Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 17. Nr. | März 2010 | |
Sektion 8.18. | Die mobile Gesellschaft Sektionsleiterin | Section Chair: Penka Angelova (Universität Veliko Tarnovo / Rousse, Bulgarien) |
Die Verantwortung der Stadtverwaltungen und ihrer Bürger
in Bezug auf die Anpassung der Einwanderer / Migranten in die eingewanderte Stadt oder in das eingewanderte Land
Ali Rıza Abay (Universität Sakarya, Türkei) [BIO] | Z. Esra Abay-Çelik (Universität Wien) [BIO]
Email: aabay@sakarya.edu.tr | abayesra@yahoo.com
Zusammenfassung
Migration ist ein historisches und soziologisches Phänomen. Sie hat sich nach der industriellen Revolution weltweit ausgebreitet. Das Phänomen der Migration hat dabei auch viele Probleme mit sich gebracht: An erster Stelle steht dabei das Problem der Integration in die jeweilige Migrationsstadt oder das jeweilige Migrationsland. In den entsprechenden Diskussionsplattformen werden überwiegend Migranten als Hauptverantwortliche für dieses Problem ausgewiesen – ja sogar beschuldigt. Jedoch sollte man das Thema auch aus der Sicht lokaler Verwaltungen und der Bevölkerung der Migrationsstadt / des Migrationslandes betrachten.
Das Integrationsproblem der Migranten darf man nicht nur aus der Sicht der Migranten oder der Migrationsstadt oder des -landes sehen. Dieses Phänomen muss als eine soziologische Tatsache behandelt, als Thematik erschlossen und die jeweiligen Parteien / Gruppen müssen jeweils für sich verstanden werden. Erst danach kann man umsetzbare, wissenschaftliche Vorschläge erbringen.
1. Einleitung
Land und Stadt, ländliche und städtische Bevölkerung sind Ausdrücke, die einander entgegengesetzt sind, aber sich auch vervollständigen. Die Quelle der Stadt ist das Land, und das Land ist zur Stadt hin ausgerichtet. Zwischen der ländlichen und der städtischen Bevölkerung herrscht eine Beziehung wie zwischen dem Reisenden und dem Wirt, dem Gast und dem Gastgeber. Wenn der Dorfbewohner in die Stadt kommt, ändert er seine Eigenschaften und nimmt die Eigenschaften eines Migranten an. Nun ist der Dorfbewohner ein Migrant in der Stadt. Der Dorfbewohner, der in diesem Moment die Eigenschaft des Migranten trägt, schwankt zwischen dem Lebensstil des Dorfbewohners und des Stadtmenschen. Er kann sich weder vom Dorf noch vom Lebensstil des Dorfbewohners lösen und auch nicht Stadtmensch sein, obwohl er in der Stadt lebt.
Dieser Zustand ist nicht als Urbanisierung und urbaner Lebensstil voneinander zu trennen, doch aufgrund ihrer Eigenschaften stellen sie uns vor zwei unterschiedliche Probleme. Obwohl hochentwickelte Länder das Migrationsproblem im großen Ausmaß gelöst haben, gibt es nichtsdestotrotz Probleme bei Urbanisierung und Zusammenleben in derselben Stadt oder in demselben Land zwischen lokaler und migrantischer Bevölkerung.
An erster Stelle steht dabei das Problem, das Migranten bei der Integration in die jeweilige Migrationsstadt oder das jeweilige Migrationsland haben. In entsprechenden Diskussionsplattformen werden Migranten als passive Objekte behandelt. Es wird davon ausgegangen, dass sie sich an die lokale Bevölkerung anzupassen haben. Als Hauptquelle des Problems werden die Migranten gesehen. Natürlich ist es selbstverständlich zu erwarten, dass das immigrierte Volk sich an das lokale Volk anzupassen hat. Doch man darf nicht vergessen, dass eine Wechselwirkung zwei Seiten voraussetzt.
Und man muss auch die Thematik aus der Sicht der Gastgeber des Migrationslandes oder der Migrationsstadt, der lokalen Bevölkerung und Verwaltung, die durch die Wahl eben jener Stadtbewohner beauftragt worden ist, betrachten.
In diesem Beitrag wird das Thema nicht als Urbanisierung, sondern als urbane Lebensweise / Kultur behandelt. Anders ausgedrückt, werden Integrationsprobleme zwischen Migranten und lokaler Bevölkerung als Pflicht lokaler Verwaltungen und lokaler Bevölkerung betrachtet, ohne dabei internationale oder zentrale Verwaltungen in den Blick zu fassen. Es werden Beispiele aus Europa und der Türkei gebracht und versucht, diesbezüglich Lösungsvorschläge zu erarbeiten.
