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Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 17. Nr. |
Januar 2010 |
Sektion 8.1. |
Prekäre Lebensbedingungen, unsichere Arbeitsverhältnisse – Expansion sozialer Ungleichheiten. Auf dem Weg von der Peripherie zum Zentrum? Sektionsleiter | Section Chair: Rolf-Dieter Hepp (Freie Universität Berlin) |
Aspekte und Chancen des Konzeptes des bedingungslosen Grundeinkommens
Andreas Hellmann (Zürich)
Email: andreas.hellmann@bluewin.ch
Zusammenfassung
Das sozialökonomische Modell des bedingungslosen oder garantierten Grundeinkommens wird in der Öffentlichkeit zunehmend diskutiert. In dem Aufsatz werden die Grundzüge dieses Sozialmodells, die wichtigsten Argumente für oder gegen die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, die wichtigsten Konfliktlinien und Problematiken (Finanzierung, Entkoppelung von Arbeit und Einkommen, Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, Wegfall der Bedürftigkeitsprüfung u.a.) diskutiert.
Angesichts der Situation, dass ein zu entwickelndes europäisches Sozialmodell unter Einbezug des bedingungslosen Grundeinkommens aktuell nicht politisch mehrheitsfähig ist, und zudem die Beweggründe und Argumente für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ausgesprochen vielschichtig und uneinheitlich und zum Teil von ganz unterschiedlichen Stoßrichtungen her motiviert sind, wird der Fokus der Darstellung darauf gelenkt, dass das Bedeutsame der aktuellen Diskussionen um das bedingungslose Grundeinkommen darin gesehen werden kann, dass diese als Reaktion auf und als Konsequenz von Massenarbeitslosigkeit und Präkarisierung sehr viele etablierte soziologische Kategorien und Grundanschauungen berührt, befragt und hinterfragt und so einen weiten Horizont neuer Perspektiven und möglicher Lösungsansätze gegenwärtiger sozialer Probleme eröffnet, dass mithin die Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen als ein Moment eines umfassenderen notwendigen kulturellen Transformationsprozesses betrachtet werden kann.
Einleitung
Bedingungsloses Grundeinkommen ist der Name eines sozioökonomischen Modells, das durch eine Neuordnung des Verhältnisses von Arbeitsmarkt und Sozialpolitik eine Lösung der vielfältigen Probleme, die sich durch Massenarbeitslosigkeit und Prekarisierung ergeben, herbeizuführen versucht. In diesem Sinn versteht sich das Modell ausdrücklich als Alternative zu dem bisherigen System sozialer Sicherung und insbesondere zu seinen aktuellen Verschärfungen.
Das Konzept des Bedingungslosen Grundeinkommens gewinnt zunehmend an Aufmerksamkeit in den öffentlichen Diskussionen, seit sich zuletzt zahlreiche prominente Wissenschaftler: Soziologen, Politikwissenschaftler, Philosophen, auch Politiker und Unternehmer vermehrt in der Debatte engagiert haben.
Es handelt sich um einen visionären Ansatz - wie Ulrich Beck in einem Interview sagte: „eine realistische Utopie, aber keine illusionäre“(1) -, das Problem der Armut, und zwar sowohl der Armut, wie sie durch Kolonialismus und Neokolonialismus in den so genannten Entwicklungsländern besteht, als auch der Armut, die sich seit einigen Jahren verstärkt in den so genannten entwickelten Ländern ausbreitet, auf einer sehr grundsätzlichen Ebene anzugehen.
Ich möchte in diesem Aufsatz weniger spezielle Aspekte einiger Ansätze prominenter Autoren im Detail diskutieren, sondern die wesentlichen Grundgedanken der Idee skizzieren und dabei die entscheidenden Konfliktlinien herausarbeiten, sowohl in der Diskussion pro und contra eines Bedingungslosen Grundeinkommens als auch die Konfliktlinien in der Diskussion unter den Anhängern des Grundeinkommens und anschließend zunächst etwas zum Stand der Diskussion sagen und zu den Chancen und Risiken, wie ich sie im Moment sehe.
Die Grundgedanken des Modells sind schnell skizziert, die Schwierigkeiten kommen danach und sind außerordentlich vielschichtig und komplex:
Jeder soll als soziale Grundsicherung ein garantiertes, bedingungsloses Grundeinkommen erhalten, das an die Stelle der bisherigen Sozialleistungen treten soll.
Das Netzwerk Grundeinkommen Deutschland nennt auf seiner Website vier Kriterien für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Es soll sein:
Die Höhe dieses Grundeinkommens - in der Diskussion ist je nach Modell ein Betrag zwischen 800 und 1500 € -, das der Staat jedem Bürger monatlich auszahlt, soll ein Leben in Würde ermöglichen, gemäß den Vorstellungen, die in einer bestimmten Gesellschaft darüber vorherrschend sind, was ein Leben in Würde ausmacht, und insbesondere auch die Teilhabe und Teilnahme am gesellschaftlichen Prozess ermöglichen.
Diese Leistung, das Bedingungslose Grundeinkommen, soll ausdrücklich nicht als ein Sozialtransfer, als eine Sozialleistung oder als Arbeitslosengeld verstanden werden, sondern als ein Rechtsanspruch, als ein Menschenrecht und zwar aus dem Grund, weil die individuelle Ausübung der Menschenrechte als Basis eine gesicherte Existenz voraussetzt.
