwar oft durch Schornsteinverkäufe zu überleben, aber noch öfter nehmen sie den Marktausgang durch Übernahmen oder Insolvenzen. Insolvenz bedrohte auch das mittelständische Peter-Bräu in Ostheim (Röhn) Anfang der 1990er Jahre immer mehr. Die über 120-jährige Tradition des Bierbrauens konnte kaum noch weitergeführt werden. Jedoch begann der Braumeister schon seit 1985 in seiner Freizeit (auch mit Unterstützung des Bundesforschungsministeriums) an einem neuen Produkt zu tüfteln, bei der die Rohstoffe zwar wir beim Bier vergoren werden, aber anstelle des üblichen Alkohols entsteht durch Bakterien, wie sie in „Kombucha“, einem aus Asien stammenden Erfrischungsgetränk, vorkommen, Gluconsäure, die mehrere vorteilhafte ernährungsphysiologische Eingenschaften aufweist. Die Gluconsäure ist die Basis des Getränks.
Das Getränk kam 1995 in Deutschland auf den Markt. Eine philippinische Brauerei wollte Bionade für den dortigen Markt produzieren. Dieser wirtschaftliche Erfolg stellte sich jedoch nicht ein, da nach den philippinischen Regierungswahlen auch die Leitung der dortigen Brauerei neu besetzt wird. An der prekären Situation des Brauereibetriebes in Ostheim änderte sich darum nichts. Rechtliche Probleme tauchten auf, denn niemand wusste, wie das alkoholfrei gegärte Getränkt einzuordnen war, bis man sich auf die bis heute gebräuchliche Deklaration einigt: „Biologisches Erfrischungsgetränk. Mit Calcium und Magnesium. Nach Originalrezept hergestellt durch Fermentation natürlicher Rohstoffe.“ Aber die Brauerei hatte keine Werbemittel und keinen Fuhrpark, und setzte auf regionale Mundpropaganda . Bioläden nahmen die Bionade nicht ins Sortiment, weil auch die Brause prinzipiell auch im konventionellen Handel angeboten werden sollte. Einzig Fitness- und Reha-Einrichtungen waren anfangs interessiert.
Erst zwei Jahre nach Markteinführung, 1997, stieg der Absatz. Ein Hamburger Getränkehändler fand Szene-Kneipen als Abnehmer. Das heutige Design war zunächst für den ungarischen Mark bestimmt. Als das Geschäft ebenfalls nicht zustande kam, gelangten einige dieser Flaschen auch noch Hamburg und wurden nun zum Hit, der Basis für die 1999 erfolgte Umarbeitung zum heutigen Erscheinungsbild war. Bionade passte zur Szene, denn man konnte sich auch gut statt mit einem Bier mit einer Bionade dazu gesellen. Als die Bio- und Ökowelle 1999 auf dem Nahrungs- und Genussmittelmarkt ins Rollen kam, war Bionade schon da und nicht nur als Wellnessgetränk, sondern eben auch als eines, das als Kultprodukt ankam. Nun konnte es sich auch noch mit dem Bio-Siegel schmücken.
Die Massenmedien wurden aufmerksam auf die fermentierte Bio(limo)nade und förderten so noch deren Bekanntheitsgrad. „Brand Eins“ berichtet 2003 erstmals und es folgten weitere Berichte im In- und Ausland.(1) Bionade wurde nun auch massenmedial zur Erfolgsgeschichte.
Tatsächlich konnte der Produktionsausstoß von einer Million Flaschen im Jahr 2003 auf 70 Mio. 2006 gesteigert werden, wobei man für dieses Jahr einen Absatz von 250 Mio. erwartet. Inzwischen nimmt die Bierproduktion nur noch einen geringen Anteil ein. Für den Vertrieb wurde ein eigenes Subunternehmen, die Bionade GmbH, gegründet.