2. Der Prozess von der ruralen zur migrantischen und
von der migrantischen zur urbanen Lebensweise
Am Anfang hat das Land zur Entstehung der Stadt beigetragen, in dem die sesshafte rurale Bevölkerung den Überschuss ihrer Produktionen verkauft und ihre Bedürfnisse mit dem erhaltenen Geld befriedigt hat, in dem sie sich an den religiösen Veranstaltungen in der Stadt beteiligt haben, in dem sie sich amüsiert haben und im Falle eines feindlichen Angriffes in den festen Burgen der Stadt Zuflucht gefunden haben (Bilgiseven, 1988:25). Mit der Industrialisierung in und um die Stadt und mit der Ausbildung des Handels in der Stadt, ist sie zu einem reizvollen Mittelpunkt geworden. Damit wurde die Bevölkerungsbewegung, die wir Migration nennen, beschleunigt.
Migration nennt man den Prozess, in dem Individuen oder soziale Gruppen von einem Ort zu einem anderen ziehen, um dort zu leben (Ozankaya, 1975:49). Amiran Kurtkan Biligiseven (1980) umschreibt die Migration zunächst als eine geographische Bewegung, um sie anschließend als das Ändern des Wohnortes einiger Individuen in einem Land zu definieren.
Migration läßt sich bei Individuen und sozialen Gruppen, aber auch in Form von Völkerwanderungen ausmachen, die sich im historischen Prozess vollzogen haben, und die wir als Massenauswanderung begrifflich fassen. (Hancerlioglu, 1986:158) Es gibt verschiedene Gründe dafür, dass Menschen ihre Geburts- und Lebensorte verlassen. Obwohl diese Gründe generell damit erklärt werden, dass das Dorf abstößt und die Stadt anzieht, sieht man – wenn man ins Detail geht – dass Migration ökonomische, politische, familiäre, religiöse und kriegsbedingte Gründe hat. Unabhängig von der Art und dem Grund der Migration, ist sie ein Phänomen mit sozioökonomischen, soziokulturellen und sozialpsychologischen Dimensionen.
Man kann sagen, dass zwischen Migration und Urbanisierung eine direkte Beziehung besteht. Einerseits ist Urbanisierung das Resultat der Migration, andererseits ist Migration mit ein Grund für die Urbanisierung selbst. Obwohl Industrialisierung und Urbanisierung die Migration beschleunigten, verursachte die schnelle und unverhältnismäßige Migration eine chaotische Urbanisierung.
Laut Historikern und Sozialwissenschaftlern sind Städte in der Menschheitsgeschichte zwischen 3000 bis 5000 vor Christi entstanden. Doch die Vorbilder unserer heutigen Städte weisen nur eine relativ kurze Vorgeschichte von rund 250 Jahren auf (Tatlidil, 1994:385).
Stadtforscher nehmen beim Beschreiben der Städte verschiedene Perspektiven ein. Im Allgemeinen werden beim Beschreiben der Stadt administrative und demographische, aber auch sozioökonomische und soziokulturelle Eigenschaften in Betracht gezogen. Aus administrativer und demographischer Perspektive ist die Stadt ein Siedlungsgebiet, das eine bestimmte Einwohnerzahl erreicht hat (Sezal, 1992:22). Jedoch ändert sich eine Definition von Stadt, der die Einwohnerzahl zur Grunde liegt, von Land zu Land, sowie mit der Zeit im selben Land. Aus einem sozioökonomischen und soziokulturellen Blickwinkel betrachtet, kann die Stadt als ein Siedlungsgebiet definiert werden, in der das gesellschaftliche Leben nach Berufen, Arbeitsteilung und kulturell unterschiedlichen Gruppen organisiert ist; in der weiters die Institutionalisierung fortgeschritten ist und in der komplexe soziale Beziehungen den Alltag prägen. (Keleş, 1976; Sezal, 1992)
Ein anderer Zugang beschreibt die Stadt als den Übergang von einem gemeinschaftlichen Leben, in der die Individuen ein "Wir"-Gefühl entwickeln zu einem gesellschaftlichen Leben, in der das "Ich"-Bewusstsein in den Vordergrund tritt und in der unterschiedliche berufliche Organisationen in den Vordergrund treten und soziale Sanktionen reduziert werden.(Tatar, 1997:73).
So kann man sagen, dass die Städte Räume sind, in denen Menschen mit unähnlichen Lebensstilen den gleichen Ort teilen, indem sie andere Lebensstile akzeptieren.(Tatlıdil, 1994:385)
Wenn man die Unterteilung von Weber als Grundlage nimmt, kann man die Städte in drei Bereiche gliedern: Konsumenten-, Produzenten- und Handelsstädte (Bilgiseven, 1986:15). Nach Zanden kann man von einer dreistufigen Entwicklung der Städte, nämlich Städte vor der Industrialisierung, Städte als Industriezentren und metropolitische Städte reden (Sezal, 1992:42).