In unserer heutigen Situation, infolge der Tatsache, dass durch die Automatisierung und Rationalisierung im ausgehenden Industriezeitalter Vollbeschäftigung auf der Basis ausreichend bezahlter Erwerbsarbeit offensichtlich nicht mehr erreicht werden kann, so wird argumentiert, ist es nicht nur nicht akzeptabel und hinnehmbar, wenn man nun versucht, den Druck auf eine immer größer werdende Zahl von Arbeitslosen beständig zu erhöhen und in Form entwürdigender Bedürfnisprüfungen seine Arbeitswilligkeit unter Beweis stellen zu müssen, sondern es widerspreche vor allen Dingen jeglicher Auffassung von Menschenwürde.
Wenn es heute also so ist, dass infolge Automatisierung und Rationalisierung massenhaft Arbeitskräfte freigesetzt werden, es also nicht mehr möglich zu sein scheint, dass die Arbeitenden durch bezahlte, ausreichend bezahlte Erwerbsarbeit ihren Lebensunterhalt sichern können, so die Argumentation, dann müssen wir die enge Kopplung von Arbeit und Einkommen, auf der im Industriezeitalter die Regelung der Arbeitsverhältnisse beruhte, lösen und neu ausrichten, derart, dass nicht mehr Arbeit Einkommen generiert, sondern umgekehrt Einkommen, das Grundeinkommen, Arbeit generiert.
Abgesichert durch ein Grundeinkommen, arbeite man nicht, weil man muss, sondern man arbeite, weil man bestimmte Arbeiten für sinnvoll hält und diese auch mit Freude ausführt, und - abgesichert durch ein Grundeinkommen - ergeben sich dann Möglichkeiten, so die Hoffnung, verschiedene Aktivitäten, Experimente und Eigeninitiativen zu starten, z.B. Unternehmensgründungen, z.B. auch Weiterbildungen zu absolvieren, die man sich sonst – finanziell und zeitlich – nicht leisten könnte, so dass das Grundeinkommen starke wirtschaftsfördernde Wirkungen entfalten könnte.
Das bedeutet nun ganz konkret, dass eine Vielzahl von Arbeiten, die heute und in der Vergangenheit - wir haben uns daran gewöhnt - unbezahlt sind, wie z.B. (das berühmteste Beispiel:) Hausfrauenarbeit, Erziehung, Pflegetätigkeiten, ehrenamtliche Tätigkeiten und andere plötzlich eine ungeheure Aufwertung erfahren, da es diesen Freiraum tatsächlich geben würde.
Ich möchte betonen, dass - angesichts der vielen schwierigen Fragen, die im Zusammenhang mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens auftauchen, allen voran die Frage der Finanzierung und der Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt -, es sich bei dem Modell vor allen Dingen um einen Denkansatz handelt, der zunächst einmal zu verstehen ist. Es ist kein Ansatz oder Modell oder Instrument, mit dem man auf der Basis der überkommenen Strukturen des Industriezeitalters hier und da regulierend eingreift, um mit verschiedenen Instrumenten wenigsten die allerschlimmsten Folgen der Arbeitslosigkeit einigermaßen abzufedern, sondern ein Ansatz, der zwar nicht neu ist - interessanterweise reichen frühe Ansätze zu einer Art Grundeinkommen bis ins frühe 16. Jahrhundert zurück - aber im Vergleich zu heutigem sozialpolitischen Denken, doch sehr anders ist, der viel anstößt, der auffordert, viel Gewohntes und aus Gewohnheit nicht mehr Hinterfragtes kritisch zu überdenken verbunden mit der Idee und dem Anspruch, Arbeit anders zu denken in Richtung nicht entfremdeter, selbstbestimmter Tätigkeit und vor allem jenseits der Kopplung von Arbeit und Existenzrecht. Vielleicht kann man es mit dem Wiener Soziologen Manfred Füllsack so formulieren: Das Bedingungslose Grundeinkommen ist eine Art regulative Idee(3) im Sinne Kants, oder physikalisch ausgedrückt: ein Attraktor.
Auf den Prüfstand kommen, grundlegend neu bedacht werden wesentliche Grundannahmen und Denkschemata, Überzeugungen des Industriezeitalters. Es geht mithin nicht nur um sozialpolitische und sozioökonomische, sondern im Besonderen um ganz grundlegende kulturelle Fragen, die wir uns im Übergang von der Industriegesellschaft zur Wissensgesellschaft zu stellen haben.
Entsprechend uneinheitlich präsentieren sich die verschiedenen Ansätze, die Voraussetzungen und Möglichkeiten des bedingungslosen Grundeinkommens und gangbare Strategien zu seiner Einführung zu analysieren. Von ganz unterschiedlichen politischen Stoßrichtungen her wird heute für die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens argumentiert. Man kann nicht sagen, das Bedingungslose Grundeinkommen sei ein sozialpolitisches Konzept, das aus einer ganz bestimmten Richtung kommt, die wir früher als politisch links oder politisch rechts bezeichnen haben.
Die Uneinheitlichkeit des Konzeptes zeigt sich schon in den verschiedenen Termini, die für diese Art der Grundsicherung gewählt worden sind: Bedingungsloses Grundeinkommen, Bürgergeld, solidarisches Bürgergeld, Existenzgeld, negative Einkommenssteuer, Sozialdividende.
Hinter diesen verschiedenen Termini stehen z.T. ganz unterschiedliche Konzepte. Es geht also zunächst nicht um lautes politisches Geschrei, nicht oder nicht primär um das Stellen von Forderungen an die Politik, sondern es geht um grundlegende Verstehensprozesse, um grundlegende Verständigungsprozesse über eine nachindustrielle Gesellschaftsordnung, wie wir nachindustriell Arbeit, Arbeitsmarkt, Vergesellschaftung, Innovation usw. verstehen und handhaben wollen.