Aber Bionade ist – das lassen die Produktionszahlen schon ahnen – längst mehr als bloß ein Szenegetränk. Der Geschäftsführer der Bionade GmbH will sich mit seinem Produkt nicht in dieser Niesche einnisten, denn sonst würde sie sich von der rotationsstarken Szenendynamik abhängig machen. Statt dessen wurde Bionade als Lifestyle-Produkt positioniert, das auf mehreren Ebenen ruht. Zum einen wurde ganz klar der „Bio“faktor in die Waagschale geworfen. Immer noch gilt Bionade aber auch als Trend. Diese Trendhaftigkeit aber koppelt nicht mehr allein am Hedonismus kultureller Szenen an, sondern nimmt den modernisierten Bio-Öko-Trend auf und erweitert das eigenen Image um die Komponente altruistischer Weltsolidarität. Das geschah im Frühsommer 2007 maßgeblich mit der Kampagne „Bionade. Das offizielle Getränk einer besseren Welt“, die explizit auf die Internetseite www.stille-taten.de verweist.
Diese Kampagne schließt insofern an den modernisierten Bio-Öko-Trend an, als es hier nicht mehr um einen verzichtenden Umweltschutz für den Konsumenten geht, sondern um die Verknüpfung altruistischer Haltungen mit selbstbezogenem Konsum. Umweltschutz wird als selbstvergewissernder und solidarischer Luxus betrieben, als eine global verantwortliche Hilfe, die man sich unter der Bedingung moralischen und auch sachlichen Mehrwertes leistet. Nicht von ungefähr wurde dafür in einem großen Artikel der FAS (Nr. 45, 11. November 2007: 35) der Begriff „Bionadisierung“ erfunden. Als dessen soziale Promotoren gelten hier die neu erfundenden „Lohas“, ein Milieu des „lifestyle of health and sustainability“.(2) Diese gelten auch als die Treiber des derzeitigen Bio-Booms, der zu Bio-Supermärkten und Angeboten von Discountern führte. Dazu passt, dass der Geschäftsführer der Bionade GmbH sein Produkt als „Volksgetränk“ verstanden wissen will.
Die enorme Popularität, die Bionade inzwischen auszeichnet, rief Nachahmer auf den Plan. Publik wurde vor allem der erste, von Bionade erstrittenen Sieg über „Maltonade“ von Plus. Aber weiterhin stehen andere Konkurrenten, vor allem von Discountern vertrieben, wie zum Beispiel Kaufland mit dem ähnlich aufgemachten Getränk „BiO – Bio Orginal“, in den Startlöchern, um vom Bionade-Boom zu profitieren. Wenn auch der Inhalt sich hinsichtlich der Herstellung unterscheidet, das Erscheinungsbild versucht an Bionade anzuknüpfen. Jedoch ist fraglich, ob diese Kampagnen Bionade tatsächlich schaden können. Eher unterstreichen sie die Marktstellung dieser Innovationsbrause als eine Orientierungsmarke, der sich selbst Coca Cola bedient. Expansionen und Lizenzproduktion auf dem amerikanischen Markt sind angelaufen.
Brause als Innovation? Überlegungen und Begriffsarbeit
Kann Bionade nun als Innovation gelten? Anfangs hätte man gut von einem Flop sprechen können. Denn kaum etwas deutete darauf hin, dass sich diese Erfindung, ein durch Gärung erzeugtes alkoholfreies Erfrischungsgetränk, auf dem Mark durchsetzen könnte. Inzwischen aber wurde sogar die erste, ursprüngliche Bionade als „Forte“ wieder auf dem Markt gebracht. Was lässt Bionade zu einer Innovation werden und was kann man aus dieser Geschichte für den Begriff Innovation selbst gewinnen?
Innovationssemantik
Der Begriff „Innovation“ ist ungebrochen populär. Darum bindet auch jede Form von Öffentlichkeit unter diesem Label einige Aufmerksamkeit, sei es als Artikel oder Buch, politische Losung oder Tagung. Diese Popularität ist einigermaßen erstaunlich, erinnert man sich nur daran, dass diese Erfindung Schumpeters schon auf eine etwa hundertjährige Geschichte zurückblicken kann. Auch wenn das für Diskurse keine bedeutende Zeit darstellt, so zeigt diese intellektuelle Erfindung keine Alterserscheinungen. Im Gegenteil: Je länger dieser Begriff in der Öffentlichkeit präsent ist, um so schillernder erscheint er. Um so unklarer dieser Begriff aber wird, um so mehr Begehren erzeugt er im Diskurs. Der Begriff „Innovation“ braust, schäumt und perlt; erzeugt Wellen, auf denen gut zu reiten ist. Doch nichts bleibt nach all dem übrig und Innovation erscheint als Begriff substanzlos.