Wenn man sowohl die historische Entstehung der Stadt sowie die Herangehensweisen an diese, als auch die Definition von Stadt in Betracht zieht, kann man zum folgenden Schluss kommen: Die Stadt ist ein Siedlungsgebiet, in der nicht-landwirtschaftliche Aktivitäten vorherrscht, komplexe Beziehungen herrschen, die Arbeitsteilung stark zugenommen hat und soziale Sanktionen reduziert sind; wo des weiteren ehrenamtliche Organisationen entstanden sind, das „Ich“-Bewußtsein zugenommen hat und eine bestimmte Einwohnerdichte und administrative Verwaltung erreicht worden ist. Unter Urbanisierung im engeren Sinn versteht man einerseits das Steigen der Anzahl der Städte sowie die Zunahme der Einwohnerzahl der Städte selbst.
Doch die Urbanisierung ist nicht nur mit dem Wachsen der Zahl der Stadtbevölkerung zu erläutern.
Die Urbanisierung war das wichtigste Ereignis des vergangenen Jahrhunderts. Jeder Staat, egal ob er bereits entwickelt war oder sich in Entwicklung befand, ob er kapitalistisch- oder sozialistisch war, stand unter den Wirkungen der Urbanisierung und sah sich mit dessen Resultaten konfrontiert.
Wenn wir – als Beispiel – die Türkei als ein Schwellenland hinsichtlich des Phänomens der Urbanisierung betrachten, können wir sagen, dass die Urbanisierung in der Türkei in den 1950ern begonnen hat. Während bei der Volkszählung von 1927 von 13,6 Millionen Gesamteinwohnern 2,2 Millionen (16,4%) in der Stadt lebten, waren im Jahr 1945 von 18,8 Millionen Einwohnern der Türkei 3,4 Millionen (18,3%) Stadtbewohner. Den Statistiken ist zu entnehmen, dass 1985 die Zahl der Stadtbevölkerung auf 25,8 Millionen (51.1%) gestiegen ist, und 1990 stieg diese Zahl auf 31.8 Millionen (56,3%). Die Daten zeigen, dass die Urbanisierung 1997 eine Prozentzahl von 65,03 aufweist (www.die.gov.tr/nufus97.html). Dieser Trend setzt sich auch heute fort (Abay, 2003:166).
Wenn man das Phänomen des urbanen Lebensstils betrachtet, kann man nicht einfach sagen, dass sich mit der Niederlassung in einer Stadt auch gleich eine Übernahme urbaner Lebenskultur verbindet. Der Prozess der Übernahme urbanen Lebensstils ist auch zugleich ein Prozess des Kulturwandels. Mit diesem Kulturwandel entstehen auch Veränderungen in den Handlungen und Beziehungen der Menschen, in deren Wertauffassungen und in deren finanziellen und moralischen Lebensweisen. Eben diesen Prozess kann man als Übernahme urbanen Lebensstils bezeichnen (Keles, 1980:71). Dieser Prozess ist ein problematischer Vorgang, in dem das Alte dem Neuen, das Traditionelle dem Modernen, das Land der Stadt gegenüber steht und in der Auseinandersetzung und Konsens ineinander verwoben sind.
Das wichtigste Problem dieses Prozesses ist aber die Integration der Migranten in die Stadt.
3. Das sich-nicht-Urbanisieren-können als Problem
und die Formen des urbanen Lebensstils
Es sollte noch einmal darauf aufmerksam gemacht werden, dass wir nicht das Problem der Migration und der Urbanisierung / Verstädterung, sondern die „Übernahme urbanen Lebensstils“ behandeln. Anders ausgedrückt, behandeln wir die Probleme, die zwischen den Migranten und der lokalen Bevölkerung einer Stadt beim Zusammenleben entstehen.
Um ein Problem lösen zu können, muss man zuerst das Problem selbst und die beiden Parteien des Problems verstehen. Bevor man eine Antwort auf die Frage sucht, warum die Migranten sich nicht an die Stadt anpassen können, muss man die Migranten besser verstehen und erfragen, was sie unter Stadt verstehen.