Es muss gesagt werden, dass die Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens heute nicht politisch mehrheitsfähig ist. Es gibt keine größere Partei, die dieses Konzept in ihr Parteiprogramm als ein anzustrebendes Ziel aufgenommen hat. Es gibt aber in nahezu allen Parteien kleinere Arbeitsgruppen, die sich mit dem Modell des bedingungslosen Grundeinkommens beschäftigen.
Man kann auch keinen genauen Zeitpunkt angeben, wann die Idee das erstemal aufgekommen ist. Es gab eine Diskussion am Beginn bis etwa zur Mitte der 1980er Jahre, die weitgehend akademisch geblieben ist und seit einigen Jahren wieder eine verstärkte Diskussion, die aber im Unterschied zu den Diskussionen in den 80er Jahren einen starken Bewegungscharakter aufweist.
So haben sich europaweit und weltweit verschiedene Initiativen und Netzwerke gebildet, die in zahllosen öffentlichen Veranstaltungen und Publikationen, auf Websides, Vernetzungsveranstaltungen usw. für die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens werben. Bereits 1986 gründete sich in Brüssel ein europäischer Dachverband der Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens: das Netzwerk BIEN, Basic Income Earth Network.(4) In Deutschland entstand das Netzwerk Grundeinkommen Deutschland(5) und in Österreich das Netzwerk Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt.(6) In der Schweiz sind BIEN Schweiz(7) und die Initiative Grundeinkommen(8), die das Modell des Unternehmers Götz Werner(9) favorisiert, aktiv. Eine umfangreiche Linksammlung zu Aktivitäten verschiedener lokaler Gruppierungen und Netzwerke sowie zahlreiche Aufsätze zum bedingungslosen Grundeinkommen findet sich auf der Webside www.archiv-grundeinkommen.de.
Die Idee eines Grundeinkommens ist indes durchaus sehr viel älter. Georg Vobruba, Manfred Füllsack und andere haben die Wurzeln der Idee und ihre weitere Entwicklung historisch ausführlich nachgezeichnet.(10) Ihre Rekonstruktion beginnt mit dem Hinweis auf die drei frühen utopischen Romane Utopia von Thomas More (1517), Der Sonnenstaat von Tommaso Campanella (1623) und Francis Bacons Neu-Atlantis (1638). Interessant ist, dass die Idee offenbar aufkommt ungefähr zu dem Zeitpunkt, als historisch Arbeit und Einkommen fest aneinander gekoppelt wurden, und diese Kopplung wollen die Anhänger eines Bedingungslosen Grundeinkommens heute - am Ende des Industriezeitalters - aufheben, so zu sagen wieder rückgängig machen.
Es finden sich dann viele Namen im 18. und 19. Jahrhundert, im angelsächsischen Raum, in Frankreich und in Deutschland (Thomas Paine, Charles Fourier, John Stuart Mill, Victor Considérant). Eine starke Diskussion gab es um das Jahr 1900 und in den 1920er und 30er Jahren (Theodor Hertzka, Peter Kropotkin, Josef Popper-Lynkeus, Clifford Douglas, Dennis Millner, James Meade u.a.). Schließlich Anfang der 60er Jahre Milton Friedman mit seinem Konzept einer negativen Einkommenssteuer, und dann setzte die Diskussion verstärkt ein am Beginn der 1980er Jahre, in Deutschland für einige Jahre unterbrochen, da sich die Sozial- und Politikwissenschaftler verstärkt auf die Wiedervereinigungsthematik konzentrierten. Die aktuelle Debatte begann kurz nach dem Jahr 2000 und nimmt seitdem an Umfang ständig zu.
Mit folgenden zwei Abschnitten möchte ich fortfahren:
Ich möchte zunächst die am häufigsten genannten Argumente für oder gegen die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens nennen und die wichtigsten Konfliktlinien sowohl in der Diskussion pro und contra eines bedingungslosen Grundeinkommens als auch innerhalb der Diskussion unter den Anhängern der Grundeinkommensidee selbst skizzieren. Abschließend möchte ich auf eine der wichtigsten Fragen im Zusammenhang mit dem bedingungslosen Grundeinkommen eingehen, nämlich die Frage, ob das bedingungslose Grundeinkommen, wenn es denn käme, wirklich zu kreativen und eigenständigen Arbeitsformen – also einer Stärkung jenes Bereiches, der in den 80er Jahren unter dem Titel einer Alternativökonomie diskutiert worden ist - respektive zu Freiheitswirkungen und damit verbunden zu einem entsprechenden Selbstwertgefühl durch die garantierte Grundsicherung und dem Ende eines Arbeitszwanges führen würde, oder im Gegenteil eher Ausgrenzung und Stigmatisierung festschreibt, wie viele behaupten.
Argumente und Gegenargumente
In diesem Abschnitt möchte ich die zentralen Argumentationslinien für bzw. gegen die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens skizzieren. Einige Kernthesen und Grundannahmen der Argumentation für ein bedingungsloses Grundeinkommen habe ich in meiner Einleitung schon genannt. Ich beginne hier zunächst mit zwei der am häufigsten genannten Gegenargumenten.