Dabei ist Schumpeters Bestimmung dessen, was später bei ihm Innovation heißt(3), doch eindeutig: es handelt sich dabei um „neue Kombinationen von Produktionsmitteln“ (Schumpeter 1987a: 100), wobei es aber vor allem auf deren Durchsetzung ankommt. Darunter versteht er ökonomisch bedeutsame Produkte, Verfahren, Märkte, Rohstoffe oder Markstellungen. Und so ist schon bei Schumpeter dieser Begriff hochreaktiv. Mit den spontanen Neukombinationen war für ihn die Dynamik der kapitalistischen Ökonomie zu erklären. Als markttreibende Mittel erscheinen sie darum als das eigentliche unternehmerische Ziel. Wer Innovationen auf dem Mark „durchsetzt“, hat die Führerschaft und kann ungleich mehr Profit erzielen als die Konkurrenten, die nur nachfolgen können. Daran knüpften sich Überlegungen an, die sich den Voraussetzungen der Neukombination, den Folgen und deren Beherrschung als planvolle Steuerung widmeten. Aber mit den Problemen des Innovationsmilieus, der Diffusion und des Innovationsmanagements waren noch längst nicht alle relevanten Themen angerissen. Diese gaben erst recht Anlass die Unterscheidungsfähigkeit des vorliegenden Innovationsbegriffs infrage zustellen. So stellte sich zum Produkt der Prozess ein, zur Basisinnovation die inkrementelle, schließlich zum technischen Artefakt die soziale Struktur. Der Innovationsbegriff stellt sich nun nachgerade als unscharfes Messer dar, es scheidet nichts weiter als das Neue vom Alten (Reichert 1994). Das aber ist bloß noch der Innovations-Begriff, der die moderne Faszination von der Neuheit Ausdrück verleiht.
Neuheit aber lässt sich nicht beobachten, sondern nur ex post konstatieren. Neuheit differenziert dann zwischen Vergangenheit und Zukunft, den beiden temporalen Orientierungen, in denen sie ähnlich der Gegenwart nicht ist. Insofern trifft auch für Neuheit die Unfassbarkeit der Gegenwart zu. Gegenwart wie Neuheit sind lediglich Grenzenmarkierungen temporaler Unterscheidungen. Innovation muss aber mehr bezeichnen als bloß das gegenwärtig Neue, wenn es nicht nur einen begriffliche Redundanz ist.
Geht man von hier aus nochmals zu Schumpeter zurück, kommen zwei weitere allgemeine Aspekte seiner Bestimmung in den Blick, nämlich die im Spontanen steckende Überraschung und ihre durchgesetzte Verstetigung. Überraschungen stehen immer im Gegensatz zu Erwartungen, die sie enttäuschen. Die routinierten Schemata des Gewohnten werden irritiert, wodurch Evolutionskaskaden ausgelöst werden, die in neue Routinen einmünden (John 2004). Irritationen ziehen zunächst jedoch Aufmerksamkeit auf sich und binden so die immer begrenzten Wahrnehmungskapazitäten. Damit ist schon das Problem des sozialen Anschlusses angesprochen. Die erwarteten Routinen können sich erst durchsetzen, wenn diese veränderten Strukturen zu andere Erwartungsmustern passen.
Weist die Neuheit der Kombination auf den zeitlichen, so die Überraschung auf den sachlichen und die Verstetigung auf den sozialen Aspekt der Innovation. Mit Innovation sind also drei aufeinander verweisenden Problembereiche sozialen Wandels thematisiert. Aus diesem Grund aber eignet sich der Begriff Innovation genau als kommunikative Lösungsstrategie, indem die Innovationssemantik spezifisch auf jeweils eine Seite der dreifaltigen Unterscheidung verweist: Zukunft, Dynamik und kommunikativer Anschluss. Die heute gängige Innovationssemantik schließt daran nahtlos an.