3.1. Wer ist ein Migrant?
Migration ist nicht nur eine geographische und physische Bewegung. Migration bedeutet zugleich auch das Transferieren der psychischen und geistigen Welt von einem sozialen Umfeld in ein anderes, von einer Kultur in eine andere. Man muss akzeptieren, dass es nicht leicht ist, sich an die immigrierte Geographie und das Klima anzupassen. Doch noch schwieriger als dies ist, die Integration an das immigrierte sozio- kulturelle Umfeld. Da für gewöhnlich die Migranten aus gering besiedelten Gegenden kommen, ist es selbstverständlich, dass die Integration an die Regeln der Großstadt schwer ist. Sie sind zurückhaltend und schüchtern. Dass sie sich fremd fühlen ist nachvollziehbar.
Wenn wir den Migranten, der neu in die Stadt gekommen ist und sich noch nicht mit der Stadt und dem Stadtbewohner identifizieren konnte, ein wenig näher betrachten, werden wir an seinem Gang erkennen, dass er neu in der Stadt ist. Statt den ordentlichen, durchdachten und konstanten Schritten des Stadtbewohners sieht man nun die unrhythmischen Schritte des Migranten, der zaghaft nach links und rechts sich umschauend fortbewegt und welcher es nicht eilig hat, den Bus, den Zug oder die Fähre zu erwischen, da er kein ausgeprägtes Zeitgefühl hat. Der Dorfbewohner, der in seinem bisherigen Leben von Natur aus in seinen Handlungen noch freier und freizügiger war, steht nun in der Stadt vor einem Lebensstil, in dem die Straßen, die Gassen, die Gebäude, die Bordsteine, die Parkanlagen, die Vergnügungsplätze, die Erholungsorte und die Einkaufszentren geplant und begrenzt gebaut wurden, er fühlt sich wie in einem künstlichen Aquarium eingesperrt. Jedoch ist dieser Zustand für den Stadtbewohner sehr alltäglich, ja sogar ein Zustand, den er will und den er für wichtig hält. Aber für den Migranten ist dies ein Problem (Dursun, 1998:31). Das Dorfleben des Migranten, das er hinter sich gelassen hat, war vielmehr eine Auseinandersetzung mit der Natur, doch diese hat sich in der Stadt zu einer Rivalität mit dem Menschen verwandelt. Das Gemeinschaftsdenken und die innerlichen Beziehungen im Dorf sind in der Stadt zu Beziehungen geworden, die sich an Individualismus und Unsicherheit anlehnen. Da im Dorf eine geringe Einwohnerzahl auf einer relativ großen Fläche lebt, sind die Dorfbewohner unter einer wirksamen sozialen Kontrolle. In der Stadt ist das Gegenteil der Fall: viele Menschen leben auf einer relativ kleinen Fläche. Daher geht der Migrant in der Menge unter und aufgrund reduzierter sozialer Kontrolle neigt er eher zu Straftaten.
Nehmen wir an, die Infrastruktur der Stadt ist sehr gut, und es gibt keine Kommunikations-, Verkehrs-, Umweltprobleme etc. Und nehmen wir weiter an, dass wir in diese Stadt Menschen ansiedeln, die bis zu diesem Zeitpunkt nicht in einer Stadt gelebt haben, und wir geben ihnen Arbeit. Wie sollen diese Menschen von der Stadt und ihren Instrumenten Gebrauch machen? Menschen aus ländlichen Gebieten und Menschen, die in der Stadt leben, weisen bestimmte, jeweils unterschiedliche Verhaltensmuster auf. Es ist für den Migranten schwer seine angewöhnten Verhaltensweisen aufzugeben und sich neue anzueignen. Es ist offensichtlich, dass er kulturtechnische wie auch soziale Probleme haben wird. An diesem Punkt können wir jetzt davon sprechen, dass das Problem nicht mehr die Urbanisierung / Verstädterung selbst ist, sondern vielmehr die Übernahme urbanen Lebensstils oder des Zusammenlebens in der Stadt ein Problem aufwirft. Das Problem, das hier angesprochen wird, ist das Problem, wie die neuen Bürger der Stadt mit den bereits Ansässigen zusammenleben werden / können.
Wir können nun ruhig behaupten, dass das Problem des Zusammenlebens in der Stadt, ein technisches, ökonomisches, soziales und vor allem kulturelles Problem ist, das auf einer individuellen Ebene auch eine psychologische Dimension aufweist.
Bei der Landflucht, der Binnenmigration und auch der internationalen Migration treten Probleme bei der Übernahme urbaner Lebensstile, bzw. Probleme in der Integration auf. Doch die Migrationen, die die wirklichen Probleme stellen, sind die vom Land in die Stadt. Bei den Migrationen von einer Stadt in eine andere entstehen im Vergleich weniger Probleme. Wenn noch dazu die Ankunftsstadt in einem anderen Land ist, so sind Probleme unausweichlich.