Die beiden am häufigsten genannten Gegenargumente sind: Die Finanzierbarkeit und die Frage nach den Auswirkungen eines Grundeinkommens auf den Arbeitsmarkt resp. die Arbeitsmotivation der Menschen: Abgesichert durch ein Grundeinkommen werden viele, zu viele nicht mehr motiviert sein, überhaupt irgendeine Tätigkeit aufzunehmen. „Wer wird denn dann überhaupt noch arbeiten?“ Ich gehe zuerst auf diese beiden Gegenargumente ein und werde anschließend noch weitere kurz nennen.
Finanzierbarkeit: „Ist überhaupt nicht finanzierbar“ wird gesagt. Schon eine ganz grobe Rechnung zur ersten Orientierung ergibt in der Tat einen sehr hohen Betrag, z.B. für Deutschland: 1000 € monatliches Grundeinkommen, mal (rund) 80 Millionen EinwohnerInnen mal 12 Monate = ca. 960 Milliarden €. Dagegen wiederum wird von der Seite der Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens argumentiert: Das ist so nie gefordert worden: jetzt sofort und jetzt sofort an alle in voller Höhe. Sondern es ist immer ausgegangen worden von einer längeren Übergangszeit, einer schrittweisen Einführung, vielleicht ausgehend von einem Betrag von 400 €, der dann schrittweise auf 1000 € oder 1200€ erhöht wird und auch nicht sofort an alle, sondern spezifisch zunächst an einzelne Bevölkerungsgruppen, sinnvollerweise zunächst an diejenigen, die es wirklich am dringensten brauchen. Vor diesem hohen Betrag braucht man im Übrigen gar nicht so sehr zurückzuschrecken. So beläuft sich der Betrag für die Sozialausgaben in der Bundesrepublik im Jahr 2007 auf etwa 720 Milliarden €. Wenn man einbezieht, dass in den vorliegenden Finanzierungsmodellen für Kinder in der Regel die Hälfte des auszuzahlenden Grundeinkommens angesetzt wird und sich zudem durch den Wegfall der Bedürftigkeitsprüfung die Chance eines umfassenden Bürokratieabbaus und damit weiterer nicht unwesentlicher Einsparungsmöglichkeiten eröffnet, scheint die noch offene Lücke durchaus zu schließen zu sein.
Meine Meinung zur Frage der Finanzierbarkeit eines bedingungslosen Grundeinkommens ist inzwischen folgende: Es ist auf jeden Fall finanzierbar. Die Diskussion, ob und wie ein Grundeinkommen zu finanzieren sei, kreist um die Frage, mit welchen Steuern man ein Grundeinkommen finanzieren möchte: eher durch eine Erhöhung der Einkommenssteuer, oder eher durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, oder durch andere Steuern, beispielsweise durch Besteuerung von Kapitalgewinnen, Ökosteuer usw. Da ist schon viel gerechnet und überlegt worden. Manche Steuern könnten ganz wegfallen, andere dafür erhöht werden. So hat etwa der Unternehmer Götz Werner vorgeschlagen, sämtliche Steuern aus Einkommen abzuschaffen und in einer Mehrwertsteuer in Höhe von etwa 50%, die er Konsumsteuer nennt, zusammenzufassen und daraus ein bedingungsloses Grundeinkommen zu finanzieren. Besteuert würde also – im Wernerschen Modell(11) - nicht das Einkommen, sondern der Konsum, während beispielsweise das Modell des solidarischen Bürgergeldes des CDU-Politikers Dieter Althaus(12) und das so genannte Ulmer Modell(13), die beide kein Modell eines bedingungslosen Grundeinkommens sind, auf eine Finanzierung des Grundeinkommens durch Steuereinnahmen aus Einkommen setzen.
Wie auch immer, über welche Steuern auch immer, wenn man einigermaßen sauber rechnet, wird man feststellen: Es rechnet sich auf jeden Fall. Wobei hinter den einzelnen Vorschlägen zur Finanzierung natürlich ganz klare politische Motivationen stehen. Wer heute das Argument der Nichtfinanzierbarkeit weiterhin anführt, dokumentiert meiner Meinung nach vor allen Dingen, dass er oder sie aus welchen – ideologischen Gründen auch immer eigentlich gar nicht wirklich diskutieren will.
Mein Eindruck bzw. meine These ist folgende: Es werden in der nächsten Zeit weitere immer präzisere, immer mehr relevante Faktoren einbeziehende Finanzierungsmodelle durchgerechnet werden. Dabei wird sich vermutlich zeigen, dass den verschieden ansetzenden Finanzierungsmodellen eines gemeinsam ist: nämlich ihr schlussendliches Ergebnis, dass ein Grundeinkommen, finanzierbar ist, so dass die heute aufgeregt geführte Diskussion – finanzierbar vs. nicht finanzierbar – deutlich an Attraktivität verlieren dürfte. Was für die Diskussion um die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens meiner Ansicht nach von Vorteil wäre. Finanzierungsmodelle seien „unvermeidlich, aber schädlich“, so auch Werner Rätz im Titel eines Aufsatzes von 2006.(14)
Das zweite Gegenargument betrifft die Folgen der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens für den Arbeitsmarkt. Dann würde ja niemand mehr arbeiten. Insbesondere die zwar gesellschaftlich notwendigen, aber gesellschaftlich wenig anerkannten Tätigkeiten würde dann niemand mehr freiwillig machen wollen. Bei diesen Arbeiten handelt es sich aber, wie wir wissen, in der Regel um schlecht bezahlte Arbeiten, insofern wird dagegen argumentiert: Weil die ArbeitnehmerInnen, abgesichert durch ein Grundeinkommen, schlecht bezahlte Arbeiten nicht annehmen müssen, werden solche Arbeiten eben besser bezahlt werden müssen, und dann sind sie auch finanziell attraktiv genug, dass sie auch jemand ausführen wird. Damit bestehe, so Claus Offe, auf dem Arbeitsmarkt erstmalig wirkliche Vertragsfreiheit zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, die – nach einem berühmten Wort Offes – erstmalig auf dem Arbeitsmarkt auch „nein“ sagen, d.h. ein unattraktives Arbeitsangebot ablehnen können.