Brause als Innovation
Vergegenwärtigt man sich vor diesem Hintergrund die Geschichte der Bionade, lassen sich schnell Elemente auf Innovationsbegriffe beziehen, wie sie Schumpeter schon vorschlug. Die Erfindung der Brause allein genügte nicht, um überhaupt Aufmerksamkeit zu erlangen. Erst die Markteinführung über zehn – für das Unternehmen lange – Jahre setzte vielfältige Potenziale frei. Anfangs schien das Produkt keinen Chance zu haben. Immer wieder traten ungeahnte Probleme auf, die völlig außerhalb wirtschaftlicher Kalkulation lagen. So kam die erste Groß-Produktion durch politische Veränderungen nicht zustande. Rechtliche Regeln erschwerten anfangs eine eindeutige Produktpositionierung am Markt. Kulturelle Barrieren versperrten anscheinend naheliegende Vertriebswege. Hier wird schon deutlich, wie divergente Gesellschaftsbereiche wie Politik, Recht und Kultur auf überraschende Weise für wirtschaftlichen Probleme sorgen können. Wie sich aber späterhin zeigte, sorgten diese Felder aber auch für die Fundierung des heutigen Erfolges der Bionade. Zunächst hatte das Unternehmen aber auch noch mit Finanzierungproblemen zu tun, die es nicht erlaubten hinreichend offensiv auf dem Markt aufzutreten.
Konnten die rechtlichen Bedenken schnell ausgeräumt werden, so war es vor allem einer kulturellen Sondersphären, der Hamburger Szene, zu verdanken, dass Bionade Beachtung fand. Dieser erste soziale Anschluss war der Auslöser des ökonomischen Erfolges. Bionade konnte als neuartiges Getränk, auch dank des erwachsenen Designs, Überraschung erzeugen und so endlich Aufmerksamkeit erlangen. Diese Aufmerksamkeit als Bindung von Wahrnehmungskapazitäten war der entscheidende Faktor für den über die Szene hinausreichenden Anschluss. Wahrnehmung wurde wechselseitig bei den Konsumenten und Massenmedien gebunden, wobei letzteren eine kaum zu überschätzende Bedeutung zukommt. Denn dem Peter Bräu und der späteren Bionade GmbH standen bis 2006 kaum Werbemittel zur Verfügung. Der soziale Anschluss aber konnte mit der Kampagne „Stille Taten“ und deren Affinität zur Umgestaltung des Bio- und Ökomarktes noch erweitert und mit dem Unternehmensziel, Bionade als „Volksgetränkt“ zu etablieren, universalisiert werden.
Schon mit der Erfindung der Bionade, dann aber erst recht mit deren erfolgreicher Etablierung am Markt wurde die 120jährige Tradition des Peter-Bräu zerstört, nämlich Bier zu brauen. Der ironische Aspekt dieser Geschichte liegt darin begründet, dass ohne die Zerstörung dieser Tradition die gesamte Produktion eingestellt worden wäre. Anstelle der alten Tradition aber konnte mit der Bionade-Produktion eine neue Tradition begründet werden, die zwar noch mit der Ausgründung der Bionade GmbH vom Peter Bräu getrennt wurde, aber diese im Grunde überschattet. Auf diese Weise konnte durch den Kontinuitätsbruch, den die Bionade für den Betrieb darstellt, Kontinuität des Betriebes gewährleistet werden. Jedoch war bis vor kurzem kaum klar, ob das neue Produkt überhaupt in der Lage war, Mittel für diesem Zweck zu sein.
Die Nachahmer der Bionade weisen auf den sachlichen Gehalt des Produkts, mit dem sie an den sozialen wie temporalen Erfolg anzuknüpfen versuchen. Dabei hat es Bionade insofern schwer, dass diese Produkte behaupten öko- oder biologisch gleichwertig zu sein und doch billiger sind. Bionade hat es aber gegenüber diesen Konkurrenzprodukten leicht, weil unter Verweis auf das besondere Produktionsverfahren die eigene Qualität ins Feld zu führen ist. Der Unterschied zwischen den in üblicher Weise gemixten und der besonderen, weil gegoren oder fermentierten, Limonade gilt bei rechtlichen Auseinandersetzungen nun als entscheidender Unterscheid, der aber auch als Kaufargument Kundenbindung und einen neue kulturelle Tradition der Herstellung von Erfrischungsgetränken anleiten kann.