3.2. Wie nehmen die Migranten die Stadt wahr?
Die angenommene Allgemeingültigkeit der vom Modernismus determinierten Wahrnehmungsart der Stadt führt dazu, dass wir von Migranten erwarten, dass sie die Stadt in eben derselben Weise wahrnehmen. Doch vielleicht sollten wir vorerst diskutieren, mit welchen unterschiedlichen Auffassungen man die Stadt wahrnehmen kann.
Es ist eine Tatsache, dass Übernahme urbanen Lebensstils, eine sozialpsychologische Änderung des Individuums verlangt. Bezogen auf die Gesamtheit bedeutet dies eine soziologische Veränderung und einen sozialen Wandel. Sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene darf der urbane Lebensstil nicht zu einer statischen Struktur gerinnen. So wie die Stadt an sich keine homogene Struktur aufweist, so sind Städte, in denen Migration andauert, in einer sehr dynamischen Struktur aufgebaut. Wenn Verallgemeinerungen zum Thema Übernahme urbanen Lebensstils gemacht werden sollen, so kommen v.a. gemeinsame Einstellungen, Verhaltensweisen und Werte in Frage. All das kann abhängig von Region, Kultur und Zeit anders ausfallen und sich ändern. Daher kann auch nicht von dem typischen Stadtbewohner, und auch nicht von der typischen Stadtkultur gesprochen werden. Deshalb muss auch unser Denken bezüglich der Stadt und urbanem Lebensstil relativ und abgestuft bleiben
Die Beziehung des Migranten zu und sein Bewusstsein von der Stadt hängen vorrangig mit der Befriedigung seiner Bedürfnisse zusammen. Erst danach kommen Faktoren wie Aufenthaltsdauer, ausreichende finanzielle Ressourcen, Bildung, etc. dazu. Im Zusammenhang mit dem urbanen Lebensstil können wir von zwei Kriterien reden: Zunächst muss man schauen, ob die Menschen sich als städtisch definieren oder nicht. Das zweite Kriterium hat damit zu tun, ob die Menschen sich zu diesem Ort (der Stadt) zugehörig fühlen oder nicht (Güclü, 2002:17-18). Wenn wir jetzt anhand dieser zwei Kriterien die Wahrnehmung der Stadt durch die Migranten beurteilen – also wenn Migranten begonnen haben sich der Stadt zugehörig zu fühlen und wenn sie sich auch schon als Stadtbewohner betrachten – dann heißt das, dass die Migranten sich im Prozess der Übernahme urbanen Lebensstils befinden. Über Migranten, die sich in diesem Prozess befinden, kann man nicht sagen, dass sie Integrationsprobleme im Migrationsland oder in der Migrationsstadt haben werden. Denn Integration setzt einen gesellschaftlichen Prozess voraus.
4. Warum können sich Migranten nicht in die Migrationsstadt
oder in das Migrationsland integrieren?
Wie auch schon oben erwähnt, kommen Migranten, die in eine andere Stadt oder in ein anderes Land immigrieren, in eine andere Geographie, eine andere Kultur. Es gibt viele Gründe dafür, dass sie schüchtern und beunruhigt sind. Mit den abgelegten alten ruralen Eigenschaften und den erworbenen neuen, vorübergehenden Eigenschaften als Migrant, wird er ohne Zweifel das Leben in der Stadt und den urbanen Lebensstil von der lokalen städtischen Bevölkerung lernen.
Nun ist die lokalen Bevölkerung der Gastgeber und der Migrant Gast. Der Gastgeber muss seinen Gast sehr gut bewirten. Wie hat der Stadtbewohner diese Aufgabe zu erfüllen? Das Beispiel türkischer Gastfreundschaft soll zeigen, wie die lokale Bevölkerung Migranten behandeln sollte. Der Gast klopft an die Türe und wenn der Gastgeber nicht zu Hause ist, kehrt er wieder um. Wenn der Hausbesitzer zu Hause ist, öffnet er die Türe und bittet seinen Gast hinein. Er bewirtet ihn sehr gastfreundlich. Er zeigt ein freundliches Gesicht. Und der Gast erwartet nie etwas Großartiges. Er gibt sich mit dem Gebotenen des Gastgebers zufrieden. Und die Dauer des Gastseins beträgt maximal drei Tage. Wenn wir jetzt diese Metapher an Migranten und das lokale Volk anwenden, so muss der Gastgeber, das lokale Volk, seinen Gast an der Türe empfangen. Und wenn die Dauer der Besuchszeit beendet ist, so muss er ihn auch bis zur Türe hinausbegleiten. Aber wenn der Gast sich in der Stadt niederlassen will, so muss der Gastgeber ihm dabei behilflich sein, sich in der Stadt niederlassen zu können. Und danach müssen die Nachbarsbeziehungen beginnen. Das neue Mitglied der Gemeinde oder der Stadt darf niemals seinem Nachbar zur Last fallen. Er muss wissen, wie er sich alleine zurechtzufinden hat. Um in derselben Gemeinde oder in derselben Stadt in Frieden miteinander leben zu können, muss man in guten Nachbarschaftsverhältnissen stehen.