Anzunehmen, dass die Menschen im Grunde faul seien und nur durch Zwang zum Arbeiten zu bewegen seien, sei vielmehr Indiz für ein falsches Menschenbild, das es heute dringend zu korrigieren gelte. Es würde sich nämlich gar nicht so viel verändern. Der Übergang würde sich vermutlich gar nicht so dramatisch gestalten, wie viele dies heute annehmen Die Menschen würden selbstverständlich weiterhin arbeiten. Vielleicht würde viele sagen: Nach Jahren schmerzlicher Erfahrungen mit der Arbeitslosigkeit mit all ihren Folgen für das persönliche Selbstwertgefühl, dem Verlust sozialer Zusammenhänge etc. „mache ich jetzt erst mal drei Monate gar nichts“, was aber eher ein bezeichnendes Licht auf die Zwänge unserer Arbeitsgesellschaft wirft als auf eine grundsätzliche „Arbeitsunwilligkeit“ der aller meisten Menschen. Die meisten würden wahrscheinlich sagen, ich würde das weitermachen, was ich jetzt auch schon mache. Solcherart Ansichten, „dass dann ja niemand mehr arbeiten würde“, sei vielmehr, so wiederum die Befürworter der Grundeinkommensidee, Reflex resp. Indiz eines falschen Menschenbildes, nach welchem die Menschen nur unter Zwang und der Aussicht auf Belohnung zu arbeiten bereit seien.
Zumal man auch sehen muss: das Grundeinkommen ist existenzsichernd, mehr nicht. Vom Grundeinkommen kann man sich keinen Luxus leisten. Und insofern würden die Leute natürlich weiterarbeiten, um sich entsprechend mehr leisten zu können.
Die Menschen hätten aber mehr Freiheit zu sagen, ich arbeite das, was ich möchte, was mir sinnvoll erscheint und was ich auch gut kann. Und so könnten sich gerade ungeahnte erfinderische und kreative Potentiale entfalten.
Es gibt eine Reihe weiterer Einwände gegen das Bedingungslose Grundeinkommen, die nach meiner Meinung aber weniger wirkliche oder grundsätzliche Gegenargumente sind, als vielmehr richtig gesehene und schwierige Probleme bezeichnen, die natürlich gelöst werden müssen, die aber vor allen Dingen zeigen, wie schwer und komplex der Prozess der Einführung des Bedingungslosen Grundeinkommens in der Praxis tatsächlich ist.
Ein besonderes Problem besteht darin, dass man ein Grundeinkommen vermutlich nur in einem recht großen Rahmen einführen kann, etwa europaweit oder gar weltweit. Es scheint keine nationale Lösung zu geben. Das ist ein großes Problem. Denn wenn man sich vorstellt, dass ein Land in der EU das Grundeinkommen einführen würde, kann man sich leicht einsehen, dass der Migrationsdruck auf dieses Land, und zwar von innerhalb und außerhalb der EU enorm groß wird. Es würde der moralisch hoch anspruchsvollen Idee des Grundeinkommens zudem auch vehement widersprechen, wenn ein Grundeinkommen in einem lokal begrenzten Raum gewissermaßen als Exklusivrecht für nur wenige eingeführt würde.
Die Forderung nach Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens stützt sich auf folgende Grundannahmen und auf folgenden Ausgangspunkt: Vollbeschäftigung war ohnehin nur eine sehr kurze Phase von wenigen Jahrzehnten in der besonderen historischen Situation nach dem zweiten Weltkrieg. Wir bewegen uns heute von der Industriegesellschaft in die Wissensgesellschaft, Kommunikationsgesellschaft, wie immer wir es nennen wollen. Wir haben heute am Ende des Industriezeitalters mit Massenarbeitslosigkeit, mit Prekarisierung, mit der Gefahr einer Massenverarmung in den Industrienationen zu tun. Vollbeschäftigung wird im Rahmen der Spielregeln des Industriezeitalters, soll heißen: Vollbeschäftigung basierend auf Lohnarbeit, auf Erwerbsarbeit nicht mehr zu erreichen sein. Zielpunkt aller Argumentation zugunsten eines bedingungslosen Grundeinkommens ist also die Entkopplung von Arbeit und Einkommen und damit verbunden die Hoffnung, dass diese Entkopplung wirtschaftsfördernde Wirkungen entfaltet. Die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens würde diesen Prozess gewissermaßen wieder rückgängig machen, das aneinander Gekoppelte wieder entkoppelt werden.