Daran kann die Politik der Marke(4) „Bionade“ nun unmittelbar anschließen: Die Qualität gegenüber den nachahmenden Konkurrenten als sachlicher Aspekt, die Kontinuität von innovationsinitialisierter Tradition als temporaler Aspekt und der Anschluss an Szene bis Konsumtrends als sozialer Aspekt lassen die Bionade heute als überaus starkes, rundum erfolgreiches und deshalb innovatives Produkt erscheinen. Ruft man sich wiederum die Geschichte der Bionade ins Gedächtnis kann man nichts weiter als überrascht sein.
Der Reiz ambivalenter Innovationssemantik
Bionade war zu Beginn ihrer Geschichte noch keine Innovation. Niemand sprach zu Beginn der Markteinführung der Bionade davon. Erst die mittels von Preisen(5) erfolgte Zuschreibung als Innovation führte zur heutigen Selbstbehauptung.(6) Jedoch kann, wie gezeigt wurde, mit gutem Recht behauptet werden, dass Bionade eine Innovation ist. Die Schumpeterschen Kriterien sprechen eindeutig dafür: Eine Neukombination mit ungewöhnlichem Produktionsprozess konnte Rohstoffquellen in neuartiger Weise umsetzen und neue Märkte erschließen. Dabei ist klar, dass Innovation hier nicht mehr als ein Label und somit eine kommunikative Strategie ist, mit der ein Unterschiede erzeugt und markiert wird. Dieser Unterschied aber verweist zu allererst auf Zeit. Erst danach schließt diese temporale Differenz an sachliche und soziale Verweise an. Jedoch sind diese Verweise essentiell für die Enttautologisierung des temporalen Unterschieds zwischen Alt und Neu. Dabei verweisen die drei Aspekte jeweils aufeinander: Sachliche Neuheit fasziniert soziale Interessen auf Dauer ihrer Durchsetzung. Für das innovationstreibende Unternehmen aber bedeutet das neue Produkt die Notwendigkeit eines langen Atems: der Wandel lohnt sich nur bei Verstetigung seines Ergebnisses. Und so leistet die an Innovation orientierte Semantik des Wandels eine ambivalente Zeitorientierung zu der dann Tradition als Gegenbegriff tritt. Beide, Tradition wie Innovation, treten gemeinsam auf, wenn diese Gemeinsamkeit auch kaum explizit benannt wird. Tradition und Innovation sind beides temporale Orientierungen, wobei Innovation ein Versprechen auf Zukunft des Neuen. Tradition als entgegengesetzte zeitliche Orientierung ist das Versprechen auf Dauerhaftigkeit und Teilhabe für Kunden und wirtschaftende Produzenten. Beide bündeln sowohl für die Kunden als auch für die unternehmerischen Produzenten Motivationen, die auf Kontinuität orientiert sind.(7) Insofern ist der Begriff Innovation sachlich leer. Die Semantik der Innovation aber richtet sich unter Verweis irgendeines sachlichen Bezuges als temporale Zukunftsorientierung auf dauerhafte soziale Anschlüsse. Diese suggestiv zu erzeugen, kann als die Funktion der Rede von Innovation gelten. Da kann es nicht schaden, wenn Bionade von sich noch nicht behaupten kann, eine Innovation zu sein
.
Epilog: Überraschung – eine ambivalente Enttäuschung
Überaschend am Beispiel Bionade ist wohl, dass es zunächst gar kein Beispiel für Innovation ist, und doch alle klassischen Merkmale sogar bis hin zu Rogers‘schen Diffusion auf sich vereinbaren kann. Und darum kann man von diesem Beispiel lernen, denn ersten ist das einzige prüfbare Kriterium von Innovation relativer Erfolg, zweites lässt sich dieser nicht erplanen, sondern stellt sich ungeahnt, überraschend ein (oder nicht), jedoch nur, wenn mittels Planungsstrategien schon eine strukturelle Drift im evolutionären Wandel angestrengt wurde. Drittens ist Innovation wie Tradition eine kommunikative Strategie zur Einführung temporaler Differenzen, die mittels der Suggestion sozialer Kopplungen temporale Kontinuitäten ermöglichen soll. Erwartungen und Erwartungsentäuschungen sind dann sowohl die Grundlage von Innovationen als auch deren Folge.
Literatur
Anmerkungen:
4Dazu siehe Hellmann (2003).
7.4. Kommunikation von Innovationen! Innovation von Kommunikation? | Communication of Innovation! Innovation of Communication?
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