Bedauerlicherweise ist folgendes zu bemerken, dass unkontrollierte Migrationsbewegungen traditionelle Verhaltensmuster zerstört haben. Doch trotz all dem, müssen die Migranten die Werte und Normen der Stadt, anders ausgedrückt das Leben in der Stadt, von den lokalen Bewohnern der Stadt lernen. Daher fällt dem lokalen Volk und der lokalen Verwaltung eine große Aufgabe zu.
4.1. Die Pflichten der lokalen Bevölkerung
Wie allgemein bekannt ist, gibt es ein Paradigma, das besagt, dass Migranten es nicht schaffen werden, urbane Lebensstile anzunehmen. Man kann sagen, dass diese Meinung einen theoretischen Hintergrund aufweist, der sich an der “kulturellen Isolation” (Tekeli, 1996:13) und “Kultur der Armut” (Türkdogan, 2002:555) orientiert. Diesen Zugängen zufolge, geraten die Migranten in den Städten mit Ihresgleichen in Auseinandersetzung und isolieren sich von anderen gesellschaftlichen Schichten. Dieser Zustand führt mit der Zeit zur Ghettoisierung und wirkt sich negativ auf die Übernahme urbaner Lebensstile aus. Laut diesem Zugang, kann die ländliche Bevölkerung niemals urbanisiert werden.
Der grundlegendste Faktor, warum sich die Migranten nicht mit dem lokalen Volk einigen können, ist, dass ihnen bekannt ist, dass die lokale Bevölkerung eine negative Einstellung zu ihnen hat. Anders ausgedrückt, jene, die sich als städtisch ansehen, haben Vorurteile. Migranten werden von ihnen als Unverbesserliche ländlicher Herkunft klassifiziert oder als urbanisierungsunfähig betrachtet. Diese Sichtweise bringt sehr viele Probleme mit sich. Zum Beispiel wird gesagt, dass in den Vororten Frankreichs für die Migrantenaufstände der letzten Jahre ein ähnlicher Gedanke Ursache gewesen ist.
Beobachtungen und Untersuchungen zufolge bezeichnet die lokale Bevölkerung die Migranten mit Begriffen wie Fremder, Provinzler, Außenbezirkler, Ghettomensch, Dorfbewohner, Arbeiter und noch erniedrigender mit ungebildet, weltfremd, etc. Dieser Zustand verletzt die Migranten enorm, weil sie in ihren eigenen Ländern, Städten oder Dörfern einen angeseheneren Status hatten. Sie können sich gegen diese Position nicht verteidigen. Auch wenn sie sich zu verteidigen wüssten, würde das ihnen nichts bringen. So bevorzugen es die Migranten, in einer geschlossenen Gemeinschaft zu leben. Dies ist nicht nur für die internationale Migration, sondern auch für die Binnenmigration gültig.
Der Gedanke, dass die Migranten nicht urbanisiert werden können, ist rundweg falsch. Der Werdegang vom Landbewohner zum Migranten, vom Migranten zur Sesshaftigkeit, also zur urbanen Lebensweise, benötigt einen soziologischen Wandlungsprozess.
Dass Migranten nicht in der lokalen Bevölkerung aufgehen, daran ist in erster Linie die lokale Bevölkerung schuld. Die lokale Bevölkerung erfüllt ihre Pflichten nicht.
4.2. Die Pflichten der Regionalverwaltung
Die lokale Bevölkerung muss zwar jeden Migranten individuell betreuen, aber nur eine ausgereifte und bleibende Struktur kann Migranten leiten. Wie allgemein bekannt ist, erleben Migranten in der Migrationsstadt oder dem Migrationsland einen Kulturschock. Damit jene tausende Menschen, die vom Land in die Großstädte oder in andere Länder migrieren, diesen Übergangsprozess in einer angemessenen Weise überstehen, sind Organisationen vonnöten. Es sind zudem verschiedene Mechanismen nötig, die mit verschiedenen Methoden Migranten oder Stadtbewerbern die Stadtumstände greifbar machen, damit der Übergang vom traditionellen Dorfleben zum Stadtleben leichter erfolgen kann. Diejenigen, die das am besten handhaben können sind lokale Verwaltungen, die durch Wahlen als Vertretung des Volkes fungieren.