Diese Wieder-Entkopplung zudenken stößt nun auf eine Reihe von tief verinnerlichten Denkgewohnheiten und Auffassungen über die Arbeit und die Organisation der Gesellschaft durch Arbeit. Dazu schreibt André Gorz schon 1983 in seinem Buch Wege ins Paradies:
„Die mikroelektronische Revolution drängt uns zu neuen Visionen; aber die Trägheit unserer geistigen Kategorien verschleiert es uns: wir warten immer noch darauf, dass die Zukunft uns die Vergangenheit wiederbringt, dass die ´Wende´ oder der wirtschaftliche ´Aufschwung´ für Vollbeschäftigung sorgen; dass der Kapitalismus sich von seinem Totenbett erhebt und die Automatisierung mehr Arbeitskräfte schafft, als sie beseitigt.“(15)
Zu der Art und Weise, wie seitens der Anhänger eines bedingungslosen Grundeinkommens die Argumentation zumeist aufgebaut werde, merkt der Leipziger Soziologie Professor Georg Vobruba in seinem Aufsatz: Gute Gründe reichen nicht. Zur neueren Diskussion eines garantierten Grundeinkommens Folgendes kritisch an:
„In der gesamten Grundeinkommensdiskussion ... geht es in erster Linie um vielfältige Versuche den Nachweis zu führen, ein Grundeinkommen sei wünschenswert, erforderlich, notwendig, ´unabdingbar´. Es geht um gute Gründe für ein Grundeinkommen. Die Frage der Bedingungen der Realisierbarkeit der Forderung, die Analyse politischer Konstellationen, von Interessenpositionen, Einstellungen und Werthaltungen, die sich für oder gegen ein Grundeinkommen richten, führt in der gesamten Diskussion ein Schattendasein. ... Man kann das Problem, das der Mainstream der Grundeinkommensdiskussion seit längerer Zeit umgeht, auch so formulieren: Die Vielzahl der Begründungen eines garantierten Grundeinkommens ist so eindrucksvoll, und zahlreiche Argumentationen sind so überzeugend, dass sich die Frage stellt, wieso sie nicht breite Überzeugungswirkungen entfaltet haben und ein Grundeinkommen nicht längst realisiert ist. Offenbar reichen gute Gründe nicht. ... Tatsächlich werden häufig konsistente normative Begründungen für die Wünschbarkeit eines garantierten Grundeinkommens entwickelt und es wird versucht, diese Begründungen mit Geltung auszustatten, indem man sie in der moralphilosophischen professionellen Diskussion verankert. Aber die Moralisierung eines gesellschaftlichen Anliegens ist ein deutliches Zeichen dafür, dass es politisch nicht durchsetzbar ist. Politischer Moralinterventionismus trägt zur politischen Realisierbarkeit eines garantierten Grundeinkommens nichts bei. Die Diskussion um ein garantiertes Grundeinkommen sollte sich darum nicht in die schöne Welt des Normativen flüchten und weniger Energie für Rechtfertigungsentwürfe verwenden, die ja doch nur Beiträge zu einem Selbstverständigungsdiskurs sein können, in dem ohnehin schon alle überzeugt sind.“(16)
Indem der Mainstream der Grundeinkommensdiskussion also so verfährt, dass man versucht, die Wünschbarkeit und die Plausibilität, die die Grundeinkommensidee zweifellos aufweist, normativ zu begründen, verliert sie das Gespür für die tatsächlichen Bedingungen der politischen Realisierbarkeit der Forderung nach einem Grundeinkommen.
Man muss also, so Vobruba weiter, um nicht immer wieder in diese Begründungsschleife: Wünschbarkeit, Normativität, Geltungsansprüche, Forderungen hineinzugeraten, seine Argumentation, wie er sagt, „zielgenau“ ausrichten. Unter Zielgenauigkeit versteht er: Man muss angeben können, warum genau das Grundeinkommen und nur das Grundeinkommen welches präzise diagnostizierbare gesellschaftliche Problem lösen können soll. Wenn man sagt: Das Grundeinkommen ist notwendig, denn es versorgt alle Menschen mit Einkommen, somit mit Kaufkraft und ist insofern wirtschaftsfördernd. Das ist kein exklusives Argument für ein Grundeinkommen, denn auch andere Sozialtransfers schaffen Kaufkraft.
Nehmen wir ein anderes Argument: Das Grundeinkommen ist notwendig, um das Arbeitslosenproblem zu lösen, da Vollbeschäftigung niemals wieder zu erreichen ist. Ist dies ein zwingendes Argument für das Grundeinkommen? Hier sagt Vobruba: Das kommt darauf an, wie man das Argument versteht. Jemand könnte sagen: Wir haben doch Instrumentarien, Einkommensausfälle durch Arbeitslosigkeit auszugleichen, dann weist das Arbeitslosigkeitsargument nicht exklusiv und zwingend auf ein Grundeinkommen. „Erst wenn man“, ich zitiere Vobruba, „das Argument im Sinne eines fundamentalen Strukturwandels der Arbeitsgesellschaft und der umfassenden Theorie vom ´Ende der Vollbeschäftigungsgesellschaft´ versteht, rückt das Grundeinkommen in den Stellenwert einer alternativlosen Alternative zu dem sich zunehmend erschöpfenden Inklusionspotential des Arbeitsmarktes auf .“ Hier also: hohe Zielgenauigkeit, aber auch hohe Moralanforderungen an die Menschen. Er kommt zu dem Ergebnis, wenn man seine Argumentation zielgenau in dem von ihm gemeinten Sinne ausrichtet, überfordern diese Argumente die gegenwärtige Moralausstattung, die Einstellungen und Werthaltungen der Menschen, und das z.T. massiv. Womit wir wieder bei den Denkgewohnheiten und Werthaltungen wären.
Freiheitsräume oder Stigmatisierung?
Führt die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens zu einer Freisetzung von emanzipativen und kreativen Potentialen und zu einer freieren Form der Organisation von Arbeit, Vergesellschaftung etc., oder würde ein Grundeinkommen wie eine Art Stillstellungsprämie, als eine endgültige Stigmatisierung, als ein letztes Abstellgleis für aussortierte und abgeschriebene Arbeitskräfte wirken?