Ohne Zweifel werden mit dem Begriff Stadtverwaltung Dienste wie Straßen, Wasser, Strom, Kanalisation, etc assoziiert. Diese Dienste haben viel mehr mit der Verstädterung zu tun. Aber wenn in dem schnellen und chaotischen Urbanisierungsprozess die Urbanisierungskultur der Bevölkerung vernachlässigt wird, so können sehr große Probleme auftreten. Daher müssen diese parallelen, nicht voneinander trennbaren Prozesse gemeinsam behandelt werden.
Die Hauptaufgabe der Stadtverwaltungen ist es, eine Politik umzusetzen, die die Anpassung der neuen Stadtmitglieder vorsieht. Als in den letzten Jahren das Integrationsproblem der Migranten mehr und mehr an Bedeutung gewann, ist im Rahmen der sozialpolitischen Administration ein Anstieg sozialer, kultureller und pädagogischer Aktivitäten zu verzeichnen gewesen. Dies betrifft sowohl die Türkei als auch andere europäische Länder.
In dieser Angelegenheit möchten wir zwei Beispiele anführen – einerseits aus der Türkei und andererseits aus Deutschland. Beginnen wir mit der Türkei: Wie allgemein bekannt ist, ist die Türkei ein Schwellenland. Es herrscht ein enormer Migrationsschub vom Land in die Stadt, und hier vor allem in die Großstädte. Anfangs sind die möglichen Probleme, die durch die Migrationsbewegungen innerhalb der Türkei nach 1950 entstanden sind, kaum berücksichtigt worden. In den darauffolgenden Jahren hat sich dieser Zustand enorm ausgeweitet. Dies führte zur chaotischen Urbanisierung und zu massiven ökonomischen und sozialen Problemen. Heute bestehen in der Türkei ökonomische und soziale Probleme, die aus der Urbanisierung, der Übernahme urbanen Lebensstils und aus dem Zusammenleben mit der lokalen Bevölkerung entstehen. Einer Untersuchung in Istanbul, der größten Stadt der Türkei mit den meisten Migranten, fühlen sich 44% der Bevölkerung nicht als Istanbuller und 51% sehen sich nicht als Teil von Istanbul (http://www.kentimistanbul.com/araştırmasonuçlar.asp). Das deutet daraufhin, dass hier ein enormes Problem in der Übernahme urbaner Lebensstile besteht. Doch um dieses Problem beseitigen zu können, arbeiten verschiedene Verwaltungsorgane daran, dass die Migranten sich in die Stadtkultur integrieren, ihre Bedürfnisse in Kultur und Kunst befriedigt werden, ihre Beschäftigungsproblem gelöst wird, die lokale demokratische Kultur erweitert und das Bildungsniveau des lokalen Volkes gesteigert wird.
Neben vielen anderen sozialen und kulturellen Aktivitäten der Stadtverwaltung Istanbul ist das Projekt ISMEK, “Künstlerische- und berufsbildende Kurse in Istanbul” ein gutes Beispiel: Es bietet einerseits den Kursteilnehmern die Möglichkeit einen Beruf zu erlernen, und andererseits unterstützt es solche Menschen, die aus dem ländlichen Gebiet in die Stadt immigriert sind und Probleme bei der Integration haben.
Die berufsbildenden Kurse der Stadtverwaltung sind meistens an den Randbezirken der Stadt und in Vierteln, deren Menschen sich noch nicht in der Stadt integrieren konnten. Aus diesem Grund tragen diese Kurse viel zur Integration bei. Außerdem werden Kursteilnehmern und vor allem Frauen, die in der Großstadt vereinsamen, Möglichkeiten geboten, neue Bekanntschaften aufzubauen (Sirin, 2003:406). Einer Untersuchung zufolge, die wir mit Kursteilnehmern der berufsbildenden Kurse im Istanbuler Bezirk Üsküdar durchgeführt haben, haben die Mehrheit der Kursteilnehmer gesagt, dass ihr Freundeskreis sich vergrößert, ihr Selbstbewusstsein sich verstärkt, ihr Stadtwahrnehmungsgefühl sich erweitert hat und dass die Kurse Grund dafür geworden sind, Istanbul noch mehr zu mögen. (Abay, 2004:420).
Das zweite Beispiel betrifft Deutschland: Deutschland hat – wie allgemein bekannt – nach dem zweiten Weltkrieg eine enorm rasche Entwicklung durchgemacht. Vor allem gab es nach 1960 einen massiven Bedarf an Arbeitskraft, der durch die Migration gedeckt wurde. Die Türkei ist eines der Länder, das nach Deutschland in dieser Zeit die meisten Arbeitskräfte entsendete – das ist mit ein Grund, weshalb uns dieses Fallbeispiel mehr interessiert.