Dieser Fragenkomplex steht in engem Zusammenhang mit einem anderen Problem, der Frage, was die Menschen mit der durch ein Grundeinkommen ermöglichten Freiheit anfangen werden, wie – und ob überhaupt – sie die so gewonnenen Freiheits- und Gestaltungssielräume zu nutzen in der Lage sind. Hier vorschnell zu konstatieren, die Menschen seien nicht in der Lage, die sich auftuenden Freiheitsspielsräume sinnvoll zu gestalten, zeugt meines Erachtens von einer nicht geringen Überheblichkeit und Anmaßung den Menschen gegenüber und zudem von einer grandiosen Fehleinschätzung ihrer kulturellen Potentiale und Kompetenzen.
Die Herausforderung ist also, sich ein Leben vorzustellen, sich eine Gesellschaft vorzustellen, in der freie Menschen, wirkliche Subjekte in selbstbestimmter Tätigkeit, in nicht entfremdeter Arbeit miteinander leben. Die Vermutung ist: Es besteht eine Angst, das Grundeinkommen zu denken, weil wir uns eingestehen müssten, dass wir genau das verlernt haben, und dass es unser ökonomisches System mit all seinen unsozialen Zwängen ist, weswegen wir das verlernt haben.
Von seiner Grundkonzeption her ist das bedingungslose Grundeinkommen keine Armenhilfe. Das Konzept der Bedingungslosigkeit und die Auffassung des Grundeinkommens als ein Rechtsanspruch und als Menschenrecht, beinhaltet – konsequent zu Ende gedacht – immer schon dieses emanzipative und kreative Moment einer andere Form der Organisation von Arbeit im Hinblick auf freier wählbare Tätigkeiten abgesichert durch ein Grundeinkommen.
Eine Konzeption, die eine Grundsicherung einführen möchte, diese aber so niedrig ansetzt, dass der Zwang, Erwerbsarbeit aufzunehmen, auch schlecht bezahlte, weiterhin besteht, ist genau genommen nicht wirklich ein Grundeinkommensmodell im eigentlichen Sinne. Ein Grundeinkommen hat aber mit Stigmatisierung dann und nur dann nichts zu tun, wenn ein gewisser grundlegender Umdenkungsprozess, unsere Auffassungen über Arbeit betreffend, wenigstens angefangen hat.
Das Problem ist ein anderes. Das Problem ist: Was passiert, wenn die Idee in der Öffentlichkeit bekannter wird, wenn die Zustimmung größer wird und wenn tatsächlich erste Schritte zur Umsetzung des Grundeinkommens unternommen werden. Ob dann nämlich auch das herauskommt, was man sich wünscht.
Und hier herrscht erfreulicherweise eine bemerkenswerte Klarheit: Es wird in der Grundeinkommensdiskussion klar gesehen, dass in der schwierigen und kritischen Zeit des Übergangs von der erwerbsarbeitszentrierten Organisation der Arbeit zu einem Grundeinkommen niemals wirklich klar ist, was passiert, wenn an irgendeiner Schraube dieses riesigen Systems gedreht wird, was sind die Folgen, welche politischen Gegenreaktion sind zu erwarten, Rückwirkungen auf Meinungsbilder usw. Man könne realistischerweise nicht abschätzen, was die Folgen eines einzigen Schrittes in Richtung Grundeinkommen wären. Der Grad, auf dem man sich überhaupt nur bewegen kann, scheint mir ausgesprochen schmal zu sein. Vielleicht ist die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens immer noch zu neu, zu anders und stößt zuviel Gewohntes auf einmal an.
Es kann am Ende auch eine neoliberale Form einer Grundsicherung herauskommen, eine nicht-existenzsichernde und nicht-bedingungslose. Hier verläuft die Hauptkonfliktlinie zwischen den verschiedenen Fraktionen der Anhängerschaft der Grundeinkommensidee. Also: bedingungsloses, existenzsicherndes Grundeinkommen versus neoliberales Bürgergeld resp. negative Einkommenssteuer. Die Konturen des Modells einer Negativsteuer bzw. negativen Einkommenssteuer, das auf Milton Friedman zurückgeht, hat Michel Foucault 1979 in seiner Vorlesung Die Geburt der Biopolitik(17) nachzuzeichnen (eher: vorzuzeichnen) versucht.
Friedman hat das Konzept der negativen Einkommenssteuer in seinem 1962 veröffentlichten Buch Capitalism and Freedom erstmals vorgestellt. Es sieht vor, dass diejenigen Arbeitnehmer, deren Einkommen unterhalb einer bestimmten nicht-existenzsichernden Höhe liegt, vom Staat jenen Betrag, den sie bei entsprechend höherem Einkommen an Steuern zu bezahlen hätten, in Form einer negativen Einkommenssteuer (Negative Income Tax), ausbezahlt bekommen. Foucault bezieht einleitend zu seinen Ausführungen zur negativen Einkommenssteuer auf die Diskussion um das Friedman-Modell in Frankreich zu Beginn der 70er Jahre und fährt dann fort:(18)
„Unterhalb eines bestimmten Einkommens wird man daher eine Ergänzung ausbezahlen ... “ Dabei werde die Negativsteuer so eingerichtet, „dass die Menschen diese zusätzliche Beihilfe nicht als eine Art von Lebensunterhalt verstehen, so dass sie vermeiden würden, nach einer Arbeit zu suchen, und wieder am Wirtschaftsspiel teilzunehmen“. Foucault weiter: „Die negative Steuer setzt nie auf der Ebene der Bedingungen der Armut an, sondern nur auf der Ebene ihrer Wirkungen.“ Sie sei zugleich „eine Art und Weise, unbedingt alles zu vermeiden, was in der Sozialpolitik Auswirkungen einer allgemeinen Neuverteilung der Einkommen haben könnte“.
Das heißt in der Konsequenz, „dass man diese Kategorie der Armen und der Armut wiedereinführt, die schließlich jede Sozialpolitik ... wegzuwischen versucht hat“. Es werde „eine bestimmte ... relative Schwelle festgelegt, die jedoch für die Gesellschaft absolut ist und die die Armen von den Nicht-Armen, die Unterstützten von den Nicht-Unterstützten trennt“. Es werde „also eine Art von Bevölkerung geben, die oberhalb und unterhalb der Schwelle schwebt, eine Schwellenbevölkerung, die für die Wirtschaft, welche gerade auf das Ziel der Vollbeschäftigung verzichtet hat, eine ständige Reserve der Handarbeit sein wird, aus der man schöpfen kann, wenn es nötig ist ... Man garantiert ihnen einfach die Möglichkeit einer minimalen Existenz an einer bestimmten Schwelle, und auf diese Weise kann diese neoliberale Politik funktionieren“.
Die Mindestlohndebatte, die momentan so vehement in Deutschland geführt wird, trifft insofern nicht das eigentliche Anliegen der Grundeinkommensdiskussion, da sie die noch bestehende Normalität der Lohnarbeitsverhältnisse nicht thematisiert. Gleichwohl könnte das Aushandeln von Mindestlöhnen eines der Hauptfelder zukünftiger gewerkschaftlicher Arbeit sein - nach Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens.
Eine Chance sehe ich in dem Moment, wo es gelingt, einen sehr grundlegenden Umdenkungsprozess auf der Ebene der Denkgewohnheiten, Meinungen und Werthaltungen in Gang zu bringen. Was zu denken ist, ist nicht mehr und nicht weniger ein umfassender kultureller Wandlungsprozess, nicht nur ein sozialpolitischer, ein wirkliches – so zu sagen im besten poststrukturalistischen Sinne – Anders Denken, ein anderer Anfang, das sozial-politisch-kulturelle Miteinander zu denken.
Speziell Auffassungen wie jene schon erwähnten: Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen. Arbeiten wird nur jemand, wenn es einen Zwang gibt. Man muss sich sein Leben erst verdienen. Und: Es ist ungerecht, wenn ich arbeite, während andere auf der faulen Haut liegen. Diese tief verinnerlichten Meinungen müssen nicht nur von den Politikern und Wirtschaftsvertretern endlich verändert werden, sondern von allen, von den Betroffenen, den Arbeitslosen aber eben auch. Denn wenn ein Arbeitsloser diese Einstellung nicht auch in sich selbst ändert, dann wird er oder sie das Grundeinkommen auch wieder nur als ein Almosen, als einen staatlich gewährten Subventionsbeitrag, empfinden können. Das ist gar nicht anders möglich. Das bedingungslose Grundeinkommen ist wirklich nur dann keine Stigmatisierung, wenn es auch nicht als Stigmatisierung betrachtet wird, sondern als etwas ganz anderes und Neues. Und das ist schwierig genug, sowieso, für jeden, aber ganz besonders für Arbeitslose angesichts der häufig dramatischen Situation, das ist ja die Tragik. Und auf Kongressen sind das auch die heiklen Situationen, wenn Sozialwissenschaftler sagen: Es ist ein schwieriges und komplexes Modell und wir brauchen noch Zeit, um uns alles genau zu überlegen. Lieber etwas länger und gründlicher überlegen als dass später etwas Unfertiges herauskommt, das uns nicht wirklich gefällt. Und Vertreter von Arbeitsloseninitiativen dann sagen: Das ist ja sehr schön, wenn ihr euch alles genau überlegen wollt, aber wir brauchen das Grundeinkommen jetzt!
Wichtig scheint es zu sein, dass man sich klar macht, dass die Diskussion immer noch sehr am Anfang steht, obwohl es schon sehr viel Literatur, Veranstaltungen etc. gibt. Man darf meines Erachtens vor allen Dingen nicht denken, man hätte eine Art Allheilmittel gefunden, mit dem alle Probleme sehr schnell und auf einmal gelöst werden könnten. Das wäre viel zu monokausal gedacht und so sicherlich falsch. Das Grundeinkommen wäre in der Tat nur ein erster Schritt in Richtung auf ein wirkliches Existenzrecht, nur ein Beitrag in einem viel umfassenderen und komplexeren Transformationsprozess, wenn auch ein sehr fundamentaler. Das Konzept ist angesiedelt bereits in einem Denkraum jenseits der Vollbeschäftigung und jenseits der traditionellen Kopplung von Arbeit, Einkommen und Existenzrecht. Von entscheidender Bedeutung dürfte daher sein, dass man das Grundeinkommen nicht in den alten Kategorien des Industriezeitalters denkt. Ich möchte in diesem Sinne schießen mit einem Zitat von Ulrich Beck: Nicht mit dem Slogan Freiheit statt Vollbeschäftigung, das sagt er auch, sondern mit einem Satz aus einem Interview des Berliner Tagesspiegels: „Nie wieder Vollbeschäftigung. Wir haben Besseres zu tun.“(19)
Literatur
Fußnoten:
8.1. Prekäre Lebensbedingungen, unsichere Arbeitsverhältnisse – Expansion sozialer Ungleichheiten. Auf dem Weg von der Peripherie zum Zentrum?
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