Vor ungefähr einem Jahr fand in Istanbul ein Symposium zum Thema “Internationale Migration” statt. An diesem Symposium nahm auch die Bürgermeisterin von Berlin-Kreuzberg, Frau Cornelia Reinauer, teil. In ihrer Rede behandelte sie das Thema Integration zwischen der lokalen Bevölkerung und den Migranten und brachte ihre Ansichten und deren politische / administrative Umsetzungen zur Sprache. Die Ansichten von Frau Cornelia Reinauer zum Zusammenleben der migrantischen und lokalen Bevölkerung ist insofern wichtig, als es einerseits dazu verhilft, die Sichtweise mancher entwickelter Länder verständlich zu machen und andererseits als ein Beispiel für die Umsetzung auf lokaler Verwaltungsebene dienen kann. Wir wollen versuchen, ihre Ansichten komprimiert wieder zu geben. Frau Reinauer begann ihre Rede wie folgt: „Mir ist die Migrationsthematik nicht fremd. Als Bürgermeisterin dieses riesigen Einwanderungsbundeslandes haben wir – was das Thema Integration anbelangt – sehr schwere Tage hinter uns. Die Arbeitsmigranten in Deutschland sind viele Jahre hindurch als ‚Gäste‘ angesehen worden und es wurde angenommen, dass ihre Familien nicht die deutsche Sprache beherrschen müssen. Denn wir dachten uns, dass sie ja wieder zurückkehren würden, nachdem ihre Arbeit erledigt war. Da wir nicht gesehen hatten, dass sie bleiben werden, haben wir kein Fundament des Zusammenlebens gelegt. Damals nannten wir sie “Gastarbeiter”, Menschen die in den 70er Jahre gekommen waren, und jetzt machen wir ihnen Vorwürfe, warum sie nicht unsere Sprache erlernt haben. Gestützt auf die Beobachtungen, die wir gemacht haben, muss ich folgendes bemerken, ‚wir müssen lernen zusammen zu leben‘. Um fanatische Handlungen überwinden zu können, muss eine Kommunikationsart gefunden werden, die den Bedürfnissen aller entspricht. In der Vergangenheit hatte man ‚Integration‘ gesagt, aber ‚Assimilation‘ gemeint. Es hat sich herausgestellt, dass dies ein Fehler ist und auch keine Lösung bringt. Daher müssen längerfristige Lösungen gesucht und angewendet werden.
Meinem Erachten nach wird eine ‚pluralistische Verwaltung‘ bei der Bewältigung der Migrationsprobleme hilfreich sein. Als Bürgermeisterin versuche ich das Modell der ‚pluralistischen Verwaltung‘ in meinem Bundesland umzusetzen und bin überzeugt, dass im Falle der Annahme dieses Modells für die Probleme längerfristige Lösungen gefunden werden können. Ich glaube, dass die Pluralität hervorgehoben und geformt werden muss und möchte betonen, dass wir Vorteile der verschiedenen ethnischen Gruppen ebenfalls betonen müssen. Mehr als die Defizite von Migranten in den Vordergrund zu stellen, sollte man eher die Vielfältigkeit dieser Kulturen hervorheben. Folglich müssen wir als Gesellschaft die Partizipation erhöhen. In den vergangenen 20 Jahren haben wir das nicht bewirken können. Wir haben es nicht geschafft, die Migrationsfamilien in die Politik und in die Diskussionen in unserer Gesellschaft, und in das Zusammenleben einzubeziehen. Daher müssen wir neue Formen finden.“ (Reinauer, 2005: 209-210). Die Meinungen und Umsetzungen von Frau Cornelia Reinauer, Bürgermeisterin von Berlin-Kreuzberg, sind lobenswert. Man kann nur hoffen, dass diese Meinungen sich verbreiten werden.
Deutschland hat 2001 das “Migrationsgesetz” verabschiedet und mit diesem Gesetz sind die “Integrationsarbeiten” beschleunigt worden. Doch an den Grundauffassungen und an den Umsetzungen sind keine deutlichen Unterschiede zu erkennen.
Für die Integration der Migranten im organisatorischen Sinn, ist in erster Linie die lokale Verwaltung verantwortlich. Dass die lokale Verwaltung in dieser Angelegenheit seinen Dienst zur Gänze erfüllt, kann aber leider nicht gesagt werden.
5. Fazit und Vorschläge
5.1. Fazit
5.2. Vorschläge
Literatur:
8.6. Die mobile Gesellschaft
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Webmeister: Gerald Mach last change: 2010-04